Geheimnisse

 

 

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Kapitel 63: Hinhaltetaktik


Das Gefährlichste an den Halbwahrheiten ist,
daß fast immer die falsche Hälfte geglaubt wird.

Hans Krailsheimer



Moody schlief fast 9 Stunden am Stück. Ruhig und sicher unter einer Wolldecke lag er nicht weit von Severus Snape auf der Wiese. Still und leise kümmerten sich die Freunde weiter um den Verletzten. Die Suppe war mittlerweile sogar genießbar geworden und so köchelte ein kleiner Kessel im Kamin als Mad Eye wieder erwachte; es dämmerte bereits schon wieder vor dem Fenstern und in den Straßen tummelte sich der Feierabendverkehr. Immer noch leicht verschlafen richtete sich der alte Auror auf und blinzelte in den Raum. Firenze beugte sich gerade über den kleinen Kessel und Black verband mit größter Vorsicht einen Arm von Snape. Das Rascheln mußte ihn auf Mad Eye aufmerksam gemacht haben, den er sah von Snape zu Alastor.
"Guten Morgen oder soll ich sagen guten Abend?" sagte Black ruhig und zu Moodys Überraschung drehte Sirius vorsichtig den Kopf von Snape Richtung Alastor; schwarze glasige Augen starrte den Auroren an.
"Galoppierende Gorgonen, Sie sind ja wach, Mr. Snape!" sagte Moody und rappelte sich auf.
"Schon eine ganze Weile, ich habe ihm berichtet was Sie erzählt haben", sagte Black und verband weiter den Arm.
Mit seinem magischen Auge suchte Moody den ausgezehrten Körper ab. Am Abend zuvor hatte er nur oberflächlich nach Verletzungen gesucht, jetzt war er ausgeruht und konnte sich wieder besser konzentrieren. Mit einem kurzen Nicken ging der alte Auror neben Snape in die Knie und untersuchte den Kranken. Das Fieber war gesunken und nur noch die glasigen Augen und der ausgezehrte Körper erinnerten an die hohen Fieberschübe.
"Sie können einen immer wieder überraschen, Mr. Snape", grummelte Mad Eye und besah sich die gebrochenen Rippen genauer. "Wenn es Sie beruhigt, alles wächst so zusammen wie es sollte. Mal sehen vielleicht bekomme ich einen Knochenwachstumsbeschleuniger aus dem Ministerium. Jemand aus der Ersten-Hilfe-Abteilung bei den Auroren ist mir noch was schuldig."
"Sie wollen es nicht glauben oder?" fragte Snape rau, seine Stimme klang immer noch verboten schwach und brüchig.
Moody zuckte zusammen, als Snape das Wort an ihn richtete - damit hatte er nicht gerechnet. Alles an diesem Mann schien gebrochen zu sein, die Stimme, der Körper und wenn Mad Eye ganz ehrlich mit sich war, so war in den Augen kein Leben mehr. Sie waren nur schwarz und glasig, ohne richtige Seele dahinter. Oder mehr die Überreste einer Seele, die so klein waren, dass man sie kaum finden konnte.
"Nein Mr. Snape. Sie wollen es nicht glauben, es ist einfach zu unwahrscheinlich! Genau so unwahrscheinlich wie Sie Harry Potter das Leben gerettet haben", sagte Alastor vorsichtig. Er wußte nicht wie viel Black schon erzählt hatte und so beschloß er, sich lieber in dem zeitlichen Raum zu bewegen, den Snape noch wußte.
"Genau so wenig wie man glauben würde, dass es Folter in Askaban gab", grummelte Black mürrisch und erntete überraschte Blicke.
Im Hintergrund goß Firenze etwas Suppe in Schalen und reichte sie stumm aber mit einem Lächeln an die Magier weiter. Es war natürlich kein Gedanke daran zu verschwenden, dass Snape selber aß, der Magier konnte nicht einmal den Kopf bewegen geschweige denn die Kraft aufbringen, einen Teller zu halten oder einen Löffel. So war es wieder an Black, vorsichtig und Löffel für Löffel Snape zu füttern.
Nach dem Essen saßen sie eine Weile stumm im Zimmer. Sirius hatte Snape mit großer Vorsicht ein Kissen unter den Oberkörper gestopft, so dass Severus sie alle im Blickfeld hatte ohne den Kopf bewegen zu müssen.
"Sie haben mir immer noch nicht erzählt was mit Moray geschehen ist", flüsterte Snape.
Besorgt sahen sich Black und der alte Auror an, Snape war immerhin ein Opfer des verrückten Auroren gewesen, wie weit konnten sie ihm zumuten wie alles wirklich geschehen war.
Sirius entschloss sich für eine Hinhaltetaktik.
"Er ist tot, so viel ist sicher, und er wird uns hier keinen stress mehr machen!" sagte Sirius fest und sein Tonfall ließ allen klar sein, dass er nicht weiter darüber reden würde.
Snape runzelte nur die Stirn, fast sah es so aus als ob er nachhaken wollte, ließ es aber dann bleiben. Oder gab er einfach auf? Das war kein gutes Zeichen, dachte der Auror für sich, er musste mit Black reden.
Seufzend sah Moody auf seine Uhr. "Ich muss wieder los."
"So bald?" fragte der Zentaure leise.
"Ja, wenn ich bald offizielle Hilfe für euch bekommen will, muss ich das Ministerium von Moray als Verrückten überzeugen und ich muss denen irgendwie klar machen, dass Snape und Black noch auf unserer Seite stehen." Ächzend stand Moody auf und klopfte sich einige Grashalme aus den Kleidern.
"Was denken Sie, wie lange wird es dauern?" sagte Sirius vorsichtig und Alastor wusste, dass sich Black immer noch Sorgen um Snapes Gesundheitszustand machte.
"Ich wünschte ich könnte sagen wie lange es dauert", antwortete Alastor bedrückt. "Würden Sie mich kurz nach unten begleiten, Mr. Black?"
Sirius nickte und folgte dem alten Auroren.

