Kapitel 2: Intrige mit Folgen
Lily merkte schon bald, daß viele ihrer Ängste unbegründet gewesen waren. Selbst die Schüler, die aus Familien stammten, die schon seit Jahrhunderten Zauberer waren, waren nicht viel weiter mit der Zauberei als sie selbst. Es gab einige Ausnahmen, so zum Beispiel Severus, aber die waren rar gesät und sie wurde von Tag zu Tag zuversichtlicher, daß sie eine genauso gute Hexe werden würde, wie die anderen Schüler.
Nur ein Fach bereitete ihr große Sorgen und das war Zaubertränke. Obwohl sie sich immer genau an die Anweisungen von Professor Talis hielt, gelangen ihre Tränke nie.
Deshalb verbrachte Lily inzwischen viel Zeit in der Bibliothek und versuchte, ihr Defizit mit Büchern auszugleichen. Severus, der sie beim Mittagessen vermißt hatte und nun auf der Suche nach ihr war, fand sie mal wieder in der Abteilung für Zaubertränke, mit gerunzelter Stirn über ein Buch gebeugt. Er setzte sich zu ihr.
"Lernen mit leerem Magen ist aber nicht sehr gut", sprach er sie sanft an und erst da bemerkte sie, daß sie nicht mehr allein war. Sie lächelte müde.
"Ich weiß aber was soll ich tun, mir bleibt einfach zu wenig Zeit dafür."
Er hob das Buch an und warf einen Blick auf den Einband. "Das kannst du gleich wieder weglegen, Lily. Ist kein Buch für Anfänger, weißt du? Damit wirst du nicht weiterkommen, wenn du wirklich ernste grundlegende Probleme mit der Zaubertrankbrauerei hast." Er stand auf und ging durch die langen Reihen mit Büchern. Schließlich, als er fündig geworden war, zog er einen alten, extrem dicken Band heraus, der in dunkelgrünes Leder eingebunden war. Die goldene Farbe, mit der das Buch verziert war, blätterte schon langsam ab. Er gab es Lily.
"Das ultimative Lehrbuch für Zaubertränke", las Lily vom Einband ab.
"Ist ein unschlagbares Buch, glaub mir. Ich hab selbst alles, was ich weiß daraus gelernt. Leider haben sie hier nur Band 1 stehen. Band 2 steht in der verbotenen Abteilung, weil da einige sehr gefährliche Tränke drin stehen."
"Woher weißt du das bloß alles so genau?", fragte Lily gedankenverloren, als sie die erste Seite des Buches aufschlug.
"Mein Vater hat bestimmt die Hälfte der Bücher, die hier in der verbotenen Abteilung stehen selbst zu Hause. Und ich habe sie alle gelesen."
Lily blickte überrascht auf. Natürlich hatte auch sie wie alle anderen gewußt, daß Severus wie kein anderer über alles Bescheid wußte, was mit dunklen und schwarzmagischen Flüchen, Zaubern und Tränken zu tun hatte, aber sie hatte nicht gedacht, daß sein Vater diese Magie so ausgiebig studiert hatte oder wahrscheinlich sogar betrieb und nicht einmal seinen Sohn davon fern hielt, obwohl es schrecklich gefährlich war.
"Weißt du, Severus", begann sie vorsichtig "ich mache mir irgendwie Sorgen. Du beschäftigst dich zu viel mit diesem dunklen Zeug und die anderen in Gryffindor...." Sie hielt abrupt inne. Severus' rechte Augenbraue schoß in die Höhe und sein Blick wurde ein wenig abweisend.
"Und die anderen in Gryffindor?", hakte er nach, auch wenn er schon wußte, was da kommen würde.
"Na ja, sie haben gesagt, daß alle Zauberer und Hexen, die hier in Hogwarts gelernt haben und sich nach der Schule den dunklen Künsten zugewandt haben, während ihrer Schulzeit in - Slytherin gewesen sein sollen."
"Soweit ich weiß, ist das richtig", entgegnete Severus schlicht.
"Und... wirst du eher von einer weißen oder von einer schwarzen Magie angezogen?"
Severus hob die Schultern. "Lily, es ist zu früh, um darüber etwas zu sagen. Ich streite gar nicht ab, daß mein Vater ein Anhänger der dunklen Künste ist. Er hält sie für viel effektiver, einfach für die bessere Magie. Und ich bin so erzogen worden, ebenfalls diese Richtung einzuschlagen. Ich selbst weiß noch nicht, was ich will."
Lily wandte traurig den Blick von ihm ab und wieder dem Buch zu. Sie mochte Severus, aber konnte sie ihn auch noch mögen, wenn er sich von der guten Seite der Magie abwandte? Das widersprach schließlich allem, was sie für gut und richtig hielt.
"Hör auf, darüber nachzugrübeln, okay?" Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sanft ihren Kopf an seine Schulter heran. Lily entspannte sich ein wenig. Sie fühlte sich in Severus' Nähe so wohl und er strahlte so viel Wärme und Geborgenheit für sie aus, er konnte kein schlechter Mensch sein und das würde sich sicher auch noch zeigen, sehr bald. Und dann würde keiner in Gryffindor mehr über ihn reden und behaupten, daß er eines Tages mal ihr aller Feind sein würde.
"Wer weiß", seine Stimme dröhnte durch seinen Körper direkt an ihr Ohr, "kann doch auch gut sein, daß ich mich eines Tages von dir führen lasse und du zeigst mir dann schon den richtigen Weg." Er zwinkerte ihr zu und sie lächelte.
