|
|
Kapitel 10: Die erste Begegnung
In dieser Nacht hatte Alcyone erneut einen Traum, in dem sie sich wieder in der Vergangenheit befand, doch war es diesmal kein Alptraum. Sie erlebte noch einmal die erste Begegnung mit Severus Snape.
Traum bzw. Rückblick:
Alcyone fand Quidditch bei weitem nicht so interessant wie ihre Freunde. Sie saß zusammen mit Sirius und Remus auf der Tribüne und sah dabei zu, wie sieben Gryffindor Schüler mit ihren Besen in der Luft herum flogen und mit Bällen spielten.
Warum habe ich mich nur dazu überreden lassen? fragte sie sich selber.
Sirius hatte sie vorhin im Gemeinschaftsraum gefragt, ob sie mit wolle, um James beim Training zuzuschauen. Alcyone hatte nein gesagt, aber nachdem Sirius sie zwei Mal nach dem Grund gefragt hatte, warum nicht, hatte sie ihr Buch zugemacht und war mitgegangen.
Sie fragte sich, warum sie nicht imstande war, konsequent zu sein.
„Ja James, zeig uns mal was Du drauf hast!“ schrie Sirius und johlte, als James irgendein sinnloses und gefährliches Kunststück vollführte.
Alcyone gähnte. Sie fand es definitiv langweilig und überlegte, was sie hätte sinnvolleres tun können. Ihr fiel eine ganze Menge ein. Zum Beispiel hätte sie jetzt in der Bibliothek sitzen können und dieses Aufsatz für Zaubertränke schreiben können.
Zaubertränke war bei weitem Alcyone schlechtestes Fach. Eigentlich war sie keine schlechte Schülerin. Sie hatte überall gute Noten. Gewiß, nicht herausragend, mit Ausnahme von Kräuterkunde, in dem sie mit Abstand die Beste ihres Jahrgangs, wenn nicht sogar von Hogwarts war. Aber in Zaubertränke hatte Alcyone erhebliche Schwierigkeiten und sie hatte sich bisher jedes Jahr gefragt, wie sie es geschafft hatte, die Prüfung zu bestehen.
Sie blickte auf ihren Schoß. Dort lag ihr Zaubertränke Buch, daß sie mitgenommen hatte, wenn auch mehr zu dem Zweck, ihr Gewissen zu beruhigen.
Sie legte ihre rechte Hand darauf.
Wenn ich es schon mal dabei habe, kann ich auch etwas darin lesen, dachte sie sich. Ist sinnvoller, als diesem öden Training zuzusehen.
Alcyone öffnete es und schlug die Seite auf, die den Trank erklärte, den sie in der letzten Stunde behandelt hatten und den Alcyone versaut hatte.
Sie war gerade dabei, die Einleitung zu lesen, in de erklärt wurde, was der Trank bewirken würde, als sie ein kalter Windzug erfaßte und die Seiten des Buches wie von selbst zu blättern begannen.
Neben ihr schrien Sirius und Remus auf. „Ja James, noch mal!“
Alcyone schaute nach oben und erblickte James grinsend auf seinem Besen, nur einen halben Meter entfernt von ihnen.
Er hob den Stiel und zischte nur wenige Zentimeter an ihnen vorbei, gefolgt von einem erneuten Windzug.
Wieder johlten ihre beiden Nebensitzer.
Alcyone klappte ihr Buch zusammen und erhob sich von ihrem Platz.
Sie hoffte inständig, daß Sirius und Remus so sehr damit beschäftigt waren, James zu beobachten und seine Kunststücke zu bestaunen, daß sie nicht mitbekamen, wie sie verschwand. Sie hatte die Befürchtung, daß sie sich sonst wieder dazu überreden lassen würde, zu bleiben. Sie schlich sich leise von der Tribüne und kaum hatte sie sie verlassen, begann sie zu rennen.
Überglücklich, nicht bemerkt worden zu sein, achtete sie in ihrem Überschwang gar nicht darauf, wo sie hin rannte und so kam es, daß sie in ihrem Überschwang gegen jemand stieß.
Alcyone spürte einen Aufprall, stieß ein Stück zurück und fiel auf den Boden, der trotz des weichen Grases hart war.
