Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 7: Träume, die erschrecken und Geschenke aus Liebe

 


Am nächsten Tag am Hogwarts-Express...

Der Zug fuhr schnaubend aus dem Bahnhof heraus und Lily stand allein mit Hagrid auf der Plattform und sah ihm nach. Der Fahrtwind des Zuges zerrte an ihrem Rock und ihren Haaren, die heute wieder frei über ihre Schultern fielen. Sie fühlte sich traurig, aber sich lächelte. Die kommenden zwei Wochen würden einsam für sie sein, aber sie wußte, daß er da draußen war und sie genauso vermißte, wie sie ihn. Weil sie sich liebten.

Stunden später saß Lily im Gemeinschaftsraum der Gryffindors am Kamin und starrte in die Flammen. Jetzt würde Severus so ungefähr in London ankommen und von seinen Eltern abgeholt werden. Ob sie auch wirklich nichts bemerken würden? Selbst ein so guter Schauspieler wie Severus mußte doch hin und wieder mal echte Emotionen zeigen, die dann auch seinen Eltern nicht verborgen bleiben würden...
Lily strich sich ein paar Haare aus dem Gesicht, die ihr über die Augen fielen. Vermutlich würden Severus’ Eltern es nicht bemerken, weil sie nicht verstanden, was das für Gefühle waren, die Severus da zeigte. Und das war auch besser so.
Wie so oft, wenn Lily über Severus’ Eltern nachdachte, spürte sie einen Stich tief im Herzen. Sie hatte sich nichts mehr gewünscht, als einen Partner zu finden, der sie über alles liebte und in dessen Familie sie so herzlich aufgenommen würde, wie er in ihre. Aber das war wohl weniger machbar. In den Augen dieser Leute war sie minderwertig und würde es auch immer sein. - Und so lange Severus damit leben konnte, wegen ihr keine Familie mehr zu haben, konnte sie es auch leicht ertragen, daß sie sie haßten.
„Lily?“ Lily sah auf und hob überrascht die Augenbrauen an. „Sirius! Ich wußte nicht, daß du in Hogwarts bleiben würdest.“

