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Autorin: Maya
Langsam wich das neblige Grau vor meinen Augen einem tiefen Schwarz. Einem Schwarz, in dem ich versank und das mich wegführte von der Kälte, die mich umgab. Einem Schwarz in dem ich versinken wollte. Willig ließ ich meinen Geist hinüber gleiten an diesen Ort, an dem es weder Sorgen noch Schmerzen gab. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden, wie meine Beine unter mir wegsackten. Ein Gefühl voll gütiger Entspannung bemächtigte sich meines Körpers. Ich spürte noch, wie sich mein Rücken an der glatten Wand rieb, als ich mich unendlich langsam, wie es mir schien, dem Boden, den ich unter meinen nackten Füßen wußte, näherte. Ich war noch lange nicht auf ihm angekommen, da fielen auch diese Gefühle von mir ab und eine wohltuende, tiefe Dunkelheit empfing mich, hüllte mich ein. Ummantelte mich mit ihrer Geborgenheit und erfüllte mich mit einer Zufriedenheit, wie ich sie nur selten an anderen Orten, als in ihr gefunden hatte. Und ein Teil von mir wünschte sich sehnlich, sie würde mich niemals wieder verlassen.
Wie als Hohn über meinen Wunsch, durchfuhr mich in diesem Augenblick plötzlich ein brutaler Schmerz. Wie tausend glühende Messer bohrte er sich unaufhaltsam in meine Handgelenke und riß mich ohne Vorwarnung aus den Tiefen der Finsternis. Riß mich aus der Geborgenheit, die sie mir geschenkt hatte und riß gleichzeitig meinen Körper zurück in die Höhe. Zurück auf meine Beine, die es gewagt hatten, unter mir nach zu geben. Hektisch nach Luft ringend öffnete ich gequält die Augen und die nebligen Umrisse des kleinen Raumes erschienen.
Ich brauchte einige Sekunden, um meine Atmung wieder zu beruhigen, dann lehnte ich mich müde gegen die Wand, die sich direkt hinter mir befand. Meine Beine zitterten vor Erschöpfung. Jede Faser meines abgemagerten und geschundenen Körpers sehnte sich nach Schlaf. Jeder einzelne Muskel und jeder Nerv schien förmlich danach zu schreien, zu flehen. Und nicht nur mein Körper hatte dieses unbedingte Verlangen. Auch mein Geist, meine Seele gierte nach Ruhe. Wollte schlafen, sich ausruhen und aus der Stille und Tiefe der sorglosen Dunkelheit neue Energien schöpfen. Die wenigen Sekunden, in denen ich soeben in Folge eines unkonzentrierten Momentes in dieser Finsternis versunken gewesen war, hatten dieses Verlangen nicht verringert. Im Gegenteil. Sie hatten den Appetit, den Hunger noch um ein vielfaches gesteigert. Immer wieder fielen meine Augen für einige Augenblicke zu, doch ich hatte aus dem eben Erlebten gelernt. Meinem Bewußtsein war klar, was passieren würde, wenn ich diesem Begehren nachgeben würde. Dieses Wissen ermöglichte es mir, mich soweit zu beherrschen, daß ich, mit dem Oberkörper und meinem Kopf an der Wand abgestützt, stehen blieb. Und ich war entschlossen, diese Selbstbeherrschung aufrechtzuerhalten und es so lange, wie möglich, hinaus zu zögern, daß die Gier meines Körpers nach Ruhe das Wissen um die Konsequenzen besiegen würde.
Mein Blick wanderte langsam zur Seite und ich betrachtete meine Handgelenke, von denen noch immer ein schneidender Schmerz ausging. Der dünne und, gerade deshalb, messerscharfe Draht hatte sich an einigen Stellen komplett durch meine kalkweiße Haut geschnitten, so daß der direkt darunter liegende Knochen deutlich zu sehen war. Blut lief an den Schnitten herunter und tropfte von dort aus auf den grauen Felsboden, auf dem sich allmählich kleine rote Pfützen bildeten. Ich ließ meine Augen weiter schweifen. Weg von meinen Handgelenken neben mir, über die Wände des Raumes. Alle vier waren aus großen, glatten Steinen zusammengefügt. Durch die staubig-neblige Luft, die mir das Atmen zeitweise zur Qual werden ließ, konnte ich in der mir gegenüberliegenden Mauer den einzigen Zugang zur Außenwelt erahnen: Eine schwere Eisentür mit einem winzigen, stark vergitterten Fenster, durch dessen Lücken, die eher schmalen Rissen ähnelten, ein schwacher Lichtschimmer fiel und das somit die einzige Lichtquelle bildete. Die Tür hatte von dieser Seite keinen Griff und eine graue Farbe. Wie alles in diesem Raum. Schließlich blieb mein Blick an meinem Oberkörper und meinen Beinen hängen. Die sich dort befindenden und schmerzenden Wunden und Blutergüsse wurden von meinem zerschlissenen schwarzen Umhang notdürftig verdeckt. Meine nackten Füße, die unter ihm hervor standen, waren durch die Eiseskälte des Bodens bläulich angelaufen und noch immer zitterten meine Beine leicht, als ob sie jeden Moment ihren Dienst versagen würden.