„Kannst Du nicht aufpassen, wo Du hin läufst?“ Die Stimme klang hart und kalt, gemischt mit einem Anflug von Ärger.
„Tut mir wirklich leid, ich habe Dich einfach nicht gesehen“, entschuldigte sich Alcyone.
Sie hob ihren Kopf und sah jetzt erst, in wen sie da hinein gerannt war.
Es war Severus Snape.
Er stand einen halben Meter vor ihr und es schien, als hätte ihm der kleine Zusammenprall nicht das geringste getan.
Alcyone kannte ihn nur flüchtig. Sie wußte, daß er im gleichen Jahrgang wie ihr Bruder und daß er oft das Opfer ihrer Streiche war. Sie wußte auch, wie oft sie über ihn schimpften und sie kannte alle Gerüchte, die über ihn im Umlauf waren. Und nicht zu vergessen, die ganzen Warnungen und Ratschläge, die sie ihm bezüglich erhalten hatte. Diese ganze Wissen versetze Alcyone in eine Lage, in der sie sich ganz und gar nicht befinden wollte.
Severus Augen waren kalt und sein Blick war so scharf und brennend, daß Alcyone sich sofort wieder von ihm abwenden wollte, aber sie konnte nicht. Da war noch etwas in seinen Augen, daß ganz und gar nicht dazu paßte und Alcyone war nicht imstande, festzustellen, was es war.
„Wie dem auch sei. Paß das nächste Mal besser auf!“ herrschte Severus sie schließlich an.
Alcyone schaffte es zu nicken.
Severus schenkte ihr noch einen abschätzigen Blick. Dann drehte er sich um, und begann in Richtung Schloß zu laufen.
Alcyone schaute ihm kurz hinterher und versuchte dann aufzustehen.
„Au“, entfuhr es ihr.
Es mußte wohl sehr laut gewesen sein, denn Severus, der sich schon einige Schritte von ihr entfernt hatte, blieb stehen und drehte sich um.
Er schaute eine Weile in Alcyones Richtung.
Alcyone blickte ihn mit schmerzerfülltem Blick an und dann tat Severus etwas, mit dem Alcyone nie gerechnet hätte und was keinesfalls zu den Gerüchten paßte, die sie über ihn kannte.
Er kam zurück. Langsam und bedächtig schritt er auf sie zu und blieb direkt vor ihr stehen.
„Das ist die gerechte Strafe“, sagte er kalt.
Alcyone schluckte schwer. Offensichtlich hatte sie sich gerade sehr getäuscht, in dem sie glaubte, Severus käme zurück, um ihr zu helfen. Ein offensichtlich lächerlicher Gedanke. Aber so war sie. Glaubte immer zuerst an das Gute im Menschen.
Sie schaute ihm direkt in die Augen und fand, daß er auch in ihre schaute. Das war ihr unangenehm. Sie wollte nicht mitleidig vor ihm aussehen.
Alcyone verseuchte erneut aufzustehen, aber es ging nicht. Ihr rechtes Bein tat weh und sie vermutete, daß es verstaucht war.
Sie verzog das Gesicht vor Schmerz und wartete bereits auf die nächste bissige Bemerkung von Severus und stellte sich innerlich darauf ein. Aber sie kam nicht.
Severus rollte mit den Augen und streckte ihr seine Hände hin.
Alcyone schaute Severus ungläubig an. Was war das? Wollte er sie demütigen? Sie zögerte.
„Na komm schon.“ Drängte er sie. „Bevor ich es mir wieder anders überlege.“
Obwohl er ihr offensichtlich helfen wollte, klang seine Stimme bei weitem nicht hilfsbereit.
Alcyone blickte Severus an und nahm dann zögernd seine Hände.
Mit einem Ruck zog er sie nach oben und Alcyone spürte einen stechenden Schmerz in ihrem Bein. Sie versuchte tapfer zu sein. Sie wollte vor Severus keine Schwäche zeigen und riß sich zusammen, denn es tat furchtbar weh.
„Danke“, sagte sie gequält.
Severus verzog keine Miene. „Kannst Du gehen?“ fragte er sie mit seiner kalten Stimme.
Alcyone nickte. Sie wußte, daß es weh tun würde, aber sie würde es schaffen.