Sirius lächelte und setzte sich zu ihr. „Ich hab mich erst vor wenigen Tagen ganz spontan dazu entschieden. - Als ich gehört hab, daß du auch wieder bleibst, Severus aber zu seiner Familie fährt.“ Ein kalter Schleier legte sich über Lilys Gesicht, doch Sirius hob beschwichtigend die Hände.
„Keine Sorge, ich will nicht das, was du jetzt denkst. Die Tatsache, daß Severus nicht da ist, ist nur insofern hilfreich, daß ich dich endlich mal wieder hier im Gemeinschaftsraum erwische, was sonst ja eher selten der Fall ist.“ Lily entspannte sich ein wenig, aber noch war sie nicht davon überzeugt, daß ihr dieses Gespräch gefallen könnte. Sie zog die Beine an ihren Körper heran und umschlang ihre Knie mit ihren Armen.
„Worum geht es?“, fragte sie und legte ihren Kopf auf ihren Knien ab.
„Um James.“ Lily verzog das Gesicht und gab Sirius damit nur zu deutlich zu verstehen, daß sie gerade dieses Thema überhaupt nicht interessierte. Sirius ging darüber hinweg.
„Es war ein hartes Stück Arbeit für mich, James endlich in den Schädel zu prügeln, daß sich diese ganze Situation hier für ihn nicht bessern wird, wenn er weiterhin alle Schuld Severus in die Schuhe schiebt. Oder auch - was er auch noch eine ganze Weile getan hat - alle anderen gegen den Jungen aufhetzt. Jetzt hab ich ihn endlich so weit, daß er Severus akzeptiert und darum dachte ich, daß es vielleicht an der Zeit ist, daß du ihm verzeihst und wieder mit ihm redest.“
Lilys Augen funkelten böse. „So, meinst du? Vielleicht finde ich es aber weiterhin untragbar für mich, mit James Potter auch nur die geringste Kleinigkeit zu tun zu haben! Er hat mich maßlos enttäuscht und wie du selbst gerade gesagt hast, hat er noch nicht einmal wirklich eingesehen, warum eigentlich!“ Sirius schüttelte den Kopf und Lily glaubte, ein wenig Verärgerung auf seinem Gesicht zu sehen.
„Ich glaube eher, daß du immer noch nicht verstanden hast, warum James das alles getan hat. Er hat es nicht gemacht, weil er Severus Snape nicht leiden kann. Dieser Idiot ist nur seit eurer ersten Begegnung in King’s Cross über beide Ohren in dich verliebt. Und es ist ihm einfach nicht auszutreiben, obwohl es ihn langsam aber sicher auffrißt!“ Für einen kurzen Moment spürte Lily, daß sie so etwas wie Mitleid für James empfand. Es war ja nicht so, daß Sirius ihr da die größten Neuigkeiten unterbreitete. Sie wußte, daß James verliebt und eifersüchtig gewesen war, als er diese Dummheit im letzten Schuljahr gemacht hatte. Aber trotzdem, sie sah sich einfach nicht in der Lage, ihm das so einfach zu verzeihen. Er hatte Severus angegriffen und sie fühlte sich somit gleichermaßen angegriffen und beschuldigt, weil sie und Severus eins waren.
„James ist nicht glücklich mit der Situation, so wie sie jetzt ist, aber du könntest es ihm immerhin leichter machen, wenn du wieder mit ihm sprichst und vielleicht wieder ein wenig Freundlichkeit für ihn übrig hättest. Das kann doch nicht wirklich zu viel verlangt sein, Lily.“ Lily und Sirius sahen sich lange Zeit in die Augen und Lily spürte Sirius’ Aufrichtigkeit geradezu. Trotzdem hätte sie gelogen, wenn sie behauptet hätte, daß ihr diese Entscheidung leicht fiel. Einerseits war das Angebot, wieder ein wenig Frieden in den Turm der Gryffindors zu bringen und ihn so wieder zum gemütlichen Zufluchtsort für sie zu machen, sehr verlockend. Andererseits war sie keinesfalls schon davon überzeugt, daß James nicht doch noch irgendwas versuchen würde, sie und Severus wieder auseinander zu bringen. Sie wollte nicht noch einmal dieses Gefühl durchmachen, das sie empfunden hatte, als sie im letzten Schuljahr James die Freundschaft gekündigt hatte. Dieses Gefühl, in Stücke gerissen zu werden, ohne eine Chance, jemals wieder zu einem Teil zusammengefügt zu werden.
Sie wußte nicht, ob sie stark genug war, so etwas noch einmal wegzustecken.
„Gib ihm wenigstens eine Chance und versuch es noch mal. Du kannst dann ja immer noch wieder einen Rückzieher machen, wenn er dir wirklich den Anlaß dazu gibt.“
Lily wandte ihren Blick von Sirius ab. „Du scheinst wirklich zu glauben, daß das alles für mich so einfach ist oder? Klar ist es einfach, einem seiner wenigen Freunde hier zu sagen, daß man nie wieder was mit ihm zu tun haben will. Klar, es ist supereinfach, das auch wirklich aufrecht zu erhalten. Und weißt du was? Ich glaube, wir versuchen es einfach noch mal, es ist ja schließlich ganz leicht, das ganze wieder zu beenden, nicht wahr? Ich bin durch die Hölle gegangen und ich glaube nicht, daß ich das noch einmal möchte.“ Die Bitterkeit in ihrer Stimme beeindruckte Sirius sehr. Er mußte zugeben, er hatte es wirklich die ganze Zeit über so gesehen, daß es für sie ganz einfach gewesen war und nur James der Leidtragende war. Aber jetzt wurde ihm klar, daß das zu kurzsichtig gewesen war.
„Aber Lily, ist es nicht genau das, was du gerade versuchst, Severus beizubringen?“ setzte er einen neuen Versuch an. Lily sah ihn überrascht an.
„Du hast ihn schließlich irgendwie dazu gebracht, sich dir zu öffnen, auch auf die Gefahr hin, daß er durch seine neuen Gefühle, die er durch dich erfährt, verletzt wird. Gerade du solltest doch also wissen, daß Freundschaft immer mit einem Risiko verbunden ist, das man bereit sein muß einzugehen.“ Lily schloß einen Moment die Augen. James eine zweite Chance geben, versuchen, die Freundschaft zu ihm wieder aufzubauen... natürlich waren das Dinge, die sie gerne wollte, aber sie war sich fast sicher, daß es nicht auf Dauer gut gehen würde. Mit James und Severus befreundet zu sein, schien einfach unmöglich zu sein und doch konnte sie das Gefühl nicht verdrängen, es doch wenigstens noch einmal versuchen zu wollen. Und wenn es nur war, damit sie reinen Gewissens sagen konnte, sie hatte jede Möglichkeit genutzt.
