Jenseits von Hogwarts

 

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Kapitel 7

Der Verräter


"Enervate!"
Lucius Malfoy schlug die Augen auf und blinzelte mehrmals, um sein verschwommenes Gesichtsfeld zu klären. Langsam nahm der schwarze Schatten vor seinen Augen die Gestalt von Severus Snape an.
"Wie fühlst du dich?" Severus klang nicht so, als ob ihn das wirklich interessieren würde.
"Besser", murmelte Lucius benommen und mit trockener Kehle. Eine Hand schob sich unter seinen Rücken und half ihm, sich aufzusetzen. Severus reichte ihm ein Glas Wasser, das Lucius mit unsicheren Händen ergriff und an die Lippen hob. Er trank in langen, gierigen Zügen. Die Flüssigkeit erfrischte ihn und klärte seinen Geist. ‚Wahrscheinlich doch nicht nur Wasser', dachte er mit leichtem Unbehagen und einem misstrauischen Blick auf den Meister der Zaubertränke. "Danke."
"Keine Ursache."
Severus sah müde aus, stellte Lucius fest. Müde und irgendwie... bedrückt. "Stimmt was nicht?", fragte er vorsichtig.
Severus sah ihn genervt an: "Das hättest du wohl gerne, was?"
‚Vorsicht!', sagte eine warnende Stimme in Lucius Kopf. ‚Du und der Junge seid vollständig in seiner Gewalt! Verärgere ihn bloß nicht!'
Sein Bewacher schien die Gedanken wahrgenommen zu haben. "Mach dir keine Sorgen! Ich rühre dich nicht an, solange der Dunkle Lord mir keinen ausdrücklichen Befehl dazu gibt." Er musterte Lucius kritisch, dann fügte er hinzu: "Ich denke, du kannst heute aufstehen, wenn du es nicht übertreibst. Aber ich warne dich: Weder du noch Draco werdet in eurem Haus Magie gebrauchen. Letzte Nacht waren ein paar gemeinsame Freunde hier zu Besuch und wir haben einen starken Schutzzauber über das gesamte Gelände gelegt, der auf eure magische Frequenz eingestellt ist. Solltet ihr euch irgendwie magisch betätigen, wird die entsprechende Energie auf euch zurückgeworfen. Es wird euch nicht gerade umbringen, aber ich versichere dir, dass es ein ziemlich unangenehmes Erlebnis ist, in etwa vergleichbar mit einem starken Cruciatus-Fluch."
Lucius verzog unangenehm berührt das Gesicht.
"Ich habe deinen Sohn bereits informiert," ergänzte Severus. Dann winkte er sich einen Stuhl heran und ließ sich neben dem Bett nieder. "Lucius", sagte er eindringlich und in plötzlich verändertem Ton, "ich habe vielleicht eine Möglichkeit gefunden, zumindest Draco aus dem ganzen Schlamassel hier rauszuretten."
Lucius sah ihn überrascht an. "Wie?", fragte er angespannt.
"Du hast doch damals Regulus Black verhört. Hat er dir da irgendwas über... über Horcruxe erzählt?"
Angst kroch in Lucius hoch und seine Stimme war heiser als er fragte: "Wie...Wie hat der Dunkle Lord es rausgefunden?"
"Hat was rausgefunden?"
"Dass... ich von seinen Horcruxen weiß. Dass sie zerstört sind."
"Zerstört?" Severus starrte ihn verblüfft an.
Eine Welle der Erleichterung durchflutete Lucius. "Dann weiß er es also gar nicht?"
Sein Bewacher zögerte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. "Ich frage dich nicht in seinem Auftrag. Bis letzte Nacht wusste ich selbst nicht, dass der Dunkle Lord mehrere Horcruxe geschaffen hat. Ich wusste nur von einem, genau wie alle anderen auch. Alle, bis auf dich, nehme ich an."
"Woher -"
"Das tut im Moment nichts zur Sache. Es muss dir fürs Erste genügen, wenn ich dir versichere, dass ich dich in deinem eigenen Interesse danach frage."
"In meinem eigenen Interesse?"
"Woher -"
"Das tut nichts zur Sache. Es muss dir genügen, wenn ich dir versichere, dass ich dich in deinem eigenen Interesse danach frage."
"In meinem eigenen Interesse?"
"Ja. Und, ganz besonders, in Dracos Interesse. Und, um ehrlich zu sein, auch in meinem." Die eisigen schwarzen Augen schienen Lucius durchbohren zu wollen. "Wirst du es mir freiwillig zeigen?"
Lucius schluckte. Was hatte er letztlich für eine Wahl? Er war im Moment einfach zu schwach, sich gegen seinen Bewacher zu wehren.
"Also gut", sagte er leise, wobei er Severus' Blick erwiderte.

