Kapitel 2: Arbeit
Als er im Ministerium ankam betrat er die Telefonzelle, die normalerweise Besuchern vorbehalten war und nicht von Ministeriumsangestellten benutzt wurde. Um den Haupteingang benutzen zu können, hätte er einige Schutzzauber überwinden müssen und dies stand außer Frage für den ehemaligen Zaubertrankprofessor. Vor drei Jahren hatte er all seine magischen Fähigkeiten verloren und seinen Zauberstab dem Ministerium übergeben müssen. Seitdem war Severus Snape in der Squib-Registrierungs-Abteilung offiziell als Squib eingetragen. „Snape, Registrierung“, sprach er in den Hörer. Der Lift führte ihn hinunter in die Eingangshalle, wo er sein Ministeriumsabzeichen der diensthabenden Wache zeigte, bevor er den offenen Raum gezielten Schrittes in Richtung der Treppe, die zu seiner Abteilung führte, durchmaß.
Die Hauselfen begrüßten ihn fröhlich wie immer. „Guten Morgen, Sir. Keine außergewöhnlichen Vorkommnisse, Sir. Hoffe, Sie hatten eine gute Nacht, Sir. Wir wünschen Ihnen einen guten Tag, Sir.“
Er erwiderte ein guten Morgen und setzte sich an seinem Tisch nieder. In seinem Eingangskorb lagen drei Anfragen. Eine kam aus dem Büro von Auror Longbottom, zwei waren von Potter. Eine Menge Anfragen kamen von Potter. Der schieren Menge an Akten um die er bat nach zu schließen, schien er eine Menge Arbeit zu haben und diese auch gründlich auszuführen. Severus unterzeichnete die drei Listen der Akten, die die Auroren erbeten hatten und reichte sie einem diensthabenden Elfen, der davoneilte, sie seinem Assistenten zu übergeben, der die entsprechenden Unterlagen heraussuchen würde.
Im Grunde war dies seine einzige Beschäftigung und er war sich ziemlich sicher, dass das Ministerium sich diese Routinehandlung speziell für ihn ausgedacht hatte. Es gab keinen Grund dafür, warum es wichtig sein sollte, diese Listen zu unterzeichnen oder die Hauselfen zu überwachen. Da er seiner magischen Kräften entledigt war, hatte er ohnehin keine wirkliche Kontrolle über die Elfen oder ihre Tätigkeiten. Severus hatte sich nie die Mühe gemacht jemanden zu fragen, was der Grund seiner Anwesenheit hier in der Ministeriumszentrale wirklich war. Weil er es wusste. Sie brauchten ihn nicht, um diese Arbeit hier als Vorwand für seinen lächerlich hohen Lohn zu machen. Er war sich sicher, dass sie ihn beschäftigt halten wollten und, noch viel mehr, unter Kontrolle. Ein Zauberer, der seine Magie verloren und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, auch noch auf der „Dunklen Seite“ gestanden hatte, war möglicherweise gefährlich. Obwohl nicht mehr in Besitz jeglicher magischer Kräfte, ganz zu schweigen schwarzer, konnte er theoretisch noch immer versuchen alte Verbindungen wiederaufleben zu lassen, um Rachepläne gegen das Ministerium, seine Angestellten oder sogar Muggel zu schmieden. Er tat nichts dergleichen, und wie ihn diese todlangweilige Tätigkeit wirklich hätte davon abhalten sollen etwas zu tun, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, war ihm ohnehin unverständlich.
Während der Jahre in der Registrierungsabteilung hatte er eine Reihe von zeitfüllenden Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden. Vor allem las er viel. Romane, Poesie, Theaterstücke, auch wissenschaftliche Literatur zu magischen Themen. Doch dies war während der ersten Monate gewesen. An irgendeinem Punkt, als er die Hoffnung, seine magischen Fähigkeiten wiedererlangen zu können, endgültig aufgegeben hatte, hatte er auch damit aufgehört, Zaubertrankjournale zu lesen. Es war einfach zu deprimierend, über all die interessanten Projekte anderer Tränkemeister zu lesen wenn man wusste, man würde selber nie wieder in irgendeiner Weise daran teilhaben können. Dadurch, dass die meisten Zaubertränke ab einer gewissen Stufe ihrer Zubereitung auch Magie benötigten, war er nicht mehr fähig, diese zuzubereiten. Ansonsten hätte er seine Stelle als Lehrer auch behalten können oder noch besser, jede andere Arbeit, die mit Zaubertränken zu tun hatte, denn wie die meisten Leute, die ihn kannten richtig annahmen, war das Lehren nie seine Lieblingsbeschäftigung gewesen.
Er las auch viele Aufzeichnung von hier unten. Das meiste davon war langweiliger Verwaltungskram, ein paar Beschreibungen kleinerer Verbrechen, aber im Großen und Ganzen nichts besonders Aufregendes. Er hatte nie Aufzeichnungen über die wichtigen Todesserfälle oder damit verbundene Familien gefunden ganz zu schweigen von seiner eigenen Akte, von der er sicher war, dass sie irgendwo im Ministerium existierte. Aber diese Art von Material würde natürlich unter Verschluss gehalten werden; in dieser Hinsicht machte er sich nichts vor. Sie würden ihm nie soweit vertrauen, um ihm Zugriff auf Verschlusssachen zu gewähren.
Wenn er nicht las, schlief er sehr oft ein. Aber in dieser Beziehung konnte er sich auf die Hauselfen verlassen. Sie weckten ihn immer zum Essen oder zu Feierabend. Er war sicher, dass sie über ihn Bericht erstatteten, aber es war ihm egal. Er hatte schnell herausgefunden wie weit er bezüglich seiner Arbeitsmoral gehen konnte. Er war absichtlich zu spät gekommen, manchmal sogar erst zu Mittag, früh gegangen, manchmal sogar bereits zu Mittag. Niemanden schien es zu kümmern; eigentlich schien es niemand auch nur zu bemerken. Er hatte nur herausgefunden, dass er die Grenze möglicherweise überschritten hatte als er mehrere Tage zuhause geblieben war weil er beschlossen hatte, dass es eindeutig bequemer war, in seinem Bett zu schlafen und auf der Couch zu lesen, anstatt in der Arbeit. Schließlich hatte ihm das eine Eule von der Personalabteilung eingebracht, allerdings erst, nachdem er über eine Woche abwesend gewesen war, ohne jemandem etwas mitzuteilen. Der Schrieb hatte ihn angewiesen, eine Krankmeldung auszufüllen und ihm gute Besserung gewünscht, aber er wusste nun, dass einfach zuhause zu bleiben keine Alternative war und das Ministerium solch ein Verhalten vermutlich nicht tolerieren würde.
Er wusste es mit Sicherheit, als am nächsten Tag ein Sozialarbeiter des Ministeriums bei ihm auftauchte und sich nach seinem Befinden erkundigte, und interpretierte dies als eine Warnung, die unsichtbare Linie überschritten zu haben. Folglich war er am nächsten Tag zurück in die Arbeit gegangen. Nicht, dass ihn dieser Besuch von gelegentlichem Zuspätkommen abhielt oder davon, an seinem Tisch zu schlafen oder private Lektüre zu lesen. Seines Erachtens hatte jeder, der gezwungen war solch langweilige Arbeit zu verrichten das gute Recht sich zu verhalten, wie er es tat. Vor allem, da er keine Wahl hatte. Er war nicht aus freiem Willen in dieser Lage. Man hatte ihn vor die Wahl gestellt, den Rest seines Lebens mit Tränken ruhiggestellt in St. Mungo´s zu verbringen, oder sich, als Squib in einer Muggelgegend lebend, gegen ein nettes Gehalt mit diesem Job im Ministerium zu begnügen. Er hatte sich für letzteres entschieden.
Vor drei Jahren, nach dem Niedergang des Dunklen Lords, hatte er zusammen mit den anderen Mitgliedern des Phönixordens den Orden des Merlin erhalten. Kurz nach der Verleihungszeremonie waren Ministeriumsangestellte an ihn herangetreten mit der Aufforderung, das Dunkle Mal von seinem Unterarm entfernen zu lassen, und dass sie ihn nach St. Mungo´s bringen würden für diese, wie sie sagten, Routineoperation. Hätte er es nur gewusst ... Er hätte misstrauischer sein müssen in dieser Sache, vor allem da er bekannt dafür war, kaum jemandem zu trauen. Doch obwohl er wusste, dass diese magische Tätowierung durch sehr mächtige schwarze Magie heraufbeschworen worden war und möglicherweise nicht leicht zu entfernen sein würde, war er einigermaßen froh gewesen, dass die Heiler scheinbar eine Methode gefunden zu haben schienen, seinen meistgehassten Beweis seiner früheren Zugehörigkeit zur dunklen Seite entfernen zu können.
Nach der Behandlung dachte er anders darüber. Sie war zu einem totalen Desaster ausgeartet. Nicht nur, dass die Betäubung kaum gewirkt hatte und das Ausbrennen der Tätowierung entsetzlich schmerzhaft gewesen war, hatte er dadurch auch all seine magischen Fähigkeiten verloren und war zu einem Squib geworden.