„Sirius, die Sache ist aber vielleicht schwieriger als du denkst.“ Sirius war sehr erleichtert, daß sie langsam einzulenken schien, auch wenn er sich natürlich fragte, was denn noch schwieriger sein konnte, als die Konstellation der Probleme, die sie die ganze Zeit schon gehabt hatten.
„Severus und ich sind nicht einfach nur Freunde. Wir sind ein Paar.“
Diese neue Nachricht traf Sirius wie ein Blitz. Er hatte mit vielem gerechnet, aber sicher nicht damit, daß Severus und Lily wirklich so früh zueinander finden würden. Das verkomplizierte die Sache natürlich noch einmal enorm und er mußte James vermutlich erst darauf vorbereiten, bevor man anfangen konnte, die beiden wieder aufeinander zuzuführen. Am liebsten hätte er laut geflucht, doch er hielt es zurück. Lily konnte es mißverstehen und das wollte er nicht, wo sie endlich zu einer Versöhnung bereit war. - Auch wenn die Versöhnung jetzt zumindest in seinen Augen schon wieder in unerreichbare Ferne rückte...
„Das ist allerdings ein Hammer.“
Lily hörte den sorgenvollen Unterton aus seiner Stimme heraus und verstand nur zu gut, was ihn gerade beschäftigte, aber was sollte sie schon tun? Sie würde einer Versöhnung nicht im Wege stehen, aber sie würde garantiert nicht das Wunderbare, das sie gerade erst für sich entdeckt hatte, wieder verleugnen, nur damit es für James Potter alles leichter wurde.
„Wir lieben uns, Sirius. Severus ist ein wundervoller Mensch und im Gegensatz zu allen anderen habe ich das erkannt.“
Sirius deutete ein leichtes Lächeln an. „Viele dürften das inzwischen bemerkt haben, aber keiner will es glauben. Das ist das eigentliche Problem an der Sache. Severus Snape erscheint den meisten als so undurchsichtig und so vorbelastet, daß es gar nicht sein kann, daß ausgerechnet er ein guter Zauberer sein soll.“
Ein leichter Anflug von Ärger legte sich über Lilys Züge. „Aber warum sind nur alle so verbohrt? Er hat mir von seinen Eltern und einigen anderen Mitgliedern seiner Familie erzählt, ich weiß daher, wie es bei den Snapes zugeht. Aber ich weiß auch, daß Severus überhaupt nicht so ist. Warum fällt es mir so leicht, das zu sehen und auch zu glauben und die anderen tun alle so, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit? - Sirius, ich bin gerne bereit, wieder mit James zu reden und vielleicht wird sogar wieder Freundschaft draus, aber du mußt mir versprechen, daß du ihm diese Sache deutlich machst. Ich habe keine Lust, daß dieses Spiel wieder von vorne losgeht.“
Sirius hielt ihrem Blick stand, obwohl ihm gar nicht wohl bei der Sache zumute war. Er bewunderte Lily für ihren Mut und ihre Standhaftigkeit. Er hatte zwar damit gerechnet, daß es früher oder später so kommen würde, aber daß Lily sich so früh dafür entscheiden würde, wie ihr Leben verlaufen sollte... er bewunderte sie offen, denn sie hatte keinen leichten Weg gewählt und er wußte, daß sie sich darüber klar gewesen war, als sie ihre Entscheidung getroffen hatte.
Wenn sie eines konnten, diese Muggel, dann war es, vor Schwierigkeiten nicht den Schwanz einzuziehen. Sie standen ihren Problemen und Feinden meist mutiger gegenüber als so mancher Zauberer.
„Keine Sorge, das werde ich sicher nicht zulassen. Es hat auch mich zu viele Nerven gekostet, als daß ich das zulassen würde. - Aber wie ist es mit dir? Bist du glücklich?“
Lily war überrascht über diese Frage. Bisher hatte sie immer gedacht, Sirius’ einzige Sorge gelte James. „Ich... ich denke, ich bin sehr glücklich. Sicher, es gibt ein paar Dinge, die ich mir anders vorgestellt habe, aber ich bin trotzdem glücklich, so wie es ist.“
Sirius nickte. „Du meinst, du hättest dir eigentlich gewünscht, daß du einen Partner findest, dessen Familie nicht gegen dich ist.“
Lily zuckte zusammen. Sie hatte sich mit der Tatsache zwar abgefunden, aber irgendwie ertrug sie es trotzdem immer noch nicht, wenn jemand die Sache so klar beim Namen nannte.
„Du wirst das schaffen, Lily. Ich wüßte niemanden, der damit besser fertig werden könnte.“ Lily blickte überrascht auf. Sirius schenkte ihr ein warmes Lächeln.
„Du hast mich in den letzten anderthalb Jahren sehr beeindruckt, Lily, das läßt sich nicht leugnen. Ich habe vor dir noch nie eine junge Hexe gesehen, die so zielsicher ihren Weg gegangen ist, ohne zu wissen, was ihr der Weg eigentlich bringt.
Du hast in Severus’ Herz gesehen und sofort gewußt, daß er ein guter Mensch ist. Ich wünschte, es gäbe mehr wie dich und weniger von denen, die am Ende ihres Lebens ihre Fehler bereuen, weil sie zu blind waren, die Wahrheit zu sehen.“ Lily lächelte traurig und blickte in die Flammen, die auf ihrem Gesicht einen flackernden Lichtertanz veranstalteten.
„Sirius, deine Worte sind sehr aufmunternd, aber du solltest mich vielleicht nicht so sehr loben. Ich bin nicht so stark, wie ich erscheine. Ich habe jetzt vielleicht eine starke Entscheidung getroffen, aber ich fühle deutlich, daß das nicht immer so sein wird. Ich weiß, daß auch ich in Zukunft noch feige sein und den bequemen Weg gehen werde. - Der Mensch ist so geboren und darauf ausgelegt, daran kann man nicht allzu viel ändern.“ Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. Sirius war überrascht über diese plötzliche Kurswende, sagte aber nichts weiter. Sie würde sicher mehr sagen, wenn sie sich ihm anvertrauen wollte. Er war nicht ihr Vertrauter, er hatte also nicht das Recht, zu bohren.
„Wir sehen uns dann morgen zum Weihnachtsfrühstück?“ Sie versuchte ein Lächeln, das etwas schief wirkte, aber wieder tat er so, als bemerkte er das gar nicht. „Sicher. - Schön dich wiederzuhaben, Lily.“
Langsam ging Lily auf die Treppe zu den Schlafsälen zu. Sie fragte sich, ob sie Sirius vielleicht alles erzählen sollte, entschied sich dann aber doch, daß es dazu noch zu früh war. Die Sache war zu wichtig, sie mußte abwarten, bis sie sich sicher war, ihm vertrauen zu können...