Lucius Malfoy beobachtete die beiden von seinem Platz aus. Auch er hatte in der Bibliothek eigentlich lernen wollen, doch die beiden hatten ihn abgelenkt. Er kniff verärgert die Augen zusammen. Nie hätte er für möglich gehalten, daß ausgerechnet Severus sich mit einem Schlammblut aus Gryffindor abgeben würde. Ein Schande für die Zaubererwelt.
"Weißt du was, Lily? Wir arbeiten in Zaubertränke einfach zusammen, dann kriegst du es schneller hin, als du es für möglich hältst, glaub mir."
Es war die erste Zaubertrankstunde gewesen, seit Lily in Hogwarts war, die sie nicht als quälend empfunden hatte. Severus hatte ihr wirklich jeden Schritt ganz genau erklärt und sie immer genau zusehen lassen, was er tat und wie er es tat. Und als sie es dann selbst versuchte, schaffte sie es auch wirklich zum ersten Mal, einen ganz passablen Trank hinzubekommen, der so wirkte, wie er wirken sollte. Sie war selig. Mit seiner Hilfe würde sie also auch das Problem in den Griff kriegen. Dann stand einer guten Zeit in Hogwarts ja nichts mehr im Wege.
Sie kam an diesem Abend spät aus der Bibliothek zurück in den Gemeinschaftsraum. Die meisten Gryffindors waren schon im Bett, aber unter den wenigen, die noch wach waren, war auch James. Er saß in einem Sessel vor dem Kamin, in dem das Feuer nur noch sachte glühte und sah aus, als hätte er auf sie gewartet.
"Hi James!", sagte sie fröhlich und setzte sich neben ihn in einen weiteren Sessel.
"Hi", entgegnete er und es war nicht zu überhören, daß er bedrückt war. "Warst du bis eben mit Severus in der Bibliothek?"
Lily nickte. "Ja, wir haben von Professor McGonagall eine Sondererlaubnis bekommen, weil wir ihr erklärt haben, daß er mir Nachhilfe in Zaubertränke gibt und wir sonst zu wenig Zeit haben. Sie fand es gut."
"So..."
Lily runzelte die Stirn. "Was ist los, James? Du hast doch irgendwas. Geht es wieder darum, daß du ihm nicht traust?"
"Du verbringst sehr viel Zeit mit Severus, mehr als mit uns oder sonst jemand anderen."
Lily lachte und es klang James hell wie Silberglöckchen in den Ohren. "Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, James? - Du bist genauso mein Freund wie Severus, das weißt du doch hoffentlich."
James lehnte sich im Sessel zurück und blickte zu der hohen Decke des Raumes auf. "Bist du da sicher? Ich meine, in deiner Freizeit bist du bei Severus, in Zaubertränke arbeitest du mit Severus zusammen, du verbringst mit ihm die meiste Zeit des Tages. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich dir genauso wichtig bin. - Aber das will ich auch eigentlich gar nicht von dir wissen. Ich möchte nur wissen, was da zwischen dir und Severus ist. - Es gibt Gerüchte, weißt du. Es heißt, du und Severus wärt mehr als einfach nur Freunde."
Erst war Lily völlig verdattert, doch dann lachte sie wieder hell auf, ihre Augen strahlten. "Ich mag Severus wirklich sehr, aber er ist nur ein Freund. Ich hab ganz andere Sachen im Kopf als euch Jungs, auch wenn ihr euch das schwer vorstellen könnt. Hey, ich bin gerade 11 und erlebe hier gerade mein erstes Jahr als Hexe. So viele Veränderungen stürzen seit Wochen und Monaten auf mich ein, das letzte, woran ich jetzt einen Gedanken verschwende ist, wann ich wohl meinen ersten Freund haben werde und wer es sein wird.
Du brauchst nicht eifersüchtig auf Severus zu sein, James. Er ist ein sehr lieber Mensch und ich hab ihn gern, aber das bist du genauso und darum hab ich auch dich sehr gern. - Und jetzt werde ich ins Bett gehen, gute Nacht." Sie stand auf und lächelte ihn noch einmal an, bevor sie die Treppe zu den Schlafsälen der Mädchen hochstieg.
James blieb zerknirscht vor dem glühenden Kamin sitzen und versank in dumpfe Gedanken.
Sirius schreckte überrascht hoch, als James mitten in der Nacht in den Schlafsaal der Erstklässler gestürmt kam und sich auf sein Bett warf. Nervös blickte er sich um, doch Remus, Peter und Henry, die anderen drei Erstklässler, die den Saal mit ihnen teilten, schliefen noch immer tief und fest.
James kramte nervös in einer Kiste, die neben seinem Bett stand
"Was ist denn nur los?", zischte Sirius ihm zu.
"Ich muß hier raus!", knurrte James zurück. Er schien gefunden zu haben, was er suchte. Er warf sich den Umhang, der aussah, als bestünde er aus silbrig glänzendem Wasser, über die Schulter und sofort verschwand sein ganzer Körper, der von dem Umhang bedeckt wurde. Sein Kopf sah aus, als würde er frei in der Luft schweben.
"Bist du verrückt!" Sirius schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett.
"Nein, aber wenn ich mich jetzt nicht abreagiere, werde ich es noch..."
Sirius schüttelte den Kopf, quetschte sich aber mit James unter den Umhang. James zog ihn ihnen beiden über den Kopf und verschwanden aus dem Turm der Gryffindors.
