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Kapitel 10: Wahrsagenhausaufgaben

 

Kolleen saß auf ihrem Bett und starrte auf die Flasche in ihrer Hand. Die blaue Flüssigkeit darin leuchtete etwas im Schein der einzigen Kerze.
Die anderen Mädchen waren noch alle im Gemeinschaftsraum. Sie genoss die Stille und dachte über die vergangene Stunde nach. Es war nur eine Stunde gewesen und doch schien sie ewig gedauert zu haben und ewig her zu sein. Alles war irgendwie verdreht gewesen und hätte sie nicht den Schlaftrank in ihrer Hand gehabt, hätte sie nicht geglaubt, dass es überhaupt passiert war.
Sie hatte sich ausgeheult und nicht nur das, jemand hatte ihr auch zugehört und sie danach gefragt. Das alles bei einer Person, der sie es am wenigsten zugetraut hätte. Was war nur in Snape gefahren oder in sie, dass sie darauf eingegangen war?
Aber vielleicht war das vorhin der wirkliche Severus Snape gewesen, vielleicht war da seine Maske für ein paar Momente gebrochen gewesen.
Als sie sich zu ihm umgedreht hatte, hatte sie etwas sagen wollen, doch sie war an seinen Augen hängen geblieben. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, aber das erste Mal hatte sie mehr in ihrem Schwarz gesehen als nur Kälte und Abneigung. Seine Umarmung war überraschend gekommen und war doch beruhigend gewesen. Einen kurzen Moment hatte sie sich sicher gefühlt und das Gefühl, verloren zu sein, war etwas zurückgewichen.
Sie schüttelte den Kopf. Über was machte sie sich da bloß gerade Gedanken? Das war absolut verrückt! Er war ihr Lehrer und sicherlich hätte er das bei jedem Schüler getan.

Kolleen entkorkte die Flasche und ließ drei Tropfen in das Wasserglas auf ihrem Nachttisch fallen. Nachdem der Korken wieder fest saß, verstaute sie die Flasche in der hintersten Ecke ihres Koffers und bedeckte sie mit Kleidern.
Als sie das Glas in der Hand hielt zögerte sie kurz. War das wirklich nötig? Wenn sie ruhig schlafen wollte war es nötig, also hob sie das Glas an und trank es mit einem Zug leer.
Nur ein süßlicher Nachgeschmack blieb auf ihrer Zunge zurück und sofort merkte sie wie sich ihr Körper beruhigte. Langsam legte sie sich ins Bett und schlief schneller ein als sie denken konnte.

***



Der Himmel in der Großen Halle war strahlend blau. Kolleen saß beim Frühstück und war mit ihren Gedanken mal wieder ganz woanders, so dass sie nicht bemerkte, wie jemand hinter ihr stand und auch nicht, dass die Schüler neben ihr verstummt waren.
"Guten Morgen, Miss Anderson. Haben Sie gut geschlafen?" Es war Professor Snape. Kolleen fuhr erschrocken herum und sah zu ihm auf.
"Ja...., äh...., vielen Dank Professor." Vor lauter Überraschung stotterte sie etwas. Er sah mit einem arroganten Blick auf sie hinunter und verließ mit wehendem Umhang die Halle.

Die Schüler um sie starrten Kolleen fassungslos an, sagten aber nichts. Genervt von den Blicken verdrehte Kolleen die Augen, ließ den Rest des Frühstücks liegen und ging ihre Schulsachen holen.

Der Unterricht verlief wie immer, nur der Berg Hausaufgaben war größer als gewöhnlich und da sie wusste, dass sie sich im Gemeinschaftsraum eh nicht konzentrieren konnte, blieb sie in der Bibliothek und das auch als alle anderen schon lange gegangen waren.
Der Raum war groß und roch immer nach alten etwas modrigen Büchern, momentan war er nur noch von wenigen Kerzen beleuchtet und strahlte noch mehr als sonst Ruhe und Frieden aus.
Kolleen war bei den Wahrsagen-Hausaufgaben angekommen und las gelangweilt den Text aus dem Buch vor ihr. Sie brauchte ungefähr zehn Minuten länger als es für diesen Text angemessen gewesen wäre und nahm sich dann seufzend ein Stück Pergament und ihre Feder, um den aufgegebenen Aufsatz zu schreiben.
Sie sollten die Personen beschreiben, die sie in der letzten Stunde in der Kristallkugel gesehen hatten. Sonst hatte sie sich immer etwas ausgedacht, so wie es der Rest der Klasse eben auch tat, aber diesmal hatte sie wirklich etwas gesehen. Angestrengt versuchte sie sich daran zu erinnern wie der Mann ausgesehen hatte.
Er war groß und schlang gewesen, mit schwarzem, längerem Haar. Viel mehr hatte sie nicht sehen können, nur dass er weite schwarze Roben getragen hatte. Die zweite Person hatte sie, bis darauf, dass es eine Frau war, nicht erkennen können.
All dies hatte sie aufgeschrieben und ihr wurde bewusst, dass es bei weitem nicht die geforderte Pergamentseite in Anspruch nahm, also legte sie das begonnene Pergament zur Seite und begann sich etwas auszudenken.
Das Öffnen und Schließen der Bibliothekstür hörte sie nicht. Erst als jemand um die Ecke des Regals bog sah sie auf. Es war Professor Snape. 'Warum findet er mich immer?', schoss ihr durch den Kopf.

