So stand ich nun auf dem Bahnsteig und winkte dem Zug, der in der Ferne verschwand, nach. Dann nahm ich meinen Koffer, der ein Stück entfernt stand, und wandte mich dem Ausgang zu. Die meisten Sachen hatte ich bereits zu Granny geschickt, ich hatte bloß die Dinge eingepackt, von denen ich glaubte, sie zu benötigen.
Die Hauptstraße von Hogsmeade war noch menschenleer, und obwohl ich langsam ging und kleine Schritte machte, war ich jedoch eher an der Abzweigung zur Blackthorne Lane als mir lieb war. Mich fröstelte, trotzdem es ein warmer Tag werden würde. Das Haus Nummer zwei stand am Ende der Straße in der Nähe des Waldrandes.
Als ich darauf zuging, merkte ich, dass es in einem ziemlich verwahrlosten Zustand war. Das Gartentor hing nur noch an einer Angel, auf dem Weg wucherte Unkraut, das Hausdach musste ausgebessert werden und die Haustür und die Fensterrahmen benötigten einen neuen Anstrich. Aus einem der windschiefen Kamine stieg eine dünne Rauchsäule auf.
Wenn ich vielleicht noch die Hoffnung gehabt hatte, Snape könnte es als einen letzten, bösen Scherz gemeint haben, so war sie jetzt dahin. Sämtlichen Mut zusammennehmend ging ich die Strecke vom Gartentor zum Haus. Der bronzene Türklopfer musste erst vor kurzem poliert worden sein. Ich ergriff den Ring und klopfte dreimal.
Es dauerte eine quälende Ewigkeit bis ich hinter der Tür eine Bewegung vernahm. Als sie sich öffnete, stand mir Severus Snape gegenüber. Sein Gesicht war kühl und unbewegt wie immer. Seine ganze Erscheinung unterschied sich nicht im Geringsten von der Person, die in den letzen sieben Jahren mein Lehrer gewesen war. Er trug eine lange, schwarze Hose und ein langärmliges Hemd in gleicher Farbe, nur der Umhang fehlte.
Ich fühlte mich plötzlich wieder, als wäre ich in der ersten Klasse. Bloß war leider kein Kessel vorhanden, hinter dem ich mich verstecken konnte.
"Kommen Sie … kommen Sie rein, Miss Smith", sagte er sanft und trat beiseite, damit ich ins Haus gelangen konnte. "Haben Sie keine Angst, Miss Smith", fügte er hinzu, als er mein Zögern bemerkte. "Ich dachte schon, Sie hätten Ihre Meinung geändert."
Langsam trat ich in den dunklen Flur, der noch ein Stück düsterer zu werden schien, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Ich hielt meine Handtasche krampfhaft mit der linken Hand fest.
"Ich habe doch keine Wahl!" Verzweiflung kroch in mir hoch. "Ich bin nicht aus freien Stücken hier. - Was sind Sie nur für ein Mensch?"
Snape ging nicht auf meinen Gefühlsausbruch ein. "Erlauben Sie?", fragte er. Er nahm mir den Koffer ab und trat vor mich. "Sehen Sie es als eine Art - Kulturaustausch. -- Soll ich Sie herumführen?"
Er ging weiter in den Flur hinein und blieb vor einer halb geöffneten Tür stehen. "Das Schlafzimmer …", sagte er ein wenig steif, "aber - äh - aber vielleicht wollen Sie viel lieber erst ins Badezimmer und sich etwas …" Er zögerte.
"Ins Badezimmer? Ja … gern …" Ich wollte nur weg von ihm, weg aus diesem dunklen, bedrohlichen Flur.
"Das Badezimmer ist hier entlang rechts." Er führte mich an der ersten Tür vorbei und öffnete eine zweite.
Im Bad war es hell.
Schnell trat ich ein und schloss die Tür hinter mir, um mich wenigstens einen Moment in Sicherheit zu wiegen. Ich konnte nicht verhindern, dass die ganze Anspannung des letzten Tages sich in Tränen entlud. Von meiner Nervenstärke war nichts mehr übrig.
"Miss Smith", hörte ich seine Stimme durch die Tür dringen, "bitte machen Sie sich so zurecht, als ob Sie … befruchtet werden wollten."