Langsam hob Alcyone ihren rechten Fuß und als sie ihn wieder aufsetzte und belastete, spürte sei einen so schlimmen Schmerz, daß sie es nicht schaffte, sich zusammenzureißen. Sie stieß einen leisen Schmerzensschrei aus, schwankte leicht und ehe sie sich versah, fand sie sich in den stützenden Armen von Severus wieder. Irgendwie fühlte es sich nicht einmal unangenehm an.
„Scheint doch nicht zu gehen.“ stellte er fest.
„Ich fürchte nicht“, brachte Alcyone unter Schmerzen hervor. „Ich glaube, ich setzte mich ein bißchen hin und warte eine Weile. Dann werde ich es sicher in die Krankenstation schaffen.“
Mit der Hilfe von Severus, der sie immer noch stützte, hüpfte sie ein Stück zur Seite und lies sich hinter ein paar Büschen an einem von besonders viel Gras bewachsenen Ort nieder.
„Danke“, sagte sie erleichtert, als sie saß und der Schmerz langsam abnahm.
Severus blickte sie mit seiner regungslosen Miene an.
„Danke“, sagte sie noch einmal.
„Bitte“, kam es aus Severus Mund. Er blickte sie noch kurz an, dann lies er sie alleine.
Alcyone sah ihm nach und beobachtete, wie sein schwarzes Haar und sein Umhang synchron zu seiner Bewegung schwangen.
Plötzlich blieb er stehen. Sein Kopf neigte sich etwas nach unten und dann bückte er sich. Es sah so aus, als würde er etwas aufheben.
Zu Alcyones Überraschung drehte er sich um und kam zu ihr zurück. In seinen Händen hielt er etwas, daß aussah wie ein Buch.
Es war ihr Buch.
„Gehört das Dir?“ fragte er sie, als er wieder bei ihr war.
Alcyone nickte. „Ja. Das ist mir vorhin runtergefallen, als ich - als ich“. Sie hatte Schwierigkeiten das auszusprechen, aber es gelang ihr schließlich. „Als ich in Dich rein gerannt bin.“
Severus hab das Buch und schaute es an.
„Zaubertränke? Ein einfaches Fach.“ Es war mehr eine abfällige Bemerkung.
„Find ich ganz und gar nicht“, sagte Alcyone. „Ich habe erhebliche Probleme damit“.
„Wirklich?“ Zum ersten Mal, seit sie in Severus gerannt war, glaubte sie in seiner Stimme Emotionen zu erkennen. Es klang eindeutig überrascht.
„Ja. Ist mir schon klar, das jemand wie Du, der in jedem Fach gut ist, das nicht glauben kann!"
Alcyone war über sich selbst überrascht. Wieso sagte sie das zu Severus? Entweder war sie mutig oder nur dumm.
„Womit hast Du denn Schwierigkeiten?“
„Bitte?“ Alcyone konnte nicht glauben, daß Severus sie das gerade eben gefragt hatte. Das konnte doch alles nur ein schlechter Witz sein. Allerdings mußte sie sich auch eingestehen, daß sie Severus Gegenwart aus einem ihr unbekannten Grund angenehm fand.
„Wenn Du mich so direkt fragst, mit allem.“ Gab sie ehrlich zu.
Zum ersten Mal regte sich jetzt etwas in Severus Gesicht. Er hob die Augenbrauen. Dann tat er etwas, daß Alcyone in großes Staunen versetzte. Er setzte sich zu ihr. Besser gesagt, er setzte sich ihr gegenüber.
Er blätterte eine Weile in dem Buch, schloß es dann wieder und gab es Alcyone zurück.
„Es ist auch ein schweres Handwerk“, sagte er. „Nicht wenige haben keine Begeisterung dafür und ich bin sicher, daß dies eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, um in diesem Fach gut zu sein.“
„Aber das ist doch in jedem Fach so. In einem Fach, das einen begeistert, muß man ja zwangsläufig gut sein. Aber mit Fleiß und Anstrengung kann man auch in einem Fach, daß man nicht mag gut sein. Doch so sehr ich mich auch anstrenge, bei Zaubertränke geht das nicht. Ich kriege es einfach nicht auf die Reihe.“
Sie strich kurz über das Buch und legte es dann neben sich.
„Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ich glaube, ich falle nur aus Mitleid nicht durch.“
Sie blickte zu Boden und fragte sich, was in aller Welt sie da tat. Sie sprach mit Severus Snape über ihre Schwierigkeiten in Zaubertränke. Mit dem Severus Snape, vor dem sie von ihrem Bruder tagtäglich gewarnt wurde.
Sie lächelte Severus gequält an.
„Wie dem auch sei. Vielen Dank nochmals für Deine Hilfe.“
„Gern geschehen!“ Severus Stimme klang ganz anders, als bisher. Irgendwie, es gab kein anderes Wort dafür, freundlich.
„Und warum, wenn ich fragen darf, hast Du mich vorhin über den Haufen gerannt?“
Eigentlich hätte Alcyone erwartet, daß nach dieser Frage von Severus Snape eingeschüchtert wäre, aber dem war nicht so. Vielleicht lag es daran, daß seine Ausdrucksweise nicht mehr kalt und emotionslos war, sondern tatsächlich eine Spur von Freundlichkeit besaß.
„Ich bin davor gerannt“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich hab mich von ein paar Freunden überreden lassen, beim Quidditchtraining zu zu schauen, aber ich fand es so langweilig, daß ich mich davongeschlichen habe und aus angst, entdeckt zu werden, bin ich dann los gerannt.“
Alcyone fragte sich, was sie dazu trieb, Severus Snape dies alle zu erzählen. Sie schuldete ihm keine Rechenschaft. Sie hätte ihn anlügen können, aber sie wollte es nicht. Etwas in ihr trieb sie einfach dazu, Severus dies alles zu erzählen.
„Ich finde Quidditch auch nicht gerade prickelnd“, gestand Severus ihr. „Ein albernes Spiel auf dem Besen. Ab und zu kann es ja ganz amüsant sein. Wie gesagt, ab und zu. Aber im Grunde bin ich nicht gerade besonders scharf darauf, einem Spiel zuzusehen, daß unter Umständen über mehrere Tage oder noch länger gehen kann. Stell Dir das mal vor. Du sitzt da, schaust denen zu und die tun immer das Gleiche. Stundenlang. Tun nichts anderes als sich gegenseitig mit Bällen bewerfen. Na ja. Vielleicht zieht ab und zu mal jemand ne Schau auf seinem Besen ab. Ab das kann auch ganz schön angeberisch wirken. Und ich will ja nicht behaupten, daß es nur langweilig ist. Ich hab schon schöne Spiele gesehen, aber die waren allesamt kurz. Dauerten nicht länger als zwei Stunden. Aber wenn die mehrere Tage dauern, wie zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft, kann ich nicht verstehen, was daran noch toll sein soll. Stell Dir mal vor, Du bist da der Sucher. Da sitzt Du unter Umständen stundenlang tatenlos auf Deinem Besen und hältst Ausschau nach dieser goldenen Kugel. Ist doch ne ziemlich langweilige Aufgabe, wenn Du mich fragst. Und was machen die, wenn mal einer aufs Klo muß?“
Alcyone mußte lachen. „Vielleicht tragen die ja Windeln?“
Auf diese Aussage hin entfuhr Severus ein Lachen, welches Alcyones Meinung, die sie bisher über Snape gehabt hatte, total in Frage stellte. Ihr wurde bewußt, daß es eine aufgedrängte Meinung war. Die anderen hatten ihr gesagt, was sie über Severus denken sollte und sie hatte es getan, ohne Widerrede. Sie hatte diesen Jungen nicht gekannt, nur flüchtig, vom Sehen. Geredet hatte sie noch nie mit ihm und jetzt saß er hier, ihr gegenüber und er war einfach nur nett zu ihr.
„Ich muß zugeben, daß Du soeben meine Meinung über Dich total dementiert hast“, gestand sie ihm.
„Inwiefern?“ Sein Blick war zugleich fragend und überrascht.
„Nun ja, es wird ja allgemein viel über Dich geredet. Du weist schon, Severus Snape, der Junge der mehr Flüche drauf hat als jeder andere und die ganzen anderen bösen Dinge. Das ist bei uns in Gryffindor, und soviel ich weis auch in Ravenclaw und Huffelpuff eine weitverbreitete Meinung, die einem praktisch gleich aufgedrängt wird. Ständig wird einem gesagt >Halte Dich bloß von diesen Slytherin fern. Besonders von Malfoy und Snape. Die schaden Dir nur in jeder Hinsicht<.“
Snape lachte wieder. „Malfoy ist ja auch ein Idiot. Aber sag ihm das nicht“.
