Kapitel 48: Tagwache
Den Schlaf nennt man auch den kleinen Bruder des Todes.
Herkunft unbekannt
Sirius war frustriert. Jetzt hatten sie schon drei Anwesen, zwei Höhlen und sogar den Keller eines verlassenen Bahnwärterhäuschens durchsucht. NICHTS! Und zu allem Überfluss schien die Sonne schon hell und strahlend über ihnen. Seinen Augen tat das grelle Licht weh. Sie hatten aber auch absolut keinen Hinweis auf Snape. Keinen Hinweis auf Todesser. Dafür bemerkten sie um so mehr die Aktivitäten von Auroren. Beinahe wären sie bei einem alten Anwesen in deren Hände gefallen. Einige Wortfetzen der Auroren waren in Sirius' Versteck geweht worden, die Todesser, die hier in der Umgebung gewohnt hatten, waren entweder alle tot oder waren gefangenen genommen worden. So stellten sich ihnen noch mehr Fragen.
Wohin hatte Voldemort ihn also bringen lassen? Oder war er doch im Anwesen gestorben und Gryffindor hatte es nur nicht gesehen? Überhaupt war Sirius sehr verärgert, dass er einfach so, ohne sich selbst zu überzeugen, aus dem Hauptquartier von Voldemort verschwunden war.
Das Einhorn war ihm ein treues Reittier geworden und jedes Mal wenn er hätte schreien können vor Enttäuschung, verflog sein Zorn auf dem Rücken des Tieres. Das Einhorn stieg gerade eine leichte Anhöhe an, als Sirius das Pergament weiter betrachtete. Sie waren weit entfernt von den Auroren und hatten durch deren zutun einige Orte aus ihrer Liste streichen können.
"Die nächsten Orte liegen aber in oder sehr in der Nähe von Städten. Ein paar sogar in London. Die Todesser-Häuser können wir vergessen. Das schränkt unsere Liste ein." Sirius ließ das Pergament sinken. "Aber LONDON! Bei Merlin, wir brauchen Tage nach London!"
"Apparieren?" frage Firenze.
Doch Sirius schüttelte energisch den Kopf. "Nein nein, zu gefährlich. Die haben meine Signatur, die haben sie in Askaban genommen. Wenn ich appariere können die in kurzer Zeit herausfinden wo ich bin. Schlechte Idee."
Firenze nickte nachdenklich und kletterte weiter die Anhöhe hoch. Auf dem Bergrücken angekommen sahen sie auf eine Stadt die in der Sonne funkelte und strahlte. Sie wirkte so voll Leben und so friedlich.
Und irgendwie auch voll Muggel.
Sirius seufzte schwer und sah sich die Stadt an.
"Das wird hart werden, es werden noch mögliche Orte hier genannt und die liegen in der Stadt", meinte er niedergeschlagen, er war so müde.
Firenze sah ruhig in die Stadt und sagte dann: "Kommen Sie, ruhen Sie sich aus. So können wir nicht weiter suchen, wenn Sie vor Müdigkeit vom Einhorn fallen."
Black seufzte tief, es machte Sinn was Firenze sagte, in dem Zustand war er für seine Begleiter eine Zumutung. Langsam ließ er sich vorsichtig vom Einhorn gleiten. Mit einen leisen Knacken streckte und reckte er sich.
Firenze suchte einen geschützten Ort nahe eines Baumes. "Kommen Sie Black und wenn Sie wollen, verwandeln Sie sich doch in den Hund. Dann wird Ihnen nicht so kalt wie das letzte Mal. Die Sonne scheint noch bei weiten nicht so stark wie im Sommer."
"Gute Idee, dass ich nicht früher darauf gekommen bin." Black schüttelte den Kopf.
"Nun, wir alle waren zu müde um genauer nachzudenken, und wer weiß? Manchmal gibt es auch Situationen wo es besser ist als Mensch aufzuwachen", lachte Firenze.
Sirius ließ die Arme locker baumeln und konzentrierte sich. Dann, als sein Geist fast leer war von allen Gedanken und Sorgen, ließ er sich in die andere Form fallen. Seine Kleidung, die er nahe am Körper trug, verwandelte sich mit und so fiel nur sein langer Mantel nutzlos ins Gras. Die Mullbinden um seine Handgelenke verwandelten sich mit und so war er ein großer schwarzer Hund mit weißen Pfoten. Das Einhorn beobachtete interessiert die Verwandlung und schnupperte sogar an dem Hund. Dieser wedelte begeistert mit der Rute und leckte dem magischen Wesen über die Schnauze, was dem Einhorn ein freundschaftliches Schnauben entlockte.