Ich erstarrte. Worauf hatte ich mich da eingelassen?
"Wie charmant Sie schweigen können, Miss Smith. Ich hoffe, Sie schlafen nicht mit eingeschaltetem Licht." Seine Stimme klang spöttisch. "Wir wär's mit etwas zu trinken?"
Seine Schritte entfernten sich von der Tür.
Ich dachte voller Angst: "Oh Gott, warum bin ich bloß hier?"
Die Schritte kamen wieder näher. "Kommen Sie, Miss Smith. Putzen Sie Ihr trotziges Näschen und kommen Sie zu mir."
Aus reiner Verzweiflung sagte ich: "Wenn es anders gelaufen wäre, wenn Tom von Ihnen krumme Sachen gewusst hätte, hätte er sich nicht so scheußlich benommen."
Ein kurzes Schweigen, dann antwortete er: "Scheußlich … heimlich … sündig …"
Meine Angst wandelte sich in pure Panik. Ich wollte nur noch die Tür verschließen, um Snape draußen zu halten. Da bemerkte ich, dass ich meinen Zauberstab heute Morgen aus Macht der Gewohnheit in den Koffer gepackt hatte, und der Koffer war draußen bei Snape. Aber das Glück war mir hold, die Tür hatte einen Riegel, den schob ich vor. Snape musste es gehörte haben.
Er sprach weiter: "Tom würde Sie in seinem Mäusekäfig gefangen halten und Sie mit seiner Selbstgefälligkeit ersticken."
Ich bemerkte, wie Snape von draußen die Türklinke herunterdrückte. Dann öffnete er die Tür, die ich gerade verriegelt hatte. Er sah die Angst in meinem Gesicht und grinste: "Der Riegel ist nicht in Ordnung."
Ich wich zurück und er lachte: "Aber, Miss Smith, nehmen Sie sich zusammen." Dann senkte er seine Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern: "Sie müssen ganz ruhig bleiben. Denken Sie, ich würde Sie zu einem Striptease oder etwas in der Art zwingen? - Nun, vielleicht nicht gleich -"
"Nein, das mache ich nicht! Und wenn Sie sich noch so viel Mühe geben! Glauben Sie mir, das mache ich auf gar keinen Fall!" Dass es mir gelänge, ihn mir vom Leib zu halten, daran glaubte ich allerdings nicht wirklich.
Snape ging einen Schritt auf mich zu und streckte seine Hand nach mir aus. Ich wollte rückwärts ausweichen, stieß jedoch an das Waschbecken.
"Ihren Umhang darf Ihnen doch wohl abnehmen", sagte er ruhig.
Mein "Ich tue nur, was ich will." kam ziemlich kläglich heraus und in Anbetracht der Situation war es auch vergleichsweise lächerlich.
Ein verstehendes Lächeln umspielte seinen Mund, als er mir den Umhang und die Handtasche abnahm. "Ja, das verstehe ich. - Hier ist etwas zu trinken." Damit drückte er mir ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in die Hand. Der Geruch sagte mir, dass es sich um Cognac handeln musste.
"Wollen wir?", fragte er und schob mich gleichzeitig an meinem Ellenbogen aus dem Badezimmer. Wir durchquerten den Flur und traten durch die gegenüberliegende Tür in ein großes Zimmer.
"Lumos!", murmelte Snape und als die Lampen an den Wänden den Raum erhellten, sah ich, dass wir im Wohnzimmer waren.
Die Einrichtung war in besserem Zustand als das Äußere des Hauses. An den Wänden befanden sich Regale, die mit Büchern vom Boden bis zur Decke voll gestellt waren. Über einem riesigen, offenen Kamin, in dem der Rest eines Feuers brannte, hing ein gerahmter Druck, der in dunklen Farben einen gequält am Boden liegenden nackten Mann zeigte, an dessen Seiten Männer mit erhobenen rechten Händen standen. Die Figuren bewegten sich nicht.
Ich hätte in diesem Haus eher apokalyptische Darstellungen in der Art eines Mathis Grünwalds oder eines Hieronymus Boschs erwartet. Ein Muggelbild wie William Blakes "Der Gotteslästerer" wirkte dagegen geradezu romantisch.