***


Ein kalter, feuchter Kerkerraum, nur schwach erleuchtet von zwei rauchenden und stinkenden Fackeln. Ein etwa fünfundzwanzigjähriger Lucius Malfoy stand in seinen Todesser-Roben breitbeinig über einer am Boden zusammengekauerten, ebenfalls schwarz gekleideten Gestalt. Er hatte ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen und ließ den Zauberstab lässig um seine Finger wirbeln.
"Nun, Regulus, wie sieht's aus? Wirst du jetzt endlich reden?"
Langsam hob die gekrümmte Gestalt den Kopf. Ein blutverschmiertes und zerschlagenes Gesicht blickte zu Lucius auf. Ein Auge war völlig zugeschwollen und ein tiefer Schnitt zog sich über die rechte Wange. Dennoch konnte man sehen, dass es einst ein sehr schönes und stolzes Gesicht gewesen sein musste. Die Schönheit war zerstört, doch der Stolz war geblieben.
"Nein", krächzte Regulus mühsam und schüttelte den Kopf. Das lange Haar fiel ihm blut- und schmutzverklebt in die Augen. Er sah Sirius ziemlich ähnlich, vor allem der trotzige Gesichtsausdruck erinnerte sehr an seinen älteren Bruder.
"Nun", sagte Lucius gedehnt, "ich habe viel Zeit. Crucio!"
Regulus stieß einen gellenden Schrei aus. Der Fluch hatte ihn flach auf den Rücken geworfen und da lag er nun, schreiend, mit unkontrolliert zuckenden Gliedern und schmerzverzerrtem Gesicht, während Lucius den Fluch gelassen aufrecht erhielt und sein Opfer dabei interessiert betrachtete. Er ließ den Zauberstab erst sinken, als dieTür neben ihm aufschwang und ein weiterer Todesser in den Raum trat.
"Ah, Severus." Lucius lächelte erfreut, doch der Neuankömmling nickte nur knapp und ging mit raschen Schritten zu Regulus hinüber. Schwer atmend und am ganzen Körper heftig zitternd, lag der Gefangene mit leichenblassem Gesicht und geschlossen Augen am Boden. Als Severus sich neben ihm hinkniete, ihn am Hals berührte, um den Puls zu fühlen, zuckte Regulus heftig zurück und versuchte halbherzig, der Berührung zu entkommen, die Lider noch immer fest zusammengepresst. Als könnte er der Wirklichkeit entfliehen, wenn er sich weigerte, ihr ins Gesicht zu sehen.
Severus drückte ihn mit der freien Hand grob zu Boden. "Halt still!", zischte er ärgerlich.
Regulus gehorchte zitternd, eine andere Möglichkeit blieb ihm ohnehin nicht. Den Finger immer noch an Regulus' Halsschlagader, drehte Severus sich mit ernstem Gesichtsausdruck zu Lucius um. "Wenn du so weitermachst, ist er in spätestens einer Stunde tot", sagte er kalt.
Lucius zuckte gleichgültig die Achseln. "Und wenn schon. Er hat uns eh' nichts Interessantes zu sagen. Regulus ist bloß ein erbärmlicher kleiner Feigling, der plötzlich kalte Füße bekommen hat. Zu weich, um die Aufträge des Dunklen Lords auszuführen. Zu feige, um zu töten." Er spuckte aus. "Aber..." - ein böses Funkeln trat in seine Augen - "...auch wenn er uns nichts von Bedeutung zu sagen hat, verdient er trotzdem eine Strafe - ehe wir ihn endgültig von all seiner Schwäche und Feigheit befreien."