Das hätte Alcyone nicht erwartet. Sie hatte gedacht, das Malfoy und Snape gute Freunde wären. Aber war das nicht auch so eine Tatsache oder mehr so ein Gerücht, daß ihr eingebleut wurde?
„Keine Angst.“ Sagte sie. „Ich rede sicher nicht mit Malfoy. Ich gehe ihm aus dem Weg. Den Rat habe ich befolgt.“ Sie dachte kurz an ihre erste Begegnung mit Malfoy zurück. Bei ihm, da war sie ganz sicher, würde sie sich nicht in ihrer Meinung täuschen. Ihn hatte sie ja am eigenen Leib erlebt.
„Kluges Mädchen!“ sagte Severus und für einen Augenblick glaubte Alcyone, daß er wieder der alte Severus wäre, der, vor dem sie sich in gewisser Weise gefürchtet hatte, aber in seiner Stimme konnte sie auch so etwas wie Erleichterung hören.
„Und was hat jetzt letztendlich Deine aufgedrängte Meinung über mich geändert?“ fragte er sie. Die Neugier in seiner Stimme war fast zu eindeutig.
Alcyone grinste ihn an. „Hm, vielleicht weil ich jetzt den wahren Severus Snape kenne und der entspricht meiner Meinung ganz und gar nicht dem Klischee-Snape.“
„Wie ist denn der wahre Severus Snape?“
Alcyone faßte sich mit ihrer linken Hand ans Kinn und musterte Severus ganz genau. Sie dachte angestrengt nach. Was sollte sie jetzt darauf antworten? Severus hatte diese Frage berechtigterweise gestellt und Alcyone entschied schließlich, das es am einfachsten wäre, daß zu sagen, was sie wirklich dachte.
„Nett, freundlich,“, zählte sie kategorisch auf, „Ich würde einfach mal sagen, harte Schale, weicher Kern“.
Snape errötete.
Das sah, fand Alcyone, irgendwie witzig und zugleich niedlich auf Severus blassen Haut aus und es machte ihn auch irgendwie menschlicher.
„Wenn Du jetzt glaubst, daß ich nur nett bin, dann täuschst Du Dich gewaltig.“ sagte Severus ernst. Sein Gesichtsausdruck hatte wieder etwas an Härte gewonnen.
„Severus, ich“, begann Alcyone wurde aber sofort von ihm unterbrochen.
„Ist schon gut“, sagte er, diesmal etwas freundlicher. „Ich mußte nur gerade daran denken, was ich schlimmes in der Weihnachtsferien getan habe.“
„Was denn?“ fragte sie und bereute es gleich wieder, diese Frage gestellt zu haben. Womöglich würde er sie jetzt anschreien oder etwas ähnliches.
Doch nichts von dem geschah. Statt dessen sagte er in ruhigem Ton.
„Oh nein! So etwas würde ich nie in Gegenwart eines Mädchens laut aussprechen, auch wenn die Gerüchte umgehen, daß ich vor nichts Halt mache“.
Alcyone war zu neugierig, als das sie sich mit dieser Antwort zufrieden gab.
„Ich kann vieles vertragen, glaub mir!“
Severus schüttelte den Kopf. „Jetzt wo Du so eine hohe Meinung von mir hast, will ich sie nicht durch eine einzige Aussage wieder zunichte machen.“
„Das ist nett gemeint, aber ich gebe nicht so schnell auf. Du hast mich jetzt verdammt neugierig gemacht. Und ich bestehe auf eine Antwort. Also, was hast Du so schlimmes in den letzten Weihnachtsferien angestellt, daß Du nicht laut aussprechen willst?“
Severus blickte zu Boden, dann wieder zu Alcyone.
„Wie gesagt, das spreche ich nicht laut aus“.
Alcyone machte ein enttäuschtet Gesicht.
„Allerdings“, sagte Snape schnell, „könnte ich es Dir auch zuflüstern. Das wäre ja nicht laut!“
Alcyone lächelte. „Das stimmt“.