***



Sirius hatte den Du-kommst-jetzt-lieber-ohne-zu-fragen-mit-Ton in Moodys Stimme gehört. Er hatte sie zu oft gehört, wenn man ihn in Askaban von einer Zelle in die nächste gestoßen hatte. Keine Fragen und einfach mitkommen. Innerlich zuckte Sirius zusammen. Aber Mad Eye wußte nichts von diesen Erlebnissen. Als beide unten standen in der Eingangshalle und Mad Eye seinen langen Reisemantel anzog, fragte Sirius was los sei.
"Das Ministerium blockiert alles im Falle Moray und wenn ich sage alles, dann meine ich es so!" grummelte der alte Auror und Sirius klappte die Kinnlade runter. Dass es so Ernst war hatte er einfach nicht glauben können. Klar Mad Eye hatte oben im Zimmer gesagt, dass im Ministerium keiner die Geschichte glaubte, aber dass es so ernst war.
"Ein verrückter Auror passt nicht in ihre momentane Politik. Zuerst diese massive magische Störung im ganzen Land, dann der Fall des Dunklen Lords und zu guter Letzt ein verrückter Auror. Das überfordert das Ministerium im Moment", sagte Mody weiter.
"Aber ich brauche Hilfe! Snape geht es zwar im Moment besser, aber es ist nur eine Frage der Zeit bis er wieder einen Rückschlag erleidet. Ganz zu schweigen davon wenn er erfährt was wirklich passiert ist!" sagte Sirius mit gepresster Stimme.
Ergeben hob Mad Eye die Hände. "Ich weiß, ich weiß! Aber so sieht es aus im Moment! Ich kann nur versuchen, Medizin aus dem Ministerium zu schmuggeln. Wie gesagt einige schulden mir noch etwas."
Frustriert fuhr sich Sirius durch die Haare. Das waren massive Probleme.
Tröstend klopfte der alte Auror Black auf die Schulter. "Es tut mir Leid Junge."
Sirius seufzte tief. "Ich werde mein Bestes versuchen."
Ein Lächeln zuckte über das zerstörte Gesicht von Alastor und er raunte: "Ich weiß, dass Sie es schaffen."
Dann war der alte Mann durch die Tür verschwunden und Sirius stand allein in der großen Eingangshalle. Die Straßenlaternen gingen an und warfen ein gespenstisches Licht durch die Fenster.

