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Kapitel 18: Der letzte Tag
Viel schneller als es ihr lieb war, fand sich Alcyone am kommenden Freitag in den Gewächshäusern wieder und hielt ihre letzten Unterrichtsstunden. Es war schon ein komisches Gefühl, wenn sie daran dachte, daß sie es nach diesem Tage womöglich nie wieder tun könnte. Es hatte ihr wirklich erstaunlich viel Spaß gemacht.
Dumbledore hatte ihr am Mittwoch erzählt, daß Professor Sprout am kommenden Wochenende zurückkehren würde und ab Montag auch wieder voll einsatzfähig wäre. Alcyone war natürlich froh über die Genesung der Professorin. Sie mußte aber sich selbst gegenüber gestehen, daß es ihr auch nichts ausgemacht hätte, wenn Professor Sprout noch einige Tage länger gefehlt hätte. Das sagte sie natürlich niemanden.
An diesem letzten Tag bot sich für Alcyone auch die Möglichkeit, mit Harry und seinen Freunden zu sprechen. Aus zwei Gründen.
"Ich möchte mich bei euch allen bedanken," sagte Alcyone, nachdem sie offiziell den Unterricht von Harrys Klasse beendet hatte, "dafür, daß ihr an meinem Unterricht aktiv teilgenommen habt. Ich hoffe, ich habe euch einiges vermitteln können und wie ich schon zu einigen anderen Klassen gesagt habe, wenn jemand von euch Interesse hat, beruflich in diesem Gebiet tätig zu werden, kann er sich jederzeit mit mir in Verbindung setzen."
Sie blickte kurz in die Runde und sagte dann abschließend. "Damit seid ihr jetzt entlassen. Macht's gut."
Sofort begannen die Schüler durcheinander laufen. Nicht wenige kamen zu Alcyone und verabschiedeten sich persönlich, was Alcyone am meisten freute.
Als Harry, Ron und Hermine auf sie zukamen, hielt sie die drei auf.
"Könnt ihr bitte einen Augenblick warten. Ich muß mit euch noch unter vier Augen sprechen."
Die drei nickten und stellten sich etwas Abseits hin, so daß die restlichen Schüler noch die Möglichkeit hatten, sich von Alcyone zu verabschieden.
Schließlich hatten alle Schüler, bis auf Harry, Ron und Hermine, das Gewächshaus verlassen und Alcyone wandte sich den Dreien zu.
"Ich wollte euch Drei noch danken", sagte sie und schenkte ihnen ein Lächeln.
"Wofür?" Das war Ron. Sein Blick zeigte Verständnislosigkeit.
Hermine sah Ron mit einem Blick an, der Bände sprach. Offensichtlich konnte sie es nicht verstehen, daß Ron nicht wußte, um was es ging.
Alcyone hätte jetzt nur lächeln können und so etwas sagen können wie >>Ihr wißt schon!"<<. Harry und Hermine hätten es ohne Umschweife sofort verstanden und später Ron aufgeklärt. Das tat Alcyone aber nicht.
"Dafür, daß ihr letzten Freitag zu mir gekommen seit und euch beklagt habt", sagte sie gerade heraus.
Dann wandte sie sich direkt an Hermine. "Dir danke ich dafür, daß du so naseweis bist und Nachforschungen angestellt hast. Denn sonst wärt ihr nie auf die Idee gekommen, zu mir zu kommen."
Hermine wurde rot.
Ron konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, was er allerdings hinter Hermines Rücken tat, so daß diese das nicht mitbekam.
"Und dir Harry danke ich, daß du Sirius geschrieben hast. Hättest du das nicht getan, wäre ich nie zu Remus gegangen und hätte mit Sirius geredet."
Harry lächelte ihr zu und sah dabei James nur noch ähnlicher. Alcyone mußte ungewollt an James denken. Als sie ihn das letzte Mal lebend gesehen hatte, war nicht viel älter gewesen als Harry. James war zwar nicht ihr bester Freund gewesen, aber eben der beste Freund von ihrem Bruder. Das war für sie fast das gleiche.
Sie sah zu Ron.
"Dir danke ich auch."
In Rons Gesicht stand so etwas in der Art wie Wofür-ich-habe-doch-gar-nichts-getan geschrieben.
Alcyone mußte rasch überlegen. Bei Harry und Hermine war es leicht gewesen, den Grund zu finden, aber bei Ron schon schwieriger. Alcyone dachte angestrengt nach. Was hatten sie alles am Freitag erzählt? Hatte Hermine nicht gesagt, daß Harry und Ron Beide sofort eine Eule los schicken wollten? Das war es. Sie lächelte Ron freundlich zu und sagte: "Und dir Ron danke ich dafür, daß du Harry dazu überredet hast, Sirius eine Eule zu schicken."