Sie schlichen sich an den Lehrern und Vertrauensschülern vorbei aus dem Schloß, hinaus auf das weite Gelände.
"Rüber zum Verbotenen Wald", flüsterte James und deutete auf einen Ausläufer des Waldes, der weit genug vom Schloß und von Hagrids Hütte weg war, daß sie keiner hören würde.
Als sie den Waldrand erreicht hatten warf James den magischen Umhang ab. Sein Gesicht war hochrot vor Wut. Sirius hob den Mantel auf und legte ihn sich über den Arm.
"Jetzt spuck schon aus, was mit dir los ist, James. Deine Laune ist ja nicht mehr zu ertragen!" Er setzte sich auf den großen Querast eines Baumes und ließ die Beine baumeln.
James hingegen rannte wie ein Tier im Käfig ständig im Kreis herum. "Was hat diese Ratte von Slytherin nur mit Lily vor?"
Sirius ließ entnervt die Schultern hängen.
"Ich meine, gib doch selbst mal zu, es kann gar nicht sein, daß Snape es mit ihr ehrlich meinen könnte. Er ist ein Slytherin und er haßt Muggel und Zauberer, die aus Muggelfamilien stammen. Jetzt soll er ausgerechnet von Lily so angetan sein, daß er all seine Vorurteile über Bord wirft?"
Sirius zuckte die Schultern. "Hey, es ist überhaupt nicht bewiesen, daß Severus so ist. Es ist nur bekannt, daß seine Eltern Rassisten sind, er ist in der Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt."
James fuhr herum. "Ja, das ist mir auch klar, aber wie sollte er was anderes sein? Seine Familie ist so und die Familien seiner Freunde und die Freunde seiner Eltern sind so. Die Snapes verkehren nur in exklusiven Kreisen, du glaubst doch nicht, daß der einzige Sohn dann ausgerechnet Kontakt zu Muggelgeborenen hatte." Er nahm wieder seinen Kreislauf auf und spielte dabei mit den Fingern an seiner Unterlippe.
"Wir müssen ihn bespitzeln und seine wahren Motive herausfinden", sagte er schließlich und sah Sirius eindringlich an. "Wir müssen es schaffen, die Wahrheit aus ihm heraus zu kriegen."
"Du bist witzig!", entgegnete Sirius. "Was willst du denn tun?"
Wieder rannte James zwei Minuten im Kreis. "Ganz einfach. Wir werden Lucius Malfoy dafür einspannen. Natürlich wird er davon nichts wissen. Und wenn dann alles so weit ist, werden wir uns in den Gemeinschaftsraum der Slytherins schleichen und alles herausfinden, was wir wissen müssen", antwortete er mit einem Blick auf den Umhang in Sirius' Arm.
James wollte nichts dem Zufall überlassen, darum nahm er die Planung seines Vorhabens sehr ernst. In der Zeit tat er so, als würde es ihm nichts mehr ausmachen, das Lily und Severus sich so gut verstanden und so viel Zeit miteinander verbrachten. Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien saßen die beiden wieder zusammen in der Bibliothek und Severus ging noch einmal den letzten Trank mit Lily durch, den sie gebraut hatten. Beide waren ein wenig bedrückt. Lily, weil sie in den Ferien nicht nach Hause fuhr. Ihre Eltern verbrachten Weihnachten mit Petunia in den USA und Lily wollte nicht mit ihrer Schwester zusammen in einem Hotelzimmer wohnen und sich von ihr ständig dafür anfeinden lassen, daß sie eine Hexe war. Darum hatte sie ihren Eltern geschrieben, daß sie in Hogwarts bleiben würde.
Severus dagegen, weil er nach Hause mußte. Seine Eltern wollten auf keinen Fall, daß er allein im Schloß blieb, während die anderen Slytherins fast komplett nach Hause fuhren.
"Hast du schon gepackt?", fragte Lily, nachdem sie eine Weile schweigend in ihre Bücher gestarrt und so getan hatten, als würden sie lesen.
"Ja, der Hogwarts-Express fährt morgen schon sehr früh ab", antwortete er genauso betrübt wie sie. Er sah sie an. "Ich würde dich ja gerne zu mir einladen, aber das geht leider nicht."
Lily schüttelte den Kopf. "Das ist okay. Ich glaube, meinen Eltern wäre es auch nicht recht gewesen, wenn ich ihnen erst sage, ich möchte im Schloß bleiben und dann mit jemand anderem mit zu ihm nach Hause in die Ferien fahre. Sie wissen nicht, daß ich eigentlich gar nicht bleiben wollte, aber ich möchte ihnen auch nichts davon erzählen, wie gemein meine Schwester mich behandelt, seit ich in Hogwarts zur Schule gehe."
Severus sah sie mitfühlend an. "Hat sie dir etwa schon wieder geschrieben?"
Lily nickte und zog einen Bogen Papier aus ihrem Umhang, der sehr klein zusammen gefaltet war. "Sie hat ihn auch wieder per Post schicken wollen. Man könnte meinen, sie legt es darauf an, daß man sie für verrückt hält. So oft schon hab ich ihr gesagt, daß sie die Briefe den Eulen mitgeben muß, weil die Post Hogwarts nicht kennt." Severus nahm den Brief und las ihn. Seine Stirn legte sich in Falten und er sah zu Lily auf.
