Kapitel 13
Erzählt von Harry Potter:
Mit einem lauten Knall schlug ich das vor mir auf dem verstaubten Tisch liegende Buch zu und lehnte mich seufzend in meinem Stuhl zurück. Wie sollte man sich an einem Tag,wie diesem auf Hausaufgaben konzentrieren? Wie sollte ich komplizierte Flüche für Verwandlung lernen, während meine Gedanken immer wieder zu den Ereignissen in den Räumen des Professors für Zaubertränke zurückwanderten? Es war unmöglich; Zu frisch waren die Eindrücke vom vergangenen Tag, um sie nun einfach beiseite zu schieben und zur Tagesordnung über zu gehen.
Mein Blick schweifte über die, zu meist leeren, Tische der Bibliothek. Sonst herrschte hier reges Treiben, doch heute war es anders. Die Schüler, die sich hier eingefunden hatten, um ihre Arbeiten für den morgigen Schultag anzufertigen, taten dies leise und zügig.
Auch Ron, Hermine und ich waren aus diesem Grund hierher gekommen, doch bis jetzt hatte ich erst einen Bruchteil dessen geschafft, was ich noch erledigen mußte. Ich sah hinüber zu Ron und sah, daß es ihm nicht anders ergangen war. Er saß mir gegenüber und starrte abwesend aus dem Fenster, durch das man einen guten Ausblick auf die sonnenbeschienenen Ländereien Hogwarts hatte. Auch Ron schien völlig in seinen Gedanken versunken. Mein Blick wanderte einen Platz weiter und blieb auf Hermine ruhen, die tief gebeugt über einem dicken Buch saß und sich dabei auf einem daneben liegenden Pergament, in einem fast hektischen Tempo, Notizen machte. Eine ganze Weile noch beobachtete ich sie, wie sie ohne jede Pause schrieb und sich nur manchmal eine störende Haarsträhne aus dem Gesicht wischte.
„Hermine?“, fragte ich, doch sie ignorierte mich und blätterte, hastig und ohne aufzublicken, in dem Buch. Ron sah nun ebenfalls zu ihr hinüber. Anschließend wendete er sich mir zu und zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. Dann beugte er sich zu unserer Freundin hinüber und hob das Buch um einige Zentimeter vom Tisch hoch.
„Die hohe Kunst des Zaubertrankbrauens?“, las er leise vor und sah mich dann erneut etwas hilflos an, während Hermine sich weiter wie besessen Notizen aufschrieb.
„Hermine! Ich denke nicht, daß wir morgen bei Snape Unterricht haben werden. Und wir haben genug andere Aufgaben, die wir bis morgen erledigen müssen. Also warum machst du dann ausgerechnet jetzt deine Hausaufgaben in diesem Fach?“, fragte ich vorsichtig.
„Woher willst du wissen, daß wir morgen keinen Unterricht in Zaubertränke haben werden?“, antwortete sie mit ungewöhnlich hoher Stimme, jedoch ohne in ihrer Arbeit inne zu halten.
„Woher ich das weiß?“, sagte ich nun ungläubig. „Snape liegt halb tot auf der Krankenstation! Da wird er morgen nicht in die Kerker kommen und unterrichten. Er hat versucht sich umzubringen, falls du es vergessen hast!“
Hermine hob ruckartig den Kopf und starrte mich an. Sofort bereute ich, was ich zuvor gesagt hatte. Natürlich hatte sie es nicht vergessen. Wie sollte sie? Aber welchen Sinn machte es nun, sich in Arbeit zu stürzen, nur um eine Beschäftigung zu haben? Plötzlich wurde mir klar, daß dies Hermines Art war, mit dem Geschehenen fertig zu werden. Indem sie wie besessen an ihren Hausaufgaben arbeitete, versuchte sie sich einerseits abzulenken, andererseits gab sie aber auch ihren aufgewühlten Gefühlen eine Möglichkeit, zu entweichen. Ich blickte in ihr müdes und bleiches Gesicht. Hermine biß sich nun nervös auf die Lippe und ich erkannte, daß sie nahe daran war, in Tränen auszubrechen.
