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Kapitel 1
Erzählt von Severus Snape
Mein Bein schmerzte, als ich den sanften Hügel zum Haus hinaufging.
Der Fluch hatte mich zwar lediglich gestreift, hatte aber eine Wunde hinterlassen, die sich bei jedem Schritt deutlich bemerkbar machte.
Hinter mir konnte man eine Spur von Bluttropfen auf dem mondbeschienenen Gras erahnen.
Ich hatte schon einiges an Blut verloren und ein aufkommendes Schwächegefühl zwang mich dazu, einen Moment in meiner Bewegung inne zu halten.
Während ich mich dort für einige Sekunden erholte, betrachtete ich dieses kleine Gebäude am Ende des Weges, das ich nun seit fast zwei Jahren mein Heim nannte.
Es war kein besonders großes Haus, auch etwas windschief gebaut, aber es vermittelte mir, jedes Mal, wenn ich es betrat, ein Gefühl der Sicherheit.
Besonders an Tagen wie diesem.
Langsam ging ich weiter.
Irgendwo hinter mir im dunklen Wald rief ein Uhu.
Ich konnte nicht direkt vor oder in das Gebäude apparieren, da ich es mit einem Zauber gegen eben dieses geschützt hatte. Ich mochte keine Besucher, die plötzlich in meinem Wohnzimmer auftauchten.
So ging ich weiter den Weg entlang, bis ich schließlich vor der hölzernen Eingangstür stand. Ich schloss auf und betrat den Flur.
Ein Geruch von Harz stieg mir in die Nase, als ich langsam und schwerfällig die Treppe zum Obergeschoß hinaufging.
Leise öffnete ich die erste Tür. Es war ein kleines Zimmer, nur ausgestattet mit einem niedrigen Tisch, einigen dazugehörenden Stühlen und einem Kinderbett.
Das ganze wurde durch den, durch das Fenster scheinenden, Mond in ein sanftes Licht getaucht. Einige Zeit verharrte ich dort und sah meiner fast einjährigen Tochter beim Schlafen zu.
Sie sah so friedlich aus. So unschuldig und unbekümmert.
Sie wußte nichts von Gewalt und Tod. Nichts von den Gefahren, die draußen in der Welt auf sie lauerten.
Mühsam riss ich mich von diesem Anblick los und ging in das Nebenzimmer.
Hier stellte ich fest, daß das breite Bett, das in der einen Ecke stand, leer war.
Aber ich wußte, wo ich sie finden würde. Dort, wo sie so oft wartete, bis ich von meinen Treffen mit den Todessern zurückkehrte.
Sie hatte mir einmal erzählt, der Ort hätte eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie fühlte sich dort dem Himmel näher, als innerhalb des Hauses und ich wußte, daß sie an dieser Stelle oft für meine gesunde Rückkehr betete.
Sie hatte zwar nie eine streng gläubige Erziehung erhalten, doch sie hatte sich im Laufe ihres Lebens einen starken Glauben angeeignet, der individuell war, aber dennoch dem christlichen Glauben in vielen Bereichen gleichkam.
Ich erklomm eine weitere Treppe und gelangte auf die Dachterrasse.
Das Haus hatte zwar ein schräges Dach, aber die Spitze war ersetzt worden durch eine Plattform, auf der nun einige Pflanzen wuchsen.
Inmitten der Sträucher und Blumen stand eine Bank.
Und dort saß sie. Soleya. Meine Frau.
Sie trug eine dunkelblaue Robe. Ihre kastanienbraunen langen Haare fielen locker über ihren Rücken.
Mein verletztes Bein hinter mir her ziehend näherte ich mich ihr von hinten.
Sofort drehte sie sich zu mir um und lächelte.
"Hi", sagte sie, nicht mehr. Dann erkannte sie meinen mühsamen Gang und blickte mich erschrocken an.
"Nichts tragisches", beruhigte ich sie. "Ein Wink mit deinem Zauberstab und ich bin wieder wie neu."
Ich setzte mich neben sie und sie beugte sich sofort über meine Wunde. Sie sprach einen Zauber und mein Bein fing an zu kribbeln. Nun würde es keine Stunde mehr dauern und es würde nur noch eine kleine Narbe zu sehen sein.
Ich überließ ihr meistens die Behandlungen meiner Verletzungen. Sie war darin viel geschickter als ich selbst. Und sie hatte Übung, denn nur selten kam ich von Voldemorts Treffen völlig gesund zurück.
Nur mit schwereren Verletzungen, die Soleya nicht behandeln konnte, ging ich nach Hogwarts zu Madam Pomfrey.
Soleya richtete sich wieder auf. Sie fragte nicht, was passiert war, sondern wartete darauf, daß ich es ihr erzählen würde.
Doch ich wollte es noch etwas herauszögern.
"Wie war dein Tag?"
