Das Auge des Ares

 

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite


Kapitel 11: Godric's Hollow



Es waren mehr als zwei Stunden vergangen, als sich plötzlich die Tür öffnete. Harry schreckte auf. Er mußte wohl eingeschlafen sein, denn er hatte keine Schritte gehört.
Hagrid betrat die dunkle Hütte und stöhnte. „Komm rein, Fang, für heute haben wir es geschafft.“ Er ging zum Kamin und entzündete ein Feuer, dann drehte er sich um und sein Blick fiel auf Harry.
„Was machst du denn hier?“, entfuhr es ihm. Er starrte Harry ungläubig an.
Harry berichtete Hagrid was bei den Dursleys vorgefallen war, und dass er auf keinen Fall länger dort hatte bleiben können.
Als Harry geendet hatte grinste Hagrid. „Ja, diese Nuzzles können ganz schön Unruhe stiften.“ Dann wurde sein Gesicht wieder Ernst.
„Aber es is nich gut, Harry, wenn du so ganz allein auf dem Schulgelände rum läufst. Was, wenn ich nich hier gewesen wäre? Professor Dumbledore würde nie erlauben, dass ein Schüler ganz allein in der Schule ist, und gerade bei dir hätte er es wahrscheinlich erst recht nicht gut gefunden.“
„Aber was hätte ich denn machen sollen?“, fragte Harry seinen Freund bestürzt.
„Das weiß ich auch nicht“, gab Hagrid zu, „aber heute Nacht bleibst du auf alle Fälle hier. Kommt gar nicht in Frage, dass du ganz alleine im Schloß bleibst. Irgend jemand muß ja auf dich aufpassen.“
Harry verzog leicht das Gesicht. „Ich bin doch kein kleines Kind mehr“, protestierte er schwach.
„Aber du bist Harry Potter, und keiner will riskieren, dass dir irgend was zustößt“, ereiferte Hagrid sich.
Im Grunde war Harry froh, dass Hagrid ihm angeboten hatte die Nacht hier zu verbringen, denn der Gedanke die Nacht ganz alleine im Gryffindor-Turm zu verbringen war nicht gerade reizvoll.
Nach einer kurzen Pause sagte Harry: „Hagrid, ich habe meinen Koffer noch oben im Schloß, können wir den noch holen?“
Hagrid überlegte kurz, dann antwortete er: „Ich werde den Koffer holen, bleib du hier mit Fang. Kannst uns ja schon mal ‘nen Tässchen Tee machen, wenn du magst.“ Harry nickte und Hagrid verließ die Hütte. Bevor er die Tür hinter sich schloß drehte er sich noch einmal um und sagte: „Und mach nicht die Tür auf solange ich weg bin.“ Harry nickte.
Hedwig, die die offene Tür entdeckt hatte stieß einen Schrei aus und flog an Hagrid vorbei in die Nacht. Dann schloß Hagrid die Tür hinter sich und ließ Harry alleine.
Es dauerte kaum eine viertel Stunde, bis Hagrid wieder mit Harrys Sachen zurück war. Er mußte sich wirklich sehr beeilt haben.
Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch, tranken Tee und plauderten. Harry hatte schon lange nicht mehr so viel Zeit mit Hagrid verbracht und genoß den Abend in vollen Zügen.
Als es Zeit zum Schlafen wurde schob Hagrid für Harry zwei der riesigen Sessel aneinander. Die Liegefläche die sich daraus ergab war so groß, dass Harry sich gemütlich darauf ausstrecken konnte. Es dauerte nicht lange, und er fiel in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
Als Harry am nächsten Morgen erwachte brauchte er einen Moment um zu begreifen, wo er sich eigentlich befand. Nur langsam kamen die Erinnerungen an die Geschehnisse des Vortages zurück.