"Ich an deiner Stelle würde zu ihr gar keinen Kontakt mehr halten. Sie will doch von dir nichts mehr wissen und kann dich einfach nicht akzeptieren, wie du bist. Dieses Gelaber jedes Mal, daß du dich in ärztliche Behandlung begeben sollst. Was glaubt sie eigentlich, was Magie ist? Magie ist doch keine Krankheit, es ist eine wundervolle Gabe und jeder der sie hat, sollte froh darüber sein. Sie ist nur eifersüchtig, das ist alles." Snape knüllte den Bogen Papier zusammen.
"Sie hat jetzt einen Freund. Er heißt Vernon."
Severus schnaubte verächtlich. "Wahrscheinlich auch so einer von der schlimmsten Sorte Muggel, die man sich vorstellen kann." Als er Lily so traurig und zusammengekauert auf ihrem Stuhl sitzen sah, wurde es Severus noch elender zumute, bei dem Gedanken, daß er sie jetzt allein lassen mußte und das auch noch für volle zwei Wochen. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft.
"Ich werde dir Goliath so oft wie möglich vorbeischicken, das verspreche ich dir. Er ist jung und noch sehr schnell!" Goliath war die Eule, die Severus mit nach Hogwarts gebracht hatte. Er hatte sie von seinen Eltern geschenkt bekommen und sie war ein sehr stattliches Tier, daß es locker an einem Tag nach Hogwarts und wieder zurück schaffen würde. Auch wenn er also nicht selbst bei ihr sein konnte, er würde sein möglichstes tun, um sie aufzumuntern.
Im Hogwarts-Express am nächsten Morgen...
Severus saß allein in seinem Abteil. Jetzt, da nicht so viele Schüler abfuhren, wie vor einigen Monaten hergekommen waren, war es nicht so schwer, seine Ruhe zu haben während der langen Fahrt. Severus starrte aus dem Fenster in die vorbeirauschende Landschaft und fragte sich, warum er sich eigentlich so elend und abhängig fühlte. Abhängig von nur einer Person, die eigentlich nichts weiter war als zerbrechlich.
Er war noch nie in seinem ganzen Leben abhängig von etwas gewesen. Gut, er war erst 11 und wahrscheinlich würde ihn jeder dafür belächeln, aber er glaubte von sich selbst, daß er schon Erfahrungen gemacht hatte, die andere erst sehr viel später und einige Glückliche nie machen würden. Z.B. wußte er, daß seine Eltern ihm gegenüber keine Liebe empfanden. Das war auch der Grund, warum Severus ein Einzelgänger war und sich noch nie in seinem ganzen Leben an eine andere Person angelehnt hatte. Seine Eltern hatte ihm gezeigt, daß man das nicht tun sollte und er hatte sich bisher daran gehalten.
Doch Lily krempelte seine Welt um und er wollte wissen, wie sie es schaffte.
Goliath gurrte in seinem Käfig, der auf der Sitzbank ihm gegenüber saß und Severus sah ihn an. Er lächelte. Dieser Vogel war ein Beispiel für sein bisheriges Leben. Er war ein Prachtstück, genau wie er selbst. Severus war klar, daß das eingebildet klang, doch er wußte auch, daß er schon immer alles dafür getan hatte, daß er eines Tages einer der brillantesten Zauberer seiner Zeit sein würde. Und nicht nur seine Noten zeigten ihm, daß er auf dem besten Weg war. Seine Eltern glaubten natürlich, daß er es getan hatte, weil sie es ihm abverlangten, aber er tat es, weil er es wollte. Er wollte, daß sein Name groß wurde und er würde es schaffen...
Ja, und die Eule... Goliath... sein Vater hatte ihn nach seinem Aussehen, seinem Körperbau und nach Preis ausgesucht. Er durfte nicht einfach eine Eule sein, es mußte ein Prestigeobjekt sein.
Severus steckte seinen Finger in den Käfig und Goliath knabberte zutraulich daran. Das hatte Lily geschafft. Denn Goliath war zwar ein Prachttier gewesen, hatte aber nie jemanden an sich rangelassen, außer, um ihm einen neuen Brief zu übergeben.
Darum glaubte Severus, daß er und Goliath sich so ähnlich waren. Und Lily hatte dem Vogel seine Einsamkeit genommen, genau so, wie sie ihm seine nahm.
Und obwohl ihm klar war, daß ihm keiner glauben würde, sollte er es je jemandem erzählen, schwor er sich in diesem Augenblick, daß Lily Evans für ihn immer alles sein würde. Bis an das Ende seines Lebens. Denn sie war die erste gewesen, die hinter seine Fassade gesehen hatte und nicht glauben wollte, daß er ein schlechter Mensch war.
Glücklich lehnte er sich in seinem Sitz zurück. Sie würde für immer bei ihm sein, dafür würde er schon sorgen.
"Nach den Weihnachtsferien werden wir es tun."
Sirius sah von ‚Verwandlungen für Anfänger Band 1' auf und blickte seinen Freund überrascht an. "Du willst diesen Schwachsinn wirklich noch immer durchziehen?"
"Natürlich. Ich werde Lily doch nicht so einfach an diese Schlange abtreten. - Also paß auf, die Sache ist ganz einfach. Ich hab Lucius beobachtet. Er haßt Lily. Es sollte ein Leichtes sein, ihn soweit zu bringen, daß er Snape eine Standpauke hält, wegen seines Umgangs mit dem 'Schlammblut'." James hatte ein Glitzern in den Augen, das Sirius noch nie bei ihm gesehen hatte.
"Vielleicht solltest du dir das noch einmal überlegen, James. - Woher wissen wir überhaupt, daß Lucius sich die Mühe machen wird? Vielleicht ist Severus ihm auch vollkommen egal!"