Ein grelles, grünes Licht zuckte durch den Raum und für einen Moment war alles fast taghell. Gellende Schreie waren zu hören, danach war alles still. Totenstill.
Ein eisiger Wind wehte und erfaßte Lily, die in ihrem dünnen Nachthemd in dem dunklen Raum stand. Angst und Panik hatten sie erfaßt, doch sie wußte gar nicht, wovor sie sich eigentlich fürchtete. Alles war still, friedlich. Und doch wiederum beklemmend, irgend etwas stimmte nicht.
Sie blickte sich um. Das war das Wohnzimmer ihres Elternhauses. Wie kam sie hierher und was tat sie hier? Sie war doch in Hogwarts, viele Kilometer weit weg.
Langsam ging sie auf die Tür zu, doch bevor sie sie erreichte, fiel sie über etwas Großes, das mitten im Zimmer auf dem Boden lag. Sie fiel lang auf den Zimmerboden und stöhnte auf vor Schmerz. Langsam rappelte sie sich wieder auf und betastete das große Etwas, das neben ihr lag genauer. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf und immer panischer werdend kroch sie in Richtung Tür. Sie fand den Lichtschalter und drückte drauf.

„NEIN!!!!“ schreiend wachte Lily auf, schweißgebadet und zitternd. Ihr Atem flog regelrecht und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Was war das nur? Warum träumte sie so etwas? Sie schlug die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante. Ihre nackten Füße berührten den eiskalten, harten Steinboden, doch sie bemerkte die Kälte nicht einmal. Langsam ging sie hinüber zum Fenster des Schlafsaales, das von der Kälte, die draußen herrschte, schon ganz beschlagen war. Der Himmel war klar und tausende Sterne funkelten um die Wette. Der Mond war wieder ein Stückchen gewachsen und leuchtete mit seinem silbernen Licht sanft auf das Schloß und die Ländereien hinunter. Alles war so friedlich und doch spürte Lily, wie ihr die Angst noch immer den Hals zuschnürte und die Luft abdrückte.
Es war jetzt schon das zweite Mal gewesen, daß sie genau diesen Traum gehabt hatte. Schon in der letzten Nacht nach dem Ball und all den aufregenden Ereignissen, hatte sie ihn geträumt. Doch erst jetzt machte sie sich so richtig Sorgen. Sie hatte schon am Tag zuvor darüber nachdenken müssen, die ganze Sache aber doch irgendwie als Traum abtun können. Jetzt wurde ihr bewußt, daß dieser Traum mehr war, als das. Er war eine Botschaft, die sich ihr noch nicht ganz offenbart hatte. Lily stützte den Kopf in die Hände. Sie wollte diese Botschaft gar nicht ganz erfahren. Sie spürte schon so, daß es zu grausam und schmerzhaft war, um es zu ertragen.
Sie wollte jetzt nicht mit so etwas belastet werden, wo sie doch gerade so glücklich war. Denn diese Botschaft würde all das, wofür sie gekämpft hatte, wieder von ihr fortreißen, da war sie sich sicher.
Lily warf einen Blick auf die Uhr auf ihrem Nachttisch. Es war schon weit nach Mitternacht, nur noch wenige Stunden und im Schloß würde wieder alles zum Leben erwachen.
„Fröhliche Weihnachten, Lily“, murmelte sie und versuchte ein Lächeln, doch der Traum ließ sie nicht los, auch wenn sie nichts mehr wollte als das...
Sie saß noch einige Minuten so da, doch als die Kälte langsam ihre Beine hinaufkroch, ging sie hinüber zu dem Stuhl, auf dem sie ihre Kleidung abgelegt hatte, zog sich an und nahm ein Bündel vom Fußboden direkt neben ihrem Bett auf.
Sie konnte in dieser Nacht ohnehin nicht mehr einschlafen, also konnte sie genauso gut hinunter in den noch warmen Gemeinschaftsraum gehen und das Geschenk für Severus fertig machen.

Als Sirius einige Stunden später noch im Schlafanzug aus dem Schlafsaal der Jungs des zweiten Schuljahres kam, saß Lily noch immer im Gemeinschaftsraum und arbeitete an ihren Hausaufgaben für Kräuterkunde. Neben ihr lag ein fertig verpacktes Weihnachtsgeschenk und wiederum neben dem Geschenk die Reste ihrer Bastelutensilien. Sirius zog die Augenbrauen zusammen. Sie mußte schon seit Stunden hier unten sein. Das war definitiv ungewöhnlich.
„Guten Morgen, Lily!“ begrüßte er sie fröhlich und versuchte, seine Sorgen so gut wie möglich zu verbergen. „Hast du keine Geschenke bekommen oder was soll diese Strebsamkeit am Weihnachtsmorgen?“ Er deutete auf ihre Hausaufgaben und Lily wurde ein wenig rot.
„Ach das... nichts weiter, ich hab nur versucht, die Zeit totzuschlagen, weil ich so früh wach war und nicht mehr einschlafen konnte. Aber du hast recht, ich hab ja noch gar nicht nach meinen Geschenken gesehen. Ich bin gleich wieder da!“ Lily rannte die Treppe zum Schlafsaal hoch, das fertige Geschenk für Severus unter dem Arm. Sirius hatte sicher etwas bemerkt, sie hatte sich so offensichtlich blöd verhalten, es konnte gar nicht anders sein.
Tatsächlich lag inzwischen neben ihrem Bett ein ganzer Stapel Weihnachtsgeschenke, in buntes Papier verpackt. Neben den Geschenken von ihren Eltern, ihrer Großmutter, Petunia - ein äußerst gemeines Geschenk, mit Sicherheit - und ein paar alten Freunden, war auch eines von Hagrid dabei. Lily lächelte. Was er wohl diesmal fabriziert hatte? Mit den Plätzchen, die sie im letzten Jahr zusammen gebacken hatten, hatte man prima Nüsse knacken können.
Lily setzte sich auf ihr Bett und nahm das Päckchen von ihren Eltern in die Hand. Sie wußte schon, was es war, ohne es überhaupt auspacken zu müssen. Ihre Eltern hatte ihr ein paar Zauberbücher gekauft, die sie gerne hatte haben wollen, die aber nicht auf der Liste der Schulbücher gestanden hatten. Sie lächelte bei dem Gedanken an ihre Eltern, ganz allein in der Winkelgasse. Das war sicher ein riesiges Abenteuer für sie gewesen.
Lilys Lächeln verschwand von ihrem Gesicht. Dieser Traum, er betraf ganz eindeutig ihre Eltern, da war sie sich sicher. Und das ungute Gefühl in ihr wuchs, daß es nicht nur einfach ein Traum war, sondern eine Vorausahnung der Zukunft.
„Lily! Wo bleibst du denn so lange? Ich denke, wir wollten frühstücken gehen!“ Sirius Stimme, die aus dem Gemeinschaftsraum zu ihr hoch drang, riß sie aus ihren düsteren Gedanken. Da sie die halbe Nacht wach gewesen war, spürte sie nur zu deutlich, wie hungrig sie eigentlich war. Frühstück war also keine schlechte Idee. Sie ließ ihre unausgepackten Geschenke neben ihrem Bett liegen und ging hinunter zu Sirius.

