Kapitel 5: Die Dschungelhexe
Während Severus Snape in einem Zustand aus abwechselnd Schlaf und Bewußtlosigkeit vor sich hindämmerte, erstattete Remus Lupin dem Schuldirektor Bericht.
"Er hat ihm zwei Wochen Zeit gegeben", schloß er.
Albus Dumbledore drehte gedankenverloren seinen Federkiel zwischen den Fingern. Er ließ sich mehrere Minuten Zeit mit der Antwort.
"Natürlich ist diese Aufgabe eine Prüfung", stellte er schließlich fest und musterte Lupin aufmerksam über der Rand seiner goldenen Brille hinweg. "Zunächst sei dahingestellt, ob Voldemort" - er sprach den Namen ohne das übliche Zaudern aus, das die Reden so vieler Hexen und Zauberer begleitete, wenn sie es überhaupt wagten, den Schrecken beim Namen zu nennen - "weiß, daß Severus derzeit... unpäßlich ist. Er kann ihn immer noch problemlos rufen; dies ist prinzipiell ein gutes Zeichen. Sorge bereitet mir, daß die Werwölfe offenbar bereit sind, sich ihm anzuschließen."
"Der Teufel liegt im Detail", sagte Lupin und furchte die Stirn, daß tiefe Sorgenfalten sein junges Gesicht um Jahre älter wirken ließen.
"Severus muß Ergebnisse bringen; das wiederum kann er erstens momentan nicht und würde uns zweitens auch nicht gerade zum Vorteil gereichen."
"Wobei mir einfällt, Remus", wechselte der Direktor zu Lupins Unbehagen das Thema, "der nächste Vollmond steht bevor. Ich weiß, daß du noch einen Rest Wolfsbann übrig hattest, aber der war von minderer Qualität."
"Ich habe mich hinreißen lassen, das Zeug bei einer undurchsichtigen Quelle zu erwerben", gestand der Jüngere und sah betreten zu Boden. "Selbst in dieser dürftigen Qualität ist die Transformation immer noch erträglicher als ganz ohne. Aber worauf wollen Sie hinaus, Albus?"
Der Alte zwinkerte gutmütig. "Nur ein Gedanke, Remus, nur ein Gedanke."
Er erhob sich und kam hinter dem Schreibtisch hervor, um versonnen Fawkes' Gefieder zu streicheln. Der Phönix neigte mit einem graziösen Triller den Kopf.
"Es kann funktionieren, wenn Severus jemanden instruiert", bemerkte Dumbledore unvermittelt.
"Das sind aber viele Wenns", entfuhr es Lupin impulsiv. "Wenn es ihm besser geht, wenn er dann eine Idee hat, wie vorzugehen ist, wenn wir jemanden finden, der das Brauen übernimmt - an wen hatten Sie übrigens gedacht?" erkundigte er sich mit unverhohlener Neugierde, als ihm jäh klar wurde, daß Dumbledore längst einen Plan hatte.
"Kannst du dich an Catriona MacGillivray erinnern?"
Lupin durchforschte angestrengt sein Gehirn. Ein Mädchen dieses Namens hatte es in seinem Jahrgang gegeben, eine strebsame Ravenclaw mit heller Haut, eleganter Brille und einer Mähne tief kupferroten Haares. Sie hätte attraktiv sein können, hätte sie nicht immer diesen Ausdruck abweisender Arroganz in den wasserklaren Augen gehabt, der ihr etwas Unnahbar-Verschlossenes verlieh und zumindest ihn, Remus, komplett abschreckte.
"Sie forscht für eine Stiftung an, sagen wir, ausgefallenen Zaubertränken", fuhr Dumbledore fort. "Und sie hat etwas übrig für Herausforderungen."
Ein Grinsen huschte über Lupins Gesicht. Welches stellte wohl die größere Herausforderung dar - Snapes Mißtrauen und seine Launen zu ertragen oder ihn soweit von den eigenen Fähigkeiten zu überzeugen, daß er sich überhaupt herabließ, Anweisungen zu erteilen?
"Ich werde sie schon mal vorbereiten", entschied der Schulleiter wie selbstverständlich. "Noch ein Zitronenbonbon, Remus?"
xoxoxox
Ein grauer Schleier strömenden Regens hatte sich über die Ländereien von Hogwarts gebreitet, als Severus Snape in die Welt der bewußten Wahrnehmungen zurückkehrte.
Er schauderte unter der wollenen Decke. Seit der Haft fror er ständig, aber wenigstens hatte er momentan nicht das Gefühl, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen.
Die Infusion befand sich jetzt im anderen Arm, und ein vorsichtiger Blick ganz zur linken Seite zeigte Madam Pomfrey, die im Vorratsschrank für Heiltränke kramte.
Noch bevor er wußte, was über ihn gekommen war, entfuhr ihm ein sarkastisches: "Und dabei etikettiere ich die Flaschen schon nur für Sie."
Die Heilerin fuhr erschreckt herum, unsicher, aber nicht ahnungslos, woher die Stimme gekommen war. Plötzliche Erkenntnis zauberte blanke Entrüstung auf ihr mütterliches Gesicht.