Ihr Plan mit dem enttäuschten Gesichtsausdruck war vollkommen aufgegangen, wenngleich sie davon überzeugt gewesen war, daß er nicht funktionieren würde.
Snape beugte sich zu ihr rüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
„Das nennst Du schlimm?“ fragte sie ihn, während sie immer noch lachte.
Diese Geschichte war wirklich zu komisch. So etwas hatte sie noch nie gehört und auf so eine Idee mußte man erst einmal kommen.
„Kommt wohl auf den Blickwinkel drauf an. Meine Eltern redeten den Rest der Ferien kaum noch ein Wort mit mir. Und mein Vater hat gedroht, mir es irgendwann mit gleicher Münze heimzuzahlen.“
Alcyone fing sich langsam wieder. „Ich denke, ich muß meiner Liste von vorhin noch etwa hinzufügen: Du hast eindeutig Sinn für Humor.“
Severus schaute Alcyone völlig überrascht an.
„Du siehst aus, als hätte ich gerade etwas ganz unglaubliches gesagt.“ sagte Alcyone.
„In der Tat. Zu mir hat noch niemand gesagt, daß ich Sinn für Humor hätte.“ Severus schaute plötzlich etwas traurig aus.
Alcyone schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Mir kommt es fast so vor, als hätte noch nie jemand überhaupt etwas nettes über Dich gesagt.“
Severus Blick wurde noch trauriger, als er zur Betätigung stumm nickte und ausweichend auf den Boden blickte.
Alcyone fand, daß dieser Blick gar nicht zu ihm paßte und wünschte sich auf der Stelle den Snape von eben zurück, der mit dem lachenden Gesicht.
Sie nahm daraufhin seine rechte Hand in die ihren und drückte sie sanft.
Severus, der mit so etwas definitiv nicht gerechnet hatte, sah plötzlich wieder auf und blickte direkt in Alcyones Augen.
Sie hielt seinem Blick stand, der eben noch voller Traurigkeit war und sich in Dankbarkeit und Freundlichkeit verwandelte.
„Danke“, sagte Severus zu Alcyone.
Alcyone schenkte ihm einen Blick der deutlich verriet, wie gern sie es getan hatte.
Snape beugte sich daraufhin ein Stück zu ihr rüber und drückte ihr einen leichten Kuß auf die Wange, worauf Alcyone gleich errötete. Sie hielt sich die Hand, mit der sie bisher Severus Hand gehalten hatte, an die Wange, und wußte nicht, was sie darüber denken sollte.
Severus Snape, den sie vor wenigen Stunden fälschlicherweise noch für kalt und herzlos gehalten hatte, hatte sie eben auf die Wange geküßt.
Es war nichts besonderes, wenn sie es genau betrachtete. Nur ein Kuß auf die Wange. Das taten Menschen Tag täglich und Alcyone hatte schon oft Küsse auf die Wange bekommen. Aber keiner hatte je so eine Wirkung auf sie, wie dieser hier. Sie war verwirrt.
„Hast Du das eben auch gehört?“ Severus Stimme riß Alcyone aus ihren Tiefen der Verwirrungen.
Natürlich hatte sie nichts gehört. Wie auch, so verwirrt wie sie eben war. Da sie das aber nicht zugeben wollte, sagte sie „Nein, da war nichts.“
„Komisch“, sagte Severus, ich dachte, ich hätte was gehört. Vermutlich hat mir mein Gehör einen Streich gespielt.“ Er zuckte mit den Schultern.
Er sah sie an und in seinem Gesicht war plötzlich Empörung.
„Was ist los“ Alcyone fragte sich Augenblicklich, was sie getan hatte. Sie hielt den Atem an.
„Ich sitze hier mit einem Mädchen, dem ich schon viel zu viel von mir verraten habe und kenne nicht einmal ihren Namen.“
„Oh,“ sagte Alcyone und atmete erleichtert aus.
„Alcyone“, sagte sie schließlich. „Alcyone Hide, aber alle nennen mich Al!“
Severus hob die Augenbrauen. „Al also. Das paßt irgendwie nicht zu Dir.“
Alcyone starrte Severus an. Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Seit sie denken konnte, hatten alle sie Al genannt, ein paar Alcyone, aber niemand hatte gesagt, das Al nicht zu ihr passen würde.