"Gut", berichtete sie. "Heute morgen war ich mit Judy in Hogsmeade einkaufen. Nahrungsmittel und Kleidung. Wir haben ein hübsches Kleid für sie gefunden. Und einige Spielsachen, die sie aber erst übernächste Woche zum Geburtstag bekommt.
Mittags hat sie dann, ganz erschöpft, brav geschlafen und danach habe ich noch etwas im Beet gearbeitet. Jedenfalls habe ich das versucht, aber deine Tochter hat mich ziemlich auf Trab gehalten. Sie versucht ständig aufzustehen und zu laufen!"
Soleya sah mich gespielt empört an und ich lächelte.
"Meine Tochter? So ist das also! Vielleicht sollten wir in den nächsten Tagen mal wieder abends zu zweit nach Hogsmeade gehen, das haben wir schon lange nicht mehr gemacht.
Wir könnten Hermine fragen, ob sie Zeit hat auf Judy aufzupassen. Sie scheint sich gut mir ihr zu verstehen", schlug ich vor.
"Ja, das stimmt. Hermine hat eine ganz besondere Motivation, Judy das Sprechen beizubringen und ich glaube, ihr ist unsere kleine Quasselstrippe schon richtig an`s Herz gewachsen. Sie ist bestimmt einverstanden, wenn du sie nett fragst."
"Ich bin immer nett!"
Soleya fing an, laut zu lachen, und ich mußte mir ein Grinsen verkneifen.
Dann herrschte eine Zeitlang Schweigen und ich wußte, daß sie darauf wartete, daß ich ihr von dem Treffen mit den Todessern erzählte.
"Wir sind in eine Falle geraten. Wir wollten den Wallners einen "Hausbesuch" abstatten. Natürlich wußte ich, daß Auroren da sein würden. Ich hatte schließlich dafür gesorgt, daß sie von dem Überfall erfuhren.
Ich hielt mich im Hintergrund, aber einer von ihnen sah mich trotzdem. Ich reagierte zu langsam. Bevor ich disapparieren konnte, traf er mich bereits.
Vielleicht werde ich zu alt für diesen Job. Ich weiß nicht, was mich abgelenkt hat, aber hätte ich es nicht gerade noch geschafft, auszuweichen, wäre ich jetzt tot, so wie alle anderen beteiligten Todesser nun tot sind.
Du würdest hier vergeblich auf mich warten und morgen würdest du im Tagespropheten lesen, daß die Auroren dank eines Tips in der Lage waren einige Anhänger Voldemorts unschädlich zu machen. Wenn es gut gelaufen wäre, hätte Dumbledore vielleicht verhindern können, daß mein Name in dem Bericht genannt wird.
Du müsstest dir einen plausiblen Todesgrund für mich ausdenken, um die Leute nicht misstrauisch zu machen.
Statt der Geburtstagsfeier von Judy würdest du meine Beerdigung organisieren müssen.
Und ich würde nie die Gelegenheit haben, Judy aufwachsen zu sehen.
Ich weiß, ich habe überlebt. Dieses Mal.
Aber was ist mit den nächsten hundertmal?
Ich werde sterben. Entweder töten mich die Auroren, oder Voldemort findet heraus, daß ich ein Spion bin, oder ist mit meiner Arbeit nicht zufrieden und bringt mich um."
Ich hatte die ganze Zeit, in der ich redete, geradeaus gesehen und in einem sachlichen Tonfall gesprochen, als ginge es um eine alltäglich Frage und nicht um meinen eigenen Tod. Nun wendete ich Soleya mein Gesicht zu und fuhr fort.
"Irgendwann wird eines der beiden Möglichkeiten geschehen, und ich werde sterben.
Manchmal frage ich mich, ob das, was ich bewirke, dieses Risiko wert ist."
Ich wußte, daß das, was ich gerade gesagt hatte, in den Ohren Fremder leicht nach Klagen und Selbstmitleid klang.
Doch das war es nicht. Ich versuchte nur realistisch zu denken und den Nutzen meines Jobs im Auftrag Dumbledores und die Bürde, die ich damit meiner Familie zu tragen gab, gegeneinander abzuwägen.
Und Soleya verstand, was ich meinte. Aber wir wußten beide, daß keiner von uns wollte, daß ich meine Position bei Voldemort aufgab.
Erstens wäre das auf Grund der Rache Voldemorts sowieso nicht möglich, zum anderen wußten wir, wie wichtig meine Informationen für den Kampf gegen den Dunklen Lord waren.
Nun, da ich ausgeredet hatte, nahm Soleya meine Hand in die ihre und sah mich ernst an.
"Du weißt, daß es das Risiko wert ist!
Außerdem ist der Tod nicht das Ende.
Wenn du stirbst, wirst du an einem anderen Ort, an einem friedlichen Ort, weiterleben.