„Es tut mir leid“, flüsterte ich und rückte meinen Stuhl leise neben den ihren. Vorsichtig legte ich meinem Arm um sie. Sofort lehnte sie sich an mich und begann nun, erst verhalten, dann immer heftiger, zu schluchzen. Auch Ron kam zu uns herüber und gemeinsam streichelten wir beide Hermine tröstend und beruhigend über den Rücken, bis sie sich wieder einigermaßen gefaßt hatte.
So verharrten wir dort noch eine ganze Weile und während sich Hermine langsam die Tränen aus dem Gesicht wischte, fiel mein Blick auf eines der Fenster in der Ecke des Raumes. Dort auf dem Fensterbrett, die Knie fest an den Körper gezogen, saß ein Junge mit hellblonden Haaren, der zu uns dreien hinüber schaute. Bei näherem Hinsehen erkannte ich Draco Malfoy. Ich erwartete einen fiesen Kommentar zu Hermines öffentlichem Gefühlsausbruch und machte mich bereit, diesen auf entsprechende Weise zu beantworten, doch er kam nicht. Draco blieb still und starrte Hermine an. Dann drehte er sein Gesicht langsam zur Seite und blickte aus dem Fenster hinaus auf die Ländereien Hogwarts. Noch einige Sekunden beobachtete ich diesen, mir sonst so feindlich gesonnenen Jungen. Er war bleich und hatte schwarze Ringe unter den grauen Augen. Der Selbstmordversuch seines Lieblingslehrers hatte ihn offenbar tief getroffen.
Aber nicht nur die Schüler aus Slytherin, dem Haus des Meisters der Zaubertränke, waren geschockt. Die ganze Schule war es. Die Lehrer hatten vergeblich versucht, die Geschehnisse geheimzuhalten. Bereits gestern, nur einige Stunden nachdem Hermine, Ron und ich Snape durch einen Zufall gefunden hatten, waren die Gänge Hogwarts erfüllt gewesen von den verschiedensten Gerüchten. Einige waren recht kreativ gewesen, von der Wahrheit jedoch Meilen entfernt, andere hingegen waren den tatsächlichen Ereignissen sehr nahe gekommen. Es hatte dann nur noch einige Zeit gedauert, in der man an jeder Ecke tuschelnde Schüler entdecken konnte, bis alle Menschen und anderen Lebewesen im Schloß über die Tat Snapes Bescheid gewußt hatten. Viele hatten daraufhin versucht zur Krankenstation zu gelangen, um zu sehen, wie es Snape ging, doch sie war abgeschlossen gewesen und so war die Ungewißheit geblieben, da auch die Lehrer zunächst keine Auskunft über den Zustand von Snape hatten geben wollen oder können. Ron, Hermine und ich hatten die meiste Zeit dieses Tages in dem Gemeinschaftsraum der Gryffindor verbracht. Und obwohl viele von den dortigen Schülern ein ausgesprochen schlechtes Verhältnis zu dem Hauslehrer der Slytherin hatten, waren auch sie geschockt gewesen von den Ereignissen.
Beim Abendessen, zu dem einige der Lehrer, wie auch Professor Dumbledore nicht erschienen waren, hatte sich dann die Neuigkeit verbreitet, daß der Meister der Zaubertränke überlebt hatte. Einiges der Anspannung war darauf hin von den Schülern abgefallen, doch die Fassungslosigkeit war geblieben.