Vor dem Kamin waren zwei große Sessel und ein niedriger Tisch angeordnet, auf dem sich ein Schachspiel mit einer begonnenen Partie darauf befand. In der Nähe der Fenster standen eine Klavierbank und ein Notenständer, davor eine Harfe, deren Kopf und Pfeiler mit wundervollen Schnitzereien verziert waren.
Wo der Boden nicht durch den Perserteppich verdeckt war, sah man glänzendes, dunkles Parkett. Die Einrichtung des Raumes wurde durch einen Esstisch mit vier Stühlen und eine Anrichte an der Wand dahinter komplettiert.
Snape ließ unvermutet meinen Arm los und ging aus dem Zimmer. Ein Stoffrascheln verriet mir, dass er meinen Umhang an der Garderobe aufgehängt haben musste. Kurze Zeit später öffnete sich das Wandpanel über der Anrichte. Durch die Durchreiche sah ich in die Küche und auf Snape, der mich durch seine langen, schwarzen Haare mit einem undefinierbaren Blick betrachtete. Ich wandte mich ab.
Am Klang seiner Schritte hörte ich, dass er wieder in den Flur ging und sich der Zimmertür näherte, durch die ich den Raum betreten hatte. Er blieb im Türrahmen stehen.
"Die Seele zeigt dem Fleische hochbeglückt den Weg zur Lust, und, frei von jedem Bande schwillt es empor und weist triumphbeseelt auf dich als Preis."
Seine Worte jagten mir Angstschauer über den Rücken. Ich stand mitten im Wohnzimmer wie auf dem Präsentierteller und hoffte inständig, dass er eben irgendeinen Dichter zitiert hatte…
Als ich mich zu ihm drehte, meinte er: "Genauso habe ich Sie die letzen vier Jahre vor mir gesehen, am Labortisch stehend. Und Ihre Bluse war immer ordentlich geschlossen."
Das Gespräch begann unangenehm zu werden und ich verfluchte meine Entscheidung heute Morgen, anstatt meiner Schuluniform bereits ein kurzes Kleid angezogen zu haben, nur damit Tom keine Fragen stellte.
Ich musste irgendwie das Thema wechseln. Das Erste was mir einfiel war: "Ich habe Kopfschmerzen."
"Wieso Kopfschmerzen?" Snape wirkte irritiert.
"Könnte ich bitte ein Aspirin bekommen? - Oder etwas in der Art?", fügte ich schnell hinzu, da ich nicht annahm Snape könnte diese Tabletten kennen.
"Ich hole Ihnen ein Pulver", sagte er und verschwand wieder in der Küche.
"Er ist wahnsinnig", dachte ich. Wie sonst war das alles hier zu erklären?
Snape hantierte in der Küche. Porzellan klapperte und er kehrte mit einer dampfenden Tasse zurück. Er nahm mir das Glas, das ich seit dem Badezimmer in der Hand hielt, ab und drückte mir stattdessen die Tasse in die Hand. "Ihr Kopfschmerzmittel."
"Warum ich? Warum haben Sie es ausgerechnet auf mich abgesehen?" Ich erwartete nicht, dass Snape meinen Gedankensprüngen folgen konnte.
Er zögerte kurz, dann sagte er mit verhaltener Stimme: "Weil ich Sie immer vor mir hatte. Ich konnte Sie nur betrachten, aber niemals wirklich berühren. Ich kenne jede Pore Ihres blassen, jungen Gesichts, jede Windung Ihrer Ohren, jede Ihrer Wimpern -" Er bewegte sich wieder auf ein unangenehmes Gesprächsthema zu.
Als er bemerkte, dass ich die Tasse immer noch unberührt in der Hand hielt, sagte er: "Warum trinken Sie nicht?"
Ich nippte kurz daran. Der Inhalt war heiß und brannte auf meiner Zunge. Der Geruch, der mir in die Nase stieg, erinnerte stark an feuchte Hundehaare. Ich verzog mein Gesicht. Snape fixierte mich, registrierte jede Bewegung in meinem Mienenspiel.
"Warum starren Sie mich dauernd so an?" So etwas wie ohnmächtige Wut bildete sich in mir.
"Weil ich Sie jetzt anstarren kann." Auf Snapes Gesicht erschien ein dünnes Lächeln. "Ich könnte Sie sogar anfassen."
