Kinder der Nacht

 

 

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Kapitel 8: Töte den Verräter 

 

Die schwarzgekleideten Gestalten bildeten einen Halbkreis auf der von hohen, alten Bäumen verborgenen Lichtung. Im Mondlicht warfen sie gespenstische Schatten auf den Waldboden, vermischten sich mit der Dunkelheit um sie herum und wurden eins mit der Nacht. Es war totenstill, nur hin und wieder konnte man leises Rascheln oder Knacken vernehmen, wenn ein Tier vorbei huschte. Die Atmosphäre war bis zum Zerreißen gespannt.

Als schließlich derjenige erschien, auf den man die ganze Zeit gewartet zu haben schien, warfen sich alle beinahe gleichzeitig auf die Knie und berührten mit ihrer Stirn den Boden. Diese Ehrerbietung galt einem hochgewachsenen, schlanken Mann unbestimmten Alters und Aussehens. Er trug, ebenso wie die anderen eine Robe aus schwarzem Samt und eine Kapuze, die sein Gesicht verbarg.
„Erhebt euch!“ Seine Stimme war schneidend, kalt und durchdringend.
Langsam erhoben sich die Versammelten und wandten die maskierten Gesichter ihrem Meister zu. Seine aus der Dunkelheit aufblitzenden, dämonischen Augen wanderten prüfend durch die Reihen. Die Examination schien zu seiner Zufriedenheit auszufallen, denn er erhob erneut das Wort. „Todesser, ich habe euch heute Nacht hierher gerufen, weil sich etwas Unvorhergesehenes ereignet hat. Jemand aus unseren Reihen ist in die Fänge des Ministeriums geraten.“
Ein Raunen ging durch die Menge.

„Igor Karkaroff befand sich auf einer Mission in meinen Diensten, als ihn eine Gruppe von Auroren angriff und schließlich festnahm. Vermutlich wird man ihn nach Askaban bringen.“
Für einen Moment herrschte vollkommene Stille, dann wagte einer der Versammelten zu sprechen. „My Lord, mir fehlen die Worte. Wie konnte so etwas nur geschehen?“
„Er war unvorsichtig.“
Erneutes Schweigen.
„Und ihr...“, er machte eine ausladende Handbewegung, „...ihr alle solltet euch das eine Lehre sein lassen! Karkaroff hat durch seine Dummheit nicht nur sich selbst sondern auch uns in Gefahr gebracht. Nun, wie dem auch sei, wir müssen so schnell wie möglich reagieren. Lord Voldemort lässt sich nicht von ein paar schwächlichen Auroren zum Narren halten. Sie werden sterben. Noch heute Nacht! Rosier, Lestrange und... ja, du,“ er zeigte auf eine hochgewachsene Gestalt, die etwas abseits von den anderen stand. „Mal sehen, Giftmischer, ob du auch etwas anderes kannst als in deinen Suppentöpfen rühren.“ Er lachte höhnisch.
Die aufgerufenen Männer traten vor, der große, schlanke, den er „Giftmischer“ genannt hatte etwas langsamer als die anderen.


Severus Snape hatte das Gefühl, er müsste auf der Stelle umkippen und sterben. Glücklicherweise war der Schmerz in seinem Arm stärker als der Schlaftrank gewesen, den Christine ihm eingeflößt hatte. Was Voldemort mit ihm gemacht hätte, wenn er dieses Treffen verschlafen hätte, mochte er sich gar nicht ausmalen.
Er fühlte sich seltsam leer und gleichgültig. Wie von einer Maschine gesteuert hatte er seine Robe angezogen, seine Maske aufgesetzt und war appariert.

Es war egal, was er tat. Alles war egal. Er hatte kein Zuhause mehr, hatte weder Vater noch Mutter. Erst jetzt, da er alles verloren hatte, wurde ihm bewusst, wie viel es ihm tief in seinem Herzen bedeutet hatte.
Jetzt würde er töten müssen. Der dunkle Lord hatte ihn ausgewählt, um einen der Auroren zu beseitigen, die Karkaroff gefasst hatten. Was störte es ihn? Schließlich war er ein Mörder. Es war sein Job, Menschen zu töten, so wie andere Bücher schrieben oder Kinder unterrichteten.
Schweigend sah er zu, wie der dunkle Lord Oliver Lestrange und Evan Rosier jeweils einzeln zu sich rief und ihnen Namen und Adressen der betreffenden Personen mitteilte. Heute Nacht würden sie alleine gehen, jeder für sich. Es war eine reine Schutzmaßnahme, dass niemand die Mission des anderen kannte. Sollten sie gefasst werden, so würden sie selbst dann, wenn die Auroren Veritaserum anwendeten nicht in der Lage sein, den Aufenthaltsort ihrer Kameraden preiszugeben.