"Bringen Sie Ihren Mantel, Black, so müssen Sie nicht auf der Erde schlafen", forderte der schon liegende Zentaur den Hund auf.
Begeisternd und schwanzwedelnd brachte der schwarze Hund den Mantel zum Zentauren. Dieser breitete gewissenhaft das Kleidungsstück auf dem Boden aus, ganz dicht an seinen warmen Pferdekörper. In Hundemanier drehte sich Sirius einmal um sich selber bevor er zusammenrollte, und eng an den Pferdeleib geschmiegt einschlief.
Das Einhorn graste zufrieden die Blumen ab.
Das Brummen und Summen der nahen Stadt kümmerte alle wenig.
***
Moray verließ den Kerker und mit einem unterdrückten Schrei der Frustration und Enttäuschung ließ er den Geheimgang hinter sich schließen. Es hatte all seine Konzentration und Selbstbeherrschung gekostet, die Grenze nicht zu überschreiten. Das war der Nachteil wenn man mit Personen arbeitete, die selber etwas von Folter verstanden. Er stieß kräftig die großen Flügel zum Esszimmer auf.
Hell!
Es war taghell!
Bei Merlin, er war so lange in seinen Kerkern gewesen?
Ein goldener Brief lag einsam auf dem großen wuchtigen Esstisch. Mit einem Stirnrunzeln öffnete Moray den Umschlag. Das Siegel war vom Ministerium. Seit wann schickte man ihm Post nach?
Während seine Augen über die Zeilen huschten, begannen seine Hände zu zittern.
Nein! NEIN! Das konnte nicht sein!
DAS KONNTE NICHT WAHR SEIN!
Der Schrei, der sich in seiner Kehle schon in den Kerkern gebildet hatte, kämpfte sich endgültig hervor und er zerknüllte das Papier in seinen Händen. Alles umsonst!
Wie konnte ihm das Schicksal nur seinen so grausamen Streich spielen?!
Er warf den Brief in das Kaminfeuer und schnappte sich seinen Umhang. Ohne Umschweife verließ er sein Haus, um seinen Apparierplatz aufzusuchen. Moray mußte es mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören. Er konnte es einfach nicht glauben.
***
Die Kinder waren beruhigt worden und Albus Dumbledore in der Großen Halle aufgebahrt. Pomfrey hatte auf den üblichen einfach offengelassenen Sarg verzichtet und stattdessen den alten Mann auf einem Meer an Schneeglöckchen, Narzissen und anderen wohlriechenden Blumen gebettet. Es sah fast so aus als ob sich der ehemalige Direktor der Schule auf einem Blumenfeld ausgestreckt hätte, um nur etwas zu ruhen. So bot er den Schülern, die nun nach und nach kamen um von ihm Abschied zu nehmen, ein ruhiges und friedliches Bild.
Die Heilerin wich nicht von seiner Seite, wie eine Totenwache saß sie im Hintergrund. Selbst die anwesenden Auroren bezeugten ihre Trauer und ihren Respekt dem Toten gegenüber. Die Zurückgekehrten erzählten jedoch wenig, einzig allein dass Harry Potter den Dunklen Lord bezwungen hatte, das wurde bekannt. Doch nicht nur Hogwarts hatte einen Verlust zu betrauern. Draco Malfoy, der arrogante Slytherin, hatte seinen Vater in der Schlacht verloren. Welcher der Todesser es gewesen war konnten selbst die Überlebenden nicht genau sagen. Er mußte in der Halle gewesen oder kurz danach hinzugekommen sein. Der Junge hatte jedenfalls nicht das Glück seinen Vater so betrauern zu können, wie die Schule ihren Direktor. Verräter begrub man nie in Ehren, man verbrannte sie und streute ihre Asche in alle Himmelsrichtungen. Den Hinterbliebenen ließ man selten ein Grab, es sei denn, man hatte viel Einfluß und Dracos Mutter war in St. Mungos eingeliefert worden. Sie hatte den Einfluß ihres Mannes nicht mehr geltend machen können.