"Aber nur weil Sie mich dazu zwingen", zischte ich wütend.
Snape schien meine Wut zu amüsieren. "Wir hatten vereinbart, dass Sie mir zur Verfügung stehen, freudig und willig."
"Zss, willig? Das hier ist Zwangsarbeit, Sklavenhandel oder wie man es sonst noch bezeichnen will." Ich bemühte mich, eine Entschlossenheit zu zeigen, die ich nicht empfand.
"Ah! Tom haben Sie aus Ihren Gedanken verdrängt. Aber mich lassen Sie keinen Augenblick vergessen, wie großmütig Sie sind und wie gemein ich mich verhalte. Und dass die Art, wie ich Sie hierher bekommen habe, verachtenswert und kriminell ist - etwas, das Menschen im wahren Leben nicht tun." Seine Stimme war kalt und ohne Gefühl. "Richtigstellung, Miss Smith - Ich habe Sie im Tausch für einen Schulabschluss."
Wütend schaute ich ihn an. Als er meinen Unmut bemerkte, meinte er: "Also strafen Sie mich nicht mit diesen Blicken. Sie sind hier, um zu bezahlen. - Sie bezahlen, indem Sie mir eine fügsame, zärtliche Bettgefährtin sind und kein gefühlloses Stück Fleisch."
Ich schluckte. "Tom und ich hatten vor, unsere Hochzeit vorzubereiten, und jetzt bin ich gezwungen, bei Ihnen zu sein."
Ein hässliches Grinsen huschte über Snapes Gesicht. "Nun, dann zelebrieren wir den jahrhundertealten Brauch, bei dem die Braut die Nacht vor ihrer Hochzeit mit dem Lehnsherrn verbringt. Wissen Sie wie man diese Sitte nennt?"
Voller Verachtung blickte ich ihn an. Er ignorierte mein Schweigen. "Man bezeichnet sie als droit de seigneur - das Recht der ersten Nacht."
Er beugte sich zu meinen Füßen hinunter und seine Haare strichen an meinem Bein entlang. "Warum ziehen Sie nicht Ihre Schuhe aus und machen es sich bequem."
"Ich hasse Ihre Annäherungsversuche!", fauchte ich. "Sie haben versprochen, Sie behandeln mich mit Respekt!"
Er richtete sich wieder auf. "Ich respektiere durchaus Ihre Schuhe." Seine Stimme triefte nur so vor Spott. Dann sagte er ernst: "Trotzdem sind Sie ganz in meiner Hand, Miss Smith."
"Aber wir … ich wollte … ich wollte doch die …", stotterte ich.
"In meiner Hand." Snapes Augen fixierten mich. "Jeder Mann, erst recht, wenn er sexuell ungeheuer frustriert ist, wäre verrückt, wenn er das Mädchen seiner Träume vor sich hat und keinen Gebrauch von ihr machen würde. Das müssen Sie doch verstehen."
Er zog mir mit einer Leichtigkeit den Boden unter den Füßen weg, dass ich meine Angst kaum noch im Griff hatte. Tränen standen mir in den Augen.
Solche obszönen Andeutungen war ich nicht gewöhnt. Was das Thema Sex anging, war ich durchaus nicht naiv, wenngleich ich wusste, dass es dabei Spielarten gab, die ich mir nicht mal im Traum vorstellen konnte. - Was hatte ich eigentlich erwartet?
"Warum muss er so direkt darüber reden? Warum kann er es nicht auf den puren Akt im Bett beschränken?" Ich musste diese Gedanken beiseite schieben und mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren.
"Wenn Tom wüsste, wie Sie mit mir reden", flüsterte ich.
"Tom ist ein Niemand", entgegnete er.
"Das ist nicht wahr." Es war ein schwacher Versuch ihm Paroli zu bieten.
"Versuchen Sie Tom zu vergessen, Miss Smith. Und sehen Sie mich an, als hätten Sie ihn vor sich." Seine Stimme war sanfter, als ich sie jemals vorher gehört hatte.
Snape stand hinter mir und ich spürte seinen Atem im Nacken. Trotz meiner Angst vor dem Kommenden nahm ich einen feinen Geruch war. Es war der Duft, den ich des Öfteren in Snapes Labor gerochen hatte - eine angenehme Mischung aus Moos, Holz und Kräutern. Es war ein vertrauter Geruch - meine Gedanken schweiften wieder ab.
