Tortur

 

 

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Kapitel 19: Nachwehen



"Das nenne ich doppelte Inkonsequenz", bemerkte der Tränkemeister geraume Zeit später spöttelnd, als sie, unbewußt die Nähe des anderen suchend, noch immer eng beieinander lagen.

Er hätte nicht mit Bestimmtheit sagen können, was ihn veranlaßte, schon wieder mit den Sticheleien zu beginnen, aber Catriona MacGillivray zuckte die Achseln und stellte höchst unbeeindruckt klar: "Ja, deinerseits."

Das entsprach unglücklicherweise so sehr der Wahrheit, daß es in Snapes schwarzen Augen empört blitzte. Vorführen ließ sie sich partout nicht, aber je mehr er versuchte, sich von dem Gefühl der Hingezogenheit zu lösen, desto weniger überzeugend gelang es ihm. Die maximale Wirkdauer des Yaxé war längst überschritten; eine höchst unerquickliche Tatsache, die ihn um die bestmögliche Erklärung seines unentschuldbar zügellosen Verhaltens brachte.

"Waffenstillstand", unterbrach MacGillivray sein Grübeln und winkte abwehrend mit der linken Hand, eine Geste, deren Bedeutungsschwere er im Dunkeln jedoch nicht sehen konnte.

"Ich habe über den Werwolftrank nachgedacht", fuhr sie fort, drehte sich auf den Rücken und langte nach ihrem Zauberstab.
"Lumos."

Das winzige Licht erhellte punktgenau einen Fleck an der Decke und ließ den abgezehrten Tränkemeister gespenstisch bleich in dem entstehenden Schatten aussehen.

Snape betrachtete sie ernst, gab ihr aber nicht die Genugtuung zu fragen, wann sie dazu noch Zeit gehabt hatte.

"Es wäre ein Wagnis, wenn du zu dem Treffen gingst, ohne zumindest eine Vorstellung davon zu haben, wie der Trank wirkt", sagte MacGillivray, woraufhin er ihr, aufs Höchste konsterniert, ins Wort fiel: "Ich habe durchaus mehr als 'eine Vorstellung davon, wie der Trank wirkt'!"

Sie rollte ungeduldig die Augen und malte mit dem Licht ihres Zauberstabes nervöse Kringel an die Decke.

"Ich möchte sagen", erklärte sie mit schwer erzwungener Ruhe, "daß es doch einen Weg geben muß, wenigstens Wirkmenge und -dauer im Voraus abzuschätzen."

Snape wölbte spöttische Brauen.

"Geschätzt wird bei mir nicht", entgegnete er mit gepflegter Arroganz und beobachtete mit wachsendem Mißfallen ihre erratischen Lichtgebilde.

"Wie du willst", sagte sie äußerlich gleichgültig, obwohl sie seine eigensinnige, selbstgefällige Art über alle Maßen ärgerte.

Für einen Moment leuchtete etwas wie Überraschung in seinen nachtschwarzen Augen, daß sie nicht versuchte, ihm die Information aufzuzwingen; dann kehrte seine Konzentration jedoch zu einer ihrer Lichtkonstruktionen zurück, die ihn schmerzlich blendete.

"Nox!" verfügte er gebieterisch, und die Erleichterung jagte ihm einen Schauer über den Rücken, als MacGillivrays Lichtzauber - zögerlich zwar - erlosch.

Sie ignorierte ihn und starrte in die Dunkelheit, als könne sie noch immer sein markantes, viel zu blasses Gesicht erkennen.
Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Halbschlaf, aus dem sie durch eine seltsame Vorahnung aufschreckte.

Der Platz neben ihr war leer. Lautlos erhob sie sich, um einen Blick in Snapes spartanisches Wohnzimmer zu werfen, dessen einziger Luxus eine Wand voller Bücher zu sein schien.
Der Tränkemeister saß am Schreibtisch; eine rußende Petroleumlampe neben sich, die ein müdes, dämmriges Licht spendete, das so schwach war, daß er in seiner schwarzen Robe komplett mit der ihn umgebenden Dunkelheit verschmolz.
Er war ganz in einen abgegriffenen Band vertieft, die Augen angestrengt auf die vergilbten Lettern gerichtet, sein hohlwangiges Gesicht in äußerster Konzentration erstarrt.