***



Erawin und Isa warteten im Haus von Moray auf ihren Kollegen. Beide wirkten nun nicht mehr so erschöpft und heillos überarbeitet, sondern kämpferisch und auch ein bisschen neugierig.
"Ich sagte doch, ein paar Stunden Schlaf und etwas Entspannung und schon geht es uns allen besser", strahlte Erawin und klatschte fröhlich in die Hände.
Isa sah ihn nur bitterböse an und Moody zuckte mit den Schultern.
"Na komm mit du Energiebündel, holen wir unsere Akten und gehen ins Ministerium", sagte Isa und etwas wie Ironie schwang in ihrer Stimme mit.
Moody gähnte noch einmal herzhaft und Erawin begann damit die Kerker zu entsiegeln. Was genau er dabei tat wußte Alastor nicht und wenn er ehrlich zu sich war, wollte er es gar nicht wissen. Es dauerte Minuten bis die unterirdischen Gewölbekammern wieder sicher zugänglich waren. Als sie die Treppe nach unten gingen starrte Erawin auf ein Stück Mauer, über das blaue Schriftzeichen liefen. Die Schrift strahlte und es sah fast so aus als ob sie mit Neonlicht in die Mauer geritzt worden war. Schnell und leuchtend huschten sie über die Mauer und warfen ein gespenstisches Licht auf Erawins Gesicht.
"Was ist?" frage Alastor neugierig.
"Wie erwartet, man hat versucht hier reinzukommen, ich lasse mir gerade den Bericht geben", lächelte Erawin und tippte ein Schriftzeichen an. "Hm, die haben einige Fluchbrecher geholt, aber so weit wie ich wollte sich keiner vorwagen."
Einige Zeichen vergrößerten sich nun und blieben stehen, Alastor konnte keines von ihnen erkennen oder gar irgendeiner Sprache zuordnen und das wollte etwas heißen. Denn auch Auroren lernten eine Menge Schriften kennen.
"Also war das Ministerium hier", sagte Moody und sah sich um.
Es waren keine Spuren zu erkennen, aber auch das Ministerium hatte Profis im Verwischen der Spuren. Das bestätigte Alastor in seiner Annahme, dass das Ministerium diese Geschichte rund um Moray am liebsten unter den Teppich kehren würde. Es würde ein harter Kampf werden im Hauptquartier in London, wenn diese schon versuchten Spuren zu verwischen.
Ein weiterer Schlenkerer mit dem Zauberstab von Erawin und die Zeichen waren verschwunden. Die Mauer sah nun wieder kahl und glatt aus wie zuvor. Keine Einkerbungen, nichts war zu erkennen. Erawin richtete sich auf und wirkte sehr zufrieden mit sich und sah dann zu Moody.
"Du bist halt doch der beste darin", meinte Alastor mit einem Lächeln.
"Ich geh einfach nur weiter als andere", antwortete Erawin mit einem Schulterzucken.
Isa kam bereits mit einer Kiste nach oben und schüttelt den Kopf. "Männer lassen immer die Frauen die Arbeit machen. Typisch!"
Mit Schwung drückte sie Alastor eine Kiste in die Hände, so dass dieser mit einem Ächzen leicht in die Knie ging.
"Na na Alastor, werden wir etwa alt?" spöttelte Isa mit einem Augenzwinkern.
"Ja stell dir vor, ich werde alt und habe nur ein Bein", grummelte Alastor gespielt und trug die Kiste in die Eingangshalle.

