|
|
Kapitel 2
Ich apparierte auf einer Waldlichtung.
Die meisten der anderen waren bereits dort. Nur der Dunkle Lord selbst fehlte noch.
Er ließ seine Anhänger gerne etwas warten und inszenierte sein Auftauchen.
Ich wußte nicht, warum dieses Treffen einberufen wurde, nahm aber an, daß es um die Planung der nächsten Aktionen ging.
Plötzlich entstand hinter uns ein Luftwirbel. Die Luft drehte sich wie in einem Hurrikan immer schneller und schneller um das Zentrum.
Man konnte nicht erkennen, was sich im Auge des Sturmes befand, da die Luft eine weißliche Farbe hatte, als wenn sie Wolken oder Gischt aufgesaugt hätte.
Langsam erhob sich die Luftröhre in die Luft und unter ihr kam die Spitze eines silbernen Umhangs zum Vorschein.
Dann konnte man die schmale Gestalt eines Mannes erkennen und schließlich verschwand der Wirbel in die Höhe des schwarzen Himmels und das häßliche Gesicht Voldemorts kam zum Vorschein.
Die, ihn umringenden, schwarzen Gestalten klatschten anerkennend und ich schloß mich ihnen an.
Der Dunkle Lord starrte einige Sekunden in die Runde, als wolle er überprüfen, daß alle seine Diener seine Leistung würdigten, dann zischte er mit kalter Stimme: "Genug!" und der Applaus erstarb.
"Wir sind nicht hier um uns zu amüsieren! Ihr werdet vielleicht überrascht sein, daß ich euch so bald nach unserem letzten Treffen wieder zu mir gerufen habe. Ich habe euch bei den letzten Aktionen beobachtet und mir Gedanken gemacht. Gedanken über euch! Gedanken über eure Arbeit und die Erfolge. Und ich muß sagen, das was dabei heraus gekommen ist, macht mich nicht glücklich. Es macht mich eher wütend. Sehr wütend!"
Einige der Todesser erschauerten. Sie wußten, wie unangenehm unser Meister werden konnte, wenn er nicht zufrieden war.
Auch ich hatte seine Wut schon oft genug zu spüren bekommen, aber ich fürchtete mich nicht vor ihm. Ich war Schmerz gewohnt.
Trotzdem merkte ich, wie sich meine Muskeln verkrampften, während ich darauf wartete, daß Voldemort fortfuhr.
Und das tat er.
"Ihr seit unvorsichtig geworden, verrichtet eure Aufträge schlampig. Besonders einige von euch sind mir in letzter Zeit unangenehm aufgefallen."
Er wandte sich einer Gruppe von fünf Todessern zu, die ängstlich einige Schritte zurückwichen.
"Ja, ihr wißt was ich meine! Wie konnte es passieren, daß einer der Misaldors entkommen konnte? Ihr solltet die ganze Familie unauffällig beseitigen. Statt dessen lasst ihr einen von ihnen entwischen und veranstaltet eine Hetzjagd, die nur durch Zufall nicht bemerkt wurde.
Möchte einer von euch etwas dazu sagen?", fragte Voldemort beherrscht.
Die Angesprochenen waren inzwischen kalkweiß geworden und Angstschweiß stand ihnen auf der Stirn. Sie alle blicken demütig auf den Boden, als sie so direkt von dem Dunklen Lord angesprochen wurden.
Aber er war noch nicht am Ende.
"Und was muß ich über meinen Giftmischer hören?", fragte er, nun mit zuckersüßer Stimme.
Ich erstarrte.
Was meinte er? Er konnte nicht herausgefunden haben, daß ich für Dumbledore arbeitete, oder doch?
Ich versuchte einen möglichst sicheren Blick aufzusetzen und sah Voldemort an.
Er begann zu lächeln. Es war ein hinterlistiges, gemeines Lächeln.
"Ja, Snape! Mir wurde berichtet, daß du es vermeidest, zu töten und statt dessen lieber den Gedächtnisfluch anwendest. Du wirst doch nicht etwa weich werden auf deine alten Tage? Ich hatte dich wohl immer überschätzt. Aber für schwache Menschen habe ich keine Verwendung, wenn du verstehst, was ich meine."
