Kapitel 32
„Das war nett von dir.“ Sabina sah den Mann, der ihr gegenüber in der Badewanne saß, nicht an.
„Nett?“ Nur Snape konnte ein Wort so verächtlich aussprechen.
Sie hatte keine Lust mit ihm zu streiten. Sie war ziemlich erschöpft. Remus war süß, aber er war ein harter Lehrer. Das war nicht leichter als ihre Schulzeit, nein wirklich nicht. Ganz im Gegenteil. Und es ging um so viel mehr.
Also nickte sie nur, mit geschlossenen Augen. Es war so schön, ruhig, erholsam. Das Wasser umspülte ihren Körper.
Sie öffnete die Augen mit einem Ruck. Schwarze Augen sahen sie vollkommen unschuldig an. „Was machst du da?“
Sie konnte nicht sehen, dass er sich bewegte. Aber irgendwas hatte sie berührt. Glaubte sie. Es war federleicht gewesen. Also vielleicht wirklich nur das Wasser?
Nein. Sicher nicht. Dieses Fast-Lächeln kannte sie. Es bedeutete nichts Gutes. Korrektur. Doch. Oh ja.
Sie seufzte und schloß die Augen wieder. Sie sah ihn gern an. Aber es machte sie verlegen, wie stark sie auf seinen Anblick reagierte. Die Berührungen, wie auch immer er sie machte, ohne seine Hände zu bewegen, waren besser zu ertragen, ohne auch noch in seinen Augen zu ertrinken. Es fehlte nur noch, dass er ...
„Gefällt dir das nicht?“ Seine Stimme war eine Mischung aus seidenweich und knurrend. Wie keine andere Stimme die sie je gehört hatte. Was auch immer er damit sagte, Beleidigungen ausstieß, was ja seine Spezialität war, Unverschämtheiten, oder eigentlich nichtssagende Bemerkungen - alles klang wie Bettgeflüster. Seidenweiche, bedrohliche Verführung. Wie der Rattenfänger von Hameln. Folgt ihm in den Untergang, allein durch seine Stimme gezogen. Auch wenn man wusste, es war der Untergang.
Sie öffnete die Augen und hob ihren Kopf über die Wasserlinie. Diese Beschäftigung mit Zauberei hatte eindeutig keine guten Auswirkungen auf ihre Gedanken. Noch verrückter als sonst.
Jetzt hielt sie sich an den schwarzen Augen fest, während unsichtbare Hände und Zungen sie berührten. Und das Wasser, das genau die richtige Temperatur hatte und nicht kälter wurde, sie umspülte. Überall. Umschmeichelte. Umfloss.
„Zauberei hat was“, murmelte sie, nahezu hypnotisiert von den Augen und eingelullt von den Berührungen. Gleichzeitig jedoch wach. Ja, ziemlich wach.
„Wirklich? Meinst du, das schon beurteilen zu können?“ Diese Stimme hätte Gesetzestexte vorlesen können.
„Es war trotz deines manchmal unausstehlichen Verhaltens eine gute Entscheidung“, sagte sie und streckte ihr Bein aus, um ihn mit dem großen Zeh da zu kitzeln, wo sie gerade hinreichte. Seine Augen schlossen sich. Nur kurz, aber immerhin.
„Wirst du mir sagen, was eine gute Entscheidung war?“ Er klang nur mäßig interessiert. Sein alter Trick. Gleichzeitig verstärkte sich das Streicheln und Lecken. Sie konnte einen kleinen Seufzer nicht unterdrücken. Einen ganz kleinen.
„Dich nicht zu töten.“ Es war eigentlich ganz einfach zu sprechen. Sie musste nur ausatmen und die Worte raus lassen. Natürlich die Worte in ihrem Gehirn, nicht die anderen, die von irgendwo anders kommen wollten, und sehr viel abgehackter geklungen hätten.
„Oh, danke.“ Wie konnte eine Stimme allein nur so vor Sarkasmus triefen? Es war einfach nicht fair. „Du bist also mit deinem - Sexsklaven - zufrieden?“ Allein wie er dieses Wort aussprach, klang so obszön, dass sie sich am liebsten sofort auf ihn geworfen hätte. Aber sie konnte sich beherrschen. Doch. Das Wasser, die Zungen, die Hände. Doch.
„Durchaus“, sagte sie. „Ausgesprochen vielseitig, in allen seinen Formen.“ Wieder dieses schnarrende Geräusch, das sie gelernt hatte, als Lachen zu interpretieren. Das plötzlich zu einem ganz anderen Geräusch wurde. Einem das sie noch nie von ihm gehört hatte. Beinahe ein Aufschrei. Der Qual. Unterdrückt. Ruckartig öffnete sie die Augen und sah ihn an. Er hielt sich den Unterarm und atmete stoßweise. Sein Gesicht, das eben noch rosig vom Wasserdampf und den Spielen, die er trieb, gewesen war, hatte eine Bleichheit angenommen, die sogar für ihn außerordentlich war.
