Am nächsten Morgen hatte die fünfte Klasse der Gryffindors in der ersten Stunde Kräuterkunde bei Professor Sprout und danach ‚Pflege magischer Geschöpfe‘ bei Hagrid zusammen mit den Slytherins.
Hagrid erwartete sie schon vor seiner Hütte. „Guten Morgen“, sagte er fröhlich, „dann kommt mal mit.“ Mit diesen Worten führte er die Klasse zur Rückseite seiner Hütte. Dort waren riesige Bassins aufgebaut. Sie konnten nicht erkennen was sich darin befand, denn alle waren sorgfältig mit großen Planen verdeckt.
„Was soll das denn schon wieder sein?“, fragte Malfoy verächtlich, „gibt der Idiot uns jetzt auch noch Schwimmunterricht?“ Crabbe und Goyle lachten glucksend bei Malfoys Äußerung.
„Halt die Klappe“, fuhr Harry ihn an. Auch ihm war irgendwie nicht wohl bei dem Anblick der Bassins, wer wußte denn schon, was Hagrid sich dieses Mal wieder für Monster besorgt hatte, vielleicht giftige Wasserschlangen, oder etwas noch schlimmeres. Aber er wollte auf jeden Fall verhindern, dass Malfoy schon vor Beginn der ersten Stunde Hagrid verunsicherte, schließlich war Hagrid sein Freund.
Hagrid schien Malfoys bissigen Kommentar nicht bemerkt zu haben, und als alle Schüler um das große Bassin versammelt waren zog Hagrid die Plane herunter.
Alle starrten auf das Becken. „So, das hier sind Fervefacus-Fische“, erklärte Hagrid und deutete auf die großen Fische im Bassin. Die Größten waren über einen Meter lang. Sie schimmerten und leuchteten in den unterschiedlichsten Farben. Einige waren gelb, andere blau, aber die meisten waren irgendwie blau und gelb schattiert. Von ihrem Kopf bis zu ihrem Rücken zog sich eine gefährlich aussehende Reihe spitzer Stacheln. Aus ihren Mäulern ragten lange, scharfe Zähne.
„Wie ihr seht, haben fast alle Fische verschiedene Farben“, fuhr Hagrid fort, „über diese Farben teilen sie uns mit, ob sie gut oder schlecht gelaunt sind. Wenn ihre Schuppen gelb sind, könnt ihr problemlos zu ihnen gehen und sie füttern. Sind sie aber blau, dann haltet lieber Abstand, dann könnten sie nämlich ein Sekret ausspucken, das ziemlich doll brennt auf der Haut, oder manchmal beißen sie sogar.“
Ron verzog das Gesicht. „Schon wieder so ne kreative Entdeckung von Hagrid. Hätte ich mir gleich denken können. Bestimmt müssen wir gleich mit ihnen spielen, oder so“, flüsterte er Harry zu, der ebenfalls nicht sehr glücklich aussah.
Malfoy schnaubte verächtlich und fragte: „Und sind diese Dinger auch für irgendwas gut?“
„Natürlich sind sie für was gut“, antwortete Hagrid. „Wenn ihr sie gefüttert habt könnt ihr ihnen ganz vorsichtig die losen Schuppen vom Körper entfernen, die werden nämlich für einige Zaubertränke gebraucht.“
Hermine rümpfte die Nase. Ihr war gar nicht wohl bei dem Gedanken spuckende und beißende Fische zu füttern.
„Komm mal her, Harry“, sagte Hagrid und grinste. Wie immer war er furchtbar stolz auf die Kreaturen, die er der Klasse präsentierte. „Nimm mal hier die Tiefseealgen und halt sie in das Bassin. Da werden gleich die ersten Fische kommen und schauen was es leckeres gibt.“
Zögernd ging Harry zu dem Bassin und nahm die Algen, die Hagrid ihm hinhielt. Vorsichtig näherte er sich dem Becken und hielt die Spitze der Algen ins Wasser. Sofort kam ein riesiger, knall blauer Fisch angeschwommen und beäugte den Störenfried. Als er das Futter erkannte färbten sich seine Schuppen allmählich gelb und er begann genüßlich zu fressen.
„Seht ihr, is ganz einfach“, sagte Hagrid stolz. „So Harry, jetzt kannst du vorsichtig ein paar lose Schuppen von seinem Rücken abkratzen.“
Harry fand die ganze Sache gar nicht so witzig, aber Hagrid zuliebe begann er vorsichtig am Rücken des Fisches herum zu kratzen. Dem Fisch schien das zu gefallen, denn er lehnte sich genüßlich gegen Harrys Hand und genoß scheinbar diese Massage. Hagrid grinste stolz.
„So“, sagte er, „jetzt nehmt ihr euch alle etwas von den Algen und probiert es auch mal.“
Nach und nach nahmen sich alle Schüler etwas von den glitschigen, grünen Algen und gingen zum Rand des Beckens. Nur Malfoy, Crabbe und Goyle bewegten sich keinen Zentimeter. Hagrid blickte sie verwirrt an und fragte: „Na Jungs, habt ihr etwa Angst vor Fischen?“
Das war zu viel für Malfoy. „Pah, ich habe doch keine Angst vor Fischen, ich bin doch nicht wie unsere kleine Heulsuse“, antwortete Malfoy in arrogantem Ton und bedachte Harry mit einem abschätzigen Blick. Crabbe und Goyle begannen wieder zu glucksen. Hagrid, der Malfoys Bemerkung scheinbar nicht verstanden hatte, bedachte ihn mit einem verwirrten Blick, kümmerte sich dann aber nicht weiter um ihn.
Stattdessen nahm er Harry etwas zur Seite und fragte: „Na Harry, alles in Ordnung?“ Harry nickte.
„Hm, war ja keine ausführliche Antwort, is wirklich alles klar bei dir, oder hast du ein Problem?“, bohrte er weiter.
Harry atmete schwer aus, dann antwortete er: „Ach, es ist Snape.“
„Was hat er denn gemacht?“ fragte Hagrid verwundert. Harry zögerte einen Moment, erzählte Hagrid dann jedoch alles über den Sonderunterricht, den er von Snape bekommen sollte. Gleichzeitig bat er seinen Freund darum, diese Information bitte für sich zu behalten um niemanden in Schwierigkeiten zu bringen.
Nachdem er geendet hatte sagte Hagrid: „Na, na, so schlimm ist das doch auch wieder nicht, ist doch nett von ihm, dass er dir hilft.“
Harry war so verblüfft von Hagrids Antwort, dass er nicht wußte was er darauf antworten sollte und knurrte schließlich ein leicht sarkastisches „Toll“. Dann wandte er sich wieder den Fischen zu. Er wollte nicht noch so einen guten Ratschlag von Hagrid bekommen.
Viel zu schnell war diese Stunde für Harrys Geschmack vorbei. Nicht, dass er so begeistert von den Fischen gewesen wäre, doch gleich nach dem Mittagessen hatten sie Zaubertränke bei Snape zusammen mit den Slytherins.
Nach dem Essen trotteten Harry, Ron und Hermine in Richtung der Kerker. Keiner von ihnen hatte große Lust und so beeilten sie sich nicht sonderlich.
Als sie schließlich das Klassenzimmer erreicht hatten waren schon fast alle Plätze belegt. Die einzigen noch freien Plätze befanden sich im vorderen Drittel des Kerkers. Harry seufzte und begab sich mit Ron und Hermine nach vorne. Eigentlich hatte er keine Lust auch in diesem Unterricht so nah am Pult des Lehrers zu sitzen, aber in ‚Zaubertränke‘ war es sowieso egal wohin sie sich setzten, denn Snape hatte die unangenehme Angewohnheit im Kerker stets auf und ab zu gehen um die Kessel der Schüler genau zu inspizieren, während sie ihre Tränke brauten.
Kurz nach ihnen betrat Snape den Raum. Er schien mal wieder sehr schlecht gelaunt zu sein. Er bedachte die Klasse mit einem grimmigen Blick und begann mit dem Unterricht.
