Kinder der Nacht

 

 

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Kapitel 5: Croissants und französischer Kaffee 

 

Severus Snape kehrte erst zum Schloss zurück, als die Sonne bereits am Himmel stand. Es erschien ihm wie Hohn, dass sie ausgerechnet an einem Tag wie diesem scheinen sollte. Mitten im November. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie er nach draußen gekommen war. Nur noch daran, dass er aus dem Schlafzimmer im ersten Stock gerannt war, vorbei an seinem Vater und dem Muggelarzt. Einfach nur raus. Weg von Angst, Krankheit und Tod. Der leblose Körper, der dort gelegen hatte, das war nicht mehr seine Mutter gewesen. Eine Hülle, nichts weiter. Seine Mutter, das war eine lebendige, fürsorgliche Frau mit funkelnden Augen und einer niemals endenden Energie. Seine Mutter stand am Bahnsteig und sah ihn zusammen mit dem Zug im Rauch verschwinden. Sie war nicht tot. Sie durfte einfach nicht tot sein ! Schließlich hatte sie es ihm versprochen.

"... ich werde dich niemals verlassen ..."

Wenn er jetzt zurückkam, würde sie bestimmt schon auf ihn warten. Wahrscheinlich gab es Croissants zum Frühstück. Croissants und französischen Kaffee. Sie liebte Frankreich. Einmal, das hatte sie ihm versprochen, würde sie ihm Paris zeigen. Den Eiffelturm. Auf den freute er sich besonders. Ob man von dort oben wohl bis nach Hogwarts sehen konnte?

Als er das Esszimmer betrat, fand er dort nichts vor, als seinen Vater, der alleine am Tisch saß, den Kopf in den Armen vergraben. Keine Croissants. Vielleicht hatte sie keine Zeit gehabt, welche zu backen. Schließlich hatte sie ja nicht wissen können, dass er zu Besuch kommen würde. "Wo ist Mama?"
Langsam, sehr langsam, hob sein Vater den Kopf. Seine Augen waren rot vom Weinen. "Sev, sie ist tot."
"Aber sie hat gesagt, dass ..."
"Severus!"
"Sie hat bestimmt Croissants gebacken ..."
"Sie ist tot!"
"Und einmal ..."
"Tot!"
"Werden wir nach Paris fahren."
"Tot!"
"Den Eiffelturm sehen ..."
"Tot!"
"Am Montmartre spazieren gehen ..."
Antonius schlug ihm direkt ins Gesicht.
Severus schloss für einen Moment die Augen, fühlte den Schmerz. Der Schmerz in seiner Wange, der sich langsam, schleichend auf seinen ganzen Körper, sein Bewusstsein übertrug.
"Severus, sie ist tot." Er spürte, wie ihn jemand an den Oberarmen packte und ihn schüttelte. "Tot! Verstehst du? Tot!"
Seine Mutter war tot. Gestorben an einer heimtückischen Krankheit, von der er nichts geahnt hatte. Gestorben in dem Moment, in dem er endlich zurückgekehrt war. Er begann zu zittern.
"Hast du mich jetzt verstanden?"
"Ja ..."
"Gut." Jetzt erst ließ Antonius von ihm ab. Dabei rutschte Severus Ärmel versehentlich ein Stück nach oben. Es waren nur ein paar Zentimeter nackte Haut zu sehen gewesen und die hatte er sofort wieder bedeckt, doch sein Vater hatte bereits Verdacht geschöpft. Auf einmal klang seine vorher noch so gramverzerrte Stimme wieder sehr fest und deutlich. "Was hast du da?"
"Nichts."
"Was hast du da am Arm?", wiederholte er, diesmal schärfer. Er sah Severus direkt in die Augen, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
"Nichts weiter. Nur ..."
"Zeig mir deinen Arm!"
"Nein!" Panik schwang in seiner Stimme.
"Sofort!"Antonius packte den Arm seines Sohnes und zerrte die Robe mit Gewalt zurück. Horror trat in seine Augen, als er sah, was sich da auf Severus' Unterarm befand.
"Das ... das ist nur eine Tätowierung."
"Tätowierung?", flüsterte sein Vater. "Tätowierung? Für wie dumm hältst du mich? Glaubst du, ich wüsste nicht, was dieses Symbol zu bedeuten hat?" Vorsichtig strich er über das Totenkopfsymbol, aus dessen Mund eine bedrohlich aussehende Schlange zu kriechen schien. "Das Dunkle Mal. Mein eigener Sohn." Er ließ in plötzlich los, so, als fürchte er, durch dieses Zeichen des Bösen selbst vergiftet zu werden.
"Vater ..."
"Oh Gott, wenn deine Mutter gewusst hätte, ..."
"Vater, ich ..."
"Raus! Raus hier! Ich dulde keinen Mörder in meinem Haus. Und wage es nicht, jemals wieder hierher zurückgekommen! Niemals! Hörst du? Niemals!" Er brüllte und tobte. Und Severus rannte. Rannte zum zweiten Mal binnen 24 Stunden durch die große Eingangshalle, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her. Er rannte durch das große Tor, rannte und rannte immer weiter, bis seine Knie nachgaben und er auf den Boden sackte.
Nicht weit von ihm entfernt schlug das Meer gegen die Klippen. In diesem Moment beschloss er, einfach zu sterben. Kein Selbstmord, nichts in der Art. Einfach liegen bleiben und auf den Tod warten. Es gab nichts mehr auf der Welt für ihn, für den sich das Leben gelohnt hätte. Sie alle hatten ihn zuerst belogen und dann verlassen. Sein Großvater, Lily, seine Mutter, ... Er hatte kein Zuhause mehr. Die Wohnung in London war kein Zuhause, lediglich eine Unterkunft. Niemand wartete auf ihn, kein Ort, an den er gehen konnte, nur eine endlose, schwarze Leere. Sein Leben lang hatte er geglaubt, er bräuchte niemanden, er würde es alleine schaffen. Jetzt wusste er, dass alles eine einzige, große Lüge gewesen war. Er hatte sich selbst belogen. So blieb er einfach liegen, den Kopf in den Armen verborgen, zusammengerollt wie ein kleines Kind. Vielleicht hätte er weinen sollen, doch er konnte einfach nicht. Alles in ihm war leer. Er hatte keine Tränen, für nichts und niemanden und am allerwenigsten für sich selbst.

Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte. Vielleicht Stunden, vielleicht aber auch nur wenige Minuten. Er hatte bereits jegliches Gefühl für Zeit verloren, als er plötzlich eine Hand spürte, die ihn am Kragen packte und auf die Füße zog. "Hab ich's mir doch gedacht. Du bist einer von denen da oben, nicht wahr?" Der Mann, der ihn noch immer festhielt, war zwar ein ganzes Stück kleiner als er selbst, dafür aber um einiges kräftiger.
Severus starrte ihn aus hohlen Augen an. Sollten sie doch alle mit ihm machen, was sie wollten. Falls dieser Kerl die Absicht haben sollte, ihn zu Tode zu prügeln, konnte ihm das nur recht sein. Er jedenfalls würde sich nicht wehren.
"Hey du, bist du taub, oder was?" Der erste Schlag traf ihn in den Magen und veranlasste ihn dazu, sich unwillkürlich vor Schmerzen zu krümmen. "Vielleicht kannst du jetzt ja doch sprechen. Also, bist du nun einer von diesen Teufelsanbetern?"
Schweigen.
"Antworte mir gefälligst!" Der Dicke schlug ihm in die Brust.
Severus spürte, wie seine Rippen brachen. Er konnte sich nicht länger auf den Beinen halten und sackte zu Boden. Vielleicht würde er ihn ja tatsächlich umbringen. Dann wäre alles vorbei. Endlich.
"Solche wie dich will ich auf meinem Land nicht haben. Wahrscheinlich hast du meine Kühe verhext!"
In Wahrheit war sich Severus nicht einmal darüber im Klaren gewesen, dass er sich inmitten einer Kuhweide befand. Eine kleine Gruppe von Tieren graste nur wenige Meter von ihnen entfernt friedlich vor sich hin. Die Stiefelspitze stieß ihn in die Seite, immer fester, bis sie schließlich tatsächlich zutrat. Der Schmerz schoss wie ein Pfeil durch seinen Körper und ließ ihn ein Schreien unterdrücken. Er war ziemlich gut darin, sich in Situationen wie dieser zu beherrschen. Absolute Selbstkontrolle war schon immer eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften gewesen und diese rein äußerlichen Misshandlungen waren nichts im Vergleich zu dem, was ihn gewöhnlich erwartete, wenn er die Aufträge des Dunklen Lords nicht zu dessen vollster Zufriedenheit ausführte. Aber auch das würde nun bald vorbei sein. Nie mehr Tod, nie mehr töten müssen ...
Und dann wurde ihm plötzlich bewusst, dass er in seinen Überlegungen einen elementaren Faktor vergessen hatte. Christine. Er war nicht allein, das stimmte nicht, er hatte sie. Sie war wie er. Zwischen ihnen bestand ein unsichtbares Band, von dem Abend an, als sie inmitten all der Scherben auf den weißen Fliesen mit den roten Blutstropfen gekniet hatten, als sich ihre Hände berührt hatten und ...
Der nächste Tritt traf ihn mitten ins Gesicht, doch diesmal hielt er nicht still sondern drehte sich mit einer blitzschnellen Bewegung zur Seite und sprang auf die Füße.

 

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