Um MacGillivrays Lippen zuckte ein nachsichtig-amüsiertes Lächeln. Das sah dem verschlossenen Meister der Zaubertränke ähnlich, zu nachtschlafender Stunde - vermutlich geweckt rastlose Träume - seine Recherchen zu betreiben.

Lautlos trat sie zu ihm, aber er hatte sie längst wahrgenommen und gab ihr, ohne den Blick zu heben, mit einem winzigen Kopfnicken zu verstehen, daß er sehr wohl um ihre Anwesenheit wußte.

"Ich kann es nicht ausstehen, wenn mich jemand bei der Arbeit beobachtet", sagte sie gerade laut genug, daß ihr angenehmer schottischer Akzent einen weichen Klangteppich in der vollkommenen Stille der Nacht bildete.

Ohne ihn berührt zu haben, schwebte sie anmutig hinaus, und Snape, noch immer halb versunken in seiner Lektüre, versuchte vergeblich, die Bewunderung für ihre Feinfühligkeit niederzukämpfen, die mit spitzen Fledermauszähnchen hartnäckig an seiner Konzentration zu nagen begann.

Noch immer fiel es ihm schwer, die Aufmerksamkeit länger auf ein Thema zu richten, aber dies hier war wichtig, mußte beendet werden…

…wie so viele andere Dinge, stellte er müde fest. Madam Pomfreys Liste der aufzufüllenden Heiltränke erstreckte sich gewiß bereits über zwanzig Zoll Pergament; seine eigenen Vorräte hatte er ebenfalls sträflich vernachlässigt, nun war die Sammelzeit der meisten Pflanzen vorüber, so daß er auf Ware des Apothekers Theriak würde zurückgreifen müssen.

Snape mied die Winkelgasse, wann immer es ging; der schmallippige, hochgewachsene Ambrosius Theriak lieferte zwar tadellose Qualität, aber als Tränkemeister empfand es Snape unter seiner Würde, auf fremde Lieferanten zurückgreifen zu müssen, die sich noch dazu ihre Dienste teuer bezahlen ließen.

Seine Forschungen lagen seit Ewigkeiten brach; lange schon vor der Inhaftierung hatte ihm Zeit und Ruhe gefehlt, kreative Ideen zu entwickeln und erst recht, sie auch umzusetzen.

Schließlich der Unterricht - über kurz oder lang würde es ihm nicht erspart bleiben, seine Position als Lehrer für Zaubertränke wieder einzunehmen und seine kostbare Zeit an Bälger zu verschwenden, die in der überwältigenden Zahl der Fälle ohnehin kein Interesse hatten, all ihre Energie in ein Fach zu investieren, das für sie kaum etwas mit Zauberei zutun hatte.

Als von Natur aus nicht gerade mitteilsamer, geselliger Mensch unterrichtete er alles andere als gern, aber im Laufe der Zeit hatte er sich damit arrangiert und vor Minerva McGonagall, die einmal versucht hatte, ihn wegen der tränenertränkten Beschwerde einer Erstkläßlerin zur Rede zu stellen, das Motto des römischen Muggelkaisers Caligula zitiert, in dem es hieß, sie könnten ruhig hassen, wenn sie nur fürchteten.

Mit einem Anflug von Genugtuung dachte er daran, daß in seinem Fall beide Bedingungen erfüllt waren.
Wenn nur Pomona Sprout, die ihn wohl noch immer vertrat, die Klassen mit ihrer unnötig freundlichen Art nicht auf dumme Gedanken gebracht hatte.

Aber, rief er sich ins Gedächtnis, dies würde frühestens nach der Präsentation des Trankes ('vor den Werwölfen', raunte sein Unterbewußtsein hämisch) in den Fokus der Bedeutsamkeit rücken, vorausgesetzt, er befand sich dann noch in einem Zustand, der eine Entscheidung überhaupt zuließ.