Nachdem Harry seine Brille aufgesetzt hatte blickte er sich suchend nach Hagrid um, konnte ihn jedoch nirgendwo in der kleinen Hütte entdecken. Fang lag vor dem Kamin und schlief.
Gerade als Harry sich aufmachen wollte um Hagrid zu suchen wurde die Tür der Hütte aufgestoßen und Hagrid kam herein mit einem üppigen Frühstückstablett.
„Hab mal die Hauselfen in der Küche besucht um uns was anständiges zu Essen zu besorgen“, sagte er und grinste. Gemeinsam deckten sie den Tisch und frühstücken ausgiebig.
Harry wollte Hagrid gerade von seinem Besuch bei Mrs. Figg erzählen, als sich die Tür der Hütte erneut öffnete und Professor Dumbledore eintrat.
„Hagrid, wir sind wieder ....“, sagte er, der Rest des Satzes blieb ihm im Halse stecken und er starrte Harry fragend an.
„Harry, was machst du hier, du solltest doch erst heute Nachmittag zurück kommen“, sagte er verwirrt.
„Nun ja“, sagte Harry verlegen, „es gab da einen kleinen Zwischenfall, und äh, da mußte ich einen Tag früher zurück kommen.“ Dumbledore blickte ihn immer noch fragend an, ging zu einem freien Stuhl und setzte sich.
Nachdem Hagrid dem Schulleiter eine Tasse Tee eingegossen hatte berichtete Harry noch einmal, was sich im Ligusterweg zugetragen hatte.
Dumbledore seufzte als Harry seinen Bericht beendet hatte. „Es war gut, dass du die Nacht bei Hagrid verbracht hast“, sagte er, „die Sicherheitsvorkehrungen im Schloß sind im Moment nicht die Besten. Zur Zeit wäre eigentlich der Ligusterweg der sicherste Platz für dich gewesen. Dort haben wir Vorkehrungen getroffen.“
„Ich weiß“, antwortete Harry etwas verlegen, „ich habe gestern mit Mrs. Figg gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass sie seit vielen Jahren meine Geheimniswahrerin ist.“
„Ach hat sie das?“, fragte Dumbledore, und ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. „Ja, die gute Arabella hat wirklich exzellente Arbeit geleistet.“ Er machte eine Pause und trank einen Schluck Tee.
„Aber jetzt sind fast alle Lehrer wieder da, wenn du möchtest kannst du in den Gryffindor-Turm zurückkehren.“
Harry sah Dumbledore fragend an. „Was heißt denn fast alle Lehrer, sind denn nicht alle mit zurück gekommen?“
Dumbledore atmete schwer aus, dann antwortete er: „Nein, Professor Snape wird noch ein oder zwei Tage länger in London bleiben, er hat dort noch etwas zu erledigen. Aber ich gehe davon aus, dass er zum Schulbeginn wieder hier sein wird.“
Harry schwieg einen Moment, dann fragte er vorsichtig: „Wird er von den Auroren verhört?“
Wieder seufze der Direktor. Er wirkte in diesem Moment wieder unglaublich alt. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass sich das Ministerium noch immer weigert produktiv mit uns zusammen zu arbeiten. Das erschwert unsere Situation erheblich.“
Harry sah den Direktor erwartungsvoll an, in der Hoffnung er würde noch mehr erzählen, doch nach diesen Worten erhob sich Dumbledore und verließ die Hütte.
Schweigend packte Harry seine Sachen zusammen, und brachte sie mit Hagrid zusammen in den Gryffindor-Turm. Auch Hagrid sagte kein Wort.