„Bisher haben wir uns ausschließlich mit einfachen Tränken beschäftigt, doch da sie nach 4-jähriger Ausbildung eine ausreichende Grundlage haben sollten, werden wir uns im ersten Halbjahr mit der komplizierten Kunst der Wahrheitsseren befassen. Im zweiten Halbjahr werden wir uns mit Vergessens- und Verwirrungstränken beschäftigen. Ich weiß, dass einige von Ihnen sehr hart arbeiten für dieses Fach“, er bedachte Malfoy mit einem wohlwollenden Blick, „aber die meisten von Ihnen werden etwas mehr Engagement aufbringen müssen, wenn Sie dem Stoff weiterhin folgen wollen.“ Mit diesen Worten warf er einen finsteren Blick auf Harry und fixierte dann Neville. Neville wurde noch blasser und quiekte vor Schreck.
Snape grinste und sagte in öligem Tonfall zu Neville: „Mr. Longbottom, wollten Sie etwas zu diesem Thema sagen? Teilen Sie doch bitte der ganzen Klasse mit, was Sie uns über Wahrheitstränke sagen können.“
Sofort war Hermines Finger nach oben geschnellt. Neville begann stotternd etwas zu flüstern und Snape unterbrach ihn brüsk: „Mr. Longbottom, wir können Sie leider nicht verstehen. Wiederholen Sie das noch einmal, schließlich möchte die ganze Klasse etwas von Ihnen lernen.“
Neville begann leicht zu zittern und antwortete nun etwas lauter: „Man m-m-muß immer d-d-die Wahrheit s-sagen.“
Snape verdrehte demonstrativ die Augen und fuhr Neville an: „Das, Mr. Longbottom sagt bereits der Name aus. Wir alle sind wirklich sehr beeindruckt von Ihrem außergewöhnlichen Kombinationsvermögen.“ Neville wurde rot.
Hermine war mittlerweile fast von ihrem Platz aufgesprungen, so sehr bemühte sie sich ihrem Lehrer anzudeuten, dass sie etwas zu diesem Thema zu sagen hatte. Snape bedachte sie mit einem giftigen Blick und sagte kalt: „Miss Granger, es interessiert niemanden hier, was Sie zu sagen haben, also sparen Sie sich die Mühe.“
Hermine setzte sich wieder und lief ebenfalls rot an.
Nach einer kurzen Pause fuhr Snape fort: „5 Punkte Abzug für Gryffindor für Unwissen, und weitere 5 für penetrante Aufdringlichkeit.“ Mit diesen Worten bedachte er Hermine und Neville mit einem boshaften Grinsen.
Nach diesem Vorfall wandte Snape sich wieder der ganzen Klasse zu und fuhr mit seinem Unterricht fort, als wäre nichts geschehen.
„Wie Sie sicher wissen, gibt es viele verschiedene Wahrheitsseren, die sich durch ihre verschiedenen Wirkungsweisen und vor allem durch ihre Stärken unterscheiden. Vor einiger Zeit war der beliebteste und auch gleichzeitig gefährlichste Trank das Veritaserum. Bis jetzt gibt es dafür noch kein Gegenmittel, auch wenn schon viele danach geforscht haben. Leider ist dieser Trank heute verboten. Es wurde vor einigen Jahren vor allem von Lord Voldemort eingesetzt, um an geheime Informationen zu kommen.“
Als Snape den Namen Voldemort aussprach, waren einige Schüler zusammengezuckt. Snape hatte dies mit einem Grinsen registriert. „Lord Voldemort“, er betonte nun diesen Namen absichtlich, und wieder zuckten einige zusammen, „benutzte allerdings auch häufig den sogenannten Veritas-Fluch, doch dieser ist nur ein billiger Abklatsch des Serums. Der Trank ist nach meiner Meinung deutlich effektiver, allerdings auch viel aufwendiger als ein einfacher Fluch.“ Snape machte eine Pause und fixierte wieder die Klasse, dann fuhr er fort: „Mit so etwas banalem wie einem Fluch werden wir uns hier nicht befassen, ich bevorzuge die brodelnde Wahrheit in Kesseln.“
Snape führte das Thema noch weiter aus, und die ganze Klasse schrieb eifrig mit, schließlich wollte niemand negativ auffallen, indem er in Snapes Unterricht nicht aufpaßte. Als die Stunde fast zu Ende war sagte Snape: „Ich möchte, dass Sie als Hausaufgabe 10 verschiedene Wahrheitstränke heraussuchen und ihre Unterschiede beschreiben. Und ich möchte von jedem eine detaillierte Ausführung sehen, keine Stichpunkte.“ Wieder bedachte er die Klasse mit einem finsteren Blick.
Alle waren froh, als das Klingeln sie erlöste. So schnell sie konnten packten sie ihre Sachen und verließen den Kerker, damit Snape nicht auf die Idee kam ihnen noch mehr Hausaufgaben aufzudrücken. Vor der Tür stießen Harry, Ron und Hermine auf Malfoy, der gerade mit Crabbe und Goyle sprach. Als er Hermine erblickte grinste er und schnarrte: „Na, Granger, Professor Snape steht wohl nicht auf Muggel-Liebhaber und Schlammblüter. Da kannst du dich noch so anbiedern mit deinem Wissen. Er weiß nun mal, wer die achtbaren Zauberer sind, oder was sagst du dazu, Potter?“ Grinsend starrte er nun Harry an.
„Glaubst du etwa dein Vater ist etwas besseres, nur weil er ein Death Eater ist?“ fauchte Harry und sah Malfoy haßerfüllt an.
Er hatte genau ins Schwarze getroffen. Das Grinsen auf Malfoys Gesicht erstarb und er starrte Harry wütend an. „Sag so etwas nicht über meinen Vater. Wie kommst du dazu so etwas zu behaupten? Mein Vater ist ein wichtiger Mann im Ministerium, er hat Einfluß, und wird die Gesellschaft der Zauberer wieder auf den rechten Weg führen.“
Harry lachte verächtlich. Er wußte es besser. Bei seiner letzten Begegnung mit Lord Voldemort war auch Lucius Malfoy unter den Death Eatern gewesen und hatte den dunklen Lord winselnd um Vergebung gebeten, dafür, dass er nicht in den langen Jahren von Voldemorts Abwesenheit nach ihm gesucht hatte. Um diese Diskussion zu beenden drehte er sich demonstrativ um und stapfte mit Ron und Hermine davon.
„Ihr werdet schon sehen, wer am Ende triumphiert“, schrie Malfoy ihnen nach, doch sie ignorierten ihn.
Gemeinsam gingen sie in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors und vertrieben sich den Nachmittag mit ‚Snape explodiert‘.
Als es Zeit wurde zum Abendessen, gingen sie gemeinsam hinunter in die Große Halle. Ron und Hermine waren während des Essens schon sehr nervös, denn sie wollten danach sofort in die Bibliothek gehen, um etwas über das Amulett herauszufinden. Harry dagegen war nicht ganz so enthusiastisch, hatte er doch gleich Unterricht bei Professor Snape. Er hatte keine große Lust, und so ließ er sich entsprechend Zeit auf dem Weg zu Snapes Klassenzimmer.
Als er den Raum erreicht hatte war es kurz nach sieben. Snape stand bereits mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben seinem Schreibtisch. Er blickte Harry kalt an, als dieser das Klassenzimmer betrat und sagte: „Guten Abend Mr. Potter. Schön, dass Sie doch noch den Weg gefunden haben.“ Dann fuhr er mit noch kälterer Stimme fort: „Setzen Sie sich.“
Harry ging zu seinem Platz, direkt vor Snapes Schreibtisch, und setzte sich. Snape schritt langsam mit immer noch verschränkten Armen langsam vor Harry auf und ab.
„Nun, Mr. Potter“, begann er schließlich, „wir wollen unsere Zeit nicht mit sinnlosem Geschwafel verschwenden, also fangen wir gleich an. Ich möchte nur eins von vorn herein klarstellen: Sie denken sicher Professor Dumbledore hätte mich hierzu überredet, und daher hätten Sie jetzt ein leichtes Leben, weil ich diese Aufgabe nicht ernst nehme, aber da irren Sie sich. Seien Sie versichert, dass dies die härtesten Lektionen werden, die Sie je erhalten haben. Dieser Unterricht wird nicht mit Schulnoten bewertet, er wird auch nicht in Ihre Abschlussnote eingehen, aber trotzdem wird es am Ende nur zwei mögliche Ergebnisse geben: Erfolg oder Misserfolg, Leben oder Tod. Ich hoffe doch, dass Sie uns nicht enttäuschen, Potter.“ Snape grinste bei diesen Worten leicht.