Snape rieb sich erschöpft die Augen. Ein Buch lag aufgeschlagen vor ihm, aber es kostete ihn mehrere angstvoll-angestrengte Minuten sich zu erinnern, zu welchem Zweck er es um drei Uhr in der Nacht studiert hatte.

Catriona MacGillivray hatte einen wunden Punkt berührt: Er vermißte noch immer eine Möglichkeit, den Trank im Voraus zu testen, aber so sehr er sich auch konzentrierte, seine Gedanken drehten sich bestenfalls im Kreis, wenn sie nicht gleich zu gänzlich anderen Themen abschweiften.

Wieso nur war Eileen Prince diesem Muggel gefolgt (von ihm als seinem Vater zu denken, gestaltete sich immer utopischer), der noch nicht einmal den Schneid gehabt hatte, sich gegen ihre - zugegebenermaßen ausgesprochen arrogante - Familie zu behaupten?

Und weshalb, beim großen Namen des hochverehrten Merlin, hatte er selbst sich hinreißen lassen, einen so bedeutsamen Schritt in Bezug auf Catriona MacGillivray zu tun?

Beim nächsten Ruf des Dunklen Lords - nein, schon bei der Trankpräsentation, würde er noch mehr Kraft und Konzentration aufwenden müssen, um seinen Geist zu verschließen.
Labil war er geworden durch all die Belastungen und angreifbar, weil ihm MacGillivray, so sehr er sich auch um das Gegenteil bemühte und ganz gleich, mit welcher Intensität er zu verdrängen suchte, mehr zu bedeuten begann, als nur ein nervenaufreibendes, unwillkommenes Ärgernis.

Zur Bestätigung, daß er die hohe Kunst der Okklumentik auch nach Yaxé noch beherrschte, sperrte er jegliche Gedanken aus, verschloß seinen Geist und spürte dem eigenartig beruhigenden Gefühl vollkommener Leere nach, aber während diese Empfindung früher stets eine tiefe Zufriedenheit hervorgerufen hatte, war alles, das Snape jetzt fühlte, eine in dieser Form gänzlich unbekannte Überanstrengung, die ihn schließlich zwang, die Übung abzubrechen.

Kalter Schweiß netzte seine Oberlippe, und die Übelkeit erinnerte ihn aufs Unangenehmste an die erste Zeit seiner Entlassung aus Azkaban.
Mit unsicherer Hand umklammerte er seinen Zauberstab und murmelte ein ersticktes "Sedare nauseam", das seine Wirkung jedoch schmählich verfehlte.
Snape schluckte Galle.

Offenbar konnte er weiterhin keine komplexen Zauber ausführen. Fluch und Schande, dreifach verwundener Giftsumach!

Der Tränkemeister schleuderte sein Wasserglas mit impulsiver Wucht auf den harten Steinfußboden, wo es erwartungsgemäß in viele unregelmäßige Scherben zersprang.

"Reparo!" zischte er mit von neu aufwallender Verzweiflung angefachter Wut und beobachtete mit flachen Atemzügen, wie sich die Splitter nach einer schier unendlichen Bedenkzeit wieder zu einem unversehrten Ganzen zusammenfügten.

Wenigstens dies funktionierte. In der verschwommenen Gewißheit dessen schleppte sich Snape zurück ins Schlafzimmer, ohne dem Buch weitere Beachtung zu schenken.

Mit einem pflichtbewußten Aufrufezauber beförderte er für alle Eventualitäten (die jedoch selbstverständlich nicht eintreten würden) eine Schüssel in Reichweite (sie verfehlte zwar die angedachte Position, aber solche Feinheiten waren aktuell von untergeordneter Bedeutung), bevor er sich halb besinnungslos vor Müdigkeit aufs Bett sinken ließ.
Auf diese Weise würde er nie den Trank vervollkommnen… nie erfolgreich sein… niemals gewinnen… nie…

xoxoxox

"Professor Snape!"

Die Stimme klang vertraut, aber der Tränkemeister konnte sich nicht dazu bringen, einen gesteuerten Gedanken zuzulassen. So süß die schlaftrunkene Leere, in der nichts wichtig war.