Energisch holte ich mich in die Gegenwart zurück. "Aber ich liebe Tom, Professor Snape."
Diese Anrede schien ihm nicht zu behagen. Merklich kühler antwortete er: "Das Wort ‚Liebe' ist nur eine leere Phrase für Menschen, die sie akzeptieren. Ich werde Sie deshalb nicht weniger begehren."
Dieser kleine Erfolg machte mich mutiger. "So wie Sie sich das vorstellen, klappt das nicht. Wo ist meine Handtasche?" Ich stürmte aus dem Zimmer. Snape war viel zu überrascht, als dass er mich hätte zurückhalten können.
Dummerweise flüchtete ich ins Badezimmer. Mein Zauberstab befand sich noch immer im Koffer und so schob ich wieder den Riegel vor. Die Schritte im Flur machten mir klar, dass sich Snape nicht so einfach geschlagen geben würde. Er öffnete die Badezimmertür.
"Oh, dieser verdammte Riegel!", schoss es mir durch den Kopf.
Doch er blieb auf der Türschwelle stehen. Langsam und genießerisch sog er die Luft durch die Nase ein. "Ein milder Duft von Ihrem Haar schwebt im Raum. Ein merkwürdig weiblich anziehender Geruch ist im Zimmer. Das Parfum kann man nicht kaufen." Die Panik auf meinem Gesicht zeigte ihm, dass er mich wieder in die Ecke gedrängt hatte. "Sex, Miss Smith, ist kein Privileg der Jugend."
Ich wich vor ihm zurück und stieß erneut gegen das Waschbecken. "Ich bin es gewohnt im Bad allein zu sein!"
Unbeeindruckt fuhr er fort: "Im Laufe der Zeit holen sich die Menschen Liebe und Sex, so wie sie sich die Masern holen."
Was glaubte er eigentlich, welchen Lebenswandel ich hatte? Diese letzte Bemerkung nahm ich sehr persönlich, daher entgegnete ich ihm: "Ich nicht! Danke! Außerdem glauben Sie doch gar nicht, was Sie da reden."
Er trat dicht vor mich, die Haare verdeckten seine Augen. Snapes Miene war undurchschaubar, als er antwortete: "Das glaube ich doch. Wenn die biologischen Begierden einer Frau sie dazu verleiten Ihre Reize bis zur Obszönität auszustellen, was sollte es da noch für Grenzen geben?"
"Was meinen Sie?"
"Frierende Mädchen im Schulhof mit nackten Beinen. Sie wollen leiden als Objekt der Begierde." Wahrscheinlich erwartete er von mir eine Reaktion. "Fühlen Sie sich noch ganz gesund, Miss Smith?"
"Sie scheinen Frauen nicht besonders zu mögen?" Anders konnte ich diese Einstellung nicht deuten. Doch statt einer Antwort lachte er. Es war ein Lachen, dem jegliche Wärme fehlte.
Er wechselte das Thema: "Wollen Sie sich Ihr hübsches Gesicht waschen?" Er trat an das Waschbecken, tat den Stopfen in den Abfluss und drehte einen Wasserhahn auf.
"Würden Sie mich endlich allein lassen!", zischte ich.
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Snape schien zu spüren, dass er mich nicht weiter in die Enge treiben durfte. Nur so konnte ich es mir erklären, dass er mit einem "Selbstverständlich." das Bad verließ.
Ich rannte zur Tür und schlug sie zu. Dann sah ich mich im Badezimmer um. In der Ecke an meiner linke Seite befand sich die Dusche, daneben das Waschbecken und darüber ein Spiegel, mir gegenüber waren die Toilette und ein Bidet an der Wand befestigt. Plötzlich stockte mir der Atem - zwischen dem Badfenster und dem Schrank auf meiner rechten Seite befand sich noch eine Tür. - Das war meine Rettung!
Ich lief zu ihr und öffnete sie. Mein Herz setzte einige Schläge aus - im Türrahmen lehnte Snape und grinste. Er hatte mein Verhalten vorausgesehen.
Ich schlug die Tür wieder zu. Das war zuviel. Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten.