Es entsprach zwar nicht ganz dem, was am Freitag erzählt wurde, aber Alcyone konnte wenigstens so tun, als ob das genau so gesagt wurde. Entweder glaubten sie ihr oder nicht. Alcyone versuchte deswegen einfach so überzeugend zu klingen, wie es ging.
Anhand von Rons Gesichtsausdruck glaubte Alcyone zu erkennen, daß ihr geglaubt wurde.
"Danke", sagten alle drei.
Erleichtert und selbst dankbar lächelte sie ihnen nochmals zu. Alcyone griff in eine Tasche ihres Umhanges und holte ein Stück Pergament heraus. "Wenn ihr mal in London seid, könnt ihr mich gerne besuchen. Unter der Woche bin ich allerdings arbeiten, aber ihr könnt mich ruhig auch dort besuchen." Sie reichte Harry das Pergament. „Da steht meine Adresse drauf. Ihr solltet nur wissen, daß es in einer Muggelgegend ist, also nicht zaubern." Sie grinste.
„Danke Miß Hide“, sagte Harry. „Wenn es mein Onkel und meine Tante erlauben würden, käme ich gerne zu Besuch.“
Harry machte ein trauriges Gesicht, was Alcyone nur zu gut verstehen konnte. Sie kannte Petunia zwar nicht persönlich - glücklicherweise - aber sie hatte von Lily einst Geschichten über sie gehört.
„Ich denke, daß können wir schon irgendwie regeln“, sagte sie aufmunternd an Harry gewandt. „Du bist auf jeden Fall immer bei mir willkommen, selbst wenn es nur eine Flucht von den Dursleys sein sollte.“
Sie konnte Harry damit ein leichtes Grinsen entlocken. Es schien ehrlich zu sein.
„Sie könnte doch Sirius heiraten, dann könntest du zu ihr ziehen!“, flüsterte Ron Harry zu, aber es war für Alcyone, sowie auch für Hermine, nicht zu überhören.
"Ron!", zischten Hermine und Harry wie aus einem Mund.
„Ist doch wahr!“, versuchte Ron sich zu verteidigen.
Alcyone konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Diese Aussage von Ron war einfach zu süß. Sie trat einen Schritt näher auf Ron zu. Dieser wurde leicht rot. Offensichtlich tat ihm seine Aussage jetzt etwas leid und es war ihm irgendwie peinlich.
„Ich weiß deinen Vorschlag zu schätzen, Ron!“, sagte sie, während sie ihn freundlich ansah. Dann grinste sie etwas geheimnisvoll und flüsterte in einer Lautstärke, so daß Harry, Ron und Hermine sie gerade noch verstehen konnten: „Aber mein Herz gehört schon einem anderen!“
Alcyone brauchte den Namen gar nicht zu nennen. Sie war überzeugt, daß die Drei wußten, wer es war. Das war inzwischen wohl offensichtlich.
Anscheinend doch nicht, denn es war wieder Ron, der keine Ahnung zu haben schien. „Wer?“ Wieder ein nicht zu überhörendes Flüstern.
Hermine schaute ihn mit einem leichten Kopfschütteln an flüsterte zurück „Nachher.“
„Schon gut“, sagte Alcyone. Sie blickte zu Ron, lächelte kurz und versuchte dann so gut es ging, eines von Severus typischen Gesichtsausdrücken zu imitieren. Sie hatte natürlich keine Ahnung, ob dies auch wirklich funktionierte.
„Oh“, sagte Ron plötzlich und in seinem Gesicht war zugleich Erleichterung zu erkennen, weil er es jetzt wußte, um wen es sich handelte und Entsetzen, auch weil er wußte, um wen es sich handelte. In seinem Gesicht stand fast so etwas wie Wie-kann-dieser-fiese-ekelhafte-widerliche-Snape-überhaupt-eine-Frau-abbekommen? geschrieben.
Alcyone mußte weg schauen. Sie wollte Rons Gesicht nicht sehen, wenn er noch weiterdenken würde.
Sie verurteilte Ron deswegen nicht. Sie wußte, daß Severus bei den Schülern verhaßt war. Kein Wunder, bei seinem Verhalten ihnen gegenüber. Sie würde, wäre sie Schülerin, vermutlich nicht anders über ihn urteilen.
Alcyones Gesicht wurde etwas ernster. Jetzt war sie an dem Punkt angelangt, wo es galt, die Drei um einen Gefallen zu bitten. Und es war nicht nur irgendein Gefallen, nein, es war eine sehr ernste Angelegenheit.
Sie blickte alle drei an.
„Ich möchte euch um etwas bitten!“ Ihre Stimme klang sehr ernst.
Ein einstimmiges Nicken.