"Professor Snape, sind dies etwa die Nachwirkungen des Trankes, den Sie von Miß MacGillivray erhalten haben?" erkundigte sich die Stimme nun deutlich entrüstet, und warme, trocken - rauhe Finger schlossen sich um sein Handgelenk, vermutlich, um den Puls zu zählen.

Madam Pomfrey. Ihrer Hartnäckigkeit zu widerstehen war so gut wie unmöglich. Snape zwang sich widerwillig, in die Welt der Lebenden zurückzukehren.
Wieso befand sich die Heilerin in … seinem Quartier?
Hatte sich alles, an das er sich lebhaft und farbenfroh erinnerte, wirklich real zugetragen?
Und wie spät war es überhaupt?

Er richtete sich hastig auf, kämpfte gegen unvermeidlichen Schwindel.

"Na, na", rügte Poppy Pomfrey gutmütig, "erst wachen Sie gar nicht auf, und jetzt können Sie es nicht erwarten, vom scharfen Auge der Medizin fortzukommen."
Mit einem Seitenblick auf das Gefäß: "Haben Sie sich übergeben?"

"Nein!" Snape gelang das Unmögliche: Er zerbiß das einsilbige Wort in zwei Teile, und Pomfreys Augenbrauen schossen bewundernd in die Höhe.

"Weshalb sind Sie hier?" fragte er barsch, entledigte sich seiner zerknitterten Robe und tauschte sie gegen ein makelloses Exemplar gleicher Farbe und Beschaffenheit.
Der heimliche Blick zur Uhr verriet ihm, daß es keineswegs so spät war, wie er zunächst befürchtet hatte. Es war also unwahrscheinlich, daß seine Anwesenheit bei irgend etwas vermißt worden war. (Als ob man ihn, außer vielleicht als Spion im Orden, vermissen würde, zischelte sein Gewissen böse.)

"Sie haben sowohl gestern als auch vorgestern versäumt, mich aufzusuchen", sagte Madam Pomfrey mit liebenswürdiger Bestimmtheit. "Direktor Dumbledore informierte mich über Ihre Behandlung. Dies erklärt zumindest das letzte Fernbleiben."

Snapes Gesicht verhärtete sich. Woher wußte denn Dumbledore davon? Er hätte es wissen müssen, man konnte niemandem trauen. Stand sein Schicksal neuerdings öffentlich zur Diskussion?

"Wenn ich Sie ansehe, erübrigt sich die Frage, ob die Anwendung angenehm war", bemerkte die Heilerin nachdenklich und im erneuten Hinblick auf die Schüssel: "Benötigen Sie einen Zauber gegen Brechreiz?"

"NEIN!" Auch dieses Wort wurde unbarmherzig zerhackt. Snape war ganz offensichtlich äußerst zornig.

Madam Pomfrey lächelte versöhnlich. "Ich sehe Sie heute abend", sagte sie mit einer widerwärtigen, bestimmten Freundlichkeit, die ihn ohne jegliche Angriffsmöglichkeit ließ.

Er nickte so knapp, daß die winzige Geste einem weniger aufmerksamen Beobachter mit Sicherheit verborgen geblieben wäre, aber Poppy Pomfrey legte dem Tränkemeister eine tröstende Hand auf den Arm und fragte leise: "Hatten Sie Erfolg?"

Snape entzog sich der Berührung voller Unbehagen. Nur widerwillig öffnete er die Lippen und bewegte sie kaum, als er flüsterte: "Einfache Zauber gelingen."

Daß er weniger erleichtert als noch mehr besorgt erschien, verwunderte die Heilerin. Sie hieß ihn, Platz zu nehmen und sagte diplomatisch: "Das ist doch ein guter Beginn, Professor. Was bedrückt Sie?"

Snape krampfte die Hände ineinander, um seine Unruhe zu verbergen. "Ich ziehe es vor, dieses Thema nicht zu vertiefen", sagte er kaum hörbar. "Wenn Sie mich entschuldigen würden…"

Ein brüsker Wink seines Zauberstabes ließ die schwere, eisenbeschlagene Tür aufspringen. Snape gewährte der Heilerin den Vortritt, verriegelte und eilte mit wehenden Roben in sein Büro.
Wenn ihm schon nicht einfiel, an welchem Modell er den Werwolftrank testen konnte, so blieben immer noch genügend Routinearbeiten.