James schüttelte den Kopf. "Ganz sicher nicht. Ich hab mich in bißchen umgehört. Der alte Malfoy ist mit Snapes Vater befreundet und Lucius soll auf Severus aufpassen, so lange sie gemeinsam in Hogwarts sind. Er wird etwas unternehmen, denn wenn die Snapes rauskriegen, daß Severus mit Lily befreundet ist, geht es auch Lucius an den Kragen, wenn rauskommt, daß er nichts dagegen getan hat." Sirius gab sich geschlagen. Er würde seinen Freund doch nie von diesem Schwachsinn abbringen.
Zur gleichen Zeit in Hogwarts...
Lily saß allein im Aufenthaltsraum der Gryffindors und versuchte, sich auf ihre Hausaufgaben zu konzentrieren. Eigentlich hatte sie sich das bis zum Ende der Ferien aufheben wollen, aber irgendwie schaffte sie es einfach nicht, sich von ihren Grübeleien über ihre Schwester abzubringen, außer sie arbeitete.
Linda Parker, eine Gryffindor im zweiten Jahr in Hogwarts, kam die Treppe, die zu den Mädchenschlafsälen führte, herunter und setzte sich mit einem Buch vor das große warme Feuer im Kamin.
Lily glaubte, sie wolle nicht reden, achtete also auch nicht weiter auf sie, bis Linda sich räusperte und ihr Buch zuklappte. Sie sah Lily an.
"Sag mal, Lily, gibt es eigentlich einen Grund dafür, daß du dich mit diesem Jungen aus Slytherin besser verstehst, als mit uns Gryffindors hier?"
Lily wäre fast vom Stuhl gefallen. Linda war ihr zwar nicht vollkommen unbekannt, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals großartig mit ihr geredet zu haben oder ihr sonst irgendwie einen Grund gegeben zu haben, sich über sie Gedanken zu machen.
"Ähm, nein, wie kommst du darauf?", fragte sie verwirrt.
Linda hob die Schultern. "Ich hab es mich nur gefragt, weil du ständig mit ihm herumhängst und es nun einmal ungewöhnlich ist. Gryffindor und Ravenclaw oder Gryffindor und Hufflepuff, okay. Aber Gryffindor und Slytherin, das bedeutet eigentlich immer Konkurrenz und Krieg..."
Lily sog scharf die Luft ein. "Meinst du nicht auch, daß man solche Kindereien auf Quidditch beschränken sollte? Ich lasse mich doch nicht auf mein Haus hier beschränken, nur weil sich irgendwann einmal die Bewohner von unseren beiden Häusern nicht verstanden haben. Ich suche mir meine Freunde nach ihrem Charakter aus und nicht danach, wie sie aussehen, wo sie herkommen und in welchem Haus von Hogwarts sie wohnen." Linda sah sie ernst an, doch Lily erwiderte den Blick nicht. Sie schien das Gespräch beenden zu wollen, denn sie wandte ihre volle Aufmerksamkeit wieder ihren Hausaufgaben zu.
"Sag mal, Lily, weißt du, was ein Schlammblut ist?"
Lilys Kopf schnellte herum und sie fixierte Linda mit ungewöhnlich kalten grünen Augen. "Nein, aber wenn das wieder diese Sache mit den drei Klassen und dem Blödsinn über Reinblütigkeit ist, möchte ich davon auch nichts wissen."
Linda lächelte, aber es sah nicht freundlich aus. "James hat recht, Lily, du gibst dich mit den falschen Personen ab und vielleicht wäre es besser, du würdest bald herausfinden, was ein Schlammblut ist, damit du erfährst, wo du hingehörst und wo es für dich zu gefährlich ist, bevor es zu spät ist und du auf die Nase fällst."
Lily horchte auf. "Was hat James damit zu tun?"
"Er traut Severus keinen Meter über den Weg und ich glaube, daß er recht damit hat."
Lily klappte ihr Lehrbuch zu und räumte ihr Zeug zusammen. "Ich glaube, das reicht mir für heute. Vielleicht sollten du und die anderen hier sich mal überlegen, ob sie nicht eigene Probleme haben, über die sie sich den Kopf zerbrechen können." Mit diesen Worten rannte sie die Treppe hinauf in ihren Schlafsaal.
Dort angelangt warf sie sich aufs Bett. Was hatte James schon wieder vor? Sie hatte geglaubt, die Sache wäre endlich ausgestanden gewesen, aber offensichtlich redete James immer noch schlecht von Severus.
Lily beschloß, daß sie ihn etwas besser im Auge behalten würde, denn sie bekam ein sehr ungutes Gefühl bei der Sache. James' Eifersucht schien schlimmer, als sie erst für möglich gehalten hatte und konnte unangenehme Konsequenzen haben.
In den folgenden zwei Wochen mied Lily alle Gryffindors, die während der Ferien in Hogwarts geblieben waren, wie eine ansteckende Krankheit. Sie fühlte sich nach dem Gespräch mit Linda plötzlich immer und überall beobachtet und glaubte, daß man hinter ihren Rücken über sie sprach. Noch nie hatte sie sich so verfolgt gefühlt und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als daß endlich die Ferien zu Ende waren und Severus zurückkommen würde. Er war der einzige Mensch, dem man hier noch trauen konnte, denn er sponn scheinbar als einziger keine Intrigen gegen irgendeinen anderen Schüler in dieser Schule.