Diese hatte man auch am folgenden, heutigen Morgen noch deutlich in den Mienen der Schüler und Lehrer erkennen können. Letztere waren zum Frühstück wieder vollständig erschienen, auch Dumbledore hatte wieder an seinem angestammten Platz in der Mitte der Tafel Platz genommen. Alle waren da gewesen. Und nur ein Platz am Lehrertisch war leer gewesen. Jeder, der die Große Halle an diesem Morgen betreten hatte, hatte zunächst auf diesen leeren Platz gestarrt, bevor er sich an seinen Tisch gesetzt hatte. Und immer wieder hatten die Schüler verstohlene Blicke zu diesem Stuhl geworfen, auf dem sonst der ungeliebte Professor Snape gesessen hatte.
Durch ein lautes Husten wurde ich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart gerissen. Seamus, der an einem der anderen Tische saß und Hausarbeiten machte, errötete als alle, die sich in der Bibliothek aufhielten plötzlich zu ihm herüber sahen. Dann vertiefte er sich wieder in sein Buch und mein Blick wanderte von ihm weg, hin zu den anderen Anwesenden. Die Bibliothek hatte sich in der Zwischenzeit geleert und nur wenige Schüler hielten sich zu diesem Zeitpunkt noch in den staubigen Räumen auf. Nur einige Fünftklässler aus Ravenclaw, Seamus und wir waren geblieben. Kurze Zeit später entdeckte ich, daß auch Draco noch immer an dem Fenster in der Ecke saß und in die Ferne starrte.
Langsam schweiften meine Gedanken erneut ab, um wieder bei dem düsteren Tränkemeister und den Ereignissen des vorigen Tages zu landen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als meine Gedanken zu dem Bild in Snapes Büro zurück wanderten. Das blutige Messer auf dem Schreibtisch, mit dem ich schon so oft unter dem strengen Blick des Zaubertränkemeisters Zutaten geschnitten hatte, und die langen, tiefen Wunden an den bleichen Handgelenken des Professors. Das alles hatte sich tief in mein Gedächtnis gebrannt und würde wohl auch für immer dort bleiben.
Snape hatte einen Selbstmordversuch unternommen. Ich konnte es, wie die gesamte Schule auch, noch immer nicht glauben, auch wenn es nun bereits länger als 24 Stunden her war, daß ich den Meister der Zaubertränke bewußtlos und nahe dem Tode in seinem Büro gesehen hatte.
Natürlich wußte jeder, was dazu geführt hatte. Snape hatte seine Familie verloren. Seine Frau und seine Tochter, getötet von Lord Voldemort. Dem Zauberer, unter dessen Führung Snape so viele grausame Taten begangen hatte und begehen mußte und gegen den er nun schon zum zweiten Mal spionierte. Und dieses hatte seine Familie mit dem Leben bezahlen müssen. Natürlich war das furchtbar und sicher war Snape verzweifelt, doch daß er deshalb versuchte, sich das Leben zu nehmen? Bei vielen Menschen hätte ich es mir vorstellen können, daß sie so reagierten. Aber Snape? Nein, es war einfach unvorstellbar gewesen. Für mich genauso, wie für den Rest der Schule. Selbstmord? Doch nicht Snape! Niemals! Er machte immer einen so starken, einen unbezwingbaren Eindruck. Er war so beherrscht und distanziert. Nie zeigte er auch nur die geringste Schwäche und immer hatte er sich und seine Gefühle unter Kontrolle.
Wie groß wohl mußte der Schmerz für ihn gewesen sein, daß er keinen Sinn mehr darin gesehen hatte, weiter zu leben? Wie grausam und leer mußte ihm das Leben ohne seine Familie in diesem Moment erschienen sein, daß er den Tod als angenehmere Alternative ansah? Der Gedanke erschreckte mich.
