Kapitel 16
Schweratmend lehnte Severus Snape an der Tür seiner Wohnung. Er drehte sich um und versah sie mit noch ein paar magischen Riegeln. Gut, er hatte ihre Spur verwischt, hoffte er mal. Für den Augenblick waren sie hier sicher. Nicht dass das von großem Nutzen war. Nicht nachdem diese unglaubliche Frau Lucius bereitwillig erzählt hatte, wo sie arbeitete. Gearbeitet hatte. Er fluchte. Er würde das ganze verdammte Haus, diese verfluchte Behörde mit Zauber schützen müssen. Oder gleich selber vernichten? Er musste mit Dumbledore sprechen. Mit dem Ministerium. Mit irgendjemand. Langsam drehte er sich zu der Frau um. Das wurde nachgerade zu einer Gewohnheit, dass sie in seiner Wohnung landeten. Keine, die er sich gewünscht hätte. Nicht - so.
"Warum zum Teufel haben Sie das getan? Sind Sie noch ganz bei Trost?" Er war sehr müde. Die Verwandlungen, die Zauberei, und vor allem die Rennerei, und die ganze Arbeit die noch vor ihm lag - seine Schimpferei überzeugte ihn selbst nicht recht. Sabina anscheinend schon.
"Sie widerlicher Kerl. Sie haben recht. Vielleicht. Ich weiß nicht. Ich dachte, es sei eine gute Idee. Ich wollte mich rehabilitieren."
Oh Götter. Jetzt sah sie auch noch aus, als würde sie gleich losheulen.
"Und jetzt - ich habe keine Ahnung, was das alles bedeutet. Ich habe entsetzliche Angst. Dieser Mann war wirklich - böse. Und Sie haben mich gerettet. Warum eigentlich? Ich will Ihnen nicht dankbar sein. Ich hasse Sie."
Veritaserum, ja, eindeutig. Nicht dass das noch die Frage gewesen war. Wie lange es wohl andauern mochte? Hatte er zu allem Elend jetzt auch noch eine Frau am Hals, die ihm nun erzählen würde, was sie ihm schon lange mal sagen wollte? Wahrscheinlich musste er noch dankbar dafür sein, dass sie ihn erst seit kurzem kannte.
"Vielen Dank für Ihre positive Meinung von mir. Ich habe es nicht anders erwartet. Sie müssen übrigens nicht alles sagen, was Ihnen einfällt, wenn Sie nicht wollen. Das Mittel lässt sie nur die Wahrheit sagen, nirgends steht geschrieben, dass Sie reden müssen wie ein Wasserfall." Sie starrte ihn an. Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durch das lange schwarze Haar. "Aber das ist von einer Frau natürlich zu viel verlangt."
Sie starrte ihn immer noch an.
"Was war das? Worum ging das alles? Was haben Sie da gemacht? Oh Gott, das war das - romantischste, aufregendste, was ich je erlebt habe. Ich hasse es, das sagen zu müssen. Das war ja wie ein Film mit Audrey Hepburn und Peter O'Toole. Oh Gott, und das mit Ihnen. Warum? Wer ist dieser Mann? Was will er? Was hätte er mit mir gemacht, wenn Sie nicht gekommen wären? Und warum? Oh Gott!" Sie sah ihn wütend, hilflos und noch irgendwie an. Snape war nicht so gut im Raten weiblicher Empfindungen. Aber er hatte den vagen Verdacht, dass das noch nicht das Ende war.
"Tee?", fragte er und ging zu der kleinen Küche. Sie lief ihm hinterher, wie er befürchtet hatte. "Sind Sie verrückt? Er hat mir auch Tee angeboten, und wir sehen ja, was ich davon habe. Sie Idiot! Oh Gott, wird das je aufhören, das ist ja entsetzlich!." Sie sah ihn verzweifelt an.
Er mußte lächeln. Beinahe. "Ich weiß es nicht. Wir müssen einfach abwarten. Ich wäre Ihnen jedoch dankbar, wenn Sie nicht in jedem Satz Gott anrufen würden. Der hat damit meines Wissens nichts zu tun. Und ich dachte, es ist irgendwie Muggelethik, seinen Namen nicht nutzlos anzurufen." Er setzte Wasser auf. Heißes Wasser brauchte man immer in schwierigen Situationen. Dies war ganz sicher eine solche.