Da sie in diesem Jahr nicht so vollkommen allein in Hogwarts war, sondern viele Stunden gemeinsam mit Sirius verbrachte, vergingen die zwei Wochen Ferien fast wie im Flug. Selbst ihre Hausaufgaben hatte sie in diesem Jahr noch nicht komplett fertig.
Sie schrieb gerade die letzten Sätze für ihren Geschichtsaufsatz, als Sirius wie jeden Morgen total verschlafen und zerzaust im Schlafanzug hinunter in den Gemeinschaftsraum kam. Er gähnte und streckte sich ausgiebig. Mit einer gewissen Abscheu im Blick schweiften seine Augen über den Aufsatz.
„Wenn dieser Lehrer nicht schon tot wäre, ich würde ihn eigenhändig für diesen langweiligen Käse erwürgen... Ich hab fast eine Woche an dem Ding gesessen, bis ich ihn fertig hatte.“ Lily nickte ein wenig abwesend, setzte den letzten Punkt und streute etwas Trockensalz über die noch feuchte Tinte. Sirius sah, daß ihre Hände zitterten, als sie das Pergament leicht anhob und die letzten Reste des feinen Pulvers herunterblies.
„Ist etwas mit dir?“ fragte er besorgt. Lily sah ihn an, als hätte sie eben erst bemerkt, daß er im Zimmer war. Irgendwie sah sie sehr müde aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
„Nein, es ist nichts“, antwortete sie matt. „Ich hab nur sehr schlecht geschlafen, das ist alles.“
„Kann es sein, daß dir das in der letzten Zeit öfter passiert?“ Lily sah ein bißchen zu schnell auf. Sirius mußte gar nicht mehr auf eine Antwort warten, er kannte sie auch so.
„Dachte ich mir. Und kennst du vielleicht auch den Grund dafür?“ Lily fühlte sich irgendwie gleichzeitig ertappt und erleichtert, daß überhaupt jemandem auffiel, daß es ihr nicht gut ging. Sie hatte fast jede Nacht diesen merkwürdigen Traum, doch noch immer wußte sie nicht, was er genau bedeuten sollte, da er immer an der gleichen Stelle abbrach. Zwar konnte sie sich denken, was sie sehen würde, wenn sie das Licht anschaltete, aber sie wollte nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden, bevor ihr ihr Traum nicht von sich aus offenbarte, was er ihr sagen wollte.
Ein Anflug von Ärger legte sich über ihre Züge. Was für ein Unsinn das doch war! Träume waren ein Produkt des Unterbewußtseins. Sie träumte nichts, was nicht irgendwie aus ihrem Kopf kam, also konnte der Traum ihr auch nichts neues sagen...
Severus. Wenn er wieder da war, würde sie ruhiger werden. Sicher hatte dieser Traum nur etwas damit zu tun, daß sie ihn vermißte und mehr nicht.
„Nein, ich hab keine Ahnung“, antwortete sie schließlich - scheinbar nach einer halben Ewigkeit - auf Sirius’ Frage. Sirius wußte, daß das nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber er bohrte nicht weiter.
„Ich zieh mich schnell an und dann gehen wir frühstücken, okay?“ Lily nickte lächelnd und räumte die Reste ihrer Schulsachen zusammen, um sie hinauf in den Schlafsaal zu tragen.

Während die letzten zwei Wochen fast verflogen waren, schlich der letzte Tag der Ferien nur so vor sich hin. Lily wußte nicht, was sie mit sich anfangen sollte und starrte ständig auf die Uhr und dann auf das Päckchen für Severus, das schon bereitlag. Hoffentlich würde es ihm auch gefallen. Sie hatte ihm schon einmal so etwas ähnliches geschenkt und vielleicht würde er es einfallslos finden. - Aber sie hatte nach etwas Perfektem gesucht und dabei war sie immer wieder über diese Idee gestolpert, weil es das einzige war, was Severus nicht im Übermaß besaß und auch von niemandem außer ihr bekommen konnte.
Ein wenig erfüllte das Lily mit Stolz, auch wenn sie sich wünschte, daß sich das bald ändern würde - für Severus.
Die Sonne versank langsam blutrot hinter den Türmen von Hogwarts, während Lily im Schlafsaal auf der Fensterbank saß und gedankenverloren und wartend nach draußen starrte. Persephone, die seit dem Mittag am Fußende ihres Bettes geschlafen hatte, erwachte und streckte ihre mächtigen Flügel aus. Mit einem herzhaften Gähnen flatterte sie hinüber zu Lily und kniff sie vorsichtig in den Arm. Lily strich über das seidenglatte Gefieder des Vogels und lächelte die Schleiereule an.
„Du möchtest wohl lieber raus und ein paar Mäuse fangen, statt mir noch länger beim Warten zuzusehen, was? Na ja, ich kann es dir nicht verübeln, ich könnte mir selbst vermutlich auch nicht zusehen.“ Lily öffnete das Fenster und Persephone flog hinaus, nachdem sie sich mit einem sanften Stups bei ihr bedankt hatte. Lily seufzte. Es waren immer noch Stunden, bis der Hogwarts-Express endlich ankommen würde.
Als sie es schließlich nicht mehr aushielt, warf sie sich ihren Umhang über und verließ das Schloß, um hinüber zu Hagrids Hütte zu gehen. Er würde schon etwas wissen, um sie bis zur Ankunft des Zuges zu beschäftigen.

