Kapitel 10: Räumung
Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist nun mal unsere.
Jean Paul Sartre
Snape glaubte am Montag Morgen seinen Augen nicht zu trauen, als er den Tagespropheten aufschlug. Im Anzeigenteil stand klein aber gut zu lesen folgender Text.
Hogwarts Schule für Zauberei und Hexerei sucht:
Wildhüter, für die Pflege des Waldes und deren Bewohner.
Voraussetzungen:
Die Liebe zur Natur und ihren Bewohnern. Gute Kenntnisse über phantastische Tierwesen und grundliegende Kenntnisse der Forstwirtschaft.
Ihre Eulen bitte an den Direktor Albus Dumbledore adressieren.
Snape mußte den Text zweimal lesen, es war als ob Hagrid ein zweites Mal gestorben war. Diese schlichte einfache Anzeige machte den Tod so endgültig. Vorsichtig warf er einen Blick auf die anderen Lehrer am Tisch. Diese schienen sich ganz normal zu unterhalten und ihr Frühstück zu genießen. Severus vergrub sich wieder hinter der Zeitung und tat so als ob er las. Stattdessen dachte er nach. Natürlich, Hogwarts konnte nicht ewig ohne Wildhüter bleiben. Die Ländereien waren einfach zu groß und zu dicht mit verschiedenen phantastischen Tierwesen bewohnt! Es kam oft zu Unfällen und die Tiere brauchten eine Anlaufstelle mit ihren Verletzungen und Problemen.
Sachte legte er die Zeitung ab und goß sich noch mal einen starken Kaffee ein. Wer würde den Job bekommen, und meldeten sich überhaupt einige auf die Anzeige? Es war keine sonderlich gut bezahlte Arbeit und außerdem müßte derjenige in Hagrids Hütte wohnen! Es wäre dem neuen Wildhüter gegenüber nicht gerecht, inmitten von Hagrids Sachen wohnen zu müssen. Schon der neue Lehrer für Pflege Magischer Geschöpfte hatte es schwer. Wie würde es dann erst dem neuen Wildhüter ergehen?
Dumbledore betrat die Große Halle und ging direkt auf Snape zu. Unwillkürlich senkte Snape den Blick.
"Guten Morgen Professor Snape!" erklang die freundliche Stimme des Direktors über ihm.
"Guten Morgen!" murmelte Snape.
"Ich räume heute Hagrids Hütte aus und vielleicht befinden sich noch einige Tinkturen darunter, die älteren Datums sind. Ich wäre sehr dankbar wenn Sie diese fachgerecht entsorgen könnten." Dumbledore sprach zum Glück etwas leiser, so dass nicht jeder in der Halle dieses Gespräch mitbekam.
"Natürlich Direktor." Snape nickte.
"Gut, ich glaube nach der dritten Stunde haben Sie Zeit? Können Sie da kommen?" frage Albus nach.
Wiederum nickte Snape, es würde der letzte Abschied von Hagrid sein.
***
Sirius schulterte den Bogen und ging auf Hagrids Hütte zu. Heute würde seine erste Stunde bei Firenze sein. Er war neugierig, bis jetzt hatte er noch nie Muggel- oder Zentaurenwaffen benutzt, sein Zauberstab war seine einzige Waffe gewesen, und sein Verstand. Selbst Askaban hatte diese teilweise kühle Logik aus seinem Kopf nicht brennen können. Überrascht blieb er auf halbem Weg stehen. Die Tür zur Hütte war weit offen und einige Säcke und anderes Gerümpel stapelten sich vor dem Wildhüterhaus. Mit gerunzelter Stirn ging er darauf zu. Plötzlich stob eine große Staubwolke aus dem Eingang und jemand hustete. Wer war da am Werke?
Da streckte eine Gestalt den Kopf ins Freie. Sie trug ein Halstuch vor den Mund als Staubschutz und in den langen silbergrauen Haaren hatten sich Spinnenweben und getrocknete Blätter verfangen.
"Direktor?" frage Sirius vorsichtig.
"Ah Sirius! Schön Sie zu sehen. Was machen Sie hier?" Albus Dumbledore zog das Tuch vom Gesicht und lächelte ihn etwas traurig an.
"Ich treffe mich mit Firenze", antwortete Sirius und hob den Bogen an.
"Ah Bogenschießen. Ja so etwas schult Auge und Hand. Zentauren sind die besten Bogenschützen! Und Firenze soll ein wahrer Meister darin sein!" lobte Dumbledore den Zentauren.