Am späten Nachmittag trafen auch die anderen Schüler im Schloß ein. Noch vor dem Essen hatte Harry seinen Freunden Ron und Hermine alles erzählt, was sich in den letzten Tagen im Ligusterweg und bei Hagrid ereignet hatte. Hermine schien etwas besorgt zu sein als Harry ihnen berichtete, dass Snape noch im Ministerium war, doch Ron konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Danach präsentierte Harry ihnen seinen neuen Zauberstab. Beide betrachteten ihn ehrfürchtig und Hermine sagte: „Das ist wirklich großartig Harry, wenn du nun Du-Weißt-Schon-Wem das nächste Mal gegenüber stehst habt ihr nicht mehr den Fluchumkehr Effekt. Wer weiß, vielleicht hätte sich dieser Effekt das nächste Mal gegen dich gerichtet und nicht gegen ihn.“
Harry nickte zustimmend. Daran hatte er noch gar nicht gedacht, dass er nun nicht mehr den gleichen Zauberstab hatte wie Voldemort.
Die restlichen Ferientage vergingen wie im Flug. Harry, Ron und Hermine genossen die warmen Frühlingstage und verbrachten die meiste Zeit auf den Ländereien des Schlosses. Hermine ermahnte die beiden Jungs zwar mehrmals sie müßten sich langsam um ihre Prüfungsvorbereitung kümmern, aber beide hatten keine Lust sich die Ferien durch Lernen verderben zu lassen.
Erst vier Tage nach Ankunft der anderen Lehrer tauchte Snape wieder auf. Hermine entdeckte ihn beim Abendessen in der Großen Halle. Er saß zwischen den anderen Lehrern, aß jedoch nichts. Er war noch blasser als normal und er wirkte ausgemergelt und erschöpft. Mit leeren, ausdruckslosen Augen stierte er vor sich hin.
„Was haben die bloß mit ihm angestellt?“, fragte Hermine, und leichte Sorge schwang in ihrer Stimme mit.
„Was kümmerst du dich um Snape?“, fragte Ron sie empört, „geschieht ihm recht, wenn sie ihn ausgequetscht haben. Endlich hat ihn mal einer so behandelt, wie er es verdient.“
Hermine starrte Ron ungläubig an. „Ron, das ist nicht fair, schließlich spioniert er für Dumbledore.“
„Na und, trotzdem hat er es verdient“, beharrte Ron auf seinem Standpunkt.
Harry hielt sich aus dieser Diskussion heraus. Natürlich haßte er Snape noch immer genauso wie früher, vielleicht sogar noch mehr, aber irgendwie, er konnte selbst nicht erklären warum, hatte er ein bißchen Mitleid mit diesem Mann. Er konnte sich nicht daran erinnern Snape jemals in solch einem jämmerlichen Zustand gesehen zu haben. Normalerweise starrte der Lehrer seine Schüler kalt und verächtlich an, doch nun war sein Blick leer, fast wie der von Sirius, kurz nachdem er aus Askaban geflohen war.
Es dauerte mehrere Tage, bis Professor Snape sich von seinem Aufenthalt im Ministerium erholt hatte, doch dann war er wieder genauso kalt und unbarmherzig wie eh und je.
Als der Unterricht nach den Ferien wieder begann erinnerte nichts mehr an den gebrochenen Mann, der er noch vor 2 Wochen gewesen war. Das einzige was sich geändert hatte war der abendliche Unterricht mit Harry. Snape hatte nichts mehr von dem Cruciatus-Fluch erwähnt und Harry hütete sich ihn daran zu erinnern. Einerseits hätte Harry zwar gerne den Gegenfluch vollständig beherrscht, aber andererseits war er auch nicht scharf darauf wieder mit dem Fluch belegt zu werden.

