Kapitel 7: Die Maske
„Christy, bist du da?“
Oliver Lestrange ließ sich seufzend aufs Sofa fallen. Er war denkbar schlecht gelaunt. „Seine“ Mannschaft hatte natürlich, wie konnte es auch anders sein, verloren. Wenn sie die kommende Saison so weiterspielten, war der Abstieg vorprogrammiert! Und an allem Schuld war dieser verdammte Trainer. Warum entließen sie ihn nicht einfach? Larabee war als Treiber eine Niete, dass konnte jedes Kind sehen! Und trotzdem wurde er ständig wieder aufgestellt.
Oh, scheiße, seine Kopfschmerzen waren beinahe nicht zum Aushalten. Er brauchte dringend etwas von diesem verdammten Trank. Hatte Sev nicht erst neulich ein neues Fläschchen dagelassen?
„Christy!“
„Hallo Olli!“ Christine erschien im Türrahmen. Sie war barfuss und trug ein blaues Nachthemd. „Tut mir leid. Ich habe dich nicht kommen hören. Ich war ziemlich müde heute und bin früh ins Bett gegangen.“
„Schon gut“, brummelte Oliver, während er auf ihre Brüste starrte, die sich durch die dünne Seide hindurch abzeichneten.
„Und? Wie ist’s ausgegangen?“
„Wie schon?“ Seine Miene verdüsterte sich und Christine vermied es, weiter nachzufragen.
„Hast du schon gegessen?“
„Ich brauche nichts. Bring mir nur was von dem Kopfschmerz–Zeugs. Ich hoffe nur, der alte Giftmischer hat diesmal irgendwas zur Geschmacksverbesserung reingetan.“
Sie zuckte zusammen, als er Severus erwähnte. Hoffentlich ging es ihm gut. Bevor sie gegangen war, hatte sie ihm noch einen Schlaftrank verabreicht, um ihn wenigstens ein paar Stunden Ruhe zu verschaffen. Am liebsten hätte sie noch einmal nach ihm gesehen, aber das würde wohl nicht möglich sein.
So ging sie ins Bad und holte besagtes Fläschchen mit dem Schmerzmittel aus dem Schrank. Wenn sie Glück hatte, würde Oliver seine Dosis einnehmen und sofort ins Bett gehen. Sie nahm an, dass er betrunken war, zumindest roch er so. Wahrscheinlich würde er sich nicht mehr lange auf den Beinen halten können.
Doch sie hatte sich getäuscht. Er trank das Glas in einem Zug leer, verzog kurz das Gesicht und streckte dann seine Arme nach ihr aus.
„Komm her, Christy...“
Sie wehrte sich nicht, als er sie auf seinen Schoß zog und seine Lippen auf die ihren drückte. Sein Kuss schmeckte nach kaltem Rauch und billigem Whiskey. Trotzdem schlang sie die Arme um seinen Hals und zog ihn näher zu sich heran.
Oliver ließ seine Hände über ihre Hüften und unter ihr Nachthemd gleiten. Seine Hände waren warm und zärtlich und sie konnte nicht anders, als sich seiner Berührung hinzugeben. Er ließ seine Lippen tiefer, zu ihrem Ohrläppchen hin wandern und flüsterte leise: „Ich liebe dich.“
Mit einem Mal versteifte sich Christines Körper, als hätte eine eisige Hand ihren Nacken gestreift.
Sofort hielt er in seiner Liebkosung inne. „Was ist los?“
„Nichts... ich bin nur... müde...“ Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Warum so plötzlich Severus' Gesicht vor ihrem inneren Auge erschienen war.
„Müde?“ Olivers Stimme klang bedrohlich.
„Jetzt nicht mehr...“ Mit einem verführerischen Lächeln auf den Lippen verschloss sie seinen Mund mit ihrem.
Als es vorbei war und sie an seinen langsamen, regelmäßigen Atemzügen erkennen konnte, dass er eingeschlafen war, lag Christine noch lange mit offenen Augen wach und starrte in die Dunkelheit.
Ihr rastloser Geist war damit beschäftigt, die Ereignisse des Tages zu verarbeiten. Severus...
Wenn sie seinen Worten Glauben schenkte, dann war es ein Muggel gewesen, der ihn so zugerichtet hatte. Wie es allerdings dazu gekommen war und warum er sich nicht gewehrt hatte, darüber hatte er kein einziges Wort verloren. Sie hatte ihn nicht gedrängt. Es hätte ja doch keinen Sinn gehabt.
Als es ihm etwas besser gegangen war, hatte sie ihm geholfen sich zu waschen und seine Verletzungen, die sich bei näherem Hinsehen als halb so schlimm erwiesen, zu verbinden. Zwar waren ein oder zwei Rippen gebrochen und die Schürfwunden an Oberkörper und Gesicht brannten wahrscheinlich höllisch, doch im Großen und Ganzen konnte er dankbar sein, dass es so glimpflich für ihn ausgegangen war. Zumindest was das Äußere betraf.
Das traf jedoch nicht auf sein Allgemeinbefinden zu. Eher das Gegenteil. Der tranceartige Zustand, in dem er sich über mehrere Stunden befunden hatte, deutete auf einen Schock hin. Ein Schock, der so groß gewesen sein musste, dass es Severus komplett aus der Bahn geworfen hatte. Mehr noch: Auf Christine hatte er den Eindruck gemacht, als hätte man ihn seiner gesamten Identität, seiner Seele beraubt. Severus Snape war kein Mann, der sich einfach gehen ließ. Sie hatte ihn immer nur als kalt und beherrscht gekannt – bis zu dem Abend im Hyde Park. Er konnte anders sein, war wahrscheinlich auch anders, als alle dachten. Anders, als er sich gab.
Zerrissen. Einsam.
Nach außen hin der stolze Slytherin, der Junge, der es genossen hatte, die anderen seine Überlegenheit spüren zu lassen, aber im Grunde seines Herzens immer neidisch auf James Potter, Remus Lupin und Sirius Black war. Weil sie einander hatten, Freunde waren. Severus hatte nie wirkliche Freunde gehabt. Zwar hatte er zu einer Art Clique gehört, zusammen mit Oliver, Evan, Milton und später auch ihr selbst, aber er war trotzdem ein Außenseiter geblieben.
In Hogwarts hatte sich hartnäckig das Gerücht gehalten, dass er sie alle verfluchen könnte, wenn er es nur wollte. Niemand hatte daran gezweifelt, dass darin zumindest ein Körnchen Wahrheit steckte. Alle fürchteten ihn. Selbst seine „Freunde“.
Er war damals der erste von ihnen gewesen, der vorgetreten war, um das Dunkle Mal zu empfangen. Erhobenen Hauptes und stolzen Schrittes hatte er sich Voldemort genähert, ohne auch nur ein einziges Mal den Blick zu senken.
Manche mochten ein solches Verhalten als mutig bezeichnen, rückblickend war es schlichtweg lebensmüde gewesen. Der Dunkle Lord verlangte von seinen Anhängern Demut und Ehrfurcht. Wer sich ihm näherte hatte den Kopf zu senken, auf die Knie zu fallen und den Saum seines Umhangs zu küssen. Eigentlich war es ein Wunder, dass er Severus nicht sofort mit dem Cruciatus belegt hatte. Vielleicht, mutmaßte Christine, hatte er schon bei diesem ersten Treffen erkannt, wie nützlich ihm dieser junge Mann einmal werden würde. Denn wer keine Angst vor ihm, dem mächtigsten schwarzen Magier aller Zeiten hatte, der hatte auch keine Angst vor dem Tod...
In diesem Moment begann ihr linker Unterarm zu brennen. Wie vom Blitz getroffen fuhr sie im Bett hoch. Auch Oliver begann sich hin und her zu werfen und sprang schließlich, seinen Arm umklammern auf die Füße.
„Scheiße!“
„Sieht so aus, als ob wir uns auf die Socken machen müssten.“ Christine starrte auf die hässliche Tätowierung, die jetzt glühend rot im Dunkeln leuchtete.
Der Dunkle Lord rief seine Todesser. Ein außerplanmäßiges Treffen. Irgendetwas musste geschehen sein.
Schnell warfen sie sich ihre Roben über, lange Gewänder aus tiefschwarzem Samt, zusammen mit Umhang und Kapuze. Am Ende kam die Maske, nichts als eine Fratze, damit man ihre Gesichter nicht sehen konnte. Ein Schutz vor den Auroren des Ministeriums, aber auch ein Schutz vor dem eigenen Selbst. Es war einfacher, zu töten, wenn man eine Maske trug. Sie trug dazu bei, sich selbst etwas vorzumachen. Anfangs hatte es ihr tatsächlich geholfen, doch inzwischen machte es für sie keinen Unterschied mehr. Sie war eine Mörderin.
Daran änderte auch die Maske nichts.
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