Er machte eine kleine Pause.
Ich machte mir keine Hoffnungen, fliehen zu können.
Wenn er mich jetzt töten wollte, würde es ihm gelingen.
"Aber auf Grund meiner ausserordentlichen Gnade, werde ich euch allen noch eine Chance geben, in der ihr mich von euren Fähigkeiten," - er sah zu den fünf Todessern hinüber, die die letzte Aktion fast zum Scheitern gebracht hatten - "beziehungsweise von eurer Loyalität überzeugen könnt."
Bei den letzten Worten hatte er sich umgedreht und blickte nun in meine Richtung.
"Ganz hier in der Nähe, um genau zu sein hinter dieser Baumgruppe links von mir, wohnt eine Familie, deren Vater im Ministerium arbeitet und der mir schon lange ein Dorn im Auge ist. Jetzt, in der Woche, ist dieser allerdings nicht zu Hause. Aber seine Frau und die Tochter reichen auch für meine Zwecke. Sie sind sogar besonders gut für diese Aufgabe geeignet!"
Seine kalten, roten Augen blitzten.
Was meinte er, mit "besonders gut geeignet"?
Gab es Menschen, die besonders gut zum Sterben geeignet waren?
Die Anspannung in mir wuchs.
"Ihr," er sah nun wieder zu den anderen fünf, die ihm negativ aufgefallen waren, hinüber, "ihr geht jetzt zu diesem Haus und überwältigt die Familie. Und zwar unauffällig und schnell.
Ich warne euch. Sollte ich auch nur einen Fehler entdecken, war dies der letzte Auftrag, den ihr für mich ausführen durftet. Habt ihr das verstanden?"
Die Angesprochenen nickten eifrig.
"Ihr überwältigt die Frau und das Kind und fesselt sie. Aber tut ihnen nichts! Diese Ehre ist für unseren lieben Professor Snape bestimmt." Voldemort lächelte mich boshaft an.
"Er wird das Vergnügen haben, uns von diesem Abschaum zu erlösen und uns seine Loyalität zu beweisen. Denn du bist mir doch treu ergeben, oder Snape?"
"Natürlich, Meister!", antwortete ich automatisch und sah ihm in die Augen, wobei ich mich bemühte, so unberührt, wie möglich auszusehen.
"Gut! Dann folgt mir nun", antwortete er und disapparierte.
Die anderen Todesser und ich folgten ihm. Wir wußten zwar nicht, wohin wir apparieren mußten, aber das Dunkle Mal, einst von unserem Meister in unsere Arme gebrannt, leitete uns.
Die Lichtung verblaßte in meinen Augen und für einen kurzen Augenblick sah ich nichts, außer tiefer Schwärze.
Dann tauchte ein anderes Bild auf. Das Bild eines kleinen Steinhauses, das versteckt hinter einigen Tannen stand.
Wir waren am Ziel. Und ich erstarrte.
Voldemort, der direkt neben mir stand, sah mich kurz an und verzog sein Gesicht zu einem häßlichen Grinsen.
"Na, Giftmischer? Kommt dir diese Gegend irgendwie bekannt vor?"
Ein leises "Ja" war die einzigste Antwort, zu der ich in diesem Moment in der Lage war.
Ja, ich kannte dieses Gebäude. Schon oft hatten meine Frau und ich hier die Nachmittage verbracht. Hier wohnte William Anphera mit seiner Familie.
Er arbeitete im Ministerium und war eine der wenigen Personen, die von meiner Spionage-Tätigkeit im Auftrag Dumbledores wußten. Auch seine Frau Vanessa wußte davon.
William hatte mir in der Vergangenheit schon oft geholfen, wenn ich Schwierigkeiten mit dem Ministerium hatte. Er hatte eine dafür hervorragend geeignete Position und war auch deshalb in mein Geheimnis eingeweiht worden, damit er Spuren, die mich verdächtig machen könnten, verwischte.