Ein Frösteln durchlief seinen mageren Körper, als sich die Holzscheite unter dem anvisierten Kessel auf sein Geheiß entzündeten. Am Ende des Tages würde er ein Nervenbündel sein, wenn er vor jedem Zauber in angstvoll-gespannter Erwartung verharrte, ob dieser auch gelänge.

Zwar zitterten seine Hände nicht, während sie Galgantwurzeln mit einem Silbermesser in exakte Würfelchen überführten, aber eine zerrüttende Unsicherheit saß ihm im Nacken und ärgerte ihn bald mit Bildern der rothaarigen Schottin, die sich in sein Gesichtsfeld schoben, bald mit dem Hinweis, daß er sich wohl besser um den Werwolftrank kümmerte, anstatt kostbare Zeit und Energie an Routinetränke zu verschwenden.

Um ein Haar hätte er denn auch den richtigen Zeitpunkt versäumt, um den Inhalt des Kessels mit einem Kältezauber abzuschrecken.
Nicht auszudenken, wenn dieser nicht gelungen wäre!

Snape fuhr sich nervös durch die langen Haare. Die Kälte seiner spinnenartigen Hände erschreckte ihn nicht; er fror ohnehin ständig, ganz gleich, ob er neben einem dampfenden Kessel oder in seinem eisigen Klassenraum stand, aber das Geräusch, das dem Entriegeln seiner massiven Bürotür folgte, ließ ihn so heftig zusammenfahren, daß ihm der Zauberstab entglitt und im Fallen kaum das Feuer verfehlte.

"Severus - schon hier?"

Catriona MacGillivray, heute in einer indigofarbenen Robe über schwarzer Unterkleidung, die ihr Haar in einen Mahagoniton tauchte, nickte ihm freundlich, wenn auch absolut unverbindlich zu.

"Guten Morgen", fügte sie in Anerkennung gängiger Höflichkeitsfloskeln hinzu.
"Wünschst du Hilfe?"

Snape, der den Zauberstab eiligst aufgehoben hatte und wie ein ertappter Schüler neben dem abgeschreckten Kessel stand, wußte zum ersten Mal nichts zu antworten.
Konnte sie wissen, wie sehr er Vertraulichkeiten außerhalb seiner Gemächer verabscheute und daß er ernsthaft befürchtet hatte, sie würde ihm beim nächsten Wiedersehen um den Hals fallen oder irgendwelche Freiheiten aus seinem… ihrer beider… Kontrollverlust ableiten.

Er gestand sich ein, daß sie, wenn sie gewollt hätte, in seinem Geist nach Herzenslust hätte stöbern können, während er unter Yaxé stand, aber obgleich es keine probate Möglichkeit gab, das Gegenteil zu beweisen, konnte sich Snape, trotz allen Mißtrauens, nicht dazu bringen, einen solchen Vertrauensbruch anzunehmen.
Im Gegenteil - ihre Gegenwart wirkte wie Balsam (Überhaupt, Mekkabalsam würde er auch in der Winkelgasse beschaffen müssen, schoß es ihm völlig unmotiviert durch den Kopf, und Snape rieb sich besorgt die Schläfen.) auf seine körperlose Unruhe.

"Dies hier zieht ohne meine Beaufsichtigung", sagte er plötzlich mit dem Geist eines Lächelns in den Augenwinkeln. "Ich muß dich etwas fragen."

Catriona MacGillivray nickte bereitwillig, aber unverändert kühl. In ihrem Inneren sah es gleichwohl weit weniger aufgeräumt aus, als sie sich den Anschein gab.
Er hatte sichtlich schlecht geschlafen, zweifellos das Frühstück ausgelassen, und der Druck, der auf seinen knochigen Schultern lastete, schien durch die Wiedererlangung der Zauberkräfte nicht geringer, sondern seltsamerweise eher größer geworden zu sein, aber sie wagte es nicht, ihm Beistand anzubieten.
Das Letzte, was sie wollte, