|
|
|
Kapitel 16
So fühlte sich also Liebe an. Ein Herz, das schmerzte - nicht metaphorisch, sondern physisch -, sich duckte und wand wie unter schmerzenden Bissen. Ein Gefühl, als bestünde der gesamte Körper aus Leitungen. Eine Kehle, die so eng war, dass es beinahe unmöglich war zu atmen ohne zu schluchzen. Ein Verlangen zu schreien und zu zerbrechen und sich die Haare vom Kopf zu reißen, deine Fäuste gegen die Wand zu schlagen. Der vollkommene Verlust von Freude, weil alles seinen Glanz verloren hatte, weil nichts mehr ersehnenswert erschien. Und wenn du daran dächtest, was Liebe sein könnte, wenn du dich einer weichen Stimme und sanften Händen erinnertest, schwarzen Haars und eines straffen Körpers, den es dich verlangte zu berühren, dann blutete dein Herz unter einem neuen Messerstich, deine Kehle verengte sich noch mehr und deine Augen versuchten vergebens Tränen hervorzubringen, die einfach nicht mehr da wären.
Als Hermine am Mittwochmorgen heimgekehrt war, war das einzige, wozu sie fähig war, ihren Kamin zu blockieren und sich dann in ihre Couch zu werfen und zu weinen. Sie weinte, bis sie aus Erschöpfung einschlief und als sie erwachte, waren da neue Tränen und der Schmerz war ebenfalls da, so scharf wie zuvor. Ihr Magen war leer, aber sie fühlte sich, als müsste sie erbrechen. Also trank sie etwas Wasser und schlief wieder ein, noch immer in dem hellblauen Leinenkleid, das nun zerknittert war und an ihrem Körper klebte, denn durch das Weinen war ihr heiß geworden und sie hatte geschwitzt unter der immer noch prachtvollen Augustsonne, die durch die Fenster strömte.
Als der Schlaf sie abermals erlöste, war es Nacht. Sie setzte sich in der Couch auf und fragte sich Warum? Warum hatte er sie nicht sprechen lassen? Warum hatte er diesen Brief finden müssen anstatt sie? Warum hatte er ihr nicht vertraut? Warum war seine Mutter spazieren gewesen anstatt im Haus, um ihr zu helfen? Warum war sie ihm nicht gefolgt? Warum hatte sie Ginnys Ratschlag befolgt? Warum hatte sie nicht einfach nein gesagt und war hier geblieben, in ihrer Wohnung, die sie nun hasste, da sie leer war?
Mehr Wasser, mehr Tränen, mehr Schlaf. Am nächsten Morgen sagte sie sich selbst, dass sie etwas tun sollte - die Leute sagten das immer, wenn man ärgerlich oder traurig war, Arbeit half, um den Geist abzulenken. Also versuchte sie zu lesen, aber die Wörter klangen in ihrem Kopf wider, gelesen von seiner samtenen Stimme. In einem Anfall von Wut schleuderte sie das Buch in eine Ecke und begann die Wohnung sauberzumachen, auf Muggelart. Aber als sie zwei Gläser zerbrochen und ihren Finger an der scharfen Kante einer Fliese geschnitten hatte, die sie polieren hatte wollen, entschied sie, dass sie nicht einmal das tun konnte. Also kehrte sie zur Couch zurück, ließ sich darauf fallen und starrte an die Decke. Die letzten vierundzwanzig Stunden hatten scheinbar eine Ewigkeit gedauert, und es lagen noch so viele Tage vor ihr.
So viele uninteressante, graue Stunden. Sie wusste, früher oder später würde der Schmerz weniger akut werden, würde sich in eine taube Stelle an ihrem Herzen verwandeln. So war es gewesen, als Charlie Weasley gestorben war. Sie waren gute Freunde geworden, als er nach England heimgekommen war, um aktiv am Krieg teilzunehmen. Sie hatte tagelang geweint damals, aber schlussendlich, schrittweise, hatte der Kummer seine klaren Umrisse verloren und war ein kleiner Fleck geworden, und dann ein wenig schwächer, bis sie an die Zeit, die sie zusammen gehabt hatten, mit einem traurigen Lächeln und einem kleinen Stechen in ihrem Herzen zurückdenken konnte.