Die nächsten Wochen waren für alle Schüler ausgefüllt mit Lernen, denn die Prüfungen rückten nun unaufhaltsam näher. Dank Hermine besaßen aus Harry und Ron sehr umfangreiche Unterlagen, die ihnen die Vorbereitungen sehr erleichterten.
Drei Tage vor Beginn der ersten Prüfung erhielt Harry erneut einen Brief aus dem Zaubereiministerium:


Sehr geehrter Mr. Potter,

hiermit teilen wir Ihnen mit, dass die Anhörung Lupin gegen Dursley auf den 12. Juni verschoben wurde. Bitte finden Sie sich pünktlich um 10:30 Uhr in Raum 135, Gebäude A, des Ministeriums ein.

Hochachtungsvoll

Valerie Rickpark
Abteilung für Vormundschaftsangelegenheiten
Zaubereiministerium


Harry blickte empört auf den Brief. „Na, das fällt denen ja früh ein. Von dieser Terminänderung muß ich gleich heute Abend Remus schreiben.“
Hermine, die den Brief wie immer mitgelesen hatte, blickte Harry zweifelnd an. „Ich befürchte Remus kann dich nicht zu diesem Termin bringen.“
„Warum?“, fragte Harry verwirrt.
„Nun ja, wir haben im Moment zunehmenden Mond, und in der Nacht vom 11. auf den 12. ist Vollmond.“
Harry starrte Hermine ungläubig an. „Bist du dir da sicher?“, fragte er sie bestürzt.
„Ganz sicher“, antwortete Hermine.
Während des Unterrichts an diesem Tag saß Harry wie auf heißen Kohlen. Er wollte unbedingt zu Professor Dumbledore um mit ihm zu besprechen, wie er nun nach London kommen sollte.
Direkt nach der letzten Stunde machte er sich auf den Weg zum Büro von Professor Dumbledore. Er klopfte an die Geheimtür, doch niemand öffnete. Harry überlegte einen Moment, ob er einfach in das Büro des Direktors gehen solle, schließlich kannte er ja das Paßwort, entschied sich dann aber dagegen. Dumbledore würde bestimmt kein Verständnis dafür haben, wenn Harry unangemeldet in seinem Büro auftauchte.
Den Rest des Nachmittags lernte Harry zusammen mit Ron und Hermine ‚Verwandlung‘, doch er konnte sich nur schwer auf die Aufgaben konzentrieren. Immer wieder mußte er an die bevorstehende Anhörung denken und das Problem, wie er nach London gelangen sollte.
Nach dem Abendessen machte er sich mißmutig auf den Weg zu Professor Snape. Snape hatte trotz der bevorstehenden Prüfungen darauf bestanden seinen abendlichen Unterricht wie gewohnt abzuhalten, obwohl Harry ihn mehrmals darum gebeten hatte für seine Prüfungen lernen zu dürfen.
Er hatte sich kaum auf seinen Platz gesetzt, als sich die Tür öffnete. Snape starrte erbost in die Richtung, aus der die Störung kam, doch der Zorn in seinen Augen wich der Überraschung, als Professor Dumbledore den Raum betrat.
„Guten Abend Severus“, sagte Dumbledore freundlich, „bitte entschuldige die Störung, aber ich muß kurz mit Harry reden.“
Snape nickte kurz und Dumbledore ging zu Harry.
„Hallo Harry, sicher hast du heute Morgen auch einen Brief aus dem Ministerium erhalten“, fragte er Harry.
Harry nickte. „Ja, ich wollte vorhin schon zu Ihnen kommen, aber Sie waren nicht da.“
„Hm, ich hatte noch einiges zu erledigen“, antwortete Dumbledore und wirkte dabei etwas zerstreut. Dann sammelte er sich wieder. „Vielleicht ist es dir schon aufgefallen, an diesem Anhörungstermin ist Vollmond, Remus wird dich also nicht nach London begleiten können.“
„Ja, ich weiß“, antwortete Harry bedrückt.
„Leider ist mir noch keine Alternative eingefallen, wer dich nach London begleiten könnte“, sagte Dumbledore und blickte Harry an.
„Albus, ich könnte ihn begleiten“, meldete Snape sich plötzlich aus dem Hintergrund. Harry starrte Snape entgeistert an. Das war nun das Letzte was er wollte: alleine mit Snape nach London fahren.
„Das ist eine großartige Idee“, sagte Dumbledore und strahlte Snape an. „Dann brauchen wir uns wenigstens keine Sorgen um Harrys Sicherheit zu machen.“
„Aber Professor Dumbledore, ich ....“, wollte Harry sich beschweren, doch Dumbledore unterbrach ihn fröhlich: „So das wäre geklärt, geh jetzt am Besten in deinen Gemeinschaftsraum und lerne für die Prüfungen, es ist nicht mehr lange hin. Wir treffen uns am 12. um halb zehn in meinem Büro.“
Harry merkte, dass es keinen Sinn hatte den Direktor umzustimmen, doch er wagte es auch nicht aufzustehen und den Klassenraum einfach zu verlassen. Verstohlen blickte er zu Snape. Der Lehrer stand da und machte keine Anstalten die Aufforderung von Dumbledore rückgängig zu machen.
Langsam begann Harry seine Unterlagen zusammen zu packen, jeden Moment damit rechnend von Snape gestoppt zu werden, doch nichts geschah. Als er seine Sachen fertig gepackt hatte schielte er wieder zu Snape, doch dieser war mittlerweile in ein Gespräch mit Professor Dumbledore vertieft. So unauffällig wie möglich erhob Harry sich von seinem Platz und stahl sich aus dem Klassenraum.