Severus schüttelte langsam den Kopf. "Ich bin mir nicht sicher, Lucius, ob er uns wirklich so wenig mitzuteilen hat, wie du zu glauben scheinst." Seine Stimme wurde noch um einige Grade kälter, als er scheinbar gleichgültig fortfuhr: "Wenn du ihn bloß quälen willst, gut. Das ist deine Sache. Aber davon hat unser Lord nichts. Wenn du allerdings etwas wirklich Nützliches für unsern Herrn erreichen willst, dann würde ich es mal damit versuchen." Er zog ein kleines Fläschchen aus seinem Umhang.
"Was ist das?", fragte Lucius neugierig.
"Veritaserum. Schon gebrauchsfertig angerührt."
"Ein Wahrheitstrank? Du willst mir wohl den Spaß verderben." Lucius seufzte gespielt enttäuscht. Der Gefangene schauderte unter Severus Händen. "Nun, warum nicht. Vielleicht kommt ja doch was Interessantes dabei raus", sagte Lucius grinsend.
Severus packte Regulus an den Schultern und zog ihn in eine halb sitzende Position. Diesmal wehrte der Gefangene sich wirklich. Offenbar hatte er in der Tat etwas zu verbergen. Keuchend und stöhnend vor Schmerz versuchte Regulus ungeschickt, sich den groben Händen zu entziehen. Tatsächlich ließ Severus eine seiner Schultern los, aber nur, um dem Gefangenen mit der freien Hand eine heftige Ohrfeige zu verpassen. "Halt still, du Narr", fauchte er wütend.
Erst jetzt schlug Regulus die Augen auf. Ein Faden frischen Blutes rann von der Schnittwunde in seiner Wange, dort, wo der harte Schlag ihn getroffen hatte. Ein resigniertes Lächeln verzerrte die blutigen Lippen. "Severus. Du bist das."
Severus erwiderte einige Sekunden lang den verschwommenen Blick seines Opfers kühl und gelassen. Auch Regulus schien plötzlich ruhig zu werden.
Einige Schritte entfernt stand Lucius und beobachtete fasziniert den stummen Dialog der beiden Todesser. Severus erstaunte ihn immer wieder. Er bekam selbst die aufsässigsten Gefangenen verblüffend schnell in den Griff. Da war etwas in seiner Art zu sprechen, sich zu bewegen und, besonders, jemanden anzusehen, das seinen Opfern Furcht und Gelassenheit zugleich einzuflößen schien. Selbst wenn er folterte, geschah es auf diese unnatürlich ruhige und emotionslose Art. Unheimlich.
Derweil hatte Severus die Flasche entkorkt und hob sie an Regulus' Lippen. "Trink!"
Einen Moment lang sah es so aus, als ob der Gefangene sich widersetzten wollte. Doch dann schloss er schicksalsergeben die Augen und schluckte die klare Flüssigkeit hinunter.
"Gut." Severus ließ das leere Fläschchen wieder in seinem Umhang verschwinden. Doch eine Hand lag noch immer auf Regulus' Schulter, als der Tränkemeister sich wieder an Lucius wandte. "Die Wirkung hält etwa eine halbe Stunde lang an. Wenn ich dir einen Rat geben darf, Lucius, dann solltest du darauf verzichten, Regulus weiter zu foltern. Er ist bereits ziemlich geschwächt und es ist möglich, dass beim nächsten Cruciatus einfach sein Herz aussetzt." Lucius nickte widerstrebend. "Außerdem möchte ich dich bitten, mich rufen zu lassen, bevor du ihn tötest." Ein Zittern lief über den Körper des Gefangenen.
"Wie du willst", erwiderte Lucius achselzuckend.
Severus nahm seine Hand von Regulus' Schulter, stand auf und verließ rasch den Kerker.