Er drehte sich zu ihr um. Sie starrte ihn immer noch an und schien zu keuchen. "Was ist das für ein Wort? Er - hat das auch verwendet. Und Sie kennen die Droge, die er mir gegeben hat? Sie wissen, um was es geht? Sie sind auch so wie er? Was auch immer das ist?" Sie schien sich vor ihm zurückzuziehen. Stellte aber immer noch Fragen. Verdammt, das Serum schien irgendwie anders bei ihr zu wirken. Oder hatte Lucius das selber gemischt? Er war immer ein lausiger Zaubertränkemacher gewesen. Zu wenig Geduld.
"Warum hatte ich das Gefühl, das schon mal erlebt zu haben, dieses Gewedel mit diesem Ding? Und wieso fand ich das irgendwie - attraktiv? Wieso, oh Gott, finde ich Sie irgendwie attraktiv?"
Severus war wie vom Donner gerührt.
Sie auch. Sie standen und starrten sich entsetzt an.
Severus hätte sich gerne Notizen gemacht. ‚Die Wirkung von Veritaserum auf eine Person die kürzlich erst mit Obliviate belegt wurde. Kontraindikationen und Gegenmittel.' Er schluckte. Sie fand Gewedel mit Zauberstäben also attraktiv. Faszinierend. Ob sie das schon vorher gehabt hatte? Oder ob sie das seit der Nacht damit verband? Und Lucius die eigentlich obliviierte Sache wieder wachgerufen hatte? Ihm war plötzlich auch sehr danach, Gott anzurufen. Irgendeinen.
"Hoffentlich ist dieser Tee bald fertig", sagte Sabina mit schwacher Stimme. "Ich denke, ich brauche irgendwas, was mich beschäftigt, bis die Wirkung dieser Droge nachlässt. Alternativ könnten Sie mich auch umbringen. Haben Sie nicht irgendein schnell wirkendes schmerzloses Gift? Meinetwegen auch eine Axt. Oder einen Löffel. Irgendwas. Nur damit ich aufhöre, derart peinliche Dinge von mir zu geben, von denen ich selber nicht weiß, dass ich sie denke, bevor sie aus meinem Mund kommen."
"Nichts wäre mir lieber als das", sagte Snape. Ein empörter Aufschrei war die Antwort. Er seufzte. "Dass Sie nicht gezwungen sind, Dinge zu sagen, die Sie nicht sagen wollen und die ich nicht hören will." Er bereitete mit seinen langen geschickten Fingern eine Teemischung zu und goss Wasser auf. Dann drehte er sich wieder zu seinem Gast um.
"Es gibt natürlich Alternativen. Wenn Sie mal den Mund halten, könnte ich Ihnen antworten." Er stellte Tassen auf die brusthohe Balustrade, vor der Barhocker standen. Die Teekanne folgte. Ohne daß er sie berührte. Sabina stieß wieder einen kleinen Schrei aus.
Severus zog eine Augenbraue hoch. "Entschuldigung. Ich habe nicht aufgepaßt."
Sabina starrte ihn an, während sie sich die Hand vor den Mund hielt. Sie kletterte auf den Barhocker, sank darauf zusammen und starrte ihn auffordernd an. Immer noch die Hand vor dem Mund. Snape seufzte und setzte sich auf den Hocker neben ihr. Formvollendet goss er erst ihr, dann sich den wohlriechenden Tee ein. Sabina vergewisserte sich, dass er trank. Severus' einer Mundwinkel hob sich leicht. "Ah ja, Frau Selpent. Sie haben ja doch was gelernt. Wenn die Lektion auch sehr hart erkauft war. Härter, als Sie vielleicht jemals wissen werden." Ihre Augen drängten ihn, endlich loszulegen. Ein Grunzen kam aus ihrer Kehle. "Sie wollen Antworten? Gut." Er trank noch einen Schluck Tee.
Antworten. Normalerweise stellte er die Fragen. "Hinterher kann ich Ihnen ja immer noch wieder das Gedächtnis wegnehmen." Ihre grauen Augen blitzten. Die Hand flog vom Mund. "Wieder?" Es klang wie ein Röcheln. Severus sah ihr in die Augen. Nahm einen Schluck. Und nickte. "Wieder."
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