Hagrid hatte Lily auf seine kräftige Schulter genommen, damit sie den Bahnsteig besser im Auge hatte und Lily spähte nervös in den Strom von Schülern, der sich aus dem Hogwarts-Express in Richtung der Pferdeschlitten ergoß, die sie hinauf zum Schloß bringen sollten.
„Wo bleibt der Kerl denn bloß?“ Hagrid lächelte bei der Nervosität in ihrer Stimme. Auch er mußte zugeben, daß er sich anfangs große Sorgen gemacht hatte wegen Lily und ihrer Freundschaft zu Severus, aber er hatte den Jungen inzwischen ganz gut kennen gelernt und wußte, daß er ihm seine kleine Freundin ruhigen Gewissens anvertrauen konnte. Außerdem sah auch er in den beiden zum ersten Mal eine Chance für die beiden verfeindeten Häuser Hogwarts, in Zukunft miteinander, anstatt gegeneinander zu agieren.
Hagrid dachte immer noch mit ein wenig Bitterkeit an seine eigene Schulzeit zurück. Er war so gerne Schüler in Hogwarts gewesen, aber seine eigene Schulkarriere als Gryffindor war damals von einem Slytherin beendet worden. - Das wußte natürlich niemand, außer ein paar von den Lehrern oder vielleicht auch nur Dumbledore. Hagrid wußte ehrlich gesagt nicht, wem Dumbledore die Geschichte erzählt hatte und vertraute seinem großen Vorbild da voll und ganz, daß er die richtigen Entscheidungen traf. Er selbst schwieg darüber. Es war bekannt, daß er in seinem dritten Jahr von der Schule verwiesen worden war und das war mehr, als die Leute wissen mußten. Mehr würden sie nie aus ihm herauskriegen.
„Ich glaube, da hinten kommt er, Hagrid! Laß mich doch bitte mal runter.“ Hagrid setzte Lily vorsichtig auf dem Bahnsteig ab und sie lief in die Dunkelheit hinein, geradewegs auf den Jungen zu, den sie als Severus erkannte hatte. Als sie an James vorbeilief trafen ihre Blicke sich kurz und Lily schenkte ihm ein Lächeln. Wie vom Donner gerührt blieb James stehen und folgte ihr mit seinem Blick. Er war sogar so überrascht, daß es ihm in diesem Moment nicht das geringste ausmachte, daß sie wenige Augenblicke nach diesem Lächeln in Severus’ Armen lag, der sie wiederum mit einem für ihn äußerst ungewöhnlichen Lächeln auf dem Gesicht durch die Luft wirbelte.
„Lily!“ flüsterte James in die Nacht hinein. Vielleicht waren seine Wünsche ausnahmsweise doch noch erhört worden.

