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Kapitel 3: Trauer
Nicht gut ist es für die Menschen, wenn sie vom Tode ferngehalten.
Pyramidentext, Spruch 569
Severus Snape saß in seinem Sessel vor dem offenen Kamin in dem kein Feuer brannte, ein Glas Wein stand unangetastet auf dem kleinen Beistelltisch. Starr sah er in den leeren Kamin, seine Gedanken kreisten in seinem Kopf umher. Immer wieder stellte er sich die gleiche Frage: Warum Hagrid? Wie war es gekommen, dass der Wildhüter in das Schußfeld von Voldemort geraten war, oder war es überhaupt Voldemort gewesen? Was brachte jemanden dazu den Halbriesen einfach so zu ermorden? Auf den Versammlungen hatte Voldemort nie ein Wort über den Halbriesen verloren, auch hatte er ihn nicht einmal ansatzweise genannt! Oder hatte er, Severus, etwas übersehen? Überhört? Geistesabwesend griff er nach dem Glas und drehte es in seinen Händen. Nein, er hatte nichts überhört. Gar nichts! Er war dank seiner Künste bei fast jedem Treffen in den letzten 3 Jahren dabei gewesen. Seine Gifte waren begehrt, bei den Todessern und auch bei seinem alten Meister Lord Voldemort. Er hatte es geschafft in die Reihen der Todesser zurück zu kehren und dank Hagrid und Dumbledore hatte er bei seiner Rückkehr sogar sein neu erworbenes Selbstbewusstsein bewahren können. Er unterwarf sich zwar äußerlich den alten Spielregeln Voldemorts, aber nur äußerlich! Innerlich war er stark geblieben. Er hob das Glas an und trank einen Schluck Rotwein. Es war ein guter Jahrgang und wenn er dem Wein etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, so hätte er das gute Aroma geschmeckt. Doch so war es nur etwas Flüssigkeit, die seine Kehle herunter rann. Tot, leblos, wie Hagrid.
Snape war einer der ersten nach der Schülerin am Unglücksort gewesen. Er hatte das Kreischen gehört und als Todesser kannte sehr wohl den Unterschied zwischen einem überraschten Ausruf und dem Kreischen von jemandem, der sich so eben zu Tode geängstigt hatte. Von den vielen feinen Abstufungen dazwischen ganz zu schweigen. Aber was das Mädchen von sich gegeben hatte, ließ ihn die Nackenhaare aufstehen und er war losgerannt. Hatte den Berg an Mensch im Gras liegen sehen, ganz ruhig, als ob Hagrid ein Mittagsschläfchen am frühen Vormittag machen wollte. Nur am Rande bemerkte er Dumbledore, Sprout die aus ihrem Gewächshaus gerannt war, und Madame Pomfrey. Der Wildhüter sah leicht überrascht aus, aber auch irgendwie friedlich. Sein unerbittliches Todessergedächtnis hatte ihm schnell sagen können, dass dieser hier tot war, doch der Freund von Hagrid hoffte das Unmögliche. Pomfrey hatte nur mit dem Kopf geschüttelt und für ihn war eine Welt zusammen gebrochen.
Jetzt saß er hier, allein, mitten in der Nacht vor einem leeren Kamin, und mit einem Glas Wein in der Hand. Er wollte trauern, wie es ihm Dumbledore und Pomfrey geraten hatten. Er wollte Tränen für seinen Freund vergießen, um auch zeigen zu können, dass ihm der Wildhüter etwas bedeutet hatte, doch es ging nicht. Immer wenn er getrauert oder geweint hatte war da Hagrid gewesen. Ohne Hagrid schien das Trauern irgendwie unmöglich zu sein. Der Lehrer in ihm mahnte er sollte bald ins Bett gehen, aber Severus hörte nicht auf diese Innere Stimme. Er starrte weiter ins Feuer, ließ das Mondlicht unbeachtet im Zimmer umherwandern. Bis ihm schließlich die Augen zufielen und das Glas seinen Händen entkam. Mit einem leisen Plink, zersprang es auf dem Boden, und der Rotwein sammelte sich wie verdünntes Blut in den Ritzen des Bodens.