Gerade heute hatte Goliath ihr wieder einen Brief von ihm gebracht und sich dafür eine Extraportion Streicheleinheiten geben lassen. Jetzt ruhte er sich bei ihr im Schlafsaal aus. Die letzten beiden Wochen waren sehr aufreibend für ihn gewesen, denn Severus hatte sein Versprechen gehalten und fast täglich geschrieben.
Sie entfaltete den Bogen Papier und las den Brief schon bestimmte das zehnte Mal.
Liebe Lily,
Goliath war ein wenig beleidigt, weil ich ihn schon wieder losschicken wollte. Ich glaube, er merkt, dass die Ferien so gut wie rum sind und fragt sich, warum er eigentlich noch einmal einen Brief bringen muss, obwohl wir uns bald sehen. Ich hab ihm versprochen, dass du ihm dafür besonders viele Streicheleinheiten geben wirst. Ich denke, das tust du ja sowieso, so verwöhnt, wie der Vogel inzwischen ist.
Ich habe meine Koffer schon gepackt und kann die Abreise nach Hogwarts kaum noch erwarten. Holst du mich am Bahnhof ab? Ich denke, Hagrid wird nichts dagegen haben. Du kannst ihn ja mal fragen.
Ich hab ein tolles Weihnachtsgeschenk für dich gefunden. Nicht, dass du glaubst, ich hätte dich vergessen, aber ich wollte es dir persönlich geben, darum hat Goliath es nicht an Weihnachten schon gebracht.
Ich glaube, er wird jetzt ungeduldig, ich höre wohl besser auf, bevor er einfach wegfliegt und sich irgendwo einen Platz zum Schlafen sucht. Er soll bei dir in Hogwarts bleiben, bis ich wieder da bin.
Ich vermisse dich
Severus
Sie vermißte ihn auch. Sie vermißte Severus mehr als ihre Eltern oder ihre Freunde zu Hause, denn ihre Einsamkeit brachte sie langsam um den Verstand. Das Schloß war verdammt riesig, wenn man sich darin abgelehnt und verfolgt fühlte, wie sie im Moment. Wenn Severus erst einmal wieder da war, dann würde sie auch wieder Verständnis und Freundschaft in dem alten Gemäuer finden, da war sie sich sicher.
Sie faltete den Brief zusammen und machte sich auf den Weg, um Hagrid in seiner Hütte zu besuchen und zu bitten, ihn zum Bahnhof begleiten zu dürfen.
Der Hogwarts-Express fuhr schnaubend und dampfend in den Bahnhof von Hogwarts ein und kam mit einem lauten Zischen zum Stehen als der Druck aus den Ventilen gelassen wurde. Es war schon dunkel und sternenklar.
Lily stand zusammen mit Hagrid auf der Plattform und sah zu, wie die Schüler einer nach dem anderen aus dem scharlachroten Zug stiegen. Lily fror, darum hatte Hagrid sie zu sich unter seinen Mantel aus Maulwurffell gezogen.
"Siehst du ihn irgendwo?", fragte sie aufgeregt, doch Hagrid schüttelte mit einem tiefen Lachen den Kopf.
"Keine Sorge, er wird uns schon sehen, ich bin ja groß genug." Lily lächelte ihn an. Hagrid war ein genauso lieber und gutmütiger Kerl wie Severus und der einzige Lichtblick in den ganzen Ferien gewesen. Er hatte sogar mit ihr zusammen Plätzchen gebacken, weil sie so schlecht drauf gewesen war.
"Ich glaube, da hinten steigt er gerade aus", sagte Hagrid und zeigte mit seiner riesigen Hand in die Dunkelheit. Lily versuchte, seinem Fingerzeig zu folgen, doch es war zu dunkel, sie konnte ab dem dritten Waggon kein Gesicht mehr erkennen.
"Ich werde nachsehen, okay?"
Hagrid nickte. "Aber geh mir nicht verloren. Sonst ist Dumbledore sehr wütend auf mich." Lily ging den Bahnsteig entlang und sah sich nach links und rechts um, um auch ja nicht an ihm vorbei zu laufen. Sie war schon fast in der Mitte des Zuges, als sie James und Sirius sah. Sie blickte schnell in eine andere Richtung und tat so, als hätte sie die beiden nicht gesehen. Doch James entging diese Bewegung nicht. Er ballte die Hand zur Faust, doch er sagte nichts, starrte ihr bloß hinterher.
Und dann sah sie Severus. Unwillkürlich wurde sie schneller und als sie ihn endlich erreicht hatte, dachte sie gar nicht darüber nach, sondern nahm ihn einfach in den Arm.
Severus war erst vollkommen perplex, doch als der erste Schreck verflogen war, lächelte er und schloß seine Arme um sie. Warum auch nicht? Freunde umarmten sich schließlich, auch wenn ihn noch nie jemand so umarmt hatte. Bevor er glücklich die Augen schloß, fing er den Blick von James auf und für einen kurzen Augenblick gefror seine Mimik. Zu Anfang des Schuljahres hatte er James für einen dummen Jungen gehalten, der einfach nur eifersüchtig war, aber irgendwie wurde ihm die Sache immer unangenehmer. So viel Haß, wie der junge Potter ihm entgegen schleuderte, hatte er einem solchen Sonnenschein gar nicht zugetraut. Vielleicht sollte er doch mehr auf der Hut sein.
"Ich bin so froh, daß du endlich wieder da bist!" Lily strahlte und nahm ihm Goliaths Käfig ab, als sie auf Hagrid zugingen.
"Ich hab dich vermißt", entgegnete Severus und griff vorsichtig nach ihrer Hand. Sie entzog sie ihm nicht und Severus' Herz machte einen Luftsprung.