Harry schluckte unmerklich. Das klang ganz und gar nicht gut. Er hatte tatsächlich gehofft, dass Snape hier auch nur seine Stunden absitzen würde, aber er schien sich wirklich in den Kopf gesetzt zu haben Harry richtig zu trietzen, und hier würde Snape keiner davon abhalten ihn endgültig fertig zu machen. Im Gegenteil, er hatte sogar noch Dumbledores Segen. Snapes letzter Satz klang ihm noch in den Ohren, dieser Mann würde doch nur enttäuscht sein, falls Harry überlebte.
„Möchten Sie irgend etwas sagen, Potter?“, unterbrach Snape Harrys Gedanken mit öligem Tonfall.
„Nein, Sir“, antwortete Harry schnell, bevor Snape noch weiter nachbohrte.
„Dann können wir ja anfangen. Was wissen Sie über den dunkeln Lord?“
Harry überlegte kurz, dann antwortete er: „Also, äh, Lord Voldemort wurde unter dem Namen Tom Riddle geboren, und ...“ Sofort unterbrach Snape ihn: „Ich bin überrascht, dass ausgerechnet Sie Voldemort beim Namen nennen, Potter. Beeindruckend. Allerdings war Ihre Antwort ansonsten weniger beeindruckend. Lord Voldemort wurde als Tom Vorlost Riddle geboren.“
Er blickte Harry kalt an und fragte ihn mit seinem öligen Tonfall: „Wollen Sie sich das nicht aufschreiben?“
Harry zuckte zusammen. An etwas zum Schreiben hatte er nicht gedacht. Er versuchte eine Entschuldigung zu stammeln. „Ich äh, hab nichts dabei, Sir.“
Snape baute sich drohend vor Harry auf. „Dachten Sie etwa, dass dies hier ein Kaffeekränzchen wird?“, zischte er. „Das ist meine letzte Warnung Potter, mit diesem Engagement steuern Sie im Moment auf ein Ergebnis hin, das Ihren Freunden sicher nicht gefallen wird. Warum wohl überrascht mich Ihre Ignoranz nicht? Ich werde es Ihnen sagen. Sie sind genauso über alle Maßen arrogant wie Ihr Vater.“
Harry blickte Snape haßerfüllt an. Er wußte genau, dass er ihn nur provozieren wollte, und trotzdem kochte er vor Wut. ‚Lass meinen Vater aus dem Spiel’, dachte er zornig.
Snape grinste eisig.
‚Nein’, dachte Harry, ‚diese Genugtuung werde ich dir nicht geben.’ Er zwang sich zu einem knappen Lächeln und sagte in gezwungen freundlichem Ton: „Es tut mir leid, Professor, es wird nicht wieder vorkommen.“
Snape blickte Harry verblüfft an. Mit solch einer Reaktion hatte er am allerwenigsten gerechnet. Wortlos ging er zu seinem Pult, nahm eine Feder und mehrere Seiten Pergament heraus, und legte die Sachen ohne ein weiters Kommentar vor Harry auf den Tisch. Harry nahm die Feder und begann zu schreiben. Snape fuhr mit dem Unterricht fort.
„Sicher können Sie sich nun erklären, wie der dunkle Lord zu seinem späteren Namen kam? Es ist eine Abwandlung von Vorlost. Seit wann benutzte er diesen Namen?“ frage Snape.
Harry überlegte wieder. Voldemort hatte ihm in der Kammer des Schreckens und letztes Frühjahr auf dem Friedhof vor dem Haus seines Vaters zwar einiges zu seiner Vergangenheit erzählt, aber an solche Details konnte Harry sich nicht mehr erinnern. Er schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich weiß nicht mehr genau, ich glaube er hatte ihn schon während der Schulzeit.“
„Nicht ganz korrekt“, antwortete Snape ungerührt, „für die Slytherins, in deren Haus Voldemort sich bekannter Weise befand, führte er Anfang der 3. Klasse diesen Namen ein. Schon damals beherrschte er mehr dunkle Flüche als sein Lehrer für ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘. Bereits als 13-jähriger versammelte er eine große Schar Anhänger um sich, doch er verstand es, dies vor den Lehrern zu verbergen. Zu dieser Zeit ahnte noch keiner, was einmal aus Tom Vorlost Riddle werden würde.“
Snape bombardierte Harry mit Daten und Fakten, und Harry hatte große Mühe alles mitzuschreiben, was Snape ihm erzählte. Dieser Mann wußte wirklich eine ganze Menge über Lord Voldemort.
Es war schon weit nach elf, als Snape Harry endlich entließ. „Sie können gehen, Potter. Wir werden am Donnerstag den Beginn der Death Eater besprechen, und die ersten Jahre Voldemorts, nachdem er die Schule verlassen hat. Bereiten Sie sich darauf vor, ich habe keine Lust hier weiterhin Monologe zu halten“, sagte Snape kalt.
Harry beeilte sich, seine Pergamente zusammen zu packen, und verließ so schnell er konnte das Klassenzimmer.
Die Flure von Hogwarts waren wie ausgestorben, alle Schüler befanden sich bereits in ihren Gemeinschaftsräumen. Harry rannte in Richtung Gryffindor-Turm, als er plötzlich mit jemandem zusammen stieß. Er blickte verwirrt auf, und sah in das Gesicht von Professor Dumbledore.
„Harry, was machst du um diese Zeit noch hier? Du gehörst in deinen Gemeinschaftsraum“, sagte Dumbledore freundlich.
Harry brauchte einen Moment um sich von seinem Schreck zu erholen, dann antwortete er: „Entschuldigen Sie bitte, Professor, aber ich war bis eben bei Professor Snape, ich wollte gerade in den Gryffindor-Turm gehen.“
Dumbledore schien leicht die Stirn zu runzeln, als er sagte: „Na dann beeile dich bitte, es ist nicht ratsam, wenn Schüler sich nachts auf den Fluren herumtreiben.“
Harry setzte seinen Weg fort. Als er den Gemeinschaftsraum erreicht hatte war er fast leer. Nur ein paar Siebtklässler saßen am Kamin und unterhielten sich. Harry ging direkt in seinen Schlafsaal. Er war todmüde. Snape hatte ihm vier Stunden lang Vorträge über die Schulzeit von Lord Voldemort gehalten, wie er im Geheimen begonnen hatte Verbündete um sich zu scharen, wie er die Lehrer getäuscht hatte, und schließlich Vertrauensschüler und Schulsprecher wurde. Auch die Vorkommnisse mit der Kammer des Schreckens hatte Snape eingehend ausgeführt. Der einzige Punkt, den er ausgelassen hatte, war Voldemorts Behauptung ein Erbe Slytherins zu sein. Dies, sagte er, wolle er zu einem späteren Zeitpunkt weiter ausführen.
Harry schaffte es gerade noch seinen Schlafanzug anzuziehen und wollte sich gerade in sein Bett legen, als er Rons Stimme hörte: „Hey Harry, ich dachte schon du kommst gar nicht mehr und würdest bei Snape übernachten. Wie war’s denn?“
Harry schnaubte müde und sagte gähnend: „Hör bloß auf, mir platzt der Kopf, ich hab 3 Seiten Pergament vollgeschrieben, und das ist nicht mal die Hälfte von dem, was Snape erzählt hat. Wenn das die nächsten Wochen so weiter geht, dann sterbe ich. Aber jetzt erzähl du doch mal, habt ihr was raus gefunden über das Amulett?“
Ron seufzte: „Nein, wir haben zwar bis halb zehn gesucht, aber wir müssen wohl die falschen Bücher erwischt haben. Hermine hat dann zwar noch ein Buch gefunden, das ziemlich viel versprechend geklungen hat ‚Magische Glücksbringer und ihre Bedeutung in der Zauberei‘, aber um halb zehn macht ja die Bibliothek zu, und da mußten wir raus. Wir wollten morgen nach der letzten Stunde weitersuchen, kommst du mit?“
„Natürlich komme ich mit“, sagte Harry verwundert, „es ist ja schließlich mein Amulett, da kann ich euch doch nicht alleine suchen lassen, morgen nach Wahrsagen suchen wir gleich weiter.“
„Okay, prima“, entgegnete Ron.