Plötzlich durchbrachen laute Schreie die Stille. Ich reagierte nicht, keine Regung verriet eine Überraschung. Denn es war keine. Die Schreie waren längst Alltag geworden, kamen und gingen. Nicht regelmäßig, aber doch so oft, daß ich ihnen keine Beachtung mehr schenkte. Sie schrien aus Verzweiflung. Aus Angst. Besonders in der Nacht, wenn sie von Alpträumen heimgesucht wurden. Noch konnte ich mich dagegen schützen. Die Kälte und die finsteren Gefühle, die unsere Wächter mit sich brachten, fast gänzlich von mir abperlen lassen. Eine Fähigkeit, die ich gelernt hatte in meiner Zeit unter dem dunklen Lord.
Meine Gedanken wanderten zu dem Brief, der sich in meiner Tasche, tief im Inneren meines Umhangs befand. Ein Brief, geschrieben von Professor Dumbledore und so oft gelesen, wie wohl selten ein anderer vor ihm. Halte durch, Severus. Ich hole Dich da raus. Ich mache mich sofort auf den Weg nach London und spreche mit den Verantwortlichen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann bist Du wieder frei. Das hatte er mit grüner Tinte, in seiner geschwungenen und mir so vertrauten Schrift, geschrieben. Worte, an denen ich mich festhielt, an die ich mich klammerte, wenn meine Konzentration zu schwinden drohte und ich Gefahr lief, mich der Wirkung dieses Ortes nicht länger entziehen zu können und Verzweiflung sich in mir ausbreitete. Wenn sie versuchten, mir Geheimnisse abzupressen, die ich niemals preisgeben würde. Worte, aufgezeichnet von ihm, den ich meinen Freund nannte. Ihm, dem einzigen Menschen, dem ich jemals vertraut hatte und auch jetzt noch immer völliges Vertrauen entgegenbrachte. Dumbledores gütiges Gesicht erschien für einen Moment vor meinem geistigen Auge. Er hatte mich niemals belogen. Und er würde sein Versprechen halten.
Die Schreie waren inzwischen wieder verstummt. Waren so plötzlich gegangen, wie sie gekommen waren und hatten eine kalte Stille hinterlassen. Erschöpft ließ ich meinen Kopf wieder zurück gegen die Wand fallen und starrte gegen die graue Decke, die sich in nur geringer Entfernung über mir befand. Sie war glatt, wie alle Wände und frei von Dreck oder Spinnweben. Nicht einmal diese Lebewesen, Spinnen, die man sonst in allen alten Gemäuern antraf, konnten hier drin über einen längeren Zeitraum hinweg überleben.
Erneut überkam mich eine Welle der Müdigkeit und ich schloß für einen Moment die Augen. Noch immer ging von meinen Handgelenken ein brennender Schmerz aus, der sich von dort aus in meine gesamten Arme erstreckte und mich gleichzeitig vor den Folgen eines Einschlafens, und sei es nur für den Bruchteil einer Sekunde, warnte. Plötzlich vernahm ich ein neues Geräusch. Wie Trommelschläge schien es aus weiter Ferne zu mir durch zu dringen. Langsam wurden die Töne lauter. Längst hatte ich erkannt, worum es sich handelte: Schritte. Schritte, die näher kamen und schließlich stoppten. Sie wollten also zu mir. Wieder einmal.
Fast ruckartig hob ich meinen Kopf, stieß meinen Rücken von der Wand ab und richtete meinen Körper, so weit ich es konnte, auf, während ich darauf wartete, was passieren würde. Schon öffnete sich mit einem leisen Knarren die schwere Eisentür und ließ einen blassen Lichtschein hinein fallen, der den Raum in ein milchig graues Licht tauchte. Erstaunt sah ich die erste Person an, die eintrat. Es war Cornelius Fudge. Ein jäher, heißer Hoffnungsschimmer durchfuhr mich, erlosch jedoch sogleich wieder, als ich bemerkte, daß der Zaubereiminister nicht alleine gekommen war. Hinter ihm stand Michael Wondera und sein Assistent, dessen Namen ich nicht kannte, obwohl er bis jetzt bei all den Verhören mit den dazu gehörenden Folterungen, die Wondera mit mir geführt hatte, anwesend gewesen war.