Er schien sie noch nicht bemerkt zu haben, denn er durchsuchte weiter konzentriert das Regal. Kolleen beobachtete ihn von der Seite. Seine Bewegungen waren fließend und sehr weich, ganz anders als man es aus seinem Unterricht gewohnt war.
Das erste Mal betrachtete sie Snape nicht als Lehrer sondern als Mann, und wenn sie ganz ehrlich war gefiel ihr das was sie sah. Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Aber vielleicht war es ganz gut wenn er sie jetzt nicht sah und so drehte sie sich wieder ihrer Arbeit zu und tat so als hätte sie ihn gar nicht bemerkt. Das Problem war nur, dass das nicht funktionierte und sie auf jeden Schritt und jedes Geräusch, das er machte, achtete und als er in einer Bewegung inne hielt wusste sie, dass er sie entdeckt hatte.
Um beschäftigt zu wirken, begann sie die nächsten zwei Sätze des erfundenen Aufsatzes zu schreiben.
Sie hörte und sah aus dem Augenwinkel wie Snape nun an ihrem Tisch stand, gespielt überrascht blickte sie auf.
"Oh, Professor Snape! Ich habe Sie gar nicht kommen gehört. Ich...., also ich mache nur meine Hausaufgaben."
Sein Blick war ausnahmsweise einmal friedlich. "Sie brauchen sich nicht gleich rechtfertigen, Miss Anderson." Er warf einen Blick auf die Uhr. "Noch dürfen Sie ja hier sein. Aber eine Frage habe ich schon: Was schreiben Sie da so eifrig, dass Sie alles andere vergessen? Zaubertränke sind es nicht wie ich sehe." Sein Blick fiel nun auf das geschlossene Zaubertränkebuch, welches ganz oben auf dem Stapel Schulbücher lag.
"Ach, es ist nur Wahrsagen...."
Snape zog eine Augenbraue nach oben und ein Grinsen zuckte um seine Mundwinkel.
"Oh....., darf ich mal sehen?"
Etwas erschrocken sah Kolleen ihn an. "Äh, also es ist nicht besonders gut...., ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist....."
"Ach geben Sie schon her, so schlecht wird's nicht sein!" Er zog ihr das Pergament unter den Händen weg und begann zu lesen.
"Nun, ich wusste nicht, dass Bilder in Kristallkugeln so detailliert sind, aber wenn Sie das so gesehen haben......."
Sie blickte etwas verlegen auf ihre Hände. Es gehörte wohl zu den weniger cleveren Dingen Snape zu erzählen, dass man bei den Hausaufgaben schummelte.
Dann hörte Kolleen wie jemand zu lachen begann, sie wunderte sich. War noch jemand in der Bibliothek? Doch als sie aufblickte, sah sie dass es Snape war, der da stand und ein wirkliches Lachen im Gesicht hatte, welches sogar seine Augen mit Wärme füllte.
Sie musste ihn sehr erstaunt angeblickt haben, denn er grinste immer noch als er begann zu erklären:
"Sollte sich seit meiner Schulzeit nicht sehr viel geändert haben, entstehen ungefähr 99% der Wahrsagen-Hausaufgaben aus erfundenen Geschichten der Schüler, und wenn ich ganz ehrlich bin bezweifle ich, dass sich viel geändert hat."
Etwas aus dem Konzept gebracht und sehr ungläubig sah Kolleen ihn an. Das war nicht Snape! Das musste irgendein Double sein, vielleicht mittels Vielsafttrank, in Hogwarts war alles möglich......
Doch schnell hatte er wieder jenen grimmigen Gesichtsausdruck mit dem er immer durch die Schule zog und sie verwarf den Gedanken.
"So Miss Anderson, da ich gefunden habe was ich suche werde ich Sie nun wieder Ihren Hausaufgaben überlassen." Ohne ein Wort des Abschieds drehte er sich um und verließ die Bibliothek.
Eigentlich wollte Kolleen wirklich weiter an dem Aufsatz schreiben, doch Snape hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Sein Verhalten verwirrte sie, warum machte er das? Sie hatte keine Ahnung und vor allem wusste sie nicht was er damit bezwecken wollte, doch im Moment interessierte sie vielmehr sein Alter. Wenn er auch in Hogwarts zur Schule gegangen war, musste er schließlich in einem der Jahrbücher auftauchen.
Vor dem Regal mit den Jahrbüchern überlegte sie. Ihre grobe Schätzung belief sich auf Mitte dreißig, also nahm sie erst mal fünf Bücher mit.
Im letzten, in dem sie es schon für unwahrscheinlich hielt ihn zu finden, entdeckte sie zwischen den Schulabgängern aus Slytherin einen hageren blassen Jungen mit schwarzem Haar und tatsächlich stand Severus Snape darunter. Also war er 33 oder 32.
Sie war überrascht, so jung sah er wirklich nicht aus, wahrscheinlich machte ihn das miese Gesicht älter.
Plötzlich spürte sie den Blick der Bibliothekarin im Rücken und sah auf die Uhr, sie hätte schon vor fünf Minuten gehen müssen. Schnell stellte sie die Bücher zurück und verließ mit ihren Schulsachen unterm Arm die Bibliothek.

In den Gängen war es mal wieder bitter kalt und sie sah zu, so schnell wie möglich zurück in den Gryffindorturm zu kommen.

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