„So, jetzt muß ich aber ins Bett, ich bin todmüde“, sagte Harry und gähnte herzhaft. „Schlaf gut Ron, bis morgen.“
„Gute Nacht, Harry“, antwortete Ron. Harry legte sich in sein Bett, und nach wenigen Minuten war er eingeschlafen.
***
Professor Severus Snape war gerade dabei die letzten Arbeiten der fünften Klasse in ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ zu korrigieren. Die Ergebnisse waren so, wie er es erwartet hatte: katastrophal. Die Schüler schienen in den letzten Jahren so gut wie nichts gelernt zu haben. Die einzigen Fragen, die wenigstens halbwegs zu seiner Zufriedenheit beantwortet worden waren, waren die nach der Verteidigung gegen verschiedene magische Geschöpfe, wie Irrwichte, Hinkepanks, Kappas, Grindelohs, Rotkappen und so weiter. Scheinbar hatte sein verhaßter Kollege Remus Lupin, der diese Themen mit der Klasse durchgenommen hatte, doch nicht so schlechte Arbeit geleistet, wie er es sich gewünscht hatte.
Als er die letzte Arbeit beendet hatte, klopfte es an seiner Bürotür. Severus stutzte. Normalerweise bekam er nie Besuch, und schon gar nicht um so eine Zeit, es war bereits kurz nach zwölf.
Er erhob sich von seinem Stuhl und ging zur Tür. Als er sie öffnete stand Professor Dumbledore vor ihm.
„Albus, was machst du hier, es ist schon spät?“, fragte Snape verdutzt sein Gegenüber.
Dumbledore lächelte und antwortete: „Nun, wie ich sehe, hast du auch noch nicht geschlafen, Severus. Darf ich hereinkommen?“
Snape nickte grimmig und sagte: „Ja, selbstverständlich, ich mußte noch die Arbeiten der fünften Klasse durchsehen, eine Trauerspiel muß ich dir sagen. Vier Jahre Unterricht, und sie haben keine Ahnung über die Verteidigung gegen Nymphen oder Vampire. Es ist eine Schande, aber das wird sich ändern, das versichere ich.“
Dumbledore war an Snape vorbeigegangen und hatte sich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch niedergelassen. Snape schloß die Tür und setzte sich ebenfalls wieder auf seinen Platz. Dumbledore blickte Snape nachdenklich an. Schließlich fragte Snape: „Was willst du Albus, du bist sicher nicht ohne Grund hier herunter gekommen.“
Dumbledore schien kurz zu überlegen, dann antwortete er: „Findest du nicht, dass du ein bisschen zu streng bist, Severus?“
„Albus ich bitte dich, diese Arbeiten sind ein Fiasko, diese Schüler müßten alle zurückgestuft werden“, entrüstete Snape sich.
„Severus“, sagte Dumbledore besänftigend, „ich spreche nicht von diesen Arbeiten, ich spreche von ...“
„Potter“, fiel Snape ihm kalt ins Wort.
„Ja“, sagte Dumbledore ruhig, „ich traf Harry vorhin, als er auf dem Weg zu seinem Gemeinschaftsraum war, und es war bereits weit nach elf, ich möchte dich nur bitten nicht zu übertreiben.“
Snape schüttelte wieder energisch den Kopf und sagte leicht gereizt: „Albus, du selbst hast mich gebeten diese Aufgabe zu übernehmen, nun gut, ich habe sie übernommen, und du hast mir freie Hand gegeben, in der Art und Weise, wie ich es mache. Potter ist völlig unerfahren, ich werde die Lektionen voraussichtlich eher noch intensivieren müssen, um ihm das beizubringen, was er braucht. Aber ich weigere mich, über jede Stunde Rechenschaft abzulegen.“
„Severus, bitte“, versuchte Dumbledore Snape zu beruhigen, „ich möchte dir nicht vorschreiben, wie du deinen Unterricht zu machen hast, ich möchte lediglich, dass du dir darüber im Klaren bist, dass Harry noch ein Kind ist.“
Snape schnaubte. „Glaubst du im Ernst, dass Voldemort darauf Rücksicht nimmt? Er will Potter, und je jünger und unerfahrener er ist, umso leichter kann er ihn erledigen.“
Dumbledore nickte langsam, dann antwortete er: „Ja Severus, du hast ja Recht, ich mache mir nur Sorgen.“
„Das weiß ich, Albus“, entgegnete Snape, „aber du kannst den Jungen nicht ewig beschützen. Wenn du willst, dass ich Erfolg habe, mußt du es mir überlassen Potter vorzubereiten. Er wird noch viel härtere Lektionen bewältigen müssen, aber nur so hat er eine Chance. Nur wenn er erfährt, was auf ihn zukommt kann er sich verteidigen.“
Dumbledore blickte Snape mit großen Augen an und sagte dann vorsichtig: „Severus, du hast nicht vor was ich vermute.“
Snape blickte Dumbledore finster an: „Doch, genau das habe ich vor, nicht heute und morgen, aber bald.“
Dumbledores fragender Blick war nun einer Ungläubigkeit gewichen. „Severus, das kannst du nicht machen, du wirst ihm ...“
„…eine Chance geben zu überleben“, unterbrach Snape ihn kalt.
Dumbledore schwieg einen Moment. Dann blickte er Snape direkt in die Augen und sagte leise: „Ich kann das nicht gutheißen. Eigentlich dürfte ich es gar nicht zulassen, bist du dir wirklich sicher, dass es nötig ist?“
Snape schien sich wieder etwas beruhigt zu haben und antwortete nun in besonnenem Ton: „Albus, ich kenne Voldemort besser als jeder andere von euch, ich mußte oft genug mit ansehen, was er seinen Opfern antut, bevor er sie tötet. Es ist nötig.“
Dumbledore schien über diese Antwort nicht besonders glücklich zu sein. Er saß in seine Gedanken versunken in Snapes Büro, blickte auf die verschiedenen Gläser und Gefäße, die sich in den Regalen des Raums stapelten, und ließ noch einmal alle Fakten des Gesprächs Revue passieren.
Schließlich blickte er Snape wieder direkt in die Augen und sagte langsam: „Ich werde nicht sagen, dass du Recht hast, doch ich werde tolerieren, was du vor hast. Aber bitte, Severus, tu es für den Jungen, und nicht für ihn.“
„Albus, du weißt wem gegenüber ich loyal bin“, antwortete Snape und legte bei diesen Worten seine Hände auf den Tisch. Die Ärmel seines Umhangs waren leicht nach oben gerutscht, und gaben die Sicht auf einen Teil des rot verfärbten, dunklen Males frei. Dumbledore blickte auf Snapes entstellten Arm, nickte dann, und verließ das Büro.
***
„Harry, Harry, komm schon wach auf, es ist Zeit zum Frühstücken!“, sagte Ron.
Harry murmelte etwas unverständliches, zog sich seine Bettdecke über den Kopf und drehte sich auf die andere Seite.
„Mach schon Harry, wir kommen zu spät“, versuchte Ron erneut seinen besten Freund dazu zu bewegen aufzustehen.
Harry öffnete langsam die Augen. „Wie viel Uhr ist es“, brummte er verschlafen. Er fühlte sich wie gerädert. Er hatte sehr schlecht geschlafen, zu sehr hatte ihn der gestrige Tag angestrengt.
„Es ist schon fast halb acht, wenn du dich nicht beeilst, kannst du das Frühstück vergessen.“
Missmutig griff Harry nach seiner Brille und richtete sich langsam in seinem Bett auf. „Oh oh, du siehst aber ziemlich mitgenommen aus, hast du etwa von Snape geträumt?“, piesackte Ron seinen Freund.
Harry schnaubte. „Hör mir bloß mit dem auf. Ich kann diesen Namen nicht mehr hören.“ Stöhnend stand er auf und sagte gähnend: „Ich fühle mich, als hätte ich drei Nächte nicht geschlafen.“ Er zog seinen Umhang an und ging mit Ron zusammen in den Gemeinschaftsraum. Dort erwartete sie bereits Hermine.
„Meine Güte, ich dachte ihr kommt gar nicht mehr“, sagte sie leicht ungehalten.
„Harry ist ein bisschen übermüdet, aber wie du siehst hab ich ihn trotzdem aus dem Bett bekommen“, sagte Ron stolz.