Statt mit Booten fuhren sie mit Pferdeschlitten zum Schloß zurück durch die verschneite Landschaft. Lily löcherte Severus mit Fragen, doch als er ihr schließlich das dritte Mal versichert hatte, daß es absolut nichts interessantes in den Ferien gegeben hatte, gab sie schließlich Ruhe.
James und Sirius saßen in einem der hinteren Schlitten. James war seit dem Vorfall auf dem Bahnsteig in dumpfes Brüten verfallen und die steile Zornesfalte über seiner Nase hatte bedrohliche Tiefen angenommen.
"Es reicht!", knurrte er schließlich. "Gleich morgen nehmen wir uns Lucius vor."
Sirius seufzte kaum hörbar. Seine letzte Hoffnung war gerade zerplatzt, James doch noch von seinem idiotischen Plan abbringen zu können. Und alles nur wegen einem Mädchen...
Am nächsten Tag beobachteten James und Sirius wie Lucius nach dem Abendessen in die Bibliothek ging. Sie folgten ihm mit ein paar Minuten Abstand und setzten sich an einen Tisch möglichst in seiner Nähe, so daß er sie auch hören konnte, wenn sie nur laut genug sprachen.
Erst taten sie so, als würden sie zusammen lernen, dann deutete James Sirius an, näher zu kommen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Lucius nicht ganz uninteressiert schien, was sie zu tuscheln hatten. Mit gespieltem Erstaunen lehnte sich Sirius in seinem Stuhl zurück.
"Nein, das habe ich nicht gesehen. Wirklich Händchen gehalten? Ich meine so richtig?"
"Das volle Programm!", antwortete James und warf wieder einen Blick hinüber zu Lucius, der scheinbar sein Interesse wieder verloren hatte. James zog die Stirn kraus und setzte erneut an. "Erst die Umarmung und dann Händchen haltend über den Bahnsteig gegangen. Das hätte ich von diesem Slytherin nie erwartet." Spätestens ab diesem Moment hatten sie die volle Aufmerksamkeit ihres Tischnachbarn.
"Ganz ehrlich, James, ich glaube, daß hast du geträumt. Schließlich reden wir hier von Snape. Der würde doch nie mit einer Muggelgeborenen in der Öffentlichkeit so rumlaufen."
Lucius klappte neben ihnen sein Buch zu und sammelte seine Sachen zusammen. Sirius erhaschte einen kurzen Blick auf sein Gesicht. Es war auf jeden Fall besorgniserregend. James grinste zufrieden und deutete Sirius an, daß sie sich jetzt beeilen mußten.
Lily sah, wie James und Sirius aus der Bibliothek kamen und über den Korridor zur Jungentoilette rannten. Sie wollte eigentlich warten, bis sie wieder herauskamen, doch nichts geschah. Dann öffnete sich die Tür, es kam aber scheinbar niemand heraus. Die Tür schloß sich wieder. Lily runzelte überrascht die Stirn. Das konnte kein Zufall sein. Und dann sah sie kurz einen schwarzen Schuh aus dem Nichts aufblitzen, der in Richtung Kerker ging. Ein furchtbarer Verdacht bahnte sich in ihr an. Sie wußte von Severus, daß dort unten der Gemeinschaftsraum der Slytherins war.
Vorsichtig, da sie die beiden ja nicht sehen konnte, schlich sie sich ebenfalls in Richtung Kerker, wurde aber bald schon von einem Slytherin angehalten und wieder nach oben geschickt.
James und Sirius hängten sich Lucius an die Fersen, der, nachdem er ein paar Bücher zurück gegeben hatte, selbst aus der Bibliothek kam und gleich in Richtung Gemeinschaftsraum ging. Unten in den Kerkern angekommen, sahen sie sich einer massiven feuchten Wand gegenüber.
"Todesfluch", murmelte Lucius und ein Eingang öffnete sich. James und Sirius hängten sich so nah wie möglich an Lucius, ohne daß er sie unter ihrem Umhang bemerkte und gelangten so in den Gemeinschaftsraum der Slytherins, der das krasse Gegenteil zum Turm der Gryffindors war. Hier konnte man sich doch beim besten Willen nicht wohl fühlen! Es sah aus wie in einem Kerker.
"Ist Severus da?", fauchte Lucius einen anderen Erstklässler an, der schüchtern auf eine Treppe zeigte. "Er ist im Schlafsaal."
Lucius ging so schnell auf den Schlafsaal zu, daß James und Sirius noch mehr Abstand halten mußten, um nicht durch Lucius' wehenden Umhang enttarnt zu werden. Lucius öffnete eine schwere Eichentür und betrat den Schlafsaal. Die Tür fiel knapp hinter den beiden Eindringlingen wieder ins Schloß.
"Severus!!", brüllte er.
Severus, der an einem Tisch in einer Ecke des Schlafsaales saß, blickte auf. "Was willst du, Lucius?", antwortete er kalt. James und Sirius verkrochen sich hinter einem der Betten, so daß sie alles sehen und hören konnten, ohne zu nah an die beiden heran zu kommen.
"Stimmt es, was ich eben in der Bibliothek gehört habe? Du hast gestern mit dem Schlammblut auf dem Bahnsteig Händchen gehalten und sie umarmt?!"