„Bitte erzählt niemand von eurem Wissen. Keiner darf es erfahren. Es ist sehr wichtig, daß ihr es für euch behaltet.“
Alcyone war sich nicht sicher, ob ihre dreifache, verschiedene Ausfertigung der Bitte nicht übertrieben war, aber da diese Angelegenheit wirklich sehr ernst war, war es vielleicht doch angebracht.
Harry, Ron und Hermine sahen zuerst Alcyone an, dann sich gegenseitig und schließlich wieder Alcyone, gefolgt von einem erneuten einheitlichen Nicken.
„Und was Sirius betrifft, Harry.“ Alcyone lächelte Harry an. „Ich weiß, daß du es ihm erzählen hättest müssen, aber bitte laß mich das selbst erledigen, ja?“
Harry nickte.
Zufrieden nickte Alcyone den drei Freunden ebenfalls zu. Eigentlich war jetzt wirklich alles geklärt. Alcyone jedoch hatte noch eine Bitte an sie, wenngleich diese sehr ungewöhnlich war.
„Es gibt da noch etwas.“
Drei Gesichter blickten sie fragen und unverständlich an.
„Jetzt, da ihr von mir und ihm wißt.“ Alcyone nannte Severus Namen mit Absicht nicht. Obwohl niemand anderes als Harry, Ron und Hermine in ihrer unmittelbaren Nähe waren, wollte Alcyone dennoch vorsichtig sein. Das war zwar völlig sinnlos, denn wenn irgend jemand, der dieses Gespräch nicht mitbekommen sollte, hier war und zuhörte, mußte er irgendwann aufgrund logischer Folgerungen darauf kommen, daß es sich um Severus Snape handelte.
„Ich möchte euch darum bitten, ihn im Unterricht nicht anzustarren oder euch irgendwelche Kommentare oder Blicke zu schenken, weil ihr es wißt. Das gilt auch, wenn sich sein Unterrichtsstil irgendwie ändern sollte, versteht ihr was ich meine?“ Sie wartete gar nicht auf eine Reaktion ab, sondern fuhr gleich fort. „Tut bitte einfach so, als ob ihr von nichts wüßtet. Ich weiß, das ist viel verlangt, aber es muß sein.“ Mit einem leicht flehenden Blick schaute sie Harry, Ron und Hermine an.
Das erlösende Nicken ließ nicht lange auf sich warten.
„Wir werden unser bestes tun“, sagte Harry.
„Ich danke euch“, sagte Alcyone erleichtert. Sie wußte, daß die Drei es ernst meinten. Es war bei weitem nicht einfach, so ein großes Geheimnis für sich zu behalten. Alcyone lebte ja selbst mit einem großen Geheimnis, das außer den Dreien nur noch Severus, Sirius und Dumbledore kannten. Ob dieser Peter Pettigrew es wußte, das konnte Alcyone im Moment gar nicht einmal sagen und wenn, dann wäre es ohne Bedeutung, solange keiner was von ihr und Severus mitbekommen würde.
Alcyone konzentrierte sich wieder auf Harry und seine Freunde. Jetzt, da alles geklärt war, war der Augenblick des Abschieds gekommen. Alcyone würde sie mit Sicherheit noch beim Abendessen in der großen Halle sehen, aber zum Unterhalten oder sogar zum Verabschieden gab es da keinerlei Möglichkeit.
„Tja, das war's dann wohl. Bleibt mir nur noch zu sagen, daß ich euch nochmals für alles danke und daß es mir Spaß gemacht hat, euch zu unterrichten.“
„Ihr Unterricht war auch sehr interessant und hat Spaß gemacht“, lobte sie Hermine.
Harry und Ron pflichteten ihr bei.
Alcyone lächelte. „Dann wünsche ich euch Dreien noch wunderbare Jahre in Hogwarts und ich hoffe wir sehen uns mal in London.“
„Oder wenn Sie mal wieder herkommen, zu Besuch, bei ihm“, sagte Ron.
„Ich glaube nicht, daß ich mich da vor allen Leuten zeige, sonst könnte noch jemand Verdacht schöpfen.“ Alcyone grinste.
„Wir besuchen Sie spätestens, wenn wir im Sommer wieder in die Winkelgasse müssen“, versprach Hermine. „Das trifft zumindest auf Harry zu. Ron und ich können Sie auch früher schon besuchen kommen. Wer weiß, vielleicht schaffen wir es auch irgendwie, Harry von den Dursleys einfach wegzuholen.“
„Gewiß!“ Die Verbitterung in Harrys Stimme war nicht zu überhören. „Eher setzen sie mich ohne auch nur einen Penny vor die Tür.“
Alcyone legte Harry sanft eine Hand auf die Schulter und sagte aufmunternd: „Harry, egal was passiert, wenn du an meiner Türe klopfst, werde ich dir immer aufmachen.“
„Danke“, sagte Harry erfreut.