„Na los, lasst uns frühstücken gehen, ich habe einen riesen Hunger“, entgegnete Hermine.
Auf dem Weg zum Frühstück berichtete Harry nun auch Hermine, wie der gestrige Abend verlaufen war. Als sie die Große Halle betraten, waren die meisten Schüler schon im Aufbruch um ihre Bücher für die erste Stunde zu holen.
Die drei beeilten sich, um an den Gryffindor-Tisch zu kommen, denn sie hatten auf keinen Fall vor das Essen ausfallen zu lassen. Als sie ihre Plätze erreicht hatten saß bereits Hedwig auf der Lehne von Harrys Stuhl und blickte ihn ärgerlich an.
„Hallo Hedwig, hast du einen Brief von Sirius für mich, meine Gute?“ Die Eule klapperte ungehalten mit dem Schnabel, sie war eindeutig beleidigt, dass sie so lange hatte warten müssen. „Ach Hedwig“, sagte Harry sanft, „sei nicht böse, schau, ich hab hier auch ein Stück Schinken für dich.“ Mit diesen Worten hielt er Hedwig ein Stück Schinken vom Frühstückstisch vor den Schnabel, und während die Eule genüsslich fraß entknotete Harry den Brief, der an ihr Bein gebunden war. Als Hedwig fertig gefressen hatte spannte sie ihre Flügel und verließ die Große Halle.
„Nun mach schon, lies den Brief, ich will auch wissen was drin steht“, sagte Ron neugierig. Harry öffnete den Umschlag und begann zu lesen.
Lieber Harry,
wir haben lange über Deinen Brief und das, was Du uns berichtet hast beraten. Ich für meinen Teil frage mich, wie Dumbledore nur auf so eine Schnaps-Idee kommen konnte und ausgerechnet Snape beauftragt Dir zu helfen. Ich habe Gerüchte gehört, dass Snape wieder bei den Death Eatern aufgenommen wurde. Nimm Dich bloß in Acht. Falls er wirklich wieder bei Voldemort ist, kann man sich nicht sicher sein, zu welcher Seite er hält.
Allerdings muß ich andererseits Remus Recht geben. Er meint, obwohl wir alle große Probleme mit Severus hatten und haben, hat er von allen die wir kennen die meiste Erfahrung in Bezug auf Voldemort.
Ich finde es außerordentlich beunruhigend, dass ausgerechnet der Sohn von Lucius Malfoy das Amulett gesehen hat. Verstecke es am Besten an einem sicheren Ort in Deinem Schlafsaal im Gryffindor-Turm, dort wird er es nicht finden, falls er es suchen sollte. So lange die Kette an einem sicheren Ort ist, ist es besser, wenn Professor Dumbledore vorerst nichts von ihrer Anwesenheit weiß. Es würde ihn nur weiter beunruhigen. Wenn Du allerdings das Gefühl hast, dass Malfoy es tatsächlich auf das Amulett abgesehen hat, informiere ihn sofort, dann wird er wissen was zu tun ist.
Wir bleiben auf alle Fälle in Kontakt
Gruß Sirius & Remus
Harry ließ enttäuscht den Brief sinken. Er hatte gehofft, dass die beiden Männer sich wenigstens bereit erklären würden noch einmal mit Professor Dumbledore zu reden, ob es nicht eine andere Lösung gäbe, außer Snape.
Auch wegen des Amuletts hatte er sich ein bisschen mehr Klarheit erhofft, was die Besonderheit der Kette anging. Selbstverständlich hatte Harry sie sofort nach seiner Ankunft ganz unten in seinem Koffer verstaut, damit nicht zufällig irgendjemand sie fand.
„Na los, zeig schon den Brief“, drängelte Ron. Harry reichte ihm und Hermine den Brief, damit beide ihn lesen konnten.
„Naja, ist ja nicht so ergiebig“, sagte Ron nachdenklich, nachdem er den Brief gelesen hatte.
„Ich verstehe nicht, warum Dumbledore vorerst nichts von dem Amulett erfahren soll“, sagte Hermine und sah die beiden Jungs fragend an.
Harry schüttelte ratlos den Kopf.
„Hm, vielleicht, weil er es Harry wegnehmen würde, obwohl seine Eltern wollten, dass er es bekommt“, überlegte Ron, „ich wüsste zu gerne, was es damit auf sich hat.“
„Ich auch“, sagte Harry, „nach der letzten Stunde werden wir es herausfinden.“ Hermine nickte zustimmend.
Der Unterricht an diesem Tag wollte einfach nicht vorbei gehen. In der ersten Stunde hatten sie ‚Zauberkunst‘ bei Professor Flitwick. Er hielt ihnen einen langen Vortrag über Zauber und Umkehrzauber. In der nächsten Stunde hatten sie ‚Geschichte der Zauberei‘ bei Professor Binns. Mit seiner monotonen Singsang-Stimme setzte er seine Ausführungen über die vorzeitlichen Druiden fort und schien sich gar nicht daran zu stören, dass niemand außer Hermine ihm zuhörte.
Nach dem Mittagessen machten Ron und Harry sich auf den Weg zu dem Turmzimmer von Professor Trelawney. „Ich bin mal gespannt, ob sie dir dieses Jahr wieder den Tod prophezeit“, kicherte Ron. Harry schnaubte. Bis jetzt hatte ihre Lehrerin für Wahrsagen Harry jedes Schuljahr den Tod vorausgesagt, doch leider mußte er sie jedes Jahr enttäuschen. Er hoffte inständig, dass das auch so bleiben würde.
Sie betraten über die wacklige Leiter den Klassenraum von Professor Trelawney. Wie immer waren die Vorhänge zugezogen und ein Kessel über dem Feuer verbreitete schwermütige, beinahe Übelkeit erregende Düfte in dem dämmrigen Raum. Harry und Ron suchten sich einen Platz in der Nähe der Fenster, um wenigstens noch etwas Tageslicht abzubekommen. Nach ihnen betraten Lavender Brown und Parvati Patil den Raum. Die beiden Mädchen setzten sich auf einen der vordersten Sessel, denn sie wollten so nah wie möglich bei ihrem Idol sitzen.
Nachdem die letzten Schüler das Klassenzimmer betreten hatten, trat Professor Trelawney geräuschlos aus dem Schatten des düsteren Zimmers. Harry und Ron waren bereits an diese nebulösen Auftritte gewöhnt, und zeigten sich kaum beeindruckt, doch Parvati und Lavender hatten sich mit großen Augen leicht nach vorne gebeugt, um keine Bewegung ihrer Lehrerin zu verpassen.
Professor Trelawney blickte die Klasse mit verschleierten Augen an und begrüßte sie mit ihrer rauchigen, sanften Stimme. „Ich begrüße Sie alle zu einem neuen Jahr der Wahrheitsfindung. In diesem Jahr wollen wir uns mit der Kunst des Traumdeutens befassen. Wir wollen all Ihre tiefsten Ängste und Schrecken an die Oberfläche befördern.“
Sie blickte durch die ganze Klasse, und ihr Blick blieb für einen Moment an Harry hängen. Für einen kurzen Augenblick schien ihr Gesicht noch schwermütiger zu werden, als sie mit ihrer Ansprache fortfuhr: „Auch der Erkennung des Todes werden wir in diesem Schuljahr näher kommen als jemals zuvor, denn Träume, meine Lieben, verraten alles über einen Menschen. Sie sagen uns woher wir kommen, und wohin wir gehen werden.“
Langsam schwebte sie durch das düstere Zimmer und blieb schließlich neben Harry stehen. Mit einem mitleidigen Blick sah sie zu ihm herab und sagte leise: „Es wird mich nicht überraschen zu erfahren, dass Sie, mein Guter, wahrscheinlich die düstersten Träume von uns allen haben. Träumen Sie oft von den Boten des Todes?“
Harry verzog leicht den Mund, er hatte schon darauf gewartet, dass Professor Trelawney wieder damit anfangen würde. Er sah missmutig zu ihr hoch. „Eigentlich habe ich in der letzten Zeit immer von Blumen geträumt“, log er.
Ron kicherte. Im Grunde konnte Harry sich gar nicht daran erinnern was er geträumt hatte, außer den Träumen, in denen Voldemort irgendjemandem etwas antat, aber das würde er der Lehrerin mit Sicherheit nicht erzählen.