Severus hörte deutlich, wie aufgeregt Lucius war. Sein Atem flog und er behielt kaum noch die Beherrschung. "Nenn sie nicht so!", knurrte Severus bedrohlich und stand auf. Er war gut einen Kopf kleiner und viel schmächtiger als sein drei Jahre älterer Freund, aber wenn es sein mußte, würde er es mit ihm aufnehmen.
"Hast du es getan?" Lucius Brustkorb hob und senkte sich immer deutlicher und sein Mundwinkel zuckte.
"Ich wüßte nicht, warum es dich etwas angehen würde, Lucius. - Ich habe wirklich keine Lust, mit dir über Lily zu reden." Er wollte sich wieder seiner Arbeit auf dem Tisch zuwenden, doch Lucius war schneller und packte Severus am Kragen seines weißen Hemdes. Der Knoten der silbergrau-grünen Krawatte um Severus' Hals löste sich ein wenig und der oberste Knopf des Hemdes sprang ab. Severus spürte, wie seine Füße sich langsam vom Boden lösten, bis er schließlich nur noch auf den Zehenspitzen stand.
"Deine Eltern", donnerte Lucius wütend, "haben mich gebeten, darauf aufzupassen, daß du hier keinen Blödsinn machst, Kleiner. Und mit dem Schlammblut einen auf verliebt zu machen, ist eine grenzenlose Dummheit!!"
"Nenn sie nicht so!!", brüllte Severus Malfoy mitten ins Gesicht.
Wütend schleuderte Lucius Severus gegen den massiven Eichenpfosten des nächstbesten Bettes. Das Holz krachte, doch es gab unter der Wucht nicht nach.
Severus gab keinen Laut von sich, aber der Aufprall auf dem Pfosten mußte sehr weh getan haben. Mühsam rappelte er sich wieder auf. "Und wenn du mich umbringst, Lucius, das ändert doch nichts daran, daß ich Lily sehr gerne habe und etwas passieren wird, wenn du sie noch einmal als Schlammblut bezeichnest."
Lucius lachte kalt. "Was willst du mir schon tun, du Wicht?"
Severus tastete in seinem Umhang nach seinem Zauberstab. "Du solltest mich nie unterschätzen, Malfoy!"
Der Ton, den Lucius von sich gab, konnte man fast schon als Kichern bezeichnen. "Jetzt hab ich wirklich Angst, Kleiner." Er kam bedrohlich nah auf Severus zu. Der schloß seine Hand fester um seinen Zauberstab, bereit, ihn auch zu benutzen.
"Ich gebe dir einen guten Rat, denn wenn deine Eltern von dir und der Kleinen erfahren, bin ich dran. Dann gehen sie zu meinen Eltern und eins sag ich dir, ich werde mir keinen Ärger mit meinem Vater einhandeln. Nicht wegen dir und schon gar nicht wegen diesem Schlammblut!"
Severus wußte in dem Moment gar nicht mehr genau, was er tat. Vollkommen automatisch zog er seinen Zauberstab und richtete ihn auf Lucius. "Crucio!!" brüllte er. Er sah den geschockten Ausdruck auf Lucius' Gesicht, der augenblicklich unter fürchterlichen Schmerzen zusammenbrach.
Severus sah ebenfalls aus, als würde er unter Schock stehen, als er vollkommen weggetreten erst auf seinen Zauberstab in seiner Hand und dann auf den sich unter Schmerzen windenden Lucius blickte.
Sirius mußte sich unter dem Umhang die Hände vor den Mund schlagen, um nicht entsetzt aufzuschreien.
Endlich ließ Severus seinen Zauberstab fallen. Langsam, wie in Zeitlupe fiel er auf den Boden und in dem Augenblick, da der Stab Severus' Hand verließ, löste sich der Fluch von Lucius, der schwer atmend auf dem Boden liegen blieb.
Immer noch wie in Trance hob Severus seinen Zauberstab auf und steckte ihn zurück in die Tasche seines Umhangs. Lucius rappelte sich auf. Er atmete immer noch sehr schwer und sah aus, als wäre er in wenigen Sekunden um Jahre gealtert. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schüttelte er den Kopf und stürmte zurück in den Gemeinschaftsraum, wo er sich sicherer fühlte. James und Sirius hefteten sich wieder an seine Fersen. Sie wollten keine Sekunde länger in der Nähe von Severus bleiben, so lange er noch so aufgebracht war.
Es dauerte noch eine Weile, bis sie unbemerkt aus dem Gemeinschaftsraum der Slytherins verschwinden konnten. Sie kehrten in die Jungentoilette zurück und packten den Umhang weg, bevor sie sich auf den Weg zu ihrem eigenen Gemeinschaftsraum machten.
"Himmel, Sirius, was war das, was er da getan hat?" James hatte einen erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht.
"Jetzt sag bloß, du kennst den Crucio-Fluch nicht?"
James schüttelte den Kopf
"Es ist ein unglaublich starker, dunkler Fluch. Die wenigsten Zauberer und Hexen beherrschen ihn wirklich, aber schon gar kein Erstklässler. Er fügt demjenigen, der ihn abbekommt höllische Schmerzen zu, bis man dem Zauberer den Zauberstab abnimmt oder er den Fluch wieder löst. Wenn Severus eben den Stab nicht fallen gelassen hätte, würde Lucius sich jetzt noch über den Boden wälzen."
James schluckte schwer. "Morgentau", sagte er matt zum Portrait der fetten Dame, das daraufhin zur Seite schwang und sie in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors ließ. Sie stiegen hindurch und wurden von Lily empfangen.
"James Potter, ich hoffe, du hast einen sehr guten Grund für das, was du gerade getan hast!"
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