Severus sah sehr müde und blaß aus, als sie das Schloß erreichten und Lily sein Gesicht für diesen Tag zum ersten Mal in vollem Licht sah. Aber trotzdem wollte er nicht gleich schlafen gehen, wie sie ihm riet, sondern ihr erst noch ihr Geschenk geben. Schließlich war das der eine Moment, auf den er sich seit zwei Wochen freute und auch wenn er wirklich fix und fertig war und sich nach seinem Bett sehnte, so viel Zeit mußte noch sein. Er mußte einfach erst ihr wunderschönes Lächeln und das lebendige Glitzern in ihren grünen Augen sehen...
Oben im Westturm angekommen, zog Severus ein recht großes Päckchen unter seinem Umhang hervor. Er fing Lilys skeptischen Blick auf und lächelte.
„Zaubertaschen“, erklärte er. „Ich kann damit praktisch einen ganzen Schrank transportieren, ohne daß irgendwer es bemerkt.“ Er reichte ihr das Päckchen und sie wurde ein wenig rot.
„Ich wette, es ist etwas ganz Wunderbares. Dagegen ist mein Geschenk für dich wahrscheinlich gar nichts.“ Sie gab ihm das eher kleine, flache Päckchen, doch seine Augen leuchteten.
„Jedes Geschenk von dir ist nicht mit Gold aufzuwerten, das weißt du doch. - Und jetzt mach es auf, ich bin schon total gespannt, was du davon hältst.“ Lily lächelte und öffnete vorsichtig das wunderschönes Geschenkpapier, auf dem kleine silberne Engelchen hin und herflogen und kicherten, wenn einer von ihnen den dicken Schneemann mit einem Schneeball erwischt hatte und er drohend die Faust schüttelte. Lily hatte Angst, daß sie die Engelchen und den Schneemann vielleicht verletzen würde, wenn sie zu grob beim Öffnen des Päckchens war, was Severus wieder einmal unvergleichbar lilyhaft fand.
Als sie das Papier endlich von dem Geschenk abgeschält hatte, hielt sie eine Box aus Holz in der Hand. Sie öffnete den Deckel und holte eine Glaskugel auf einem kleinen Sockel heraus. Die Kugel hatte etwa die Größe eines Handballes und in ihrem Inneren befanden sich drei Eisrosen. Die selben Rosen, die Severus für den Ball vor zwei Wochen gezaubert hatte und ihr als Armband geschenkt hatte. Für einige Sekunden vergaß sie, den Mund zu schließen und starrte die wunderschönen Blumen einfach nur an.
Schon bei dem Armband hatte sie es bemerkt, aber bei diesen Rosen sah man jetzt zum ersten Mal ihre vollkommene Schönheit wirklich. Man sah sogar, daß Leben in ihnen war, daß es wirklich Rosen waren und nicht einfach nur Eis. Lily hatte noch nie etwas so unglaublich Schönes gesehen.
Sie drehte die Kugel in ihrer Hand und bemerkte schließlich die kleine Inschrift auf dem Sockel: „Für Lily, in Liebe“. Seinen eigenen Namen hatte er nicht dazu geschrieben.
„Sie werden niemals schmelzen“, hörte sie schließlich Severus’ Stimme. Sie sah ihn an und in ihrem Blick konnte er erkennen, daß sie überwältigt war. Er fühlte die Befriedigung und den Stolz über das gelungene Geschenk, es war wie eine nie enden wollende, aber sehr angenehme Wärme, die sich in ihm ausbreitete. Er sah ihr in die Augen, als er weitersprach:
„Diese Rosen werden so lange für dich blühen, bis meine Liebe für dich erlischt. Erst wenn ich keine Liebe mehr für dich empfinde, werden sie wie ganz normale Rosen verblühen. - Ich habe den Zauber ein wenig verändert und meine Seele in diese Blumen eingeschlossen - natürlich nur zum Teil.“
Lily schluckte und kämpfte gegen die Trockenheit in ihrem Hals an, die ihr fast die Stimme erstickte. „Sie werden wirklich ewig blühen?“
Severus nickte. „Bis ich sterbe. Dann werden sie zerspringen.“ Lily zuckte ein wenig zusammen, doch Severus strich ihr beruhigend über die Wange.
„Keine Sorge, ich hatte nicht vor, das so bald zu tun.“ Sie erwiderte sein Lächeln zaghaft und deutete schließlich auf ihr Geschenk für ihn, das er immer noch in Händen hielt.
„Jetzt bist du dran.“ Ihre Stimme klang heiser, aber langsam fing sie sich wieder. Severus packte das Päckchen aus und hielt schließlich ein in Leder gebundenes Buch in der Hand. Er schlug es auf. Es war voller Bilder von - er stutzte und sah Lily überrascht an. Sie lächelte glücklich.
„Professor Flitwick“, sagte sie erklärend. Immer noch ein wenig fassungslos blätterte er die Seiten eine nach der anderen um. Es waren alles Bilder von ihm und von Lily.
„Er war immer mit dabei und hat alles dokumentiert. Nachdem ich es bemerkt hatte, habe ich ihn gebeten, ob ich die Bilder von uns beiden vielleicht haben könnte. - Wußtest du, daß Fotografieren sein Hobby ist?“ Severus schüttelte den Kopf.
„Aber dieses Bild hier, wie konnte er das machen? Ich dachte, wir wären allein gewesen.“ Er deutete auf ein Bild, auf dem sein Abbild Lilys Abbild gerade auf den Fuß trat. Er wurde ein wenig rot. Auch Lilys Gesicht nahm eine dunkelrote Farbe.
„Na ja, ich wollte, daß du eine Erinnerung an die gesamte schöne Zeit hast, darum hab ich den Professor gebeten, daß er heimlich auch bei einer der Tanzstunden Bilder macht. Ich hoffe, du bist nicht böse, aber ich hab halt gedacht, daß es einfach dazu gehört. - Es gibt aber kein Bild von unserem Kuß!“ warf sie schnell ein und Severus’ Mundwinkel gingen wieder nach oben. „Daran werde ich mich auch so immer erinnern!“
Lily blickte ein wenig verlegen zu Boden.
„Es ist wunderschön. Ein Buch voller schöner Erinnerungen. Das werde ich ganz sicher niemals wieder hergeben, Lily.“ Er zog sie an sich und sie schmiegte ihren Kopf an seinen Brust. Schöne Erinnerungen. Davon besaß Severus so gut wie keine und Lily war mehr als glücklich, daß sie ihm welche geben konnte...