„Oh, Blumen“, begann Professor Trelawney und ihr Blick schien in die Ferne zu schweifen, „das Zeichen der Vergänglichkeit, zuerst eine heranreifende, unschuldige Knospe, später eine wunderschöne Blüte, und schließlich verwelkt sie und wird von den Armen des Todes umschlossen. Ja, Blumen zeigen uns die Endlichkeit des Lebens.“
Ron verdrehte die Augen und sah Harry an. „Hat ja nicht lange gedauert, das war glaube ich sogar ein neuer Rekord“, flüsterte er. Harry blickte seinen Freund gequält an. Er nahm zwar die Warnungen der Lehrerin nicht mehr ernst, zu oft hatte sie ihm sein Ende prophezeit, aber irgendetwas schien trotzdem seinen Magen zusammen zu krampfen.
Den Rest der Stunde verbrachte Professor Trelawney damit die Träume von Lavender und Parvati zu entschlüsseln, die ihr wie gebannt an die Lippen hingen. Der Rest der Klasse hörte mehr oder weniger gelangweilt zu.
Als die Stunde endlich zu Ende war verließen Harry und Ron das stickige Turmzimmer wie in Trance. Sie waren wie betäubt von der rauchigen, monotonen Stimme ihrer Lehrerin und den erdrückenden Dämpfen, die aus dem brodelnden Kessel aufgestiegen waren.
Im Gemeinschaftsraum trafen sie Hermine. Sie war bester Laune, und erzählte fröhlich, welch komplizierte Aufgaben sie heute in Arithmantik gelöst hatte.
„Ach Hermine hör doch auf, wir wissen ja, dass du gut bist“, sagte Ron leicht gereizt. Er hatte selten gute Laune wenn er aus Wahrsagen kam, zu verwirrend fand er den Unterricht.
Harry hatte eine neue Mitteilung am Schwarzen Brett entdeckt und ging auf die gegenüberliegende Seite des Raums um zu erfahren, was dort ausgehängt wurde.
„Hört mal“, unterbrach Harry die beiden von der anderen Seite des Gemeinschaftsraums, „das ist ja klasse, nächste Woche beginnt wieder das Quidditch-Training, und habt ihr das gelesen, Angelina Johnson ist neuer Manschaftscaptain.“
„Oh, das freut mich aber für sie“, entgegnete Ron und ging zu Harry, „Angelina wird sicher ein würdiger Nachfolger für Oliver Wood. Bin mal gespannt, ob wir für dieses Jahr einen guten Hüter finden. Jetzt wo Wood weg ist, wird es bestimmt nicht einfach.“
Mittlerweile war auch Hermine herüber gekommen und studierte den Aushang. „Die Trainigsstunden sind jeweils ab 19:00 Uhr Mittwochs, Freitags und Dienstags“, las sie vor.
„Dienstags?“, fragte Ron überrascht, „aber Dienstags hast du doch Unterricht bei Snape.“
„Steht da wirklich Dienstag?“, fragte Harry entsetzt.
„Ja, schau doch selbst, hier steht eindeutig Dienstag“, antwortete Hermine.
Harry fluchte.
Ron blickte seinen Freund mitleidig an. „Du kannst doch mal mit Professor McGonagall sprechen, vielleicht kann sie mit Professor Snape reden, dass er seinen Unterricht verschiebt“, sagte er hoffnungsvoll.
Harry sah seinen Freund zweifelnd an. Er wußte noch aus früheren Zeiten, dass Professor McGonagall auch nicht den besten Draht zu Snape hatte, und da Snape der Hauslehrer von Slytherin war, standen sie quasi in direkter Konkurrenz um den Quidditch-Pokal. Snape würde es mit Sicherheit freuen, wenn Gryffindors Sucher nicht an allen Trainingseinheiten teilnehmen konnte.
„Ich kann‘s ja mal versuchen, vielleicht kann sie was machen. Was ist, wollten wir nicht in die Bibliothek?“, fragte Harry, und lenkte so das Thema auf etwas anderes.
„Ja, kommt schon, ich will jetzt endlich wissen, was es mit dem Amulett auf sich hat“, sagte auch Hermine.
Sie verließen den Gryffindor-Turm durch das Portrait-Loch und machten sich auf den Weg in die Bibliothek. Da in der ersten Schulwoche noch nicht alle Lehrer Hausaufgaben verteilt hatten, war die Bibliothek recht leer. Nur an einigen Tischen saßen vereinzelt Schüler über verschiedene alte Bücher gebeugt.
„So, ich suche ‚Magische Glücksbringer und ihre Bedeutung in der Zauberei‘ von gestern Abend, und ihr schaut euch noch mal in der Abteilung für ‚magische Reliquien und Hilfsmittel‘ um“, kommandierte Hermine. Da sie diejenige mit der meisten Bibliothekserfahrung war, gehorchten die Jungs ohne murren.
Ron und Harry begaben sich in die angegebene Abteilung und zogen planlos irgendwelche Bücher aus den Regalen, denn sie waren sich nicht so sicher wo genau sie suchen sollten.
Die Stunden vergingen, und die beiden Jungs waren schon kurz davor aufzugeben. Ron war gerade dabei ein Buch über zauberhafte Hilfsmittel durchzublättern, als er Hermines Stimme hörte. „Hier, kommt her, ich hab’s gefunden.“
Harry und Ron rannten quer durch die Bibliothek, in die Richtung, aus der sie Hermines Stimme gehört hatten. Madam Pince, die Bibliothekarin, an der sie polternd vorbei rannten warf ihnen einen bösen Blick hinterher. „Hey, hey, das hier ist doch keine Rennbahn!“, knurrte sie.
„‘Tschuldigung“, riefen Ron und Harry wie aus einem Mund, verlangsamten ihr Tempo jedoch nicht.
Als die beiden Jungs Hermine erreicht hatten war sie bereits in ein altes Buch vertieft. Als sie ihre Freunde kommen hörte sah sie auf und sagte: „Hier, seht mal das Bild, das ist doch Harrys Amulett.“
„Ja, stimmt“, sagte Harry, „das sieht genau so aus. Was steht dabei, lies schon vor.“
„Hm, der Anhänger heißt ‚Das Auge des Ares‘“, sagte sie.
Ron grinste „hihi, klingt ja komisch, was soll denn das sein?“
„Na ja“, sagte Hermine, „Ares war in der griechischen Mythologie der Gott des Krieges, aber mehr weiß ich auch nicht, hier steht bestimmt mehr.“ Hermine beugte sich über das Buch und begann vorzulesen:
Das Auge des Ares
Das Auge des Ares ist nach dem gleichnamigen griechischen Kriegsgott benannt. Ares war der Sohn des Zeus und der Hera. Er war bekannt für seine Kampfesleidenschaft. Im Gegensatz zu Athene (die auch eine Kriegsgöttin war, aber eher für Kriegslist zuständig war), stürzte er sich kaltblütig und unbesonnen ins dichteste Schlachtengewimmel. Ares ergriff nie Partei für die eine oder andere Gruppe, die sich bekämpfte. Je nach Laune schlug er sich auf die Seite der einen oder der anderen. Vor allem Streit und Plünderungen, Gemetzel und Blutbad, das Geräusch aufeinander stoßender Waffen bereiteten ihm Vergnügen. Wegen dieser Vorlieben und seiner Nichtbeachtung der Gesetze war er bei den anderen Göttern verhaßt.
Das Auge des Ares macht keinen Unterschied zwischen weißer und schwarzer Magie, es verstärkt sie jedoch. Je mächtiger der ausgesprochene Zauber, und je stärker die Emotionen, mit welchen er angewendet wird, desto mehr verstärkt das Medaillon seine Macht. Schwachen Magiern hilft es dagegen kaum.
„Und was soll das jetzt bedeuten?“, fragte Ron verwirrt.