Als die Schüler am nächsten Tag die Kerker betraten spürten sie sofort, dass heute ein schlechter Tag werden würde. Severus Snape hatte sich drohend vor der Klasse aufgebaut und als er den Mund öffnete um den neuen Trank zu erklären, zuckten einige Schüler zusammen. Fast so als erwarteten sie, dass der Meister der Zaubertränke sie alle zusammenschrie. Doch nein, seine Stimme war sehr leise, kaum ein Flüstern, und unter Kontrolle. Die Schüler hielten dennoch die Köpfe gesenkt oder hatten ihre Schultern hochgezogen, als ob gleich ein Donnerwetter über sie hereinbrach. Stille bedeutete bei diesem Mann oft mehr als es den Anschein hatte. Es war eine Gruppe von Erstklässlern, Hufflepuff und Ravenclaw. Er sagte nur kurz um welchen Trank es ging, zauberte das Rezept an die Tafel und setzte sich an sein Pult. Die Schüler sprachen kein Wort, wagten kaum aufzusehen und machten sich an die Arbeit. Severus Snape war in brütendes Schweigen verfallen und starrte finster in die Klasse. In den Kesseln brodelte es leise und hier und da hörte man ein leises Plink, wenn ein Rührlöffel an die Wand des Kessels schlug. Dann, so als ob alle darauf gewartet hätten, gab es ein tiefes BLUBB und aus dem Kessel eines Hufflepuff Mädchens löste sich eine große blaue Blase. Snape sah ruckartig zu dem Kessel und dann sah er das Mädchen an. Die kleine Schülerin duckte sich unter dem strafenden Blick des Lehrers und schluckte schwer. Geschmeidig wie eine Raubkatze auf der Jagd stand Snape auf und ging auf die Schülerin zu. Diese begann am ganzen Körper zu zittern und sah flehend zu ihrem Nachbarn. Snape sah kühl auf sie herab und blickte dann in den Kessel.
"Blau", sagte er mit einer Stimme, die alle erzittern ließ. "Der Trank sollte aber grün sein. Wie können Sie sich das erklären, Miss Brown?"
Die Hufflepuff öffnete den Mund, brachte aber kein Ton heraus, sie sah wie ein Fisch auf dem Trockenen aus, der verzweifelt nach Luft schnappte.
"Ich höre?" fragte Snape unerbittlich.
Kein Ton nur ein überraschtes Keuchen.
"Ich nehme an, Sie haben die Löwenzahnwurzeln vergessen?" Jetzt beugte er sich gefährlich zu ihr herunter. "Wie wollen Sie diese Klasse überstehen, wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind diesen einfachen Trank zu brauen? Geschweige denn einen Abschluß bekommen?"
Nun begannen Tränen über das Gesicht von Amelia Brown zu laufen. Sie hatte aufgehört wie ein Fisch zu schnappen.
"So weit ich gehört habe, sind Sie auch in den anderen Fächern nicht gerade... sagen wir erfolgreich", flüsterte er auf sie herab.
Ein leises Schluchzen mischte sich nun dazu und die Tränen wollten nicht versiegen. Snape holte seinen Zauberstab heraus, schwenkte ihn über dem Kessel und der Trank verschwand.
"Zehn Punkte von Hufflepuff und ich erwarte das nächste Mal wenigstens ein halbwegs annehmbares Ergebnis und nicht diese Giftbrühe!" Langsam richtete er sich wieder auf.