Severus kam als Letzter an der Reihe. Er kniete vor Voldemort nieder, küsste den Saum seines Umhangs und wartete auf seinen Befehl. Der dunkle Lord beugte sich zu seinem Diener herunter und sagte mit gedämpfter Stimme : „Giftmischer, für dich habe ich einen ganz besonderen Auftrag ausgewählt. Es könnte... nun ja, ein wenig schwierig werden, aber ich vertraue darauf, dass du es schaffen wirst. Wenn nicht...“ Er schnippte leicht mit den Fingern.
Severus nahm es mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck zur Kenntnis.
„Karkaroff ist nicht durch Zufall von den Auroren erwischt worden. Jemand hat ihnen einen Tipp gegeben – jemand aus unseren eigenen Reihen.“ Der dunkle Lord machte eine kurze Pause, um dem jüngeren Mann Zeit zu geben, irgendwie zu reagieren. Wahrscheinlich erwartete er Überraschung oder Entsetzen, doch Severus hielt seinen Kopf auch weiterhin gesenkt und schwieg.
„Ich kenne den Verräter und er weiß es. Deshalb ist er heute auch nicht erschienen. Weil er zu feige ist, mir persönlich gegenüberzutreten.“
„Meister...“ Snapes Stimme war kaum mehr als ein heißeres Flüstern. „Wer ist es ?“
„Duncan Lionheart.“

„Was!?!” Mit einem Mal war seine Gleichgültigkeit verschwunden. Duncan Lionheart war Lehrer in Hogwarts. Seit etlichen Jahren, zumindest aber während Severus' gesamter Schulzeit hatte er dort die Stelle für das Fach „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ inne. Damals hatte er ihn nicht besonders gemocht, vor allem, weil er nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass Sirius Black sein Lieblingsschüler war.
Um so größer war die Genugtuung gewesen, als er schließlich herausgefunden hatte, dass Lionheart ein Todesser war. Er hatte versucht, sich die Gesichter von Black und Potter vorzustellen, wenn sie davon erfahren hätten...
Und nun? Lionheart ein Verräter?

„Natürlich wird er sterben. Niemand führt den Dunklen Lord ungestraft an der Nase herum.“
„Ich werde ihn hierher bringen.“
„Nein, Giftmischer. Du wirst ihn töten! Ich dachte mir, dass es dir vielleicht Spaß machen würde, Blacks Gönner umzubringen.“
„Ich danke Euch, Meister.“ Severus bebte innerlich. Er spürte, wie die altbekannte Übelkeit wieder in ihm hochstieg. Es stimmte nicht, es war ihm nicht egal. Es war nicht einfach nur ein Job. Warum belog er sich nur ständig selbst ?

„Ein kleines Problem gibt es da allerdings .... du weißt, wo Lionheart sich aufhält ?“
Severus schluckte. Natürlich wusste er es. In Hogwarts, wo sonst. Während des Schuljahres lebten alle Lehrer dort. Die Schule war eine Festung, wahrscheinlich der sicherste Ort überhaupt. Es war unmöglich, dort zu apparieren oder ungesehen innerhalb der Mauern zu gelangen. Was Voldemort von ihm verlangte, war blanker Wahnsinn.
Hätte es eine Möglichkeit gegeben, Hogwarts einzunehmen, dann wäre der Krieg schon längst entschieden. Dumbledore und seine Leute wären tot, getötet von Todessern, die sie im Schlaf überrascht hatten.

Der dunkle Lord schien seine Gedanken erraten zu haben, denn er sagte : „Es wird nicht leicht werden, ins Schloss zu kommen. Für eine größere Gruppe von Todessern ist es geradezu unmöglich. Für einen Einzelnen jedoch...“, seine roten Augen glitzerten gefährlich, „...müsste eigentlich eine Chance bestehen. Du bist jung und gerissen. Und du bist schlau. Giftmischer, ich möchte, dass du nach Hogwarts gehst und Lionheart tötest. Ich gebe dir drei Tage...“
Drei Tage. Severus schluckte. Das war das Ende.
„Erhebe dich. Du kannst gehen.“


Er wunderte sich, dass seine Beine ihm noch gehorchten. War alles nur ein Traum gewesen oder verlangte Voldemort tatsächlich von ihm, in das bestbewachte Gebäude der Zauberwelt einzubrechen und dort einen Mann zu töten?
Und dann sah er auf einmal völlig klar. Dieser Auftrag war ein Wink des Schicksals. Was hatte er noch zu verlieren? Endlich, endlich würde es vorbei sein. Die Erlösung, die er schon so lange herbeisehnte. Er würde sterben, aber nicht wie ein Feigling.
Nein, erhobenen Hauptes würde er in den Tod gehen. So, wie ihn alle gekannt hatten. Severus Snape, der Große, der Unnahbare, der Todesser...
Niemand würde jemals erfahren, dass der Severus Snape, der einsam war, der es nicht ertrug zu töten und der sich nichts sehnlicher wünschte, als einmal nur den Eiffelturm sehen zu dürfen, jemals existiert hatte.


Nur eine Sache musste er vorher noch erledigen....

 

 

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