***


Lucius stand einen Augenblick still und nachdenklich. Dann trat er zu seinem Gefangenen hinüber, der ohne Severus' stützende Hand wieder zu Boden gesunken war und den Todesser aus glasigen Augen anstarrte. Lucius ließ sich neben ihm auf die Knie sinken. "Hallo, Regulus", sagte er fast freundlich. "Kannst du mich verstehen?"
Regulus nickte mechanisch.
"Sehr schön." Lucius überlegte einen Moment lang. Was wollte er eigentlich wissen? Zwar hatte er den Gefangenen vorhin zum Reden aufgefordert, aber das war mehr ein routinemäßiger Befehl gewesen. Regulus hätte nichts an seinem Schicksal ändern können, ob er redete oder nicht. Allenfalls hätte er sein Sterben beschleunigen können, wenn er sich etwas kooperativer gezeigt hätte. Lucius hatte ihn brechen wollen, nichts weiter, es hatte keine Anhaltspunkte für einen Verrat oder sonst etwas Wichtiges gegeben, was er aus Regulus hätte herausfoltern können. In der Tat hatte er ihn lediglich für einen kleinen Feigling gehalten, der aus seiner Schwäche heraus - dem, was andere vielleicht als moralische Skrupel bezeichnet hätten - nicht in der Lage gewesen war, den Befehlen des Dunklen Lords nachzukommen und daher aus Angst vor ihm zu fliehen versucht hatte.
Wie dumm. Reine Energieverschwendung. Noch keinem war es gelungen, dem Dunklen Lord zu entkommen.
Aber jetzt... Severus hatte ihn neugierig gemacht. Vielleicht gab es da doch interessante Informationen in Regulus' Kopf?
"Du hast den Dunklen Lord verraten. Wieso hast du das getan?"
Regulus stöhnte leise.
"Antworte!"
"Mein Verrat ist... weit größer als der Dunkle Lord ahnt." Die Stimme war seltsam gleichgültig, doch unter der durch die Droge erzwungenen Ruhe war deutlich Angst herauszuhören. Lucius beugte sich gespannt vor. Wenn Regulus' Panik so groß war, dass sie selbst durch Veritaserum nicht völlig unterdrückt werden konnte, dann musste er in der Tat etwas Schreckliches zu verbergen haben.
"Was hast du getan?", hauchte Lucius fasziniert.
"Die Horcruxe... Lord Voldemorts Horcruxe..."
Lucius blieb die Luft weg. Natürlich wusste jeder Schwarzmagier, was ein Horcrux war - und ließ die Finger davon, wenn er noch halbwegs bei Verstand war. Seine Seele zu zerreißen, einen Teil davon in einem Gegenstand zu verbergen, mochte einen zwar der Unsterblichkeit nahe bringen, aber der Preis war hoch. Zu hoch, für Lucius Geschmack.
"Horcruxe, sagst du? In der Mehrzahl?"
"Ja. Drei... Vielleicht sind da noch mehr... Aber ich habe drei gefunden... und sie zerstört."
"Du hast sie zerstört? Alleine?"
"Ja."
"Wie?" Diese Information war mehr als Gold wert.
"Es war nicht leicht. Anfangs wusste ich nur, dass ich Voldemort irgendwie schaden, ihn schwächen wollte. Aber dazu musste ich herausfinden, wer er früher gewesen war, bevor er zum ‚Dunklen Lord' wurde", berichtete Regulus mit monotoner Stimme. "Ich wußte, dass einige der Todesser ihn schon sehr lange kannten. Und an einem Abend, da sind Bella, Rodolphus, und ich nach einem... Auftrag in der Nokturngasse einen trinken gewesen. Rodolphus hat wie üblich mehr getrunken, als ihm gut tat, und irgendwann hat er dann beiläufig fallen lassen, dass er mit Voldemort in eine Klasse gegangen ist. Er nannte einen Namen: Tom. Nur den Vornamen, nicht mehr, aber das reichte mir. Ich wusste, das Rodolphus in Hogwarts zur Schule gegangen war, wie fast alle von uns. So besorgte ich mir eine Namensliste seines Jahrgangs. Es gab nur zwei Toms - und nur einer davon war in Slytherin: Tom Riddle.
Nachdem ich den Namen und das Geburtsdatum hatte, forschte ich weiter. Mit Hilfe der Muggeltechnik und diverser Muggelbehörden fand ich dann auch seinen Geburtsort: ein schäbiges Waisenhaus. Es existiert heute noch. Ich brach nachts in das Büro ein und fand die Akten aller Kinder, die jemals in diesem Haus aufgenommen wurden. So erfuhr ich die Namen seiner Eltern und auch die Namen vieler Personen, die Voldemort als Kind gekannt hatten. Ich besuchte Dutzende von ehemaligen Mitschülern und von Waisen, die mit ihm gemeinsam aufgewachsen waren, und bat sie, mir alles zu erzählen, was sie von Tom noch erinnern konnten. Nun, ‚bitten' ist vielleicht das falsche Wort - ich benutzte alles vom Confundus-Zauber bis zum Cruciatus-Fluch, denn die meisten hatten solche Angst vorm Dunklen Lord, dass sie nicht sehr gesprächig waren. Ich war nicht glücklich darüber, dass ich Zwang anwenden musste, hielt es aber angesichts meines Ziels für gerechtfertigt. Ich besuchte die Häuser seiner Eltern, die ich nach langer Recherche ausfindig machen konnte, seine alten Arbeitsplätze...