Dank der Hilfe von Hermine waren auch Harry und Ron sehr gut auf die Prüfungen vorbereitet und hatten keine großen Probleme die gestellten Aufgaben zu lösen. Lediglich ihre Wahrheitstränke für Professor Snape gelangen nicht hundertprozentig. Ron hatte es ein bißchen zu gut mit den Spinnenbeinen gemeint und der Trank dampfte wie eine Lokomotive und Harry schaffte es einfach nicht die richtige Konsistenz in seinem Kessel herzustellen. Sein Trank war klebrig wie Sirup.
Am 12. Juni fand Harry sich pünktlich in Professor Dumbledores Büro ein. Dumbledore und Snape erwarteten ihn bereits. Als Harry das Büro betrat saß Dumbledore an seinem Schreibtisch und blickte Harry erwartungsvoll an. Snape stand mit dem Rücken zur Tür an einem der Fenster und würdigte Harry keines Blickes.
„Hallo Harry, da bist du ja“, begrüßte Dumbledore ihn freundlich.
„Hallo Professor“, sagte Harry.
„Hast du dir genau überlegt, was du vor dem Ausschuß sagen willst?“, fragte Dumbledore ihn.
Harry zögerte einen Moment, dann antwortete er: „Ja, ich denke schon.“
Professor Dumbledore stand nun von seinem Platz auf und ging ein paar Schritte auf Harry zu. „Diese Anhörung heute ist sehr wichtig für dich“, erklärte er eindringlich, „du wirst ganz auf dich alleine gestellt sein, keiner von uns kann dir in dieser Situation helfen.“
Harry stutzte einen Moment. Er war davon ausgegangen, dass Professor Snape bei dieser Anhörung anwesend sein würde. „Äh, Professor“, begann er vorsichtig, „wird Professor Snape nicht ....“
„Nein Harry, du wirst den Mitgliedern des Ausschusses ganz alleine gegenüber treten müssen.“
Wenn Dumbledore erwartet hatte Harry mit dieser Tatsache zu verunsichern so hatte er sich geirrt. Statt dessen machte sich ein leichtes Lächeln auf Harrys Gesicht breit. Ihm konnte es nur recht sein, wenn Snape nicht alles hörte, was er dem Ministerium zu sagen hatte.
In diesem Moment drehte Professor Snape sich zu ihnen um und fixierte Harry kalt. Harry war sich nicht sicher, doch er glaubte für einen kurzen Moment ein leichtes, selbstgefälliges Lächeln auf Snapes Gesicht zu erkennen.
„Es wird Zeit“, sagte Snape eisig und ging auf Harry und Dumbledore zu.
„Hast du den Portschlüssel vorbereitet, Severus?“, fragte Dumbledore.
Snape nickte und zog einen alten Teelöffel aus seinem Umhang.
„Ich wünsche dir alles Gute“, sagte Dumbledore zu Harry gewandt.
„Danke Professor“, antwortete Harry und lächelte Dumbledore an. Dann richtete Dumbledore sich an Snape: „Paß gut auf ihn auf, Severus. Ich vertraue dir.“
Snape nickte knapp.
„Gute Reise, euch Beiden“, sagte Dumbledore. Dann trat Harry an Snape heran und berührte ein Ende des Teelöffels. Er bemühte sich dabei nicht zu nah bei Snape zu stehen, er wollte doch einen gewissen Abstand wahren.
In dem Moment, als Harry den Portschlüssel berührte spürte er das altbekannte Ziehen in seiner Magengegend. Oh, wie er diese Art zu reisen haßte. Dann wirbelten sie gemeinsam durch turbulente Böen und wilde Farbspiralen.
Nach wenigen Sekunden war alles vorbei und sie hatten wieder festen Boden unter den Füßen. Nachdem Harry sich einen Moment gesammelt hatte blickte er sich neugierig um. Wie London sah diese Gegend nicht gerade aus. Sie befanden sich auf einer Art Marktplatz, der umgeben war von einigen alten Häusern. Die Häuser ringsum waren teilweise verfallen und schienen alle verlassen zu sein. Es war totenstill, nicht einmal die Vögel gaben einen Laut von sich.
„Wo sind wir?“, fragte Harry und sah Snape verwirrt an.
Snape würdigte ihn keines Blickes und antwortete: „Komm mit.“ Dann setzte er sich in Bewegung.
Harry jedoch blieb wie angewurzelt stehen und starrte Snape an. „Wo sind wir?“, wiederholte er, wobei er eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme nicht verbergen konnte.
Snape drehte sich um und sah Harry kalt an. Harry hatte das Gefühl als würde ihm das Blut in den Adern gefrieren.
„Komm schon“, zischte Snape ungeduldig.
Harry rührte sich nicht.
Snape kam zu Harry zurück, packte ihn unsanft am Arm und zog ihn mit sich.
Harry versuchte sich aus Snapes festem Griff zu befreien und protestierte, doch er hatte der Kraft des Lehrers nichts entgegen zu setzen.