Ich konnte es mir nur annähernd vorstellen, wie er sich gefühlt haben mußte. Natürlich, auch ich hatte bereits meine zwei nächsten Verwandten verloren. Ebenso umgebracht vom Dunklen Lord, wie die Familie von Snape. Und doch war es etwas anderes. Ich konnte mich kaum an meine Eltern erinnern, da ich noch sehr jung gewesen war, als sie auf so brutale Weise sterben mußten. Ich war zu jung gewesen, um wirklich um meine Eltern zu trauern. Zu jung, um die Bedeutung und die Endgültigkeit des Todes zu verstehen. Ich war zu jung gewesen, um den Schmerz, wie Snape ihn nun erlebte, zu verspüren.
Obwohl ich noch so klein gewesen war, als meine Mutter und mein Vater umgebracht wurden, tat der bloße Gedanke an sie weh. Eilig lenkte ich meine Aufmerksamkeit weg von der Vergangenheit hin zur gegenwärtigen Situation. Ron und Hermine hatten in der Zwischenzeit ihre Sachen zusammengepackt und sahen mich nun auffordernd an.
„Was ist?“, fragte ich leicht verwirrt.
„Nun ja“, antwortete Ron und warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr, „wir müssen uns langsam auf den Weg machen.“
Auf den Weg? Einen Moment lang starrte ich meinen besten Freund verständnislos an, dann fügte er hinzu: „Das Mittagessen. Du weißt schon, dieses gemeinschaftliche Treffen in der Großen Halle, bei dem man alle möglichen leckeren Dinge in sich hineinstopft! Gewöhnlich tut man dies um die Mittagszeit. Und da es gleich so weit ist, dachte ich, vielleicht sollten wir langsam losgehen. Natürlich nur, wenn du nicht etwas anderes vorhast.“
Der spöttisch-amüsierte Unterton in Rons Rede war mir nicht entgangen. Mühsam riß ich mich nun endgültig zusammen und konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart.
„Stimmt was nicht, Harry?“, fragte Hermine besorgt und blickte mich nervös an.
„Nein, mir fehlt nichts“, erwiderte ich eilig. „Ich war nur ein wenig in meinen Gedanken versunken.“
„Das hat man gemerkt“, sagte Ron grinsend und auch Hermine beruhigte sich wieder, doch noch immer sah sie extrem müde und angespannt aus. Freundschaftlich legte ich ihr meinen Arm auf die Schulter. „Mach dich nicht verrückt, Hermine. Mir geht es gut und Professor Snape wird auch bald wieder auf den Beinen sein. Du kennst ihn doch. Ich bin sicher, er wird nicht lange auf der Krankenstation bleiben.“
Bei mir fragte ich mich, ob dies wirklich der Realität entsprach. Vermutlich würde Madam Pomfrey Snapes körperliche Wunden ziemlich schnell heilen können. Doch was war mit den Seelischen? Ich versuchte jedoch, mir meine Zweifel nicht anmerken zu lassen und so optimistisch wie möglich zu klingen. Und tatsächlich sah mich Hermine dankbar an und brachte sogar ein leichtes Lächeln zustande. Ich nickte ihr aufmunternd zu, dann packte auch ich meine Hefte und Bücher zusammen und gemeinsam verließen wir drei die Bibliothek, um zum Mittagessen zu gehen. Immer mehr Schüler strömten aus den verschiedenen Räumen in die Gänge und schlossen sich unserem Weg zur Großen Halle an. Viele von ihnen warfen im Vorübergehen verstohlene Blicke auf die hölzerne Tür, hinter der sich der Krankenflügel befand und auch ich fragte mich, wie es dem Meister der Zaubertränke in diesem Moment wohl hinter dieser Tür ging.
Erzählt von Severus Snape:
Ich hörte Stimmen. Wie aus weiter Ferne schallten sie zu mir hinüber und wurden langsam lauter. Wieso hörte ich sie? Wie konnte ich?
Stimmen. Stimmen, die mir bekannt waren. Zu bekannt. Die Stimme von Albus Dumbledore.
Das konnte nicht sein. Es mußte sich um eine Täuschung handeln.