Er hatte es sehr schnell herausgefunden, als er – nachdem das Anästhetikum endlich gewirkt hatte – auf der Krankenstation aus dem Schlaf aufgewacht war. Sie hatten seinen Zauberstab auf seinem Nachttisch liegen lassen, wie es der übliche Brauch war in Zauberhospitälern. Er hatte einen einfachen Zauberspruch versucht, und er hatte nicht funktioniert. Er hatte es wieder und wieder versucht, doch nichts war passiert. Er hatte verschiedene Sprüche und Beschwörungen versucht. Nichts. Anfangs hatten sowohl er als auch die Heiler geglaubt, dieser Zustand wäre vorübergehend, möglicherweise auf Grund der Medikamente oder Ähnlichem. Doch nachdem Tage und schließlich Wochen vergangen waren, ohne dass sich an seinem Zustand etwas verändert hatte, war schließlich offensichtlich geworden, was mit ihm los war. Sie hatten ihm nicht erlaubt das Spital zu verlassen, weil sie eine Überreaktion eines Zauberers erwarteten, dem mitgeteilt wurde, dass er für den Rest seines Lebens ein Squib sein würde.
Und reagiert hatte er. Er war völlig ausgerastet, hatte getobt und wie verrückt geschrieen und schließlich den Heiler, der ihm die Hiobsbotschaft überbracht hatte, attackiert. Fünf Leute waren notwendig gewesen, ihn zu Boden zu ringen. Während die drei Krankenschwestern und zwei Heiler etliche gebrochene Rippen und blaue Augen zu beklagen hatten, war er angebunden im Bett gelandet, abgefüllt bis an den Rand mit ruhigstellenden Tränken für Wochen. Irgendwann, nachdem die Wirkung der Medikamente nachgelassen hatte, hatten sie ihn gefragt, ob er kooperieren und fortan als Squib leben und eine Arbeit im Ministerium annehmen würde. Nähere Details waren ihm damals egal gewesen, er hatte nur fort wollen von allem, ein wenig Frieden finden und vielleicht die Möglichkeit, seinem elenden Leben ein Ende setzen zu können, ohne die Einmischung von irgendjemandem.
Als er schließlich in seine Wohnung gezogen war, hatte er tagelang geschlafen, jeden Tag nur einmal geweckt von einer Sozialarbeiterin des Ministeriums, die ihm Essen brachte. Die ältere Dame war sehr nett gewesen, hatte nie dumme Fragen gestellt oder ihn gedrängt über seine Probleme zu sprechen, wie er es von Sozialarbeitern erwartet hatte. Sie hatte ihm nur beim Essen zugesehen, ihn gefragt, ob er etwas brauchen würde und war wieder gegangen. Dann hatte sie begonnen ihn im Gebrauch mit all den Muggelgeräten in seiner Wohnung zu unterweisen. Nach zwei Wochen hatte sie ihm die Termine für seinen „Integration in die Muggel-Gesellschaft“–Unterricht gegeben und ihm all die Einkaufsmöglichkeiten in seiner Nachbarschaft gezeigt.
Anfangs hatten ihn die Ruhe und der Frieden in seiner Wohnung erheblich beruhigt. Er war sehr bald alleine einkaufen gegangen und hatte herausgefunden, dass das Muggelleben sehr interessant sein konnte. Er hatte begonnen, seine Situation als Herausforderung anzunehmen. Eine Herausforderung um den Leuten im Ministerium zu zeigen, dass er nicht zerbrechen und aufgeben, sondern sich in die nichtmagische Welt genauso gut einfügen würde wie dies ein „echter“ Muggel tat. Nach vier Wochen hatten sie ihn aufgefordert, in der Registrierung zu arbeiten anzufangen, aber er hatte bereits davor seinen Lohn erhalten und herausgefunden, dass einkaufen auch eine sehr dankbare Tätigkeit sein konnte. Besorgungen machen und Möbel kaufen, die Fernsehanlage und sein teures Surround-System. Severus Snape hatte die Muggel-Musik entdeckt.
In seinen ersten Wochen hatte er viele kulturelle Angebote der Muggel ausprobiert wie Kino, Theater, Konzerte und so weiter. Mit seinem unangebracht hohen Gehalt konnte er sich all das sehr einfach leisten und musste sich nicht auf freie Museums- oder Büchereibesuche beschränken, die ebenfalls zu seinen Freizeitaktivitäten gehörten. Im Allgemeinen hatte er dies alles sehr interessant gefunden, doch erst ein Konzertbesuch, um Bach zu lauschen, hatte ihn wirklich getroffen. Die Musik dieses Mannes, der vor 250 Jahren gelebt hatte, hatte irgendetwas in seinem Herzen berührt, und plötzlich wollte er weiterleben, nur um mehr von dieser Musik hören zu können. In diesem Moment erkannte er, dass er die Idee, seinem Leben ein Ende zu setzen, irgendwann aufgegeben hatte. Tatsächlich hätte die einzige Art und Weise, die er dazu herangezogen hätte, Zaubertränke in einer sehr komplizierten Zusammensetzung beinhaltet, wozu Magie vonnöten gewesen wäre, und diese war, offensichtlich, keine Option.
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