Snape zerrte Harry eine verlassene Straße entlang. Die Häuser ringsum wurden immer baufälliger. Bei einigen waren bereits die Dächer eingestürzt, ein paar andere bestanden nur noch aus den Grundmauern.
Obwohl es heller Tag war verliehen diese steinernen Skelette diesem Ort eine gewisse Düsternis.
Harry hatte unterdessen seinen Widerstand aufgeben und ließ sich von Snape weiter die Straße entlang ziehen. Nach nicht einmal hundert Metern verließen sie den kleinen Ort und Harry sah vor sich ein großes, altes Haus.
Früher war es bestimmt einmal sehr stattlich gewesen. Der Eingang wurde von mehreren weißen Säulenpaaren geziert, die jetzt jedoch mit Moos bewachsen waren. Ein paar der riesigen Fensterscheiben waren zerbrochen und der Garten rings um das Haus war verwildert.
Snape zog Harry direkt auf das Haus zu. Harry starrte Snape wütend an. In Snapes Gesicht regte sich kein Muskel, sein Gesicht war kalt wie Stein. Harry hatte ein verdammt ungutes Gefühl in der Magengegend. Was hatte der Lehrer mit ihm vor?
Als sie das Grundstück des alten Hauses erreicht hatten versetzte Snape dem geschlossenen Gartentor einen Stoß um es zu öffnen. Das Tor fiel krachend zu Boden. Das Geräusch wirkte unnatürlich laut in der Stille.
Sie durchquerten den Garten bis zu der großen Eingangstür. Dort hielt Snape einen Moment inne und blickte sich suchend um.
„Professor Snape, was ....“, versuchte Harry erneut zu fragen, doch Snape starrte ihn nur kalt an und zischte leise: „Halt den Mund“.
Harry wurde langsam schlecht. Mit aller Kraft versuchte er sich noch einmal aus Snapes Griff zu befreien, doch dieser hielt ihn unbarmherzig fest.
Mit einem Ruck öffnete Snape die Tür des Hauses und stieß Harry durch die Tür. Dann folgte er ihm und schloß die Tür wieder hinter sich. Harry blickte sich neugierig um. Sie befanden sich in einer riesigen, düsteren Eingangshalle. Eine breite Treppe führte nach oben in den ersten Stock und am Ende der Halle befand sich eine große, jedoch verschlossene Tür.
Noch während Harry sich umsah hörte er plötzlich langsame Schritte über sich. Irgend jemand befand sich im ersten Stock. Er warf einen unsicheren Blick auf Snape. Der Lehrer starrte wie gebannt auf die Treppe. Harry konnte in seinem Gesicht gespannte Erwartung erkennen.
Dann spürte Harry einen stechenden Schmerz auf seiner Stirn. Er fuhr mit der Hand an seinen Kopf und hielt sich die brennende Narbe. Die Schritte kamen immer näher, und je näher sie kamen, desto heftiger wurde der Schmerz in Harrys Kopf. Und dann begriff er: Voldemort.
Der dunkle Lord hatte die Treppe erreicht und schritt nun Stufe für Stufe zu ihnen herab. Seine roten Augen glühten in dem schwachen Licht. Sie waren direkt auf Harry gerichtet.
Harry drehte sich um und rannte zur Eingangstür, doch bevor er sie erreicht hatte, hatte Voldemort seinen Zauberstab gezückt und zischte: „Claudare“.
Harry prallte gegen die geschlossene Tür und rüttelte an der Klinke, doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Voldemort mußte sie magisch verschlossen haben. Er drehte sich wieder um.
Voldemort hatte mittlerweile das Ende der Treppe erreicht und lächelte Harry an. „Hallo Harry, mein Junge. Wir werden doch nicht weglaufen wollen?“
Harry antwortete nicht und starrte Voldemort an.
„Selbst wenn du es schaffen würdest dieses Haus lebend zu verlassen, würden meine Death Eater, die dieses Haus umstellt haben, deine Flucht vereiteln.“
Harrys Blick wanderte Hilfe suchend zu Snape.
Snape hatte die ganze Zeit unbeweglich in der Mitte der Halle gestanden. Auch Voldemort sah nun zu Snape.
„Mein treuer Death Eater“, zischte Voldemort, „endlich hast du einmal nicht versagt.“
Snape war während dieser Worte auf Voldemort zugegangen. Nun fiel er vor dem dunklen Lord auf die Knie und küßte dessen Umhangsaum. Dann erhob er sich wieder und sagte leise: „Ich grüße Euch, Meister. Wie ihr befohlen habt, bringe ich Euch den jungen Potter.“
Harry starrte Snape an. Das konnte unmöglich wirklich geschehen. Er hatte die ganze Zeit gedacht, dass Snape auf Dumbledores Seite stand. Dumbledore hatte Snape vertraut, wie konnte er ihn nur so hintergehen?
Snape war inzwischen an Voldemorts Seite getreten. Beide starrten Harry an. Einen Moment herrschte eisige Stille, dann sagte Voldemort leise: „Weißt du, wo du hier bist, Harry?“