Dort wirst du auf uns, mich und Judy warten, bis unsere Zeit gekommen ist.
Du wirst uns solange beobachten und über uns wachen, und auf diese Weise immer bei uns sein, bis wir zu dir kommen.
Dann werden wir an diesem Ort gemeinsam leben. Es wird ein glückliches und helles Leben sein und es wird ewig währen."
Soleya sah mich nun direkt an.
Ich versank in den Tiefen ihrer grünen Augen und sah, daß sie fest an das glaubte, was sie mir gerade erzählt hatte.
Ich sah ihren unerschütterlichen Glauben, ihre Zuversicht und ihr Vertrauen.
Ich liess ihr ihre Religion, doch ich selbst glaubte nie an ein Leben nach dem Tod.
Vielleicht lag es an meiner Erziehung, die mir stets verboten hatte, irgendwelchen Illusionen und Träumen nachzuhängen.
Und diese Religion war eine Theorie, ein Glaube, der nie bewiesen wurde.
Ich streichelte sanft mit meinen Fingern über ihren Handrücken.
Dann legte ich meinen Kopf in den Nacken und schaute in den Himmel.
Es war eine klare Nacht und er war sternenübersät.
Soleya liebte die Sterne. Sie kannte ihre Namen und wußte, wann sie wo erschienen.
Seit ich mir ihr zusammenlebte, hatte ich viel von ihr darüber erfahren. Oft unterhielten wir uns darüber, wenn wir nach einem Todessertreffen, wie an diesem Abend, auf der Dachterrasse saßen und in den Himmel schauten.
Natürlich wußte ich auch schon bevor ich Soleya traf, wie ich an Hand der Sterne das Datum, die Uhrzeit und meine Position feststellen konnte, doch sie hatte mir die Faszination Weltall näher gebracht.
Soleyas Stimme riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart.
"Vielleicht schaust du dann von dort oben auf mich herab und ich gehe mit Judy hierher, um dir nahe zu sein."
Der Gedanke schien ihr zu gefallen.
"Das könnte schneller geschehen, als du denkst. Ich hatte die Verantwortung für den heutigen Überfall und habe als Einzigster überlebt. Das wird Voldemort nicht gefallen.
Aber die Sterne sind ja zum Glück nicht so weit von unserer Dachterrasse entfernt", entgegnete ich spöttisch.
Soleya stieß mir erbost ihren Ellenbogen in die Rippen.
"Du weißt genau, was ich meine!", zischte sie und sah mich mit blitzenden Augen an.
Ich lächelte sie entwaffnend an und legte meinen Arm um sie.
Soleya entspannte sich sofort und kuschelte sich an meine Seite. Dabei legte sie ihren Kopf auf meine Brust und schloß die Augen.
Sie sah wunderschön aus. Das Mondlicht schien sanft auf ihr Gesicht, das von einigen Haarsträhnen bedeckt war.
Ich legte auch meinen zweiten Arm zärtlich um sie und schloß ebenfalls meine Augen.
Da saßen wir nun auf der Dachterrasse und nahmen diesen wunderbaren Moment der völligen Zufriedenheit und des Glückes in uns auf.
Wir versuchten ihn für immer festzuhalten und die glücklichen Gefühle und die Wärme, die uns umhüllte, in unser Gedächtnis einzubrennen.
Nach einer Weile frischte der Wind spürbar auf und ich spürte, wie Soleya anfing zu zittern.
"Wir sollten besser rein gehen, meinst du nicht?", fragte ich sie leise.
Sie blickte mich lächelnd an und nickte.
Gemeinsam erhoben wir uns von der Bank und gingen, uns immer noch an der Hand haltend, die Treppe hinab in unser Schlafzimmer.
"Sei ruhig!", ermahnte Soleya mich, als ich meine Robe achtlos über einen Stuhl warf und dieser daraufhin umfiel. "Du weckst Judy auf!"
Während ich mich weiter umzog ging sie in das Nebenzimmer, um nach unserer Tochter zu sehen.
Als sie zurückkam lag ich bereits im Bett.
"Zum Glück hat sie einen ziemlich tiefen Schlaf und ist nicht aufgewacht. Andernfalls wäre das keine besonders ruhige Nacht geworden. Du weißt ja, wenn sie erst mal wach ist, kann es eine ganze Weile dauern, bis sie wieder einschläft", sagte Soleya, während sie zu mir unter die Decke kroch.
Ich spürte, wie sie sich neben mich legte, dann löschte ich mit meinem Zauberstab das Licht.
Während ich im Dunkeln auf den Schlaf wartete, dachte ich über die Ereignisse dieses Tages und mein Gespräch mit Soleya nach.
Ich hörte ihren ruhigen Atem und wünschte, ich würde ihren festen Glauben und ihre Zuversicht für die Zukunft teilen.
Dann schlief ich ein.
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Kapitel 2 |