Aber sie war es. Zu oft schon hatte ich diese leise und doch durchdringende Stimme gehört, um mich zu irren. Es war eindeutig die Stimme des Direktors.
Aber das konnte nicht sein.
Es sei denn... Ein furchtbarer Gedanke schoß mir durch den Kopf. Es konnte doch nicht sein...
Von Panik ergriffen öffnete ich ruckartig die Augen. Einen Moment lang war ich geblendet von der plötzlichen Helligkeit, dann klärte sich das Bild und ich erkannte, wo ich mich befand. Ich war im Krankenflügel Hogwarts. Professor Dumbledore und Madam Pomfrey standen in einiger Entfernung und unterhielten sich leise. Ich selbst lag in einem weiß bezogenen Bett nahe des Fensters.
Einige Sekunden lang starrte ich dieses Bild an, bis ich wirklich begriff, was dieser Anblick bedeutete. Was er bedeuten mußte.
Ich lebte.
War das alles nur ein Traum gewesen? Verwirrt blickte ich auf meine mit weißen Verbänden verbundenen Handgelenke. Nein, ich hatte es nicht geträumt. Ich hatte mir tatsächlich die Pulsadern aufgeschnitten. Aber wie konnte es dann sein, daß ich lebte? Jemand mußte mich gefunden haben.
Eine heiße Welle der Verzweiflung durchströmte meinen Körper, meine Sinne, meine Gedanken. Das konnte doch nicht sein! Ich hatte versagt. Ich hatte es nicht geschafft, meinem elenden Leben ein Ende zu setzen. Versagt. Auch hier.
Mein Blick wanderte erneut hinüber zu Professor Dumbledore und Madam Pomfrey, die offensichtlich nicht bemerkt hatten, daß ich wieder bei Bewußtsein war. Noch immer unterhielten sie sich in gedämpfter Lautstärke, so daß ich nicht verstand, worüber sie sprachen. Das brauchte ich auch nicht. Ihre besorgten Mienen verrieten deutlich, was ihr momentanes Thema war. Ich. Ich und mein Selbstmordversuch. Ein Selbstmordversuch, den sie vereitelt hatten. Sie waren dafür verantwortlich, daß ich nicht tot war. Daß ich lebte.
Wut stieg in mir hoch und mischte sich mit der Verzweiflung. Wieso hatten sie mich nicht sterben lassen? Mit welchem Recht zwangen sie mich, weiter zu leben? Zu leiden? Woher nahmen sie den Anspruch, über mich zu bestimmen? Ich hatte mich entschieden zu sterben und sie würden das akzeptieren müssen. Dieses Mal war es ihnen vielleicht gelungen, mich am Leben zu erhalten, aber ich würde es schaffen. Ich würde nicht noch einmal versagen.
Entschlossen richtete ich mich auf und riß mir die Infusionsnadel, die in meinem Handrücken steckte, aus der Haut. Dann schlug ich die Bettdecke auf und schwang meine Beine aus dem Bett. Aufgeschreckt durch die Geräusche wandten sich Professor Dumbledore und Madam Pomfrey mir zu und blickten mich erschrocken an.
„Severus!“, entfuhr es Dumbledore und die beiden eilten zu mir hinüber. Eine aufkommende Schwäche zwang mich, für einige Sekunden die Augen zu schließen, doch bevor die beiden mich erreicht hatten, stieß ich mich aus dem Bett. Für einen kurzen Moment noch reichten die Kräfte, die sich durch meine Wut in mir gebildet hatten, um stehen zu bleiben, dann jedoch verschwanden sie so schnell, wie sie gekommen waren. Meine Beine gaben nach und ich sackte unaufhaltsam zu Boden. Verzweifelt versuchte ich, mich an dem Bett und dem Infusionsständer festzuhalten, doch ich schaffte es nicht. Hart schlug ich auf dem kalten Steinboden auf und merkte noch, wie der eiserne Ständer auf mich fiel, dann wurde es schwarz vor meinen Augen.