Harry antwortete nicht.
„Das ist Godric’s Hollow“, sagte Voldemort leise.
Harry überlegte einen Moment. Irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gehört, doch er konnte sich nicht daran erinnert wo.
Voldemort war Harrys ratloser Blick nicht entgangen, und wie zur Erklärung fuhr er fort: „Dies hier ist der Ort, an dem du schon vor 14 Jahren hättest sterben sollen.“
Dann fiel es Harry wie Schuppen von den Augen. Das mußte das Haus seiner Eltern sein. Das Haus, in dem sie alle gemeinsam gelebt hatten bevor Voldemort seine Eltern getötet hatte.
„Hier hat alles angefangen, und hier wird alles enden“, fuhr Voldemort fort und ein leichtes Lächeln huschte über seinen lippenlosen, schlangenhaften Mund.
Harry wollte instinktiv noch weiter zurück weichen, doch er stand bereits an der Tür und hatte keine Möglichkeit einen größeren Abstand zwischen sich und Voldemort zu bringen. Langsam griff er in seinen Ärmel und zog seinen Zauberstab heraus.
Voldemorts Lächeln wurde noch breiter.
„Ein Duell?“, fragte er spöttisch und ließ Harry nicht aus den Augen. „Glaubst du etwa, du hättest mir mehr entgegen zu setzen, als vor einem Jahr? Dass du damals entkommen konntest war ein dummer Zufall den ich nicht bedacht hatte. Hm, ja, ich muß zugeben, dass ich in der Vergangenheit einige Details nicht bedacht hatte, doch dieses Mal, mein lieber Harry bin ich vorbereitet.“
Voldemort griff unter seinen Umhang und holte ein Medaillon hervor, das an einer goldenen Kette um seinen Hals hing.
„Das Auge des Ares“, flüsterte Harry und starrte das Amulett in Voldemorts Hand an. Er hatte zwar gewußt, dass Voldemort im Besitz des Auges war, aber es nun mit eigenen Augen vor sich zu sehen versetzte Harry einen Schlag in den Magen.
„Ja, das Auge des Ares, endlich ist es mein“, sagte Voldemort langgezogen. „Deine Eltern haben ihr Leben gegeben für dieses Amulett, doch ihr heldenhaftes Opfer war umsonst. Nun endlich, nach so vielen Jahren hat es einen würdigen Träger gefunden, der seine Kräfte auch zu nutzen weiß.“
Haß stieg in Harry hoch. Er starrte abwechselnd von Voldemort zu Snape, der die ganze Zeit bewegungslos neben dem dunklen Lord gestanden hatte.
„Sie haben es gestohlen“, rief Harry mit dem Mut der Verzweiflung.
„Gestohlen?“, fragte Voldemort fast sanft. „Oh, Harry, du verkennst die Situation. Einer meiner treuen Diener hat es gefunden.“ Während dieser Worte bedachte er Snape mit einem Blick, der absolutes Mißfallen ausdrückte.
Snape schien einige Zentimeter unter dem Blick des dunklen Lords zu schrumpfen.
„Ja, in meinem Koffer gefunden“, rief Harry aufgebracht und starrte nun ebenfalls Snape an.
Voldemort bemerkte Harrys Blick und sagte spöttisch. „Oh, nein, er hat kläglich versagt.“ Er starrte Snape abschätzig an. „Ich hatte noch einen anderen Diener in Hogwarts.“
„Dann kann es nur Draco Malfoy gewesen sein“, knurrte Harry.
Voldemort lächelte und schüttelte leicht den Kopf. Er machte eine kurze Pause bis die Spannung in der Luft fast greifbar war, dann zischte er: „Agathe Aspervir“.
„Professor Aspervir?“, fragte Harry und starrte Voldemort an. An die unscheinbare, fast dümmliche Lehrerin hätte er als aller Letztes gedacht.
„Sie hat mir gute Dienste geleistet. In den richtigen Momenten hat der ein oder andere leichte Imperius-Fluch wahre Wunder bewirkt. Ich möchte dich nicht sterben lassen, Harry, ohne dass du erfährst wie sie es angestellt hat. Zum Glück sind die meisten Gryffindors dumm und tölpelhaft, und so war es für sie kein Problem das Passwort für den Turm aus einem leichtgläubigen Fünftklässler herauszubekommen. Dann, nach eurer grandiosen Weihnachtsfeier schlich sie in den Turm und besorgte mir das Amulett. Allen die ihr begegneten, ob Hauselfen, Bilder oder Menschen verabreichte sie einen Tropfen Vergessenstrank. Es war wirklich zu einfach. Und die ganze Zeit war sie geschützt durch meine Aura.“
Harry starrte Voldemort fassungslos an.
„Oh, Harry, schau mich nicht so an“, sagte der dunkle Lord fast zärtlich, doch dann bekam seine Stimme einen gefährlichen Unterton, „der Bessere hat gewonnen, so ist das nun mal im Leben. Finde dich mit dieser Tatsache ab, bevor du stirbst.“
Voldemort hatte nun seinen Zauberstab auf Harry gerichtet und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu.
Harry sah Hilfe suchend zu Snape, doch dieser starrte Harry nur kalt an. In seinem Gesicht war nicht zu lesen was er dachte. „Professor Snape, Sie .....“, begann Harry hoffnungsvoll, doch Voldemort unterbrach ihn barsch: „Snape ist mein treuer Diener, er wird dir nicht helfen. Er hat gelernt seinem Meister nicht zu widersprechen, nicht wahr Snape?“, wandte er sich an den Mann hinter sich.
Snape senkte wie zur Bestätigung leicht den Kopf, sagte jedoch kein Wort.
Voldemort machte noch einen Schritt auf Harry zu. Harry starrte auf das Amulett, das auf Voldemorts Brust hing. Die Steine an seinem Rand hatten schwach zu glühen begonnen. Er war so abgelenkt, dass er viel zu spät mitbekam, dass Voldemort bereits den ersten Fluch auf Harry ausgesprochen hatte.
Crucio“, zischte Voldemort.
Harry brach stöhnend zusammen. Ein gewaltiger Schmerz übermannte ihn. Seine Adern schienen zu brennen, seine Knochen schienen zu bersten. Harry hörte Schreie, sicher waren es seine eigenen. Niemals waren ihm die Flüche von Snape so gewaltig vorgekommen wie diese hier. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als Voldemort endlich den Fluch von Harry nahm.
Harry stöhnte erleichtert auf. Unter größter Anstrengung zwang er sich auf die Knie. Sein Zauberstab lag neben ihm. Er griff nach ihm, Voldemort hinderte ihn nicht. Dann starrte er Voldemort an.
„Das, Harry, war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dich erwartet“, sagte Voldemort kalt. „Du stehst tief in meiner Schuld, wie du weißt. 13 lange Jahre schuldest du mir, und diese Zeit wirst du mir zurückzahlen, jedes einzelne Jahr des Exils.“
Harry stöhnte erneut. Er versuchte sich noch einmal aufzurappeln, fiel jedoch gleich wieder auf seine Knie.
Professor Snape war mittlerweile dicht hinter Voldemort getreten und starrte Harry an. Sein Blick war kalt und verriet nicht die leiseste Gefühlsregung.
Voldemort richtete wieder seinen Zauberstab auf Harry, doch dieses Mal war Harry vorgewarnt. Wieder begann das Amulett um Voldemorts Hals zu glühen, doch Harry achtete nicht darauf. In dem Moment, als Voldemort den Cruciatus-Fluch auf ihn schleuderte rief Harry mit trockener Stimme: „Securis“.
Noch während er den Gegenfluch aussprach wandte er seinen Blick von Voldemort ab und starrte auf den Zauberstab seines Vaters, den er in der Hand hielt. Die kleine Gravur kurz oberhalb des Griffs leuchtete hell auf. Der kleine Dreizack strahlte ein gewaltiges Licht aus.
Harry spürte wie seine Gliedmaßen taub wurden, als Voldemorts Fluch ihn traf, doch er verspürte keine Schmerzen. Er nahm all seine Kraft zusammen und stand ganz langsam, wie in Zeitlupe auf.
Das Lächeln auf Voldemorts Gesicht erstarb. Fassungslos starrte er Harry an. „Was zum ....“, schrie Voldemort entsetzt, doch der Rest des Satzes blieb ihm in Halse stecken.
Harry hatte seinen Zauberstab auf Voldemort gerichtet und rief: „Stupor“.
Voldemort taumelte von dem Schockzauber getroffen nach hinten, schaffte es jedoch, sich auf den Beinen zu halten.
Dann starrte er Snape an. „Du warst es, nur aus deinem Hirn konnte solch ein Zauber entspringen“, zischte er. Seine Augen schienen vor Zorn Funken zu sprühen. Das Medaillon um seinen Hals glühte immer heller, je mehr Voldemort sich in seinen Haß steigerte.
„Wie konntest du es wagen?“, kreischte er und richtete seinen Zauberstab auf Snape. Snape stand immer noch unbeweglich auf seinem Platz und sah Voldemort ebenso kalt an wie zuvor Harry.
Harry, der immer noch seinen Zauberstab auf Voldemort gerichtet hatte rief „Expelliarmus“ und hob seine Hand um den Zauberstab aufzufangen, der gleich auf ihn zugeflogen kommen würde. Doch der Fluch traf nicht Voldemort sondern das Amulett um seinen Hals. Die Steine des Amuletts begannen grell zu flackern und Voldemort griff sich mit Schmerz verzerrtem Gesicht an die Brust.
„Was ist das?“, kreischte er.
Snape nutzte diese Chance, griff nach dem grell flackernden Amulett und riß es Voldemort vom Hals. Voldemort taumelte einige Schritte rückwärts und starrte Snape haßerfüllt an.

Kapitel 10

Kapitel 12

 

Zurück