„Ganz einfach“, sagte Hermine, „wenn ein großer Zauberer, so wie Du-Weißt-Schon-Wer das Amulett trägt, wird er viel stärker, als er ohnehin schon ist. Er ist sehr mächtig, und so haßerfüllt, dass die Kette ihn wahrscheinlich fast unbesiegbar macht.“
„Na, das klingt ja viel versprechend“, murmelte Harry, „wenn er also jemals das Amulett in die Finger kriegt, kann ich mir schon mal ein Grab schaufeln. Warum hat Sirius die Kette bloß nicht behalten, er ist ein fertig ausgebildeter Zauberer, ihm hätte das Amulett sicher besser helfen können.“
„Das schon“, warf Hermine ein, „aber Sirius muß nicht gegen Du-Weißt-Schon-Wen kämpfen. Vielleicht dachten deine Eltern, dass du einmal mächtig genug wirst, um das Amulett zu tragen.“
Harry gab ein verächtliches Geräusch von sich. „Das adelt mich“, murmelte er mit wenig Überzeugung.
Hermine stellte das Buch wieder ins Regal. Es war schon spät und sie gingen gemeinsam zurück in den Gryffindor-Turm. Kurz vor dem Portrait-Loch trafen sie auf Peeves, den Poltergeist. Er schwebte wild auf und ab und gluckste vor sich hin. Als er sie bemerkte gackerte er: „Oh, die kleinen Gryffindors, schleichen durch die Schule, sollten längst in ihrem Gemeinschaftsraum sein.“
„Peeves halt die Klappe“, blaffte Ron ihn an, „so spät ist es nun auch wieder nicht. Jetzt laß uns vorbei.“
„Neeeeiiiiin“, jaulte der Poltergeist, „zuerst will ich Spaß haben.“
Mit diesen Worten zog er zwei Vasen hinter dem Rücken hervor und warf sie auf Harry, Ron und Hermine. Eine der Vasen traf Hermine schmerzhaft an der Schulter und sie schrie auf. Dies schien Peeves nur noch mehr anzustacheln und er begann laut zu johlen. „Los kommt schon“, rief Harry, und zerrte seine Freunde zum Portrait der fetten Dame. Nachdem er das Paßwort gesagt hatte hechteten sie in ihren Gemeinschaftsraum. Peeves war so mit seinen Jubelschreien beschäftigt, dass er ihr verschwinden gar nicht bemerkte.
Am nächsten Morgen hatten sie in der ersten Stunde Verwandlung bei Professor McGonagall. Harry wollte diese Gelegenheit nutzen um mit der Lehrerin wegen des Quidditch-Trainings zu sprechen, schließlich war sie Hauslehrerin von Gryffindor, und es lag mit Sicherheit in ihrem Sinne, dass ihr Haus auch in diesem Jahr den Quidditch-Pokal gewann.
Als die Stunde zu ende war wartete Harry, bis seine Klassenkameraden den Raum verlassen hatten, dann ging er zu Professor McGonagall. Die Lehrerin hatte ihn nicht bemerkt und war gerade dabei ihre Bücher in die Schublade ihres Schreibtisches zu räumen.
Harry räusperte sich leicht. „Ach, Mr. Potter, ich habe Sie gar nicht bemerkt, kann ich noch etwas für Sie tun?“ fragte Professor McGonagall überrascht.
„Ja, vielleicht, Professor“, antwortete Harry vorsichtig, „ich habe gestern gelesen, dass das Quidditch-Training wieder beginnt.“
„Ja, und?“, fragte Professor McGonagall verwundert.
„Nun ja, das Training findet unter anderem Dienstags statt“, stotterte Harry weiter.
„Das weiß ich Mr. Potter, ich selbst habe unsere Zeiten in den Plan bei Madam Hooch eintragen lassen, und ich kann Ihnen sagen, es war sehr schwierig diese Termine überhaupt noch zu bekommen. Das Feld war schon fast ausgebucht.“
Harry überlegte wie er am Besten fortfahren sollte, doch seine Lehrerin kam ihm zuvor. „Haben Sie ein Problem damit, Mr. Potter?“, fragte sie.
Harry schluckte und antwortete schließlich: „Na ja, ich .... vielleicht haben Sie es schon von Professor Dumbledore erfahren, ich ...“ Harry wußte nicht wie er es ihr sagen sollte, schließlich hatte Snape gesagt, dass er mit niemandem darüber sprechen sollte und er wußte nicht, ob Professor McGonagall über seine Extra-Stunden informiert war.
„Ach ja, ich erinnere mich, sie müssen Dienstags zu Professor Snape“, sagte sie. Harry atmete innerlich auf. Also wußte sie es.
„Ja, Professor Dumbledore hat mich über diesen Umstand informiert. Ich war sehr überrascht, aber auch erfreut, dass Professor Snape sich dazu bereit erklärt hat.“
Harrys Mut sank, doch er fuhr trotzdem fort. „Ich wollte Sie nur bitten, ob Sie vielleicht einmal mit ihm reden könnten, ob er seinen Unterricht nicht auf einen anderen Tag verschieben kann, sonst kann ich leider nicht am Training teilnehmen. Wenn ich mit ihm rede sagt er sicher ‚nein‘“
Professor McGonagall blickte ihn einen Moment an, doch Harry konnte an ihrem Gesichtsausdruck nicht erkennen, was sie dachte. Schließlich antwortete sie: „Es tut mir leid, Mr. Potter, aber dieser Unterricht geht eindeutig vor. Ich kann Professor Snape nicht vorschreiben, wie und wann er ihn abzuhalten hat, ich glaube auch nicht, dass ich in diesem Punkt Einfluß auf ihn hätte.“ Sie machte eine kurze Pause bevor sie fortfuhr:
„Wenn Ihnen diese Belastung allerdings zu viel wird, sagen Sie mir bitte rechtzeitig Bescheid, damit wir vorübergehend einen neuen Sucher für Gryffindor finden können.“
Harry sah Professor McGonagall schockiert an. Damit hatte er am wenigsten gerechnet. Er wollte etwas antworten, doch bevor er wußte was er sagen sollte sprach sie weiter: „Ich würde es allerdings sehr bedauern Sie als Sucher zu verlieren. Unser Team verdankt Ihnen sehr viel, Mr. Potter.“
Sie lächelte leicht bei diesen Worten. Sie sah Harry erwartungsvoll an und wartete auf eine Antwort. Harrys Gedanken drehten sich im Kreis. Nein, er konnte doch nicht mit Quidditch aufhören, das war schließlich das einzige Vergnügen, das ihm in diesem Schuljahr noch geblieben war.
„Nein, nein Professor, das schaffe ich schon, ich komme auch mit zweimal Training klar“, murmelte er schließlich enttäuscht.
Professor McGonagall lächelte ihn an. „Ich weiß, dass Sie es schaffen, Mr. Potter. Wenn Sie nur an sich glauben, vermögen Sie mehr zu vollbringen, als Sie sich selbst vorstellen können.“
Harry nickte etwas mutlos und verließ das Klassenzimmer. Hermine und Ron hatten wieder auf ihn gewartet, und er berichtete ihnen, was Professor McGonagall gesagt hatte.
„Sie wird schon recht haben, Harry“, sagte Hermine nachdem er geendet hatte, „du schaffst das, und wenn es ganz hart kommt, helfe ich dir bei den Hausaufgaben.“
Harry lächelte dankbar. Gemeinsam gingen sie in die nächste Stunde.
Am Abend machte Harry sich wieder auf den Weg zu Professor Snape. Die kommenden Wochen verbrachte Snape damit, Harry alles über Voldemorts Lebensgeschichte zu erzählen. Er erwähnte viele Details, die Harry nicht einmal in den umfangreichen Büchern über den dunklen Lord gefunden hatte. Selbstverständlich war Snape mit nichts, das Harry in der Bibliothek gefunden hatte, völlig einverstanden und genoß scheinbar jede Korrektur, die er anbringen konnte.
Harrys Abende waren voll ausgefüllt. Zweimal in der Woche ging er zu Professor Snape und zweimal hatte er Quidditch-Training. Angelina schonte ihre Mannschaft nicht und trainierte unerbittlich. Harry war froh, dass sie nie ein Wort zu ihm gesagt hatte, weil er nicht zu jedem Training erscheinen konnte. Scheinbar hatte Professor McGonagall mit ihr deswegen geredet. Angelina hatte noch einen weiter Coup gelandet: sie hatte Paul Paddington, einen Drittklässler als Hüter anwerben können. Paul machte seine Sache sehr gut und das Gryffindor-Team rechnete sich gute Chancen auf den Pokal aus.