"Ich dachte, sie kümmern sich nur um die Zukunft, lesen sie in den Sternen und verbrennen Blätter und Kräuter um sie noch näher zu bestimmen", sagte Black schulterzuckend.
"Ein weit verbreiteter Irrtum", klang es aus dem nahen Gebüsch und Firenze betrat den Rasen vor Hagrids Hütte. Die Sonne ließ sein Fell wie flüssiges Gold erscheinen und die langen weißen Haare konnten fast mit denen von Dumbledore konkurrieren.
"Ah Firenze, ich grüße Sie!" Dumbledore hüpfte die Stufen, die zum Eingang führten, herunter und reichte dem Zentauren die Hand.
"Grüße auch an Sie Albus Dumbledore, Direktor von Hogwarts!" sagte Firenze ernst. "Wie ich sehe räumen Sie Hagrids Hütte aus? Hat er irgend jemandem etwas hinterlassen?"
Sirius stutzte, so richtig hatte er gar nicht darüber nachgedacht. Hatte Hagrid ein offizielles Testament hinterlassen. Das was er hatte, war ja nur inoffiziell.
"Nein, nichts Offizielles. Wünschen Sie etwas von seinen Sachen zu haben? Ein Erinnerungsstück?" fragte Dumbledore freundlich den Zentauren.
Firenze legte den Kopf leicht schief, das lange weiße Haar flatterte leicht in der Brise.
"Nein. Die Erinnerungen genügen. Wobei... die Zielscheibe. Auf die er und ich immer geschossen haben. Die könnte ich gebrauchen."
Dumbledore trat an eine Truhe, die außen stand, und öffnete sie. Er holte eine große aus gebundenem Stroh bestehende Zielscheibe hervor. Firenze nahm sie ernst entgegen und trat damit an einen nahen Baum. Dort hängte er sie auf, versicherte sich, dass sie stabil hing und nahm nun seinen eigenen Bogen auf.
Dumbledore hob wieder das Tuch an und verschwand in der Hütte. Wenig später stob wieder der Staub aus allen offenen Fenstern und der Eingangstür. Dem Lärm nach benutzte der Direktor Magie und einfache Muskelkraft um die Hütte wieder in einen "Null"-Zustand zu bringen. Niemand wollte in einem Haus leben, in dem jedes Stück an seinen Vorbesitzer erinnerte.
Sirius stellte sich etwas tollpatschig an was das Spannen des Bogens anging, doch dank Firenzes Erklärungen schaffte er es bald, mit gespanntem Bogen und dem ersten Pfeil auf der Sehne in acht Schritt Entfernung zu der Scheibe zu stehen.
"Also zuallererst stellen Sie sich so hin." Firenze griff vorsichtig nach Sirius' Schultern und drehte ihn im 90 Grad Winkel von der Scheibe weg.
"Ich seh sie ja nicht mehr", protestierte Sirius.
"Stimmt so nicht." Firenze nahm nun den Kopf von Sirius und drehte ihn wieder zur Scheibe hin. "Sie stehen immer seitlich zum Ziel hin und müssen den Kopf wenden. So.. Nein nein, nicht ganz drehen, nur den Kopf."
Sirius kam sich vor wie ein lebender Korkenzieher. Immer noch recht nutzlos hielt er den Bogen mit dem Pfeil in der Hand. Urplötzlich wurde es warm an seinem Rücken, Firenze hatte sich hinter ihn gestellt und beugte sich nun zu ihm herunter.
"Und jetzt, rechte Hand hält den Bogen vor und wir spannen mit beiden Armen nicht nur mit der Linken." Firenze griff nach Sirius Armen und führte sie vorsichtig. "Spannen mit beiden Armen wie als ob Sie eine Schere öffnen, und die Sehne ganz nahe und....los!"
Sirius spürte nur kurz die Sehne an seiner Nasenspitze und er ließ los. Der Pfeil sirrte durch die Luft und blieb am äußersten Rand der Scheibe stecken.
"Ich konnte nicht zielen!" sagte Sirius leicht mürrisch.
"DAS kommt später!" lachte Firenze und ließ Sirius los.
Der Zentaure trabte zur Zielscheibe und holte den Pfeil, auf dem Rückweg blieb er stehen und starrte zum Schloß hoch.
Sirius drehte sich um und verzog das Gesicht. Das hatte ihm gerade noch gefehlt!