Nur wenige Sekunden später kam ich wieder zu mir und spürte, wie mich Professor Dumbledore und die Heilerin an den Armen packten und wieder auf das Bett legten. Ich öffnete die Augen und blickte in das besorgte Gesicht Dumbledores. Neben dem Bett stand Madam Pomfrey und befestigte eine neue Flasche, die eine grünliche Flüssigkeit enthielt, an dem Infusionsständer. Ich erkannte die Flüssigkeit sofort, schließlich hatte ich sie selbst vor einiger Zeit hergestellt. Es war ein starker Beruhigungstrank. Die Heilerin griff nach meiner Hand, um die Infusionsnadel wieder richtig zu befestigen, doch ich zog sie weg.
„Lassen Sie das!“, fauchte ich die Frau so giftig, wie ich es in meinem momentanen Zustand konnte, an. „Ich brauche das nicht!“
„Professor!“, versuchte sie mich zu beruhigen. „Sie müssen sich ausruhen. Sie haben viel Blut verloren und sind noch sehr schwach. Ihr Körper braucht dringend Ruhe, um sich zu erholen!“
„Gut, dann werde ich jetzt in meine Räume gehen und mich dort erholen!“, antwortete ich und versuchte, mich aufzurichten.
Sofort drückte mich die Heilerin sanft, aber bestimmt zurück in die Kissen. „Ich fürchte, Sie müssen noch eine Weile hier bleiben, Professor.“
Erneut kochte glühende Wut in mir hoch. „Das werde ich nicht! Ich werde jetzt gehen! Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten!“
Madam Pomfrey sah mich bestimmend an und schüttelte den Kopf. „Nein, Sie bleiben hier.“ Es war ihr inzwischen gelungen, die Nadel wieder in meinen Handrücken zu stechen und schon begann die grüne Flüssigkeit durch den dünnen Schlauch direkt in mein Blutkreislauf zu fließen. Ich hob meine zweite Hand, um die Nadel herauszuziehen, doch Dumbledore hatte meine Bewegung bemerkt, hob schnell seine Hand, legte sie auf meinen Arm und drückte ihn wieder auf das Bett. Ich versuchte, meinen Arm trotzdem zu heben, doch meine Kräfte waren erschöpft.
„Laß mich los, Albus!“, zischte ich, doch der Direktor schüttelte nur ernst den Kopf. „Ihr habt kein Recht dazu! Ihr habt kein Recht, über mein Leben zu entscheiden! Es ist mein Leben und ich entscheide, wann es zu Ende ist! Ich habe entschieden! Hast du das verstanden, Albus? Ich habe mich entschieden! Und ihr müßt meine Entscheidung akzeptieren! Also nun laß mich endlich los!“
Dumbledore antwortete nicht. Er sah mich besorgt an und hielt weiterhin meinen Arm fest. Ich spürte, wie der Beruhigungstrank anfing zu wirken. Eine tiefe Müdigkeit breitete sich in mir aus und meine Gegenwehr erschlaffte. Ich wußte, daß es zu spät war. Daß ich verloren hatte. Verzweifelt nahm ich noch einmal alle meine Kräfte zusammen und versuchte, mich gegen das Unvermeidliche zu wehren.
„Albus! Du hast kein Recht dazu!“ Ich wollte meine Worte bestimmt klingen lassen, doch ich brachte nur noch ein leises Flüstern heraus. Zu stark war inzwischen die Wirkung des Trankes.
„Ich habe mich entschieden...Warum hast du mich nicht sterben lassen?... Du hast kein Recht...“, flüsterte ich. Das letzte, das ich sah, waren die blauen Augen Dumbledores, die traurig auf mich nieder blickten, bevor mich der Schlaf überwältigte und mich mit sich nahm in seine gütige Dunkelheit, ohne Sorgen und Gedanken.
Zurück