„Der Name ist viel zu Jungenhaft für jemand wie Dich“ beantwortete Severus ihre ungestellte Frage.
Das war eine interessante These, das mußte Alcyone zugeben. So hatte sie es noch nie gesehen.
„Ich finde, es gäbe da einen passenderen Spitznamen, den man aus Deinem Namen machen könnte.“
„Und der wäre?“ fragte Alcyone neugierig.
„Alcy. Der klingt mehr nach einem Mädchen und ehrlich gesagt auch viel schöner als einfach nur Al.“
Alcyone lächelte verlegen. Alcy. Sie sprach den Namen in Gedanken aus und er klang wirklich sehr schön.
„Du hast Recht“. Stimmte sie ihm zu.
„Dann darf ich Dich von nun an Alcy nennen?“ fragte Severus.
Alcyone nickte. Es klang wirklich sehr schön, wenn Severus diesen Namen aussprach und zu dem Zeitpunkt war ihr noch nicht klar, daß Severus auch der einzige bleiben würde, der sie je so nennen durfte.
Die Beiden saßen noch eine ganze Weile im warmen Gras und unterhielten sich prächtig. Erst als die Sonne schon fast den Horizont erreicht hatte und den Himmel in warmes Orange tauchte, fiel Beiden auf, wie spät es war.
„Ich glaube, wir sollten zurück ins Schloß, sonst verpassen wir noch das Abendessen.“ Sagte Alcyone ernst.
Severus nickte zustimmend. „Soll ich Dir beim Aufstehen helfen?“
Alcyone nickte.
Severus stand auf und bot ihr, wie schon früher am Tage seine Hände an und diesmal nahm Alcyone sie ohne zu zögern.
„Danke“, sagte sie, als sie stand.
Jetzt erst bemerkte sie, daß ihr Bein gar nicht mehr so sehr weh tat. Der Schmerz war fast weg. Es war wie ein Wunder.
Severus hatte sich erneut gebückt und ihr Buch aufgehoben. Er streckte es ihr zu. „Wenn Du willst, kann ich Dir etwas Nachhilfe geben. Du wirst merken, daß es gar nicht so schwer ist.“
Alcyone umschloß mit ihren Fingern das Buch. „Das würdest Du wirklich machen?“
Severus nickte. „Sonst hätte ich es Dir wohl kaum angeboten.“
Alcyone lächelte. „Das Angebot nehme ich gerne an.“
„In Ordnung“, sagte Severus. „Wann hast Du Zeit?“
„Immer“, sagte sie sofort, fast etwas zu schnell.
„Okay, wenn das so ist, können wir gleich Morgen anfangen. Was hältst Du von 16.00 Uhr. Hier.“
„Klingt gut“, sagte Alcyone. „Ich werde da sein.“
„Gut. Dann machen wir uns am Besten auf den Weg. Geht es mit dem Laufen?“
Alcyone nickte. „Ja. Es tut fast nicht mehr weh. Aber ich werde wohl etwas langsamer laufen. Du kannst gerne schon vorgehen.“
„Macht es Dir auch wirklich nichts aus?“ fragte Severus. Es klang irgendwie besorgt.
„Nein,“ versicherte Alcyone ihm. Es war vielleicht tatsächlich besser, wenn sie getrennt gingen.
„In Ordnung. Dann bis Morgen.“ Er strich seinen Umhang glatt. „Und sei pünktlich!“
„Bis Morgen“ sagte Alcyone und sah Severus noch einige Sekunden nach, wie er schnellen Schrittes auf das Schloß zulief. Sein tiefschwarzes Haar und sein Umhang flatterten im leichten Wind synchron zu seiner Bewegung.
Eigentlich sieht er gar nicht mal so schlecht aus, dachte sich Alcyone und rief sich in Gedanken sein Gesicht vor ihre Augen. Sein lächelndes Gesicht.
Sie blieb noch einige Sekunden stehen und versuchte zu realisieren, was eben alles passiert war. Sie würde tatsächlich Nachhilfe in Zaubertränke bekommen. Sie hatte die Chance, sich wirklich zu verbessern und, was Alcyone selbst nicht glauben wollte, sie freute sich auf die Nachhilfe. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob es die Nachhilfe selber war, auf die sie sich freute oder den Lehrer.