„Was ist?“ Sie konnte sich nicht erinnern, je so erschrocken gewesen zu sein. Doch, vielleicht in der Nacht auf dem Berg. Aber nun ging es um einen Mann, dem sie - Gefühle entgegenbrachte. Sie rutschte rüber zu ihm. „Was?“
Er stieß sie weg und zischte zwischen zusammengepressten Zähnen: „Hau ab.“
Sie war so entsetzt, dass sie es tat. Wieder auf ihre Seite der Badewanne verschwand und ihn beobachtete. Seine Augen waren zusammengepreßt wie sein Mund, Schweißperlen auf der Stirn, dem ganzen Gesicht. Schmerzverzerrt. Und er hielt sich den Arm. Bewegte sich vor und zurück wie ein autistisches Kind.
Sie war so entsetzt. Sie spürte einen Schmerz, von dem sie wusste, dass es nur ein Abglanz, ein schwacher Schatten desjenigen war, den er erlitt. Und den konnte sie kaum aushalten. Mist! Sie hatte nicht gemerkt, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn, in seinen Körper gelenkt hatte. Ihre Schulung schien schon Früchte zu tragen. Nicht dass sie sich das so vorgestellt hatte. Sie war ziemlich schmerzempfindlich. Aber sei’s drum!
Sie rutschte wieder rüber zu ihm, zwischen seine Beine. Komisch, wie sich eine Stimmung so schnell ändern konnte, dachte ein Teil von ihr. Der andere konzentrierte sich auf ihn. Der Arm. Der Unterarm. Der, um den er seine andere Hand gewunden hatte. Sie legte ihre Hand darauf.
Es tat weh. Sehr weh. Beinahe hätte sie die Hand wieder weggezogen. Aber sie tat es nicht. Sie konzentrierte sich. Er nahm sie gar nicht wahr in seinem Schmerz. Doch, ein kurzes Blinzeln. Aber er war zu sehr in sich vertieft, um sie noch wegzustoßen. Sonst hätte er es sicherlich getan. Sie lenkte alle Energie in ihre Hand, in seine Hand, in seinen Unterarm.
Es fühlte sich an, als erhielte sie einen elektrischen Schlag. Nicht ganz ungefährlich, in der Badewanne. Sie hielt die Hand fest. Sie war sich noch nie so machtvoll und gleichzeitig so hilflos vorgekommen. Sie war schon mitten im Kampf, sie merkte es, gegen einen Gegner, den sie nicht kannte, der aber übermenschliche Kräfte hatte, das spürte sie. Und Severus war das Kampfgebiet. Hoffentlich würde das Kampfgebiet den Kampf überleben. Heil.
Alle Energie wieder da rein. Da nimm! Sie wurde wieder von Elektrizität getroffen, von einem Schmerz, der ihren ganzen Körper durchfuhr, von ihrer Hand ausgehend. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich mit ihrer letzten Kraft.
Es war vorbei. Für jetzt. Sie hatte keine Ahnung, was passiert war. Sie war völlig erschöpft. Erschöpfter als sie je gewesen war. Und sie fühlte die Vorboten eines Kopfwehs, das schlimmer zu werden versprach als die Nachwehen der übelsten Party die sie je gefeiert hatte.
Egal.
Severus.
Er schien sich verdammt noch mal schlechter zu fühlen als sie. Er war ohnmächtig.
Verdammt.
Wie sollte sie den jetzt aus der Badewanne bekommen?
Oh verdammt.
Sie konnte keine Hilfe holen. Vielleicht ertrank er dann in der Zwischenzeit. Sie konnte ihn nicht allein aus dem Wasser hieven.
Was tun?
Dumbledore, dachte sie mit aller Kraft. Remus. Hilfe.
Du hast angeblich magische Kräfte, Sabina. Also los! Dann tu mal was damit.
Remus, dachte sie wieder, Albus, ich brauche Hilfe.
Irgendwas passierte draußen im Wohnzimmer.
„Sabina?“ Das war Remus‘ Stimme. Sabina fühlte sich so erleichtert, dass sie fast geweint hätte.
„Remus! Hier, im Badezimmer, bitte.“ Beinahe wäre sie selbst zusammengeklappt. Noch nicht! sagte sie sich streng. Erst muss ich wissen, dass mit Severus alles in Ordnung ist. Alles in Ordnung sein wird. Dann. Vielleicht. Kannst du ein hysterisches Weib sein und kreischen und in Ohnmacht fallen.
Was für ein wunderbarer Gedanke.
Remus kam zur Tür herein. „Was?“, fragte er.
„Später“, sagte Sabina. „Wir müssen ihn da raus holen, ich kann es nicht allein. Dann ...“
„Okay.“
Sie versuchten es mit der Muggelmethode, aber schließlich machte Remus kurzen Prozeß. „Wingardium Leviosa“, murmelte er, und der klatschnasse Severus erhob sich aus der Badewanne, stocksteif wie eine ... Nein, Sabina, falscher Gedanke. „Wohin?“, fragte Remus. „Erst mal aufs Bett? Oder direkt auf die Krankenstation?“ Sabina wusste es doch auch nicht.
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