"Wie ich sehe, geht es Ihnen besser, wenn Sie wieder sticheln können", sagte sie kühl. "Nicht, daß das irgend etwas mit dem Unsinn zutun gehabt hätte, den Sie sich geleistet haben", setzte sie verdrossen hinzu. "Roborans Cytisi - in Ihrem Zustand! Sie können von Glück sagen, daß ich noch einen Rest 'Dreifachen Wassergeist' gefunden habe, sonst wären Sie mit Sicherheit jetzt nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen!"
Snape versuchte sich zu erinnern, wann sie ihm den Trank mit Sumpfporst, der seinen klangvollen Namen bedingte, verabreicht haben sollte, aber sein Geist war wirr und belohnte ihn mit rasenden Kopfschmerzen.
Er mußte unbedingt neue Tränke für die Krankenstation brauen. Schlimm genug, daß der 'Dreifache Wassergeist', das einzige Antidot gegen die kräftezehrenden Auswirkungen des Besenginstertrankes, nun aufgebraucht war.
Noch immer krampfte seine Muskulatur bei der geringsten Bewegung schmerzhaft - eine typische Nachwirkung des Cruciatusfluches.
Natürlich. Die Erinnerung kehrte zurück.
Der Dunkle Lord hatte ihn mit dem Folterfluch gestraft und ihm dann eine Aufgabe gestellt, um seine Loyalität zu testen.
Beim Barte des Merlin! Die Aufgabe!
Er hatte noch ganz andere Sorgen als die schrumpfenden Vorräte im Lazarett.
Es überlief Snape heiß und kalt, wenn er daran dachte, was er tun sollte.
Wieviel Zeit war während seiner Bewußtlosigkeit schon nutzlos verstrichen?
Er mußte mit der Arbeit beginnen, mußte Testreihen durchführen... 'nein', korrigierte er sich irritiert, zuallererst mußte er eine Idee haben. Und davor, wurde ihm mit Schrecken klar, mußte er es schaffen, aus eigener Kraft das Bett zu verlassen.
Im Augenblick konnte davon zu seinem Leidwesen jedoch überhaupt keine Rede sein. Der Versuch, sich selbstständig aufzurichten, gipfelte in einem Schwindelanfall erster Güte, der ihm den Schweiß auf die Stirn trieb und fulminanten Brechreiz zwischen Magen und Kehle auf- und niederflattern ließ.
"Tief atmen, Professor", sagte Madam Pomfrey gelassen, während sie ihn rasch untersuchte. "Dieser Besenginstertrank hat Ihnen wirklich alles andere als gut getan", bekräftigte sie noch einmal, und Snape fragte sich - gewaltsam ein Würgen unterdrückend - wieso sie ihm nicht etwas erzählte, das er noch nicht wußte.
Tatsächlich war er weit zurückgefallen; allein aufrecht zu sitzen war eine Utopie, und bei dem Gedanken an Essen kehrte sich in ihm das Unterste zuoberst.
Als hätte Madam Pomfrey seine Gedanken gelesen (was aber, und davon war er ausnahmsweise völlig überzeugt, absolut ausgeschlossen war; die Heilerin beherrschte die hohe Kunst der Legilimentik nicht), schüttelte sie vehement mit dem Kopf.
"Fragen Sie mich gar nicht erst, Professor", warnte sie. "Es gibt keinen Trank, der Sie mit einem Schlag wieder auf die Beine bringt. Das Roborans Cytisi lassen wir mal beiseite", fügte sie mit einem bissigen Seitenhieb hinzu.
Snape dachte einen Moment nach; er kannte schließlich alle Tränke im Schlaf, gab dann jedoch erschöpft auf. Er konnte nicht einmal den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage prüfen, weil seine Gedanken partout nicht beim Thema bleiben wollten. Sie schnellten wild umher, bis sie ineinanderzugleiten begannen und schließlich zu einem undefinierbaren Meer verschwammen.
"Versuchen Sie doch etwas hiervon", schlug eine klingende Stimme mit schottischem Akzent halb spöttisch, halb gönnerhaft vor, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, für diesen Fall eben jenen Trank auszuwählen.
Snape riß überrascht die Augen auf und glaubte im ersten Moment, Minerva McGonagall hätte es gewagt, ihm ohne Vorwarnung einen Besuch abzustatten, aber die Person, die im Eingang zum Lazarett stand und provokativ eine mundgeblasene Phiole zwischen zwei Fingern hochhielt, war definitiv jünger als die ältliche Lehrerin für Verwandlungen.
Sie war von schmaler Statur; ihre Haut hatte einen goldenen Schimmer - das Äquivalent einer Sonnenbräunung bei Rothaarigen - und trotz des praktischen Kurzhaarschnittes kräuselten sich einige kupferfarbene Locken frech in ihre Stirn.
Snape nahm sich Zeit, sie von oben bis unten mit einem Ausdruck absoluten Mißfallens zu mustern. In ihren grünen Funktionshosen und dem weißen Hemd mit Weste sah sie aus, als käme sie gerade von einer Muggelexpedition, und die bunten Ketten, die sie um die Handgelenke geschlungen hatte, trugen auch nicht gerade dazu bei, ihr Ansehen in seinen Augen zu steigern.
"Severus, darf ich vorstellen, Catriona MacGillivray. Du müßtest dich an sie erinnern. Ihr wart im gleichen Schuljahr", sagte der Direktor Albus Dumbledore, als bedingte allein dies die unabdingbare Notwendigkeit, sie im Gedächtnis zu behalten.
"Catriona, dies ist Professor Snape."
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