Immer vollständiger wurde mein Bild von ihm. Ich lernte seine Schwächen und seine Stärken kennen, doch nach wie vor hatte ich keinen wirklichen Ansatzpunkt, um ihn stürzen zu können. Da beschloss ich, Angehörige seiner Opfer aufzusuchen, Muggel wie Zauberer." Regulus schwieg einen Moment. "Das war der schwierigste Teil für mich, denn einige dieser Menschen hatte ich selbst getötet oder war zumindest in ihre Ermordung verwickelt gewesen. Doch gleichzeitig stärkte die Begegnung mit den Opfern mein Verlangen, Voldemort zu vernichten oder zumindest etwas zu seiner Vernichtung beizutragen.
Und dann stieß ich auf ein kleines Muggelmädchen, das Zeugin eines mysteriösen Mordes gewesen war. Was sie mir über diesen Mord berichtete, war so seltsam... Gleichzeitig schrillte irgendwo in meinem Kopf eine Alarmglocke. Ich wusste, dass ich auf etwas enorm Wichtiges gestoßen war. So verbrachte ich die nächsten Tage in der Bibliothek meiner Familie und stöberte all die zahlreichen Bücher über schwarze Magie durch. Endlich fand ich, was ich gesucht hatte: Horcruxe. Ich war mir bald sicher, dass dieses kleine Muggelmädchen unfreiwillig Zeugin der Erschaffung eines Horcruxes gewesen war. Sie hatte mir von einem prächtigen Kelch erzählt, in dem der Mörder einen seltsamen Dampf aufzufangen schien. Später fand ich heraus, dass es sich dabei um Hufflepuffs Kelch handelte, doch im Moment war das noch nicht wichtig.
Jetzt ging es darum, das Versteck des Horcruxes ausfindig zu machen. Jeder von uns kennt Voldemorts Hang zur Symbolik. Ich musste also nach einem Ort suchen, der für ihn eine besondere Bedeutung hatte. Schließlich stieß ich auf eine Höhle an der englischen Küste, in der er einst zwei andere Waisenkinder gefoltert hatte. Dort fand ich einen Horcrux - doch es war nicht der Kelch, sondern ein Medaillon. Salazar Slytherins Medaillon. Ich wäre fast gestorben bei dem Versuch, es an mich zu bringen, doch ich schaffte es - irgendwie. Und es gelang mir auch, den Horcrux zu zerstören.
Ich wusste nun, dass es mindestens zwei Horcruxe gab, vielleicht mehr. Doch es dauerte fast ein Jahr, ehe ich den Zweiten ausfindig machen und vernichten konnte - einen Kessel von Rowena Ravenlaw. Und erst vor zwei Monaten gelang es mir schließlich, den Kelch aufzuspüren und den darin eingebrannten Horcrux zu zerstören."
Lucius starrte ihn ungläubig an. Wie falsch er Regulus die ganzen Jahre eingeschätzt hatte! Er war wesentlich intelligenter und offensichtlich auch ein weit mächtigerer Magier, als er jemals für möglich gehalten hätte.
"Wie hast du die Horcruxe zerstört?", fragte er heiser.
"Oh, sie zu zerstören, ist nicht weiter schwierig. Das Problem ist, sie zu finden und dann an sie ranzukommen. Voldemort hat sie mit all seiner magischen Macht geschützt und ich bin jedesmal tausend Tode gestorben, ehe ich einen Horcrux in Händen hielt. Um sie zu vernichten, brauchst du nicht einmal Magie. Es reicht, wenn du das betreffende Objekt mechanisch zerstörst. Den Kessel beispielweise habe ich einfach geschmolzen. Es ist unmöglich, nicht zu merken, wenn man den Horcrux zerstört, in der Regel machen Voldemorts Seelenteile ein ziemliches Spektakel dabei." Ein verzerrtes Grinsen stahl sich auf Regulus' zerschlagenes Gesicht. "Genau solche Großtuer wie der körperliche Voldemort."
"Weißt du... Gibt es noch mehr Horcruxe?"
"Ich bin mir nicht sicher. Drei wäre eine gute, symbolische Zahl, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Voldemort es dabei belassen hat. Zumal ihm für ein schönes symbolisches Quartett nur noch ein Objekt von Godric Gryffindor gefehlt hätte. Doch es gibt offenbar nur einen Gegenstand aus seinem Besitz, der die Zeiten überdauert hat - sein Schwert, und das befindet sich nach wie vor sicher in Hogwarts.
Aber er könnte natürlich trotzdem weitere Horcruxe geschaffen haben - oder weitere planen. So wie ich Voldemort mittlerweile einschätze, wird er eine besonders bedeutungsvolle Zahl wählen - ich tippe auf drei, vier, sieben oder, maximal, dreizehn. Wobei ich es für äußerst gefährlich halte, seine Seele soweit zu zersplittern. Am Ende ist vielleicht nicht mehr genug Seele im Körper, um ihn am Leben zu erhalten. Und du selbst siehst ja jeden Tag, was er sich mit dieser Selbstverstümmelung bereits angetan hat. Er ist kein Mensch mehr. Er ist ein Monster."
Eine Minute lang herrschte Stille, nur das mühsame Atmen des Gefangenen war zu hören und das Knistern der schwelenden Fackeln.
"Hast du mir sonst noch etwas zu sagen?", fragte Lucius schließlich.
"Nein. Das war alles."