"Was Sie mir antun, ist abscheulich", schluchzte ich. "Die ganze Sache ist so widerlich."
Seine Antwort drang gedämpft durch die geschlossene Tür. "Ja, ich bin widerlich, aber man kann seinem Schicksal nicht entfliehen, Miss Smith. Und - ich bin Ihr Schicksal."
Ich musste hier weg, es war mir im Augenblick egal, was aus Tom würde. Ich versuchte zu disapparieren, doch nichts geschah. Snape musste Haus und Grundstück mit einem Bann belegt haben, der genau das verhindern sollte.
"Oh Gott", flüsterte ich, "hilf mir hier raus. Bitte, hilf mir hier raus!"
Mein Blick fiel auf das Waschbecken. Das Wasser lief immer noch aus dem Hahn und das Becken war bereits so gefüllt, dass sein Inhalt gurgelnd im Überlauf verschwand. Ich nahm einen Waschlappen, der an der Wand neben dem Becken hing, und stopfte ihn in das Loch des Überlaufs. Ich drehte zusätzlich den zweiten Hahn auf und das Wasser begann, über den Beckenrand auf den gefliesten Badezimmerfußboden zu strömen. Ich hoffte inständig, dass Snape dies nicht vorausahnte und sich für einen winzigen Augenblick ablenken ließ.
"Professor Snape! Das Wasser läuft aus dem Becken! Ich weiß nicht, wie das kommt!" Er stürmte ins Bad und blickte in die Richtung, in die mein ausgestreckter Arm zeigte. "Da sehen Sie."
Snape wirkte wirklich durcheinander. Er schaute auf das Becken und folgte mit seinem Blick dem überlaufenden Wasser, das sich bereits auf dem Fußboden bis zur Dusche ausgebreitet hatte. "Das läuft ja alles über!", rief er.
Zum ersten Mal, seit ich dieses Haus betreten hatte, befand ich mich wirklich im Vorteil. Snape drehte die Hähne zu und befahl mir: "Holen Sie meinen Zauberstab aus der Küche."
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich riss die Tür auf und stürmte in den Gang. Aber ich wandte mich nicht in Richtung Küche, die Freiheit lag links vom mir: durch die Haustür. Im Halbdunkel sah ich meinen Umhang an der Garderobe hängen. Mein Koffer stand darunter. Ich schnappte mir beides und erreichte die Eingangstür. Sie war verschlossen.
Ich weiß nicht, wie lange ich brauchte bis ich meinen Zauberstab aus dem Koffer geholt hatte. Mit einem Ohr hörte ich auf die Geräusche im Badezimmer. "Alohomora!", flüsterte ich und tippte mit der Spitze meines Stabes auf die Türklinke. Die Haustür sprang auf. Das Tageslicht strömte in den Flur. Ich griff nach dem Koffer und stolperte ins Freie. Nur weg von hier! Weg von Snape und weg von dem, was er mit mir vorhatte.
Ich hatte noch nicht das Gartentor erreicht, als hinter mir Snapes Stimme ertönte: "Ich hoffe, es ist Ihnen bewusst, was es für Folgen haben wird, wenn Sie durch dieses Tor gehen."
Ich hielt an und drehte mich um. Snape stand vor dem Hauseingang und hielt seinen Zauberstab in der Hand. Seine Körperhaltung machte mir klar, dass ich keine Chance hatte. Jeden Fluch, den ich gegen ihn schleudern würde, würde er auf mich zurückprallen lassen. Sollte ich auch nur einen Schritt weiter in Richtung Gartentor gehen, er würde es zu verhindern wissen. Seine Leistungen in Lockharts Duellierclub waren noch immer Gesprächsthema unter den Schülern.
Dieser Augenblick des Zögerns brachte mir auch wieder die Konsequenzen für Tom ins Gedächtnis. Wenn ich diese sieben Tage nicht durchzöge, würde er ohne Schulabschluss dastehen. Meine Entscheidung war gefallen: Ich liebte Tom. Ich würde also wieder in das Haus zurückkehren - mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergaben.
A/N:
Zitat aus William Shakespeares Sonett CLI Die Seele zeigt dem Fleische hochbeglückt den Weg zur Lust, und, frei von jedem Bande schwillt es empor und weist triumphbeseelt auf dich als Preis.