Mit der Zeit war etwas wie Freundschaft zwischen unseren Familien entstanden und wir hielten lockeren Kontakt.
Und nun würde ich diese Familie töten.
Wenn auch nicht alle von ihnen, da William unter der Woche in London wohnte, aber doch Vanessa und das Kind.
Ich würde die Familie zerstören und konnte es nicht verhindern.
Ich konnte mich nicht weigern, denn dann würde Voldemort mich ohne zu zögern töten.
Das alleine hätte mich nicht davon abgehalten, es nicht zu tun.
Doch wenn ich starb, starb der einzigste Informant im Kreise des Dunklen Lords und damit die Möglichkeit, geplante Überfälle zu verhindern und die Menschen, die getötet werden sollten, zu beschützen.
So blieb mir nichts anderes übrig, als zu hoffen, daß die Familie nicht zu Hause war.
Und so wartete ich, genau wie Voldemort und die an der Aktion unbeteiligten Anhänger auch, in einiger Entfernung von der Hütte und beobachtete die fünf schwarzen Gestalten, die sich langsam dem Haus näherten.
Ich sah, wie zwei von ihnen die Eingangstür sprengten und eintraten, während die anderen drei das Gebäude umstellten.
Kurz darauf hörte man Schreie und Weinen. Farbige Blitze erhellten die Fenster.
Dann wurde es schlagartig ruhig und ich wußte, daß es nun keine Hoffnung für Vanessa und das Kind mehr gab.
"Kommt!", befahl Voldemort und setzte sich in Bewegung.
Wir anderen folgten ihm mit ein wenig Abstand und setzten nun unsere Masken auf, die wir stets bei Überfällen trugen.
Wir gingen den Weg zum Haus entlang und ich wünschte mir, der Marsch würde ewig dauern und ich würde das Ziel niemals erreichen. Aber nach nur kurzer Zeit erreichten wir das Gebäude und betraten einen dunklen Flur, der mir nur allzu bekannt war.
An den weiß gestrichenen Wänden hingen Bilder von der Familie Anphera. Es waren Fotos von den verschiedensten Momenten.
Nur in einem waren sich alle Bilder gleich: Sie waren fröhlich und unbeschwert.
Die dargestellten Personen lachten und waren glücklich.
So glücklich, wie sie nie wieder sein würden.
Mir blieb keine Zeit, weiter nachzudenken, denn schon wurde ich von den nachfolgenden Todessern weitergeschoben. Durch eine schmale Tür, hinein in das Wohnzimmer des Hauses.
Dort warteten die vorausgeschickten Anhänger Voldemorts. Vor ihnen, auf dem Boden, knieten ihre Gefangenen.
Das Kind weinte, Vanessa jedoch war still und blickte jeden eintretenden Todesser genau an, als würde sie auf jemanden warten.
Als letzter betrat Voldemort den Raum. Augenblicklich wurde es ruhig.
Selbst das Kind hörte auf zu schreien und starrte den Dunklen Lord an.
Vanessa mußte in diesem Moment klar geworden sein, daß dies kein normaler Überfall war, und daß sie keinerlei Chance hatte, den heutigen Tag zu überlegen.
Denn an Aktionen, bei denen es nur um vergewaltigen oder verhören ging, nahm der Meister der Todesser nicht teil.
Nur, wenn es wirklich darum ging, Menschen zu töten, und wenn die Aktion absolut sicher war, begleitete er seine Anhänger manchmal, denn er liebte es, Personen, die gegen ihn kämpften, vor ihm kniend um ihr Leben betteln zu hören und sie dann eigenhändig umzubringen.
Aber wenn sie dachte, Voldemort selbst würde sie umbringen, irrte sie sich.
Nicht er würde es tun.
Nein, ich würde sie töten.
Schon hörte ich meinen Meister sagen: "Töte sie!"
Ich trat einige Schritte vor und Vanessa sah mich erstaunt an.
Sie blickte mir direkt in die Augen und ich war mir sicher, daß sie mich erkannt hatte.