***



Im Ministerium herrschte mittlerweile nicht mehr so große Hektik, man wurde nicht mehr an jeder Ecke und jedem Apparationspunkt umgerannt, sondern nur an jeder bzw. jedem dritten. Die drei alten Auroren schlängelten sich mit ihren Kisten durch die Menge an Zauberern. Sie hatten einen Termin beim Zaubergamot, dem höchsten Gericht der magischen Welt. Dabei ging es ihnen nur um eine Anhörung, um einen Versuch, ihre Arbeitsergebnisse wenigstens bestätigen zu lassen. Der Gerichtsraum war im Erdgeschoss und es hatte sich schon eine beachtliche Schlange davor gebildet. Lauter unangemeldete Fälle, die hofften schnell einen Zwischentermin zu erhaschen. Moody sah Familien von Todessern, die man möglicherweise enteignet hatte oder einfach nur die Herausgabe der Leichen ihrer Verwanden erstreiten wollten, um ihnen eine anständige Beerdigung zu ermöglichen. Aber auch einfache Zauberfamilien, die ihre eigenen Probleme hatten, hofften um Schlichtung und um einen richterlichen Spruch. Seit Voldemorts Fall war wohl vieles liegen geblieben.
"Zum Glück haben wir einen Termin", flüsterte Isa als sie, die Kisten an sich gepresst, sich an den Wartenden vorbeiquetschte.
Viele sahen sie bitterböse an, hier und da konnte Alastor sogar Missachtung und Hass in ihren Stimmen hören.
"Was wollen die hier?"
"Ist das Ministerium nun auf die Arbeit von alten Auroren angewiesen?"
"Warum dürfen die vor? Typisch Ministerium, bevorzug ihre eigenen Leute."
Und so ging es den ganzen Weg an der Schlange vorbei. Alastor versuchte zu lächeln und die geflüsterten Worte zu überhören.
Endlich wurde ihr Fall aufgerufen und sie gingen in den Gerichtsraum.
Es war ein großer Raum, der normalerweise mit einer Reihe von Zuschauerbänken bestückt war. Doch diese waren fein säuberlich an einer Wand gestapelt worden, nur der Richter- und der Beratertisch waren übrig. Die Oberste Richterin sah sie streng an, ein einzelnes Licht erhellte sie und ihren Arbeitsbereich. Im Hintergrund saßen die Geschworenen, im diffusen Licht, das hinter der Richterin herrschte. Die einzige zweite helle Lichtquelle beschien einen Tisch in gebührendem Abstand vor dem Richtertisch. Es war ein helles, ja fast grelles Licht, und es war sehr unangenehm.
"Machen Sie es schnell Mr. Moody, Mr. Poll und Mrs. Jewl", winkte die Richterin rasch und schlug schon die nächste Akte von ihrem Aktenberg auf.

"Nun Hohes Gericht, es geht um den Fall Moray. Wir haben den dringenden Verdacht, ja sogar die Beweise, dass Mr. Moray im Laufe seiner Laufbahn hier im Ministerium mehrere Todesser verschleppt und zu Tode gefoltert hat", begann Moody schnell und ohne große Einleitung, während Isa und Erawin die Kisten auf dem Tisch abluden.
Jetzt stoppte er, erwartete ein entrüstetes Murmeln oder ein paar empörte Aufschreie. Doch es geschah etwas was ihm überhaupt nicht gefiel. Es herrschte brütendes Schweigen und nur das Rascheln der Blätter der Akten der Richterin war zu hören.
Zögernd sprang Isa ein: "Wir beantragen offizielle Sichtung und Beurteilung der von uns ausgewerteten Spuren durch das Gericht und eine daraus folgende öffentliche Erklärung des Ministeriums."
Die Stille lastete weiter bleiern im Raum.
Die Richterin sah nun auf und bevor sie etwas sagte ahnte Moody, dass es ihnen nicht gefallen würde.
"Ich lehne den Antrag ab. Im Moment haben wir besseres zu tun. Dringendere Fälle warten auf uns, als das wir uns mit dieser Banalität befassen sollten", sagte sie kalt.
"Aber es geht dabei um Folter und es gibt vielleicht noch Überlebende! Ganz zu schweigen von den Opfern! Was ist mit ihren Familien?!" rief Isa entrüstet.
Die Richterin warf der Aurorin vernichtende Blicke zu: "Ich sehe keine Veranlassung ihrem Antrag stattzugeben. Wenn ich um eine Belehrung bitte so teile ich es Ihnen mit. Nächster!"
Beamte kamen und schoben die drei Auroren samt ihren Kisten aus den Raum.
Verwirrt und zornig sahen sie sich vor dem Gerichtsaal an. Isa sah aus als ob sie gleich vor Zorn platzen würde und Erawin schnaufte schwer. Bevor Isa explodierte, schüttelte Moody warnend den Kopf. "Nicht hier. Kommt."

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