***


Als Lucius fertig war mit Regulus Black und die Wirkung des Veritaserums allmählich nachließ, konnte er nicht umhin, so etwas wie Respekt für den Verräter zu empfinden. Respekt - und Dankbarkeit. Regulus hatte ihm eine mächtige Waffe in die Hand gegeben. Noch war die Zeit nicht reif, aber irgendwann würden sich diese Informationen als äußerst nützlich erweisen.
Er schickte Nott, der vor der Tür Wache stand, los, um Severus zu holen. Aber der durfte auf keinen Fall erfahren, was Regulus ihm eben erzählt hatte. Lucius sah den Gefangenen an, der seinen Blick verwirrt und erschöpft erwiderte. Er würde sich nicht an das erinnern, was er unter Veritaserum ausgesagt hatte, ein großer Vorteil dieser Droge.
Rasch ging Lucius zu Regulus hinüber und ließ sich wieder neben ihm auf die Knie sinken. Nur Regulus' Augen versuchten, vor seinem Peiniger zu fliehen, sein Körper hatte keine Kraft mehr dazu.
"Schscht, Regulus, ganz ruhig. Es ist vorbei. Ich tu dir nichts mehr."
Mit einem Wink seines Zauberstabes ließ Lucius ein Glas Wasser erscheinen, half dem Gefangenen auf und gab ihm zu trinken. Regulus war so schwach, dass er kaum schlucken konnte, die Hälfte der Flüssigkeit lief ihm übers Kinn und tropfte auf den steinernen Boden. Für einen Sekundenbruchteil fühlte Lucius fast so etwas wie Bedauern für Regulus.
Ein schwacher Lichtstrahl fiel auf das zerstörte Gesicht, als die Tür sich plötzlich öffnete. Im Eingang stand Severus Snape, eine dunkle Silhoutte vor hell erleuchtetem Hintergrund.
"Fertig?", hallte Severus' kalte Stimme durch den Raum.
"Ja."
Severus schloss lautlos die Tür hinter sich. Es wurde wieder dunkel im Kerker.
"Ich habe sicherheitshalber noch einmal beim Dunklen Lord angefragt - er braucht ihn nicht mehr."
Dann ließ auch er sich vor Regulus in die Hocke sinken und sah prüfend in das müde und blutverschmierte Gesicht. "Warum bist du bloß so entsetzlich dumm gewesen, Regulus", sagte Severus leise und strich dem Gefangenen mit zwei Fingern flüchtig über die Stirn. "Wir hätten dir doch helfen können, wir hätten dich lehren können -"
Doch Regulus schüttelte schwach den Kopf. "Nein", flüsterte er heiser, "nein, das hättet ihr nicht. Denn ich wollte es nicht lernen."
Severus schwieg eine Sekunde, dann nickte er langsam. "Ich verstehe. Gut, dann war es immerhin deine Entscheidung. Aber du wirst auch verstehen, dass wir uns anders entschieden haben, ja?"
Regulus nickte stumm.
Severus legte ihm zum Abschied noch einmal die Hand auf die Schulter. Dann erhob er sich und trat zurück. Lucius ließ den Gefangenen zu Boden gleiten und stand ebenfalls auf. "Mach's gut, Regulus", sagte er emotionslos und hob seinen Zauberstab. "Avada Kedavra!"
Ein Strahl grellgrünen Lichts schoss auf Regulus zu. Das grüne Licht umhüllte seinen Körper, er bäumte sich einmal heftig auf - dann lag er still.






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