Meine Bewegungen wurden langsamer, bis ich schließlich kurz vor ihr stehen blieb.
"Warauf wartest du noch?", schrie Vanessa plötzlich, als sie bemerkte, daß ich zögerte.
"Mach schon, töte mich endlich! Oder hat dich mein Anblick so sehr gefangen genommen, daß du es nicht über`s Herz bringst, mich umzubringen? Nun, dann wird mich ein anderer erledigen! Also, nun tu es! Tu es endlich!"
Jetzt war es sicher. Sie hatte mich erkannt.
Und sie wollte, daß ich sie tötete.
Sie opferte sich, um es mir zu ermöglichen, weiterhin als Spion zu arbeiten.
Sie opferte ihr Leben, für das vieler anderer.
Und ich wußte, daß sie Recht hatte.
Ich mußte meine Tarnung aufrecht erhalten.
Ich mußte sie töten.
Ich richtete meinen Zauberstab auf ihre Stirn und sah, wie sie sich etwas entspannte und die Augen schloß. Dann sprach ich den tödlichen Fluch.
Danach wandte ich mich dem Kind zu. Es war etwa drei Jahre alt und hatte die vorherige Szene still beobachtet.
Offenbar hatte es nicht verstanden, was passiert war. Das seine Mutter soeben gestorben war.
Es sah mich mit großen ängstlichen Augen an.
Erneut zog ich meinen Zauberstab und tötete den zweiten Menschen innerhalb von nur wenigen Sekunden.
Es war vorbei.
Sie waren tot.
Voldemort verließ das Zimmer, gefolgt von den anderen Todessern.
Ich warf noch einen letzten, kurzen Blick auf die beiden leblosen Körper, dann ging auch ich ihm nach.
Draussen versammelten wir uns in einem Kreis, um zu hören, was uns der Meister nun zu sagen hatte.
Mit kalter Simme begann er zu sprechen: "Ich muß sagen, ich bin zufrieden mit euch. Ihr habt eure Chance genutzt. Glück gehabt."
Ich sah, wie sich die anderen fünf geprüften Todesser entspannten.
Sie bemerkten nicht, wie der Dunkle Lord seinen Zauberstab auf sie richtete.
"Crucio!", rief er und die fünf brachen unter lauten Schreien zusammen.
Dann drehte er sich in meine Richtung und sagte erneut: "Crucio!"
Die Welt versank in Schmerzen.
Einige Sekunden lang versuchte ich mich gegen den Fluch zu wehren und blieb stehen, dann jedoch sackten meine Beine unter mir zusammen und ich fand mich gekrümmt auf der Erde liegend wieder.
Meine Knochen verbogen sich in unnatürlicher Weise.
Die Muskeln drohten zu zerreißen und mein Blut schien zu kochen.
Mein Gehirn schwoll an, als wollte es den Schädel zu platzen bringen.
Meine Organe verkrampften sich und mir schien es, als würde mein Körper versuchen, die eigenen Innereien heraus zu würgen.
Vor meinen Augen tanzten bunte, grelle Lichter.
Dann wurde der Fluch von mir genommen.
Ich spürte den harten Boden unter mir.
Mein Körper schmerzte entsetzlich, als ich mich zwang, aufzustehen.
Ich schwankte, blieb aber aufrecht.
Wie durch Watte hörte ich Voldemorts Stimme.
"Dies alles wäre nicht nötig gewesen, wärt ihr mir nicht aufgefallen.
Laßt es euch eine Lehre sein!" Dann zog er erneut seinen Zauberstab.
Ich erwartete eine weitere Schmerzwelle, doch sie kam nicht.
"Morsmordre!", rief Voldemort und das Dunkle Mal erschien über dem Haus.
Dann disapparierte er.
Die Todesser, die für heute ohne Strafe davon gekommen waren, taten es ihm nach.
Ich sah kurz zu den anderen fünf Gefolterten hinüber, die immer noch benommen am Boden lagen, dann nahm ich all meine Kraft zusammen und disapparierte ebenfalls.
Kapitel 3 |