Aber Severus... vielleicht würde das verzweifelte Gefühl des Verlustes, das sie nun empfand, auf dieselbe Weise abebben. Doch die Wunde war tiefer. Charlie war ein Freund gewesen, und der Krieg hatte ihn ihr weggenommen. In Severus war sie verliebt, und er war es gewesen, er selbst, der sie erbarmungslos hinausgestoßen hatte, hinaus aus seinem Leben, dorthin, wo es dunkel und kalt war. Sie hatte nicht einmal Krummschwanz, um ihr eine Illusion von Geliebt-Werden zu vermitteln. Natürlich war es ihre Schuld, dass sie ihn zurückgelassen und ihren Kamin blockiert hatte. Oder erwartete sie, dass Mrs. Snape ihn mit einer Eule schicken würde? Oder auf ihrer Türschwelle erscheinen, um ihn persönlich zu liefern? Womöglich war Mrs. Snape genauso wütend auf sie wie Severus. Natürlich würde sie auf seiner Seite sein. Jede gute Mutter war auf der Seite ihres Kindes. Sie würde ihn wie eine Löwin verteidigen. Und wer verteidigte Hermine Granger? Niemand. Sie war alleine und unglücklich. Selbst ihre Katze hatte die Liebe in einem Haus gefunden, von dem sie verbannt worden war.
Am Freitag, um Zwölf herum, als sie aus Nahrungsmangel beinahe zusammenbrach - sie hatte die letzten beiden Tage nichts anderes als Wasser zu sich genommen - entschied sie, dass sie etwas essen musste. Einkaufen gehen schien undurchführbar, so als ob ihr jemand befohlen hätte, den Mount Everest zu besteigen. Also ging sie ihre Küchenkästen durch. Da war nicht viel, da sie keine große Hausfrau war. Aber sie hatte immer einen reichlichen Vorrat an Thunfischdosen für Krummbein, und so kochte sie halbherzig einige Spaghetti, gab den Thunfisch darauf und aß ein paar Gabeln voll. Irgendwie brachte das Essen sie wieder ins Bewusstsein zurück, und sie begann vorsichtig, über die nächsten Tage nachzudenken.
Eines wusste sie sicher: Sie wollte niemanden sehen. Entweder wussten sie es - wie es mit Harry und Ginny der Fall war - und sie war nicht sicher, ob sie aushalten würde, auf welche Art auch immer sie beschlossen mit ihrer Tragödie umzugehen. Es tat wenig zur Sache, ob sie das Thema vermeiden, Mitgefühl zeigen oder Ron verfluchen würden. Sie konnte es einfach nicht aushalten. Ron. Noch eine Person, der sie sicherlich nicht begegnen wollte.
Nicht, dass sie ihn nun hasste; sein Brief war... nun, nett gewesen, aber ebenfalls ein wenig auf die Palme bringend. Hätte er nicht diesen vernichtenden Effekt auf ihr angehendes Liebesverhältnis mit Severus gehabt, hätte sie den arroganten Ton weggelacht. Wie die Dinge lagen, konnte sie ihn nicht mehr witzig finden. Wie konnte er auch nur denken, dass sie in ihn verliebt sein könnte? Wie konnte er erwarten, dass sie einen Heiratsantrag auf diese hirnverbrannte Art gemacht auch nur in Betracht ziehen würde? Aber am Ende zählte es nicht wirklich. Was wirklich wichtig war, war eine Methode, um die nächsten paar Tage zu überstehen. Die unmittelbare Zukunft war das Wochenende - sie war sich nicht sicher, ob sie das gut fand, aber man konnte es nicht ändern. Was am Montag tun, immerhin?
Hermine erwog kurz, sich richtigen Urlaub zu nehmen; schließlich hatte sie noch zwei Wochen. Aber irgendwie schien es zu ermüdend, sich ein Ziel auszusuchen, einen Flug zu buchen und eine Unterkunft...
Auf der anderen Seite konnte sie nicht hier drin bleiben für noch zwei Wochen, denn sie würde durchdrehen. Was bedeutete, dass ihre einzige Möglichkeit die Rückkehr zur Arbeit war. Die Implikationen dessen machten sie krümmen. Erstens würde sie einen plausiblen Grund finden müssen, warum sie sich drei Wochen freigenommen hatte, und dann noch einen, warum sie nach nur einer zurückgekehrt war. In Betracht ziehend, wie sie aussah - und sie erwartete nicht, dass sich ihre äußere Erscheinung bis Montag ändern würde - war es kaum glaubwürdig, dass sie einen Erholungsurlaub genossen hatte. Wahrscheinlich war das Verständlichste, was sie ihnen erzählen konnte, dass sie krank geworden war. Schließlich war Liebe eine Krankheit des Herzens, also war es auf eine Weise sogar wahr.
Also würde der Schmetterling nach einem kurzen Flug in seinen Kokon zurückkehren, erkennend, dass es darin vielleicht dunkel und eng und einsam war, aber zumindest sicher.