Der sonst so herrische und stolze junge Mann war ein Schatten seiner Selbst geworden. Noch blasser als sonst und sehr zurückgezogen. Pomfrey beobachtete es mit Sorge, wie auch McGonagall, doch die Umstände ließen es nicht zu sich um Einzelschicksale zu kümmern. Harry war auch ein Schicksal, der alte Geist Gryffindors hatte ihn verlassen und einen völlig anderen Menschen zurück gelassen. Selbst den Mitschülern von Harry Potter fiel die Veränderung auf. Sie hatten nun Angst vor ihm, wie sie ihn für seine Tat gleichzeitig bewunderten. Eine seltsame Mischung, aber sie war vorhanden. Nur seine Freunde Ron, Hermine, Ginny und Neville hielten uneingeschränkt zu ihm.
Die Auroren wichen dem wissenden und klugen Blick des Jungen aus. Sie wagten es nicht ihm in die Augen zu blicken. Ein Umstand, der Potter von weiteren peinlichen Fragen befreite. Nicht so die anderen der Gruppe. Ihre Beschreibungen waren jedoch lückenhaft und warfen mehr Fragen auf als gelöst wurden. So erinnerte sich seltsamerweise niemand der Gruppe wie genau er in das Schloß gekommen war. Dumbledore hatte etwas gemacht, aber ob er auch an den neuen Schutzzaubern beteiligt war? Allgemeines Schulternzucken, möglich war alles. Er war immerhin der größte Zauberer seiner Zeit! Das ganze hatte nur einen Haken: Dumbledore war tot und so war die einzige Person, die - in den Augen der Auroren - die Antwort wusste, sehr schweigsam. So würde es Geheimnisse geben, die niemand je lösen würde.
Die Geister sangen ihre schaurigen Klagelieder in den Gängen und halfen so nicht gerade den Auroren, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
***
Firenze wachte auf, die Sonne hatte ihren Zenit schon lange überschritten und war gerade dabei, in eine wunderbare Abenddämmerung überzugehen. Was hatte den Zentauren geweckt? Der Hund an seiner Flanke zuckte im Schlaf und schnaufte schwer. Sirius schlief schlecht, das zweite Mal, und Firenze war besorgt. Wenn der Magier nicht bald wenigstens etwas zur Ruhe kam würde er zusammen brechen, bevor sie Snape finden würden. Sachte streichelte er über das Fell des Hundes und murmelte beruhigende Worte. Der Atem wurde tiefer und unbewußt drückte sich der Animagus gegen die streichelnde Hand. Firenze lächelte und strich weiter über das struppige Fell von Sirius Black. Zentauren brauchten nie viel Schlaf.
Das Einhorn sah auf und beobachtete stumm den Zentauren und den Hund. Ein friedliches Bild mußten sie bieten, dachte Firenze. Besorgt warf das magische Wesen einen Blick auf die Stadt, wie ruhig würde das Bild in dieser Stadt sein? War es überhaupt möglich einen Menschen zu finden, der so vom Erdboden verschluckt worden war? Firenze war nicht dumm, er hatte den Frust von Black gesehen und gespürt, wie das Einhorn. Nur hatten Einhörner eine seltsame Gabe sie konnten jemandem Ruhe schenken und wieder Hoffnung. Jedoch half dies meist nur bei Magiern und Muggeln, seltenst bei Zentauren. Die unglaublich blauen Augen sahen weit in die Ferne. 'Wir kommen Severus Snape, wir kommen. Halte durch. Wir kommen!'
***
Snape war nur noch ein Schatten seiner Selbst. Zitternd lag er auf dem kalten, überaus sauberen Boden des Kerkers. Sein umnebelter Geist suchte nach Gründen noch weiter durchzuhalten. Doch er fand keine. Sein Kristall hatte jetzt zu viele Risse, zu viele Sprünge, einzelne Scherben lagen in seinem Geist umher, wie lieblos fallen gelassene Kristalle. Kristalle, die keiner mehr benötigte, dabei doch so sehr ein Teil seiner Selbst waren. Die Dunkelheit umfing ihn gnädig und bescherte ihm endlich die ersehnten Stunden Ruhe und Schlaf.
So schlief auch er, ein Schatten, zerschlagen und kurz davor endgültig zertrümmert zu werden. Seine innere Uhr wartete nur noch darauf ticken zu dürfen, viel fehlte nicht mehr um diesen Mechanismus anzuschalten. Nicht mehr viel.
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