„Na, wie geht es uns denn heute, Professor Snape?“, fragte dieser in diesem Augenblick mit einem spöttischen Grinsen. Starr blickte ich die drei Männer an und versuchte dabei einen so ruhigen und entschlossenen Eindruck wie möglich zu machen, wobei ich es allerdings nicht schaffte, das Zittern meiner Beine gänzlich zu unterdrücken.
„Nun. Wenn ich Ihr Äußeres betrachte, scheint es Ihnen ausgesprochen schlecht zu gehen“, erwiderte ich kühl, woraufhin der namenslose Assistent eine jähe Bewegung in meine Richtung machte, als wolle er sich, provoziert durch meiner Beleidigung gegenüber seinem Chef, sofort auf mich stürzen. Wondera hingegen blieb vollkommen unberührt und hielt seinen Helfer mit der Hand zurück. Bevor er antworten konnte, wandte ich mich an den Zaubereiminister:
„Und womit habe ich diese Ehre verdient, daß der höchste Minister unserer glorreichen Regierung mir einen Besuch abstattet? Wollen Sie nun einmal Ihr Glück versuchen, etwas aus mir herauszubekommen? Wenn ich mir so ansehe, mit welcher Energie und Durchsetzungskraft Sie den Kampf gegen die bösen Mächte dieser Welt führen, bin ich überzeugt, diese Aufgabe wird ein leichtes für Sie sein“, sagte ich mit einem sarkastischen Unterton in meiner heiseren und doch durchdringenden Stimme, woraufhin Fudge mich empört ansah. Ich starrte zurück. Direkt in seine hellblauen Augen, die mich mit einer Mischung aus Naivität und Furcht musterten. Nur den Bruchteil einer Sekunde hielt er meinem Blick stand, dann wandte er sich, sich sichtlich unwohl fühlend, ab und richtete seine Augen auf Wondera. Ich folgte seinem Blick und sagte, so herablassend und kalt, wie ich konnte: „Sie sollten langsam erkannt haben, daß Sie keine Informationen von mir erhalten werden. Warum suchen Sie sich nicht jemand anderen, an dem Sie ihre erfolglosen Methoden ausprobieren können?“
Doch Wondera ließ sich auch durch diese Aussage nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen verzog er sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen. „Wir werden sehen...“, entgegnete er. „Wir werden sehen.“ Sein siegessicheres Lächeln irritierte mich und ein ungutes Gefühl breitete sich ihn mir aus, das sich innerhalb von einigen Augenblicken in eine eisige Klammer verwandelte, die sich langsam in mein Inneres bohrte und sich schließlich so fest um mein Herz legte, als wollte sie es am Schlagen hindern. Ich versuchte mir meine allmählich, aber unaufhaltsam in mir aufsteigende Angst nicht ansehen zu lassen und funkelte Wondera statt dessen finster aus meinen Augen heraus an.
„Mach ihn los!“, befahl dieser seinem Assistenten in diesem Augenblick, woraufhin sich der Angesprochene mir vorsichtig näherte, als wäre ich ein unberechenbares Raubtier, das jeden Moment auf ihn losgehen könnte. Schließlich zog er seinen Zauberstab aus der Tasche und richtete ihn auf mich. Er sprach einen kurzen Spruch und die beiden dünnen Drähte, die meine Handgelenke an der Wand fixiert hatten, verschwanden. Sofort klappten meine erschöpften Arme herunter und ein Schwindelgefühl überkam mich. Im letzten Augenblick konnte ich verhindern, daß meine Beine unter mir nachgaben und ich vor den Männern zu Boden ging. Noch immer hielt der Assistent seinen Zauberstab auf mich gerichtet, bereit, mich im Falle eines Angriffes unverzüglich mit einem Fluch zu belegen. Mühsam straffte ich meinen Körper, als er mich plötzlich grob an der Schulter faßte.
„Komm mit!“, befahl er und führte mich, vorbei an Fudge, der unsicher meinem Blick auswich, hinaus aus dem kleinen, neblig-grauen Raum.
