Ich glaube nicht an Zauberei

 

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Kapitel 1:
Flucht aus dem Alltag





Es geschah an einem ganz normalen Tag, einem schwülen Sommertag in den Sommerferien. Mein elfjähriger Sohn Nico verbrachte schon seit einigen Wochen Urlaub in einem Feriencamp auf dem Land, wogegen ich im miefigen London weiterhin meiner Arbeit nachgehen musste.
Und eigentlich verlief alles in der letzten Zeit ziemlich zufriedenstellend. Nicht, dass ich meinen Sohn nicht vermisste, aber ich hatte jetzt mal Gelegenheit gehabt, gründlich zu arbeiten und Dinge zu erledigen, ohne ständig auf die Uhr gucken zu müssen, um rechtzeitig für Nico da zu sein. Mir war es zumindest so einigermaßen gelungen, diese Zeit zu nutzen. Aber für diesen Tag hatte ich mir besonders viel vorgenommen. Denn es war mein letzter "freier" Tag: Am nächsten Morgen sollte Nico wieder nach Hause kommen. Und das bedeutete für mich heute: die Zeit wirklich sinnvoll zu verbringen, bis ich ihn morgen vom Bahnhof abholen sollte.
Perfekte Zeiteinteilung war mein halbes Leben. Ich hasste das eigentlich. Aber nun ja, tröstete ich mich: Nach den Ferien sollte Nico auf ein Internat kommen, dann würde es einfacher werden.

Also, meine Laune war mäßig, als ich an diesem besagten Tag zur Arbeit ging. Ich arbeite bei einem Verlag in der Lokalredaktion einer Tageszeitung, wo hektisches Arbeiten eh zur Tagesordnung zählte.
Ich hatte eine Menge vor und fühlte mich bereits gestresst, bevor es überhaupt richtig losging. Meinem Zeitplan hinkte ich natürlich hinterher und wühlte mich durch den Schreibtisch voller unsortierter Unterlagen. Mit qualmendem Kopf hing ich an meinem PC und versuchte mich zu konzentrieren in dieser drückenden Luft.
Eigentlich hätte ich mich über jede erfrischende Ablenkung gefreut, doch als in der Mittagszeit drei Kollegen reingeplatzt kamen und sich auf meinem Schreibtisch bequem machten, da war ich mir nicht so sicher, ob ich diese Art von Ablenkung zu diesem Zeitpunkt vertragen konnte. Denn diese Kollegen gehörten zu der Sorte, die ich vorhin beschrieben habe: durchgedrehte Hobby-Esoteriker. Und prompt wollten sie wieder mal eines unserer Lieblingsthemen diskutieren, den Sinn und Unsinn mancher Storyinhalte:

Jenny hielt mir ein Manuskript unter die Augen: "Was hältst du davon, Lily?"
Ich las den Titel: "Düfte heilen" und verdrehte nur die Augen. Ich ahnte gleichzeitig genau, dass sie mich provozieren wollten. Jeder im Haus wusste, dass ich diese Themen hasste. Trotzdem "fiel" ich wieder darauf rein:
"Alles Schwachsinn", polterte ich los, "dieses unwissenschaftliche Geschwafel, also das ist doch lächerlich: heilende Düfte, einfach dämlich."
Es war wieder mal die zarte Jenny in ihrem hauchdünnen Seidenblüschen, die aufjaulte: "Nee, typisch von dir, Lily, dass du wieder mal dagegen wetterst: Es gibt genug Leute, die der Schulmedizin nicht mehr trauen und nach alternativen Wegen suchen. Und wenn sie es nur aus Neugier lesen. Ich finde so etwas auch lesenswert und würde so manches glatt ausprobieren: Da zum Beispiel in Kapitel zwölf: "Die heilsamen Kräfte von Bananenschalen."
Sie schlug die Seite auf: "Hier steht, dass allein die Gerüche der Schalen erhebliche Auswirkungen auf ihr Umfeld ausüben und sensationelle Heilungsprozesse beschleunigen..."
Und sie blätterte eifrig in dem Manuskript herum. Selbst der gutmütige John fing an, ganz sachlich über die Bedeutung der Düfte in der Pflanzenwelt und ihre Beeinflussungen auf das Sexualleben der Insekten auszuholen...

Widerwillig schüttelte ich den Kopf, während ich ihnen das Manuskript aus der Hand riss und grob das Bananenkapitel überflog.
"Ich bestreite ja nicht, dass Düfte bedeutend sein können, aber ist das hier nicht ein wenig übertrieben: Bananenschalenduft soll Eiterpickel zum Verschwinden bringen! Also, ich bitte Euch. Bananenschalen bringen mich zum Ausrutschen, wenn sie auf dem Boden liegen. Meiner Meinung nach gehören die gerade deshalb in die Mülltonne und nie und nimmer auf meine Haut! Soll man hier denn alles glauben! Und muss man den Schrott auch noch veröffentlichen!"