Amelia schluchzte nur leise weiter. Snape sah noch mal kurz auf sie herab, und dann war es ihm als ob sich sein Blickfeld verschob, der Kerker verschwand und er glaubte in einem Zimmer zu stehen. Einem Kinderzimmer mit einer Wolkentapete, vor sich kauerte ein kleines Mädchen mit langen blonden Haaren und weinte herzzerreisend. Hinter der Tür hörte er Schreie und Gelächter. Verwirrt schloß er die Augen und dachte: Nur Einbildung.
Als er die Augen wieder öffnete war der Kerker zurück gekehrt und immer noch klangen die leisen Schluchzer von Amelia Brown in den hohen Gewölben wieder. Die Schulglocke erlöste sie beide aus ihrem eigenen privaten Alptraum.
Sirius wanderte durch die Gänge, die zu den Kerkern führten, er wollte er ganz heimlich nach Severus sehen, einfach so vorbeischlendern, als die Schulglocke erklang und sich die Tür zum Kerker öffnete, in dem Severus Snape unterrichtete. Für Sirius war es schleierhaft wie jemand in diesem Loch unterrichten konnte, geschweige denn Schüler hier gute Noten schreiben konnten. Sofort erkannte er eine Gruppe von Erstklässlern und die gelb-schwarzen und blau-schwarzen Symbole auf ihren Roben zeichneten sie als Hufflepuff- und Ravenclaw-Schüler aus. Zwei Schüler stützten eine dritte Schülerin und flüsterten beruhigend auf sie ein. Sirius huschte in eine Nische, gerade die Jüngeren reagierten noch mit Schrecken auf ihn.
"Er hat es bestimmt nicht so gemeint Amelia", sagte ein Junge an der Seite der weinenden Schülerin.
"Aber.. Aber... er hat recht, ich bin schlecht. Überall bin.. bin ich schlecht ... und ich habe so viel Angst!" stotterte sie.
Der kleinen Gruppe folgte ein vierter Hufflepuff, der zwei Schultaschen hinter ihnen her trug. Sirius runzelte die Stirn, war Snape ausfallend geworden? Noch nie hatte er gehört, dass jemand weinend aus seinem Unterricht ging, manchmal geschockt, verängstigt und die Häuser um einige Punkte ärmer, aber noch nie hat jemand geweint! Vorsichtig streckte Black den Hals und sah der Gruppe hinterher. War das ein guter Zeitpunkt bei Snape vorbei zu sehen.
Nein kein guter Zeitpunkt, sagte sein Überlebensinstinkt und er wartete bis die letzten Schüler im Treppenhaus verschwunden waren. Leise schob er sich aus der Nische und schlich auf die Treppe zu. Es war totenstill im Gang und die Tür zum Kerker war immer noch hoffen. Die Jahre der Flucht machten sich nun bezahlt und Sirius konnte sich lautlos auf die Treppe zu bewegen. Als er am Ansatz ankam erklang ein leiser Seufzer aus dem Kerker und er erstarrte. Hatte er richtig gehört? Black machte kehrt und schlich auf die Kerkertür zu, vorsichtig sah er in den Unterrichtsraum. Da saß Snape an seinem Pult und hatte die Augen geschlossen. Alles an ihm sah erschöpft und müde aus, selbst die schwarze Robe, die ihn sonst immer wie eine zu groß geratene bösartige Feldermaus aussehen ließ, hing ihm lasch um die Schultern. Sirius Black zog sich zurück. Vielleicht hatte ja Hagrid recht, nichts ist so wie es scheint. Schon hörte er wieder Gelächter und Gespräche von Schülern, die in ihre Zaubertrankstunde gingen. Der ehemalige Gefangene von Askaban zog sich in die entgegengesetzte Richtung zurück und nahm einen Schleichweg ins Erdgeschoß.
Die kommende Klasse hatte keinen blassen Schimmer in was für einer großartigen Laune ihr Zaubertranklehrer war. An diesem Tag verloren Hufflepuff, Ravenclaw und Gryffindor je 20 Punkte in Zaubertränke, und Slytherin bekam keinen einzigen Pluspunkt.