Harry hatte durch seinen vollen Stundenplan gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war, doch bevor er es richtig begriffen hatte, war es schon Ende Oktober. Es war empfindlich kalt geworden und die Blätter der Bäume leuchteten in unzähligen Farben. Am Samstag würde wieder die traditionelle Halloween-Feier stattfinden.
Es war Donnerstagabend vor Halloween, als Harry sich mal wieder auf den Weg zu Professor Snape machte. Er hatte zwar überhaupt keine Lust, hatte aber in den letzten Wochen die Erfahrung gemacht, dass es besser war Snape nicht warten zu lassen. Als Harry das Klassenzimmer betrat war Snape noch nicht da. Er blickte sich etwas verwirrt um und ging zu seinem Platz. Dort lag ein Zettel, der scheinbar von Professor Snape war. Harry nahm ihn in die Hand und las:
Mr. Potter,
schreiben Sie einen Aufsatz über das Leben von Lord Voldemort. Berücksichtigen Sie alle Fakten, die wir in den letzten Wochen durchgesprochen haben. Mindestlänge: 15 Seiten Pergament, und schreiben Sie nicht zu groß, Potter.
Professor Severus Snape
Harry war empört. „Der hat wohl einen Knall“, murmelte er, „das ist ja das Letzte.“ Noch bevor Harry diesen Satz zu ende gesprochen hatte, erschien unter der Nachricht von Snape ein Nachtrag:
Noch ein Wort, Potter, und Sie schreiben 20 Seiten.
Harry war fassungslos vor Zorn. Snape musste diese Nachricht verhext haben. Er biss sich auf die Lippen und verließ wütend den Raum. Er ging direkt zurück in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum und gesellte sich zu Ron und Hermine.
„Harry, was ist los, ich dachte du wärst bei Snape“, fragte Hermine verwundert.
„Snape war nicht da“, antwortete Harry ärgerlich, „aber er hat mir eine Nachricht hinterlassen, dass ich einen fünfzehnseitigen Aufsatz über Voldemort schreiben soll.“
„Fünfzehn Seiten?“, fragte Ron entsetzt, „ist der noch ganz sauber?“
„Ja, das hab ich auch gefragt, und da erschien auf dem Zettel eine Warnung, wenn ich noch ein Wort sagen würde, müßte ich 20 schreiben.“
Ron blickte seinen Freund ungläubig an. „Mann, Harry, mit fünfzehn Seiten bist du ja das ganze Wochenende beschäftigt, und dieses Wochenende ist doch das erste in diesem Jahr, an dem wir nach Hogsmeade dürfen.“
„Ja, ich weiß“, sagte Harry, „ich hole am besten gleich meine Aufzeichnungen und fange an.“ Mit diesen Worten stand Harry auf und stapfte wütend in seinen Schlafsaal, um seine Unterlagen über Voldemort zu holen.
***
Severus Snape war gerade auf dem Weg zu seinem Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste gewesen, um noch etwas für seinen Unterricht mit Potter vorzubereiten, als er einen stechenden Schmerz in seinem Arm gespürt hatte. Das Dunkle Mal hatte schwarz geglüht, und Snape mußte sich beeilten um den dunklen Lord nicht zu lange warten zu lassen. Er hatte es gerade noch geschafft seinem Schüler eine Arbeitsanweisung zu hinterlassen und hatte sich dann sofort auf den Weg nach Hogsmeade gemacht, um zu Lord Voldemort zu apparieren.
Es begann bereits dunkel zu werden, als Snape das alte Riddle-Haus erreichte. Weit und breit war niemand zu sehen. Vorsichtig betrat er das halb verfallene Gebäude. Sein letzter Besuch war ihm noch sehr gut im Gedächtnis geblieben, und er machte sich auf das Schlimmste gefaßt. Man konnte nie wissen, ob irgendetwas den dunklen Lord erzürnt hatte.
Der dunkle Lord und Peter Petticrew erwarteten Snape bereits im alten Wohnzimmer der Villa. Als Snape ihn erreicht hatte fiel er auf die Knie und küßte den Saum von Voldemorts Umhang.
„Erhebe dich“, hörte er die kalte Stimme von Voldemort.
Snape stand auf und trat einen Schritt zurück.
„Ich hoffe du hast die Augen offen gehalten, Snape. Was hast du mir über meine Feinde zu berichten?“ fragte Voldemort emotionslos.
„Meister, es gibt nicht viel zu berichtet“, antwortete Snape unterwürfig, „Professor Dumbledore hatte letzte Woche noch einmal ein Gespräch mit Vertretern des Ministeriums, doch Cornelius Fudge und seine Mitarbeiter glauben immer noch nicht wirklich an Eure glorreiche Auferstehung.“
Voldemort gab ein kurzes, tonloses Lachen von sich. „Das ist gut so. Bis sie gemerkt haben, dass der dunkle Lord zurückgekehrt ist, wird es für sie zu spät sein.“ Bei den nächsten Worten begann er vor Snape langsam auf und ab zu schreiten. „Was macht Potter?“, fragte er kalt.
„Mein Lord, Harry Potter hat seine Ferien bei Sirius Black und Remus Lupin verbracht. Er scheint die Erlebnisse von seiner letzten Begegnung mit euch recht gut verkraftet zu haben.“
Voldemort stieß ein abschätziges Geräusch aus, dann kniff er die Augen zusammen und sagte in gefährlichem Ton: „Lupin und Black, diese idealistischen Narren und Anhänger von Dumbledore sind auch noch fällig. Der Tag ihres Niedergangs wird bald kommen.“
Der dunkle Lord war vor Snape stehen geblieben und seine stechenden Schlangenaugen schienen sich in Snapes Kopf zu bohren. „Ich möchte, dass du Potter im Auge behältst“, fuhr er zischend fort, „Sorge dafür, dass er nicht zu viel Hilfe bekommt, ich möchte vermeiden, dass er zu stark wird, bevor ich mit ihm fertig bin.“
Snape schluckte. Wenn der dunkle Lord erfahren sollte, dass er Harry unterrichtete, war das sein Todesurteil. Er zögerte einen Moment, dann antwortete er: „Ja, Meister, ich werde mich persönlich darum kümmern.“
Voldemort nickte zufrieden.
Snape atmete innerlich auf. Es schien besser zu laufen, als er es zu hoffen gewagt hatte. Bis jetzt hatte der dunkle Lord nichts vorzubringen, das gegen seine Vertrauenswürdigkeit sprach. Er hoffte inständig, dass das auch so bleiben würde.
Voldemort schien das Gespräch nun beenden zu wollen, doch auf einmal trat Wurmschwanz an seine Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Voldemort merkte auf und ein schlangenhaftes Lächeln machte sich auf seinem lippenlosen Mund breit. Er trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen den schwarzen Altar, als er weiter sprach. „Noch etwas Snape. Mein treuer Wurmschwanz hat mich gerade an eine Information erinnert, die wir aus sehr sicherer Quelle erhalten haben. Ich habe erfahren, dass das ‚Auge des Ares‘ in Hogwarts aufgetaucht sein soll. Wir alle können uns vorstellen, wer es hat. FINDE ES und bringe es mir.“
Snape war verwirrt. Er hatte geglaubt, dass das Amulett seit dem Tod der Potters verschwunden sei. Warum hatte Dumbledore ihn nicht davon unterrichtet? Er sah Voldemort in die Augen und antwortete ergeben: „Wie Ihr befehlt, Meister.“
„Du darfst gehen, und enttäusche mich nicht“, sagte der dunkle Lord, drehte sich um und disapparierte.
Snape atmete auf, doch als er sich umsah bemerkte er, dass Wurmschwanz noch an derselben Stelle stand und ihn haßerfüllt anblickte. „Ich werde dich schon kriegen, verlaß dich drauf“, sagte er drohend, „Ich werde meinen Meister noch davon überzeugen, dass du ein dreckiger Verräter bist.“
Snape sah ihm in die Augen und zischte: „Na Petticrew, hast du wieder jemanden gefunden, dem du hinterher schwänzeln kannst? Paß nur auf, dass du dir nicht eines Tages die Finger verbrennst, du spielst mit dem Feuer. Lord Voldemort ist nicht so einfältig wie James Potter.“
Wurmschwanz knirschte wutentbrannt mit den Zähnen und wollte noch etwas sagen, doch Snape hatte die Zeit genutzt und war bereits disappariert.