Ich wusste genau, wir würden noch Ewigkeiten darüber streiten, bis uns die Köpfe qualmten. Und ich plumpste dabei immer in die Rolle, die Harte zu spielen, die nur an Dinge glaubt, die man anfassen kann... Aber meist blieb mir auch nichts anderes übrig. Ich konnte mich schon lange nicht mehr für alles ereifern, nachdem mir schon heftigste Themen über den Schreibtisch gekommen sind.
Genervt packte ich ein paar Unterlagen zusammen, stopfte sie in meine Tasche, laberte was von Bedürfnis nach frischer Luft und ließ meine verdutzten Kollegen in meinem Büro sitzen. Ohne mich nochmals umzudrehen, warf ich die Tür hinter mir zu und lief den Gang nach draußen. Heute hatte ich für solche Themen keine Geduld.
Erst wollte ich in der Kantine verschwinden. Aber zur Mittagszeit schien es mir dort auch zu voll und unruhig. Denn ich wollte eigentlich schon arbeiten. Die Zeit drängte. Ich musste noch so viel erledigen. Und die letzten kinderlosen Stunden nutzen!

Trotzdem verließ ich das Gebäude. Es ist ja eigentlich nicht meine Art, während der Arbeitszeit einfach so zu verschwinden. Aber heute war so ein merkwürdiger Tag, an dem ich keine Ruhe fand. Vielleicht sollte ich mich draußen in einen Park setzen und dort arbeiten? Unschlüssig lief ich Richtung U-Bahn und holte mir im Vorbeigehen beim Bäcker eine Cola und ein Käse-Sandwich.
Wo konnte ich einen Ort finden, an dem ich ungestört arbeiten konnte, überlegte ich, während ich das Sandwich lieblos in mich hineinstopfte und die Cola hinterher kippte.
Oder wollte ich in Wahrheit überhaupt was tun? Im tiefsten Innern sehnte ich mich wohl nach etwas anderem, einer spannenden Abwechslung, einem Erlebnis, das mich auf neue Gedanken brachte ... Aber die durfte ich eigentlich nicht suchen. Denn meine Artikel mussten heute Abend noch vor Redaktionsschluss fertig werden. Ich versuchte, meine Wünsche aus meinem Kopf zu verdrängen und lief die Treppe zur U-Bahn hinunter.
Ich setzte mich schließlich unschlüssig in einen Wagen, ohne so richtig das Fahrtziel anzuschauen. Es war mir eigentlich egal, wohin die Bahn fuhr. Hauptsache, der Weg war lang. Umso länger konnte ich dann in der U-Bahn arbeiten. Ich ließ mich auf einem der schäbigen Sitze mit Graffiti beschmierten Plastikbezügen nieder.
Hier in diesem Gerumpel arbeiten? Ein Versuch war es ja wert. Ich erinnerte mich, in einer vollen Kneipe mal wirklich gut gearbeitet zu haben. Manchmal inspiriert ein verändertes Umfeld ungemein. Ich fing an, meine Unterlagen um mich herum auszubreiten und ärgerte mich gleich, nun ohne Computer schreiben zu müssen. Alles ganz schön umständlich. Aber ein Laptop mitzuschleppen, wäre ebenso lästig gewesen.
Missmutig kramte ich meinen Kugelschreiber hervor...

Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen habe, und ob ich tatsächlich etwas Sinnvolles zustande gekriegt hatte. Ich erinnere mich, eher in Tagträume verfallen zu sein. Ich wünschte mir etwas Aufregendes herbei und versuchte mir vorzustellen, einen neuen, noch nie zuvor besuchten Ort aufzusuchen. Warum mich die Fantasieentwicklung plötzlich packte, weiß ich auch nicht mehr. Vielleicht, um das Bananenschalenduft-Geschwafel zu vergessen.
Aber kaum hatten meine Träume Farbe angenommen und ich meine Arbeit völlig vergessen, da schien sich etwas um mich herum zu drehen. Oder hatte ich in der Hitze Kreislaufprobleme? Ich weiß es nicht mehr. So komisch war mir. Irritiert rieb ich mir die Augen und versuchte mich zu konzentrieren. Wo war ich hier eigentlich?
Na ja, doch in der U-Bahn. Ich war wohl kurz eingenickt. Mein Kreislauf hatte vermutlich einen Durchhänger gehabt. Es hatte sich nichts verändert.
Außer... na ja, es waren keine Menschen mehr im Wagen. Aber das war ja wohl nichts Ungewöhnliches. Sicher waren sie ausgestiegen. Und wir fuhren ja schon eine Weile.
Ab und zu schaute ich aus dem Fenster und las die vorbeifahrenden Stationen. Doch alle kamen mir völlig unbekannt vor. In welche merkwürdige U-Bahnlinie war ich da wohl eingestiegen? Aber auch egal, beruhigte ich mich: Irgendwann kommt die Endstation, dann werde ich aufgefordert, den Wagen zu verlassen. Dann kann ich ja wieder umdrehen und in die Stadt zurückfahren.
Und in solch einer Stadt wie London waren die Wagen lange unterwegs. Ich machte mir weiter keine Gedanken und kritzelte sinnloses Zeug in meine Unterlagen.
Erst ein merkwürdig quietschendes Geräusch ließ mich aufhorchen. Plötzlich hielt der Wagen an. Mitten auf der Strecke im U-Bahnschacht. Ich konnte kein Schild erkennen. Es war draußen zappenduster. Etwas erschrocken sprang ich auf und sah mich um. Es herrschte nun Totenstille. War hier wirklich kein Mensch außer mir im Wagen?
Ich klapperte mit meinen Augen die Sitzreihen ab und bemerkte jetzt erst einen dunkel gekleideten Mann in einer hinteren Ecke. Saß er die ganze Zeit schon hier?







Prolog

Kapitel 2


 

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