Severus Snape entließ seine Klasse und machte sich auf den schweren Gang zu Hagrids Hütte. Warum wollte der Direktor ihn überhaupt dort haben? Dumbledore war weise genug um allein mit einigen Tinkturen von Hagrid umzugehen. Trotzdem hatte er einen kleinen Kasten mitgenommen, da er nicht wußte wie viel Hagrid noch in seiner Hütte gebunkert hatte. Als Severus dort gelebt hatte, hätten die Tränke und Tinkturen in dem magisch vergrößerten Schrank der Apotheke in Pomfreys Räumen Konkurrenz machen können. Hagrid war bei der Pflege von Snape selber zu einem halben Heiler geworden. Wie Snape aus den Gebärden der Menschen lesen konnte, ob sie Angst, Zorn, Unsicherheit oder Freude verspürten. So hatte Hagrid sehr schnell gelernt auf bestimmte Bewegungsmuster von Snape zu reagieren. Er hatte Dinge erkannt, die nicht einmal Pomfrey oder Dumbledore sehen konnten! All dieses Wissen um einen Menschen war mit dem Tod des Wildhüters verloren gegangen.
Als Severus durch die großen Eingangstore kam, schien ihm die Sonne hell ins Gesicht. Der Tag war einfach verboten schön. Regen! Es hätte regnen sollen. Das wäre angemessen gewesen. Mit einem leisen Seufzer ging er durch die Tore und schritt langsam über den Rasen auf Hagrids Hütte zu. Aus den weit geöffneten Fenstern und der Tür stob der Staub nur so. Vor dem Haus türmten sich bereits Säcke und anderes Gerümpel, was Hagrid im Laufe der Jahre angesammelt hatte. Dass Dumbledore persönlich die Räumung der Wildhüterhütte vornahm war ungewöhnlich. Normaleweise hätte Filch der Hausmeister es machen müssen, aber bei Dumbledore war nichts normal. Nicht einmal seine Lehrer! Snape wich einer Staubwolke aus, die sich langsam ihren Weg über den Rasen bahnte. Was für ein ungewöhnliches Lehrerkollegium sie doch waren! Ein Zwerg, eine Wahrsagerin die mehr schauspielerte als die Zukunft zu sehen, eine Animagi, ein Geist, eine etwas exzentrische Astronomie-Lehrerin, ein Todesser, der wiederum dem Direktor der Schule gehörte und und und.... die Liste ließe sich noch endlos weiterführen. Keiner der Lehrer war ein normaler Zauberer in diesem Sinne. Ganz zu schweigen davon, dass sie es bis jetzt geschafft hatten jedes Jahr einen neuen Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu haben. Dieses Jahr war es ein Auror aus dem Ministerium, der ausnahmsweise sein Handwerk verstand. Sein Unterricht wurde nicht so begeistert aufgenommen wie der von Lupin, dem Werwolf, war nicht ganz so experimentierfreudig wie der von dem falschen Professor Moody, aber die Schüler akzeptierten ihn.
Neben dem Haus stand eine Gestalt und... Snape blieb stehen und kniff die Augen zusammen. Bei Merlin wie lange hatte er dieses Wesen schon nicht mehr gesehen?
Er gab sich innerlich einen Ruck und ging weiter. Natürlich, die menschliche Gestalt war Black, ausgerechnet die einzige Person, die Snape jetzt hier nicht haben wollte! Endlich am Haus angekommen ging das zweite Wesen auf ihn zu.
"Professor Snape!" sagte es freundlich.
Snape neigte leicht den Kopf. "Firenze."
Der Zentaure lächelte ein unergründliches Lächeln. "Lange ist es her dass wir uns gesehen haben!"
Snape wusste, dass Firenze ihn letztes Jahr in der Senke bewacht hatte bis Hagrid gekommen war. Es war genauer gesagt in den Osterferien gewesen und Severus war mit akuter Erschöpfung nach Hogwarts zurück gekehrt. Snape hatte ihn nicht gesehen, aber Firenze ihn.
"Lange ist es her", sagte Snape und warf nun einen argwöhnischen Blick auf Black, der einen typischen Zentaurenbogen in den Händen hielt.
"Ich bringe Mr. Black das Bogenschießen bei", erklärte Firenze.
"Damit er mich besser umbringen kann?" frage Snape schnippisch.
Bevor Firenze darauf antworten konnte, streckte schon Dumbledore den Kopf durch ein Fenster.
"Ah Professor Snape! Gut, dass Sie da sind", rief er fröhlich. "Kommen Sie herein! Kommen Sie herein! Ich glaube, ich habe fast alle Tränke gefunden."
