Kapitel 1: Zuhause
Knack. Als der Toast heraussprang, schob der Mann mit dem hageren Gesicht und dem schulterlangen schwarzen Haar die eben leergegessene Schüssel Müsli zur Seite und langte geistesabwesend nach dem Brot, ohne von der Zeitung aufzusehen. Er legte das Papier nur kurz zur Seite um den Toast zu buttern, wobei er seine Augen nicht vom Blatt nahm, dann hob er sie wieder auf. Nachdem er fertiggegessen und seinen Tee ausgetrunken hatte blickte er auf die Uhr, seufzte und legte die Zeitung schließlich zurück auf den Tisch. Er würde spät sein. Als ob das etwas ausmachen würde. Er schnaubte. Die Hauselfen des Ministeriums waren durchaus in der Lage ohne seine Aufsicht zu arbeiten, sie waren möglicherweise sogar besser dran, wenn er ihnen nicht im Weg stand.
Er beschloss, den Abwasch am Abend nach der Arbeit zu erledigen und stand vom Tisch auf, um aus der Küche zu gehen. Als er die Tür erreichte, hielt er an dem Kalender inne, der nahe des Türrahmens hing. Heute war der 30. Oktober. Ein Datum, an das er sich nicht gern erinnerte. Drei Jahre waren vergangen, seit es passiert war. Vor drei Jahren war er gezwungen worden, sein früheres Leben aufzugeben, ein Leben, das er einerseits gehasst hatte, andrerseits jedoch schrecklich vermisste. An dem Nagel, der den Kalender hielt, hing irgendwie nachlässig ein metallverzierter Gegenstand an einem silberfarbenen Band; dies war eines der wenigen Dinge, die er sich als Erinnerung an sein früheres Leben in seiner Gegenwart erlaubte. Er trug die Aufschrift „Orden des Merlin Erster Klasse“. Er streckte seine langen eleganten Finger aus, ihn zu berühren, hielt in der Bewegung jedoch inne. Abrupt drehte er sich um, verließ die Küche, nahm seinen Wintermantel vom Haken im Flur, zog ihn an und trat durch die Wohnungstür. Gerade rechtzeitig hielt er sich davon ab, sie zuzuschlagen. Er sollte in diesem Haus keine Türen zuschlagen. Hier wurde „freundliche Nachbarschaftshilfe“ praktiziert, so hatte man ihm bei seinem Einzug mitgeteilt. Wenn er begann, Türen zuzuschlagen würde vermutlich jemand auftauchen und ihn fragen, ob er ein Problem habe. Das letzte Mal, als er in seiner Wohnung Türen zugeschlagen hatte – und das war in der ersten Zeit nach seinem Einzug häufig geschehen – war die nette alte Dame von oberhalb, Mrs. Perkins, eines Abends bei ihm aufgetaucht und hatte gefragt, ob er Hilfe bräuchte oder reden wollte. Sie hatte ihn mit einem so besorgten Ausdruck angesehen als befürchtete sie, er könnte jede Sekunde Selbstmord begehen. Nein, er wollte diese freundlichen Leute nicht verärgern. Und er wollte dem Ministerium ganz bestimmt keinen falschen Eindruck von sich vermitteln, um nicht wieder von Sozialarbeitern besucht oder in „Integration in Muggel-Gesellschaft“-Programme gesteckt zu werden. Dies war der Grund, der ihn die Tür zu seiner Wohnung mit der Aufschrift „S. Snape“ vorsichtig schließen ließ.
Severus Snape schritt eilig die Treppen hinunter als Mrs. Forrester und ihre zwei Kinder, ein sechsjähriger Junge namens Philipp und ihre neunjährige Tochter Fiona, aus ihrer Tür spähten.
„Guten Morgen, Mr. Snape. Das trifft sich gut, Sie zu sehen. Sie haben doch nicht vergessen, dass wir morgen Abend unsere Haus-Halloween-Party feiern? Sie kommen doch, nicht wahr?“
„Guten Morgen. Ähm. Nein, ich hab es nicht vergessen. Ich werde kommen. Ich werde einen Salat beisteuern, wenn das in Ordnung ist“, antwortete er im höflichsten Ton, den er aufbringen konnte.
„Großartig! Sie werden sehen, Sie mögen es!“ antwortete Mrs. Forrester begeistert.
Severus nickte nur und wollte seinen Weg fortsetzen, als der Junge plötzlich fragte: „Und als was kommen Sie?“
„Als was?“ fragte er mit verwirrter Mine zurück. Was war das nun wieder für ein Muggelbrauch, den er kennen sollte?
„Ihre Verkleidung natürlich. Wissen Sie, ich glaube Sie könnten sich als Vampir verkleiden.“
„Phillip!“ tadelte Mrs. Forrester. “Entschuldigen Sie, Mr. Snape. In Verkleidung zu erscheinen ist für die Erwachsenen nicht verpflichtend, aber manche machen es trotzdem. Wir finden es sehr lustig, macht die Dinge ein bisschen weniger förmlich“, lachte sie nervös.
Ja, natürlich, Muggel-Halloween-Parties. Er hatte davon in einer der „Integrationsklassen“ im Ministerium gehört. Muggels, hauptsächlich Kinder und Jugendliche, manchmal aber auch Erwachsene, verkleideten sich als Gespenster, Vampire, Kürbisse und ... „Ich verstehe. Dann werde ich als Zauberer kommen“, sagte Severus bevor ihm einfiel, dass dies eine ziemlich gewagte Sache war, die er da zu tun gedachte.
„Cool!“ rief Phillip beeindruckt. „Sie haben ein Zaubererkostüm für Erwachsene, mit Hut, Zauberstab und dem Ganzen? Sie sehen nicht grad aus wie der Typ, der auf solche Parties geht, wissen Sie.“
„Eigentlich mach ich das auch nicht. Es ist ein altes Familienkostüm“, antwortete Severus schnell. „Entschuldigen Sie mich, ich muss in die Arbeit. Bis morgen Abend also.“
Während er die Treppen hinunter zur Eingangstür ging fragte er sich, welcher Teufel ihn da eben geritten hatte. Ausgerechnet er würde sich auf einer Muggelparty als Zauberer verkleiden. Es ging definitiv abwärts mit ihm. Allerdings, setzte er seine Grübeleien auf dem Weg zur U-Bahn-Station fort, vielleicht war das gar nicht so schlecht. Die Muggel wussten nicht, dass er ein Zauberer war. Sie glaubten nicht an Magie und wenn diese Aufmachung die Dinge „weniger förmlich“ machte, wie Mrs. Forrester sich ausgedrückt hatte, würde er sich seine alten Zaubertranklehrer-Roben anziehen. Er lächelte innerlich. Wenn sie bloß wüssten, dass diese Roben die förmlichste Kleidung waren, die man sich vorstellen konnte.
Der Zauberstab konnte sich allerdings als ein Problem herausstellen.
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