Alcyone warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, daß es schon Zeit fürs Mittagessen war. „Tja“, sagte sie zu Harry, Ron und Hermine. „Sieht so aus, als würden wir das Essen verpassen, wenn wir noch weiter trödeln.“ Sie grinste. “Ich glaube, das war's dann wohl. Ich hoffe wirklich, wir sehen uns bald wieder.“
„Sicher“, sagte Harry und hörte sich an, als glaubte er es wirklich selber.
Alcyone streckte zuerst Harry, dann Ron und schließlich die Hermine die Hand hin und verabschiedete sich von jedem einzelnen noch einmal. Diesmal allerdings endgültig.
Während die drei Freunde gleich nach der Verabschiedung das Gewächshaus in Richtung Schloß verließen, wartete Alcyone noch einen Augenblick, ehe sie sich zum letzten Mal zum Mittagessen aufmachte.
Nach dem Unterricht am Nachmittag kontrollierte Alcyone noch einmal alles ganz genau. Es war ein komisches Gefühl, dies zum letzten Mal zu machen. Sie hatte sich schon daran gewöhnt und die Tatsache, es nicht mehr zu tun können, stimmte sie etwas traurig.
Alcyone betrachtete jede Pflanze nochmals genau und berührte auch einige mit ihren Händen. In gewisser Weise waren die Pflanzen hier schon eine Art Freunde für sie geworden.
Von hinten nach vorne lief Alcyone das gesamte Gewächshaus ab und als sie an der Tür angelangt war, schweifte ihr Blick noch einmal durch das ganze Gewächshaus, ehe sie heraustrat und es mit einem tiefen Seufzer abschloß.
„Liebe Schülerinnen, Schüler und Kollegen.“ Professor Dumbledore war aufgestanden. Sein Blick glitt durch die völlig ruhige Halle zu den Schülertischen, an denen alle brav vor den leeren Tellern saßen. Sein Blick ruhte kurz auf seinen Schützlingen und glitt dann zu den Lehrern zu seiner rechten und linken. Dann schaute er wieder in den Saal, Richtung Schülertische.
„Wie die meisten von euch sicher schon erfahren habt, ist Professor Sprout wieder genesen und wird ab Montag wieder ihren Unterricht übernehmen können.“ Er schaute kurz auf die immer noch ruhige Menge. Dann drehte er sich zur Seite und blieb mit seinem Blick bei Alcyone hängen. Er nickte ihr kurz lächelnd zu und fuhr fort: „Das bedeutet gleichzeitig auch, daß wir uns von ihrer Vertretung, Miß Hide, verabschieden müssen. Ich hoffe, Sie haben ihren Aufenthalt hier sehr genossen.“
Alcyone lächelte ihm nickend zu.
„Ich möchte mich auf jeden Fall bei Ihnen bedanken, daß Sie so kurzfristig eingesprungen sind und ihr breites Wissen den Schülern perfekt übermittelt haben!“
Alcyone errötet. Das war typisch Dumbledore. Sie hätte so eine Dankesrede nie gewollt. Ihr war das sogar etwas peinlich, weil sie wußte, daß in diesem Augenblick jeder, der sich in diesem Raum befand, sie anstarrte. Alcyone hätte dabei liebend gern irgendwo anders hingeschaut, auf ihren leeren Teller vielleicht, aber es gehörte sich so, daß sie die Menge anschaute. Sie hoffte, niemand würde bemerken, wie unangenehm ihr das war.
„Ich hoffe“, sagte Dumbledore weiter, „das wir Sie irgendwann wieder einmal als Lehrkraft hier haben werden.“
Alcyone fragte sich, ob Dumbledore damit auf irgend etwas anspielte. Er meinte wohl kaum damit, daß er hoffte, Professor Sprout würde so schnell wie möglich in Pension gehen oder wieder erkranken. Er meinte mit Sicherheit etwas völlig anderes. Alcyone lächelte ihm darauf nur zu und hoffte, nicht noch mehr zu erröten. Sie vermutete, noch ein weiteres Wort von Dumbledore und sie würde so rot wie eine Tomate werden.
Dumbledore erlöste sie. „So, nach dieser langen Dankesrede wollen wir mit dem Abendessen beginnen.“ Er klatschte in die Hände und ein paar Sekunden später hatte jeder im Raum sein Interesse an Alcyone verloren, da alle mit dem Essen beschäftigt waren. Alle, bis auf einen. Unbemerkt und hinter dem Rücken der anderen Lehrer, zwinkerte Severus Alcyone zu, was Alcyone sofort mit einem kurzen, leicht verschmitzten Lächeln erwiderte.
Daraufhin widmeten sich auch die letzten Beiden in der großen Halle ganz ihrem Essen.