Noch bis tief in die Nacht hinein saß Severus über dem Fotoalbum und blätterte es immer wieder durch. Er mußte jedes einzelne Foto jetzt schon gut hundertmal minutenlang betrachtet haben. So kam es ihm zumindest vor.
Die anderen Slytherins im Schlafsaal schliefen schon fest, so bemerkte keiner den sanften Schimmer seines Zauberstabes hinter den zugezogenen Vorhängen des Himmelbettes.
Er fühlte sich glücklich ohne daß er sagen konnte, warum eigentlich. Er war einfach froh, wieder in Hogwarts zu sein und Lilys Anwesenheit praktisch die ganze Zeit um sich herum spüren zu können, selbst wenn jetzt mehr als sieben Stockwerke zwischen ihnen lagen.
Er war glücklich, weil er sie hatte, weil er sich erst jetzt, nachdem die Ferien vorbei waren und alles immer noch so war wie vor den Ferien, sicher sein konnte, daß nicht alles nur ein schöner Traum gewesen war. Und das hatte er weiß Gott oft genug gedacht, wenn er nachts an die Decke seines Zimmers gestarrt hatte, weil er vor Herzklopfen wieder nicht einschlafen konnte.
Als Lily ihn geküßt hatte, hatte ihn das Glück geküßt und seitdem auch nicht wieder verlassen. Und wenn Severus ehrlich sein sollte, fühlte er sich, als würde er bald schon vor lauter Glück platzen, so unbekannt und überwältigend war das Gefühl für ihn selbst nach all der Zeit mit Lily immer noch.
Bisher hatte sein Leben in Hogwarts sich vollkommen anders präsentiert, als er vermutet hatte. Er wollte nicht einen erlebten Augenblick seit Beginn seiner Zeit hier missen, denn alles war wunderbar und erfahrungsreich für ihn gewesen und nicht so schmerzhaft und trist, wie er es sich für einen Außenseiter seines Kalibers eigentlich ausgemalt hatte.
Severus hörte ein leichtes Kratzen an der dicken Steinmauer, die den Schlafsaal vom Rest der Kerker abgrenzte. Er stutzte und warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon fast ein Uhr in der Nacht. Leise stand er aus seinem Bett auf und warf sich seinen Umhang über. In den Kerkern war es um diese Jahreszeit so erbärmlich kalt, daß es gar nicht anders ging. Vorsichtig schlich er sich aus dem Schlafsaal, wobei er einen Moment erschrocken innehielt, als die schwere Eichentür des Schlafsaales in den Angeln quietschte. Doch die anderen schliefen schon zu fest, keiner hatte bemerkt, daß er das Bett verlassen hatte.
Immer noch auf jedes Geräusch achtend huschte er durch den leeren Gemeinschaftsraum und öffnete die verborgene Tür hinaus auf den Gang. Er steckte den Kopf durch den geöffneten Spalt und sah sich um. Am Ende des Ganges sah er vier dunkle Gestalten, die sich geduckt durch den Kerkern schlichen, und scheinbar die Wände abtasteten. Das erklärte das kratzende Geräusch, aber welcher Wahnsinnige war um die Zeit noch unterwegs und riskierte einen ganzen Haufen Strafpunkte?
„Sei nicht so laut, Peter!“ zischte einer der vier dem kleinsten zu. Und schon wußte Severus, wer die vier waren, aber was wollten Potter, Black, Lupin und Pettigrew hier unten?
„Wir sind viel zu nah am Gemeinschaftsraum der Slytherins. Wenn du so einen Lärm machst, werden sie uns noch entdecken. Das wäre ein gefundenes Fressen für sie!“ Severus hob überrascht die rechte Augenbraue an. Die vier suchten eindeutig etwas. Aber warum genau hier unten in den Kerkern, wo ihnen jeden Augenblick der Vertrauensschüler der Slytherins - kein Geringerer als Lucius Malfoy in Person - über den Weg laufen konnte? Die Gryffindors galten doch sonst nicht als grenzenlos dumm...
Er kniff ein wenig die Augen zusammen, um in der Dunkelheit besser sehen zu können. Remus Lupin hielt etwas in der Hand. Es sah aus, wie Papier und Feder. Und er notierte sich scheinbar jeden Schritt und jede Entdeckung, die sie machten, haargenau.
„Immer hast du es auf mich abgesehen, James!“ quiekte Pettigrew und erinnerte Severus in dem Moment an eine kleine fette Ratte, die von einer Katze in die Enge getrieben worden war. Er konnte sich ein kleines kaltes Grinsen nicht verkneifen. Irgendwie hätte er nichts dagegen gehabt, das Bild in die Realität umzusetzen.
„Peter, was soll der Blödsinn denn? Ich will nur, daß du vorsichtiger bist. Eben bei McGonagalls Büro hast du uns auch fast reingeritten!“ Severus hätte schwören können, daß Peter in diesem Moment vor Zorn und Scham rot anlief und bedauerte, es nicht sehen zu können.
„Los, kommt Leute“, sagte James schließlich nach weiteren fünf Minuten Rumschleichens und Tastens. „Malfoy schleicht hier irgendwo rum. Ich hab keine Lust, ihm noch in die Arme zu laufen!“ Die vier machten auf dem Absatz kehrt und kamen wieder auf die Tür zum Gemeinschaftsraum der Slytherins zu. Severus schob sie so weit zu, daß er gerade noch etwas sehen konnte.
Als die vier an der Tür vorbeigingen, konnte er einen kurzen Blick auf das Pergament in Remus’ Hand werfen. Es war eine Karte von Hogwarts, wie es den Anschein hatte.
Wenig später hörte er sie die Treppe hinaufschleichen. Severus schloß die Tür wieder und schlich in den Schlafsaal zurück. James Potter und seine Freunde planten etwas, das sah sogar ein Blinder. Er war sich nur nicht sicher, ob es vielleicht besser für ihn gewesen wäre, ihre Pläne möglichst bald zu durchschauen...
Andererseits war im Lilys Lächeln für James heute auf dem Bahnhof nicht entgangen. Er wußte, daß Sirius Black in den Ferien nicht mit nach Hause gefahren war und er brauchte ja nur eins und eins zusammen zu zählen, um zu wissen, daß Lily sich entschlossen hatte, den Kontakt zu James wieder aufzunehmen. Eigentlich sollte doch dann aus dieser Ecke für ihn keine Gefahr mehr drohen. James konnte doch nicht wirklich so dumm sein und wieder gegen in intrigieren, wenn er gerade erst wieder eine Chance bei Lily bekommen hatte.
Severus hängte seinen Umhang auf und kroch unter die Bettdecke.

 

  Kapitel 6

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