***
Etwas durchbricht die Dunkelheit ... bahnt sich seinen Weg zu mir ... trifft mich schließlich
mit voller Wucht ... Schmerzen ... jede Faser meines Körpers ... brennt ... scheint zu verglühen
... Schmerz ... allgegenwärtig ... unausweichlich ... unerträglich ...
Als nächstes dringt die Kälte zu mir durch ... durchtränkt mich ... erfüllt mich ... legt sich um
mein Herz ... meine Gedanken ... Gefühle ...
Die Ohnmacht ... wie in einem See tauche ich in ihr ... Schmerz ... Kälte ... reißen mich hinauf
... ich spüre, wie ich mich der Wasseroberfläche nähere ... will wieder versinken ... untergehen
in der Welt ohne Sorgen ... ohne Kälte ... ohne Schmerzen ... doch sie heben mich aus dem
Wasser ... kein Weg zurück ... Albus ...
Mein Atem ... rast ... ich kann mich nicht rühren ... nicht bewegen ... liege mit dem Rücken
auf dem steinharten Boden ... hilflos ... orientierungslos ... wach ... kann nichts sehen ...
schwarz ... vor meinen Augen ... sehe nichts ... nur Dunkelheit ... spüre zuviel ... Schmerz ...
schneidend ... erdrückend ... rieche ... Moder ... Feuchtigkeit ... die die Luft erfüllt ... die sie zu
schwer macht ... um zu atmen ...
Halte aus, Severus ...
Meine Finger ... spüren ... eine Wand ... ich bewege meinen Arm ... Schmerz ... schleife mich
näher ... schleife mich über den kalten, feuchten Boden ... bleibe liegen ... neben mir die
Wand ... mein Unterarm ... fällt ... gegen die Steine ... klebrig ... verschimmelt ...porös ...
Die Kälte ... zerfrißt mich ... ich zittere ... unaufhörlich ... werde von Krämpfen geschüttelt ...
die mein Inneres vergewaltigen ...
Höre nichts ... Stille ... gespenstisch ... Leere ... keine Schreie ... bloße Hüllen schreien nicht ...
können nicht ... Hüllen ... haben keine Träume ... nicht einmal schlechte ... haben nichts ... der
Kuß ... totale Stille ...
Dunkelheit ... Feuchtigkeit ... Stille ... meine Hand ... sinkt ... von der Wand ... auf meinen
Körper ... keine Kraft ... ich spüre meine Rippen ... unter meinen Fingern ... gebrochen ... wie
ich selbst ...
Ich hole Dich daraus ...
Meine Hand ... sucht die Tasche ... bahnt sich mühsam ihren Weg ... durch die spärlichen
Reste des Stoffes ... quälender Schmerz ... findet nichts ... der Brief ... genommen ... geraubt
... wie meine Hoffnung ... wie meine Würde ... wie meine Seele ... bald ... der Kuss...
Stille ... in diesem ... Trakt ... Schreie ... in meinem Kopf ... Opfer ... von mir ... schreien ...
Die Augen ... weit aufgerissen ... ängstlich ... sehen sie mich an ... flehend ... bettelnd ...
schließlich leer ...
Ich versuche sie zu ignorieren ... vor ihnen zu fliehen ... wie manche von
ihnen es versuchten ... ich kann es nicht ... wie sie es niemals konnten ... Menschen ... Kinder
... unschuldig ... wie ich es nicht mehr bin ... seit unendlich langer Zeit ... und niemals sein
werde ... schuldig ... bis in alle Ewigkeit ... Vergebung unmöglich ... Vergessen auch ...
Allein ... mit der Erinnerung ... mit ihnen ... der Dunkelheit ... dem Schmerz ... ein grausames
Lachen ... unmenschlich ... kalt ... in meinem Ohr ... Stille ... in diesem Trakt ... der Hüllen ...
Albus ...
Eisige Kälte ... zerreißt mich ... schwarz ... vor meinen Augen ... Finsternis ... um mich ... in
mir ... Schmerz ... erbarmungslos ... unendlich ... Feuchtigkeit ... erloschen ... alles Licht ... bin
ich ... vernichtet ... bald ...
Halte durch, Severus ...
Schritte ... zügig ... entschlossen ... Rauschen ... von Umhängen ... deren Besitzer keine
Schritte machen ... die Füße ... vermodert ... verwest ... Albus ...
Sie kommen näher ... stoppen ... Die Tür ... öffnet sich langsam ... Moder .. steigt mir in die
Nase ... der Kuß ...
Ich schließe die Augen ... und rieche die Verwesung ...
... Ich hole Dich daraus ...
... der Kuß ...
... Albus ...