Snape nickte nur Firenze zu und würdigte Black keines Blickes. Mit sicheren Schritten aber leicht weichen Knien betrat er die Hütte von Hagrid. Sie ähnelte mehr denn je einem Schlachtfeld. Schon Hagrid hatte auf eine etwas ungewöhnliche chaotische Ordnung Wert gelegt, doch nun war aus diesem organisierten Chaos, ein unorganisiertes geworden. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes standen fein säuberlich alle Fläschchen und Döschen an Tinkturen und Salben, die Hagrid je besessen hatte. Zögernd blieb er in der Mitte des Raumes stehen. Wie lange war er schon nicht mehr hier gewesen? Es müssen Jahre gewesen sein, in letzter Zeit war er mehr im Krankenflügel aufgewacht oder in seinen eigenen Räumen.
Dumbledore sprach munter weiter: "Nun, es kann sein, dass ich noch etwas finde. Aber ich glaube das hier ist der Hauptteil."
Snape beugte sich vor und stellte die kleine Kiste auf einem freien Stuhl ab. Es waren wie erwartet meist Tränke und Salben für Menschen, nur wenige für die Bewohner des Waldes. Hagrid musste sie all die Jahre aufbewahrt haben, für den Notfall. Nachdenklich hob er eine Tinktur für Verbrennungen hoch und fast glaubte er wieder den übelkeitserregenden Geruch von verbranntem Fleisch zu riechen. Rosier hatte ihn mit glühenden Eisen zum Sprechen bringen wollen, vergebens. Die Brandnarben auf seinem Körper waren ein Überbleibsel dieser Unterhaltung. Hagrid hatte sie behandelt, mit größter Vorsicht und Behutsamkeit. Kurz schloß er die Augen und begann dann resolut alles in die Kiste zu packen. Er spürte die Blicke von Dumbledore auf sich ruhen und versuchte sie so gut es ging zu ignorieren. Nach einigen Minuten wandte sich Dumbledore dem kleinen Bücherregal zu. Mit größter Vorsicht legte er einige Bücher in eine gesonderte Kiste. Als ein kleineres Buch auf den Boden fiel wagte es Snape wieder aufzusehen. Dumbledore bückte sich und hob es hoch, fast zärtlich strich er den Staub vom Einband und sah es sich an. Snape stellte die letzte Flasche in die Kiste.
"Wohin gehen die Bücher?" fragte er leise.
"Teilweise in die Bibliothek, die anderen...", Albus machte eine wegwerfende Geste mit dem kleinen Buch in seiner Hand, "ich denke von diesem Exemplar gibt es schon genug, Von Magischen Tierwesen und wo sie zu finden sind."
Severus zuckte zusammen, es war das erste Buch, was Hagrid ihm zu lesen gegeben hatte, nach dem er aus Rosiers Kerker entkommen war. Es war Hagrids verzweifelter Versuch gewesen ihm die Zeit etwas angenehmer zu machen.
Er nahm allen Mut zusammen und flüsterte ganz leise: "Könnte ich dieses Buch haben?"
Dumbledore lächelte wissend und reichte es ihm ohne Kommentar. Schnell schnappte sich Snape das Buch, als ob es sich vielleicht gleich wieder in Luft auflösen würde, und verstaute es in der Kiste. Gut versteckt zwischen all den Flaschen und Dosen. Der Direktor stampfte leicht mit dem Fuß auf den Boden. Automatisch schnellte Snapes Blick hoch und er sah in das Gesicht des Direktors. Bestimmte eingeübte Dinge blieben, egal ob man sie noch brauchte oder nicht.
Sonst noch etwas? fragte Albus lautlos.
Snape schüttelte den Kopf, je länger er hier blieb um so mehr Erinnerungen kamen hoch. Zitternd holte er Luft, griff nach der Kiste und eilte aus der Hütte. Zu viele glückliche Erinnerungen, die wieder einmal ein schmerzliches Ende gefunden hatten.
Black nahm den dritten Pfeil von Firenze entgegen. Sein letzter Schuß war ein solcher Blindgänger gewesen, dass Firenze und er einige Zeit im Wald nach dem Pfeil gesucht hatten. Er hörte die schnellen Schritte und wandte sich um. Snape eilte aus der Hütte zum Schloß hoch. Der Zentaure seufzte leise neben ihm und Sirius wandte den Blick ab und dem magischen Wesen zu.
Starr und still starrte Firenze Snape nach und flüsterte langsam: "Die Endgültigkeit, das ist das Schwerste Mr. Black. Nichts ist unendlich! Niemand bleibt für ewig. Dabei hätte gerade er es doch wissen müssen."
Sirius Black ahnte das mit er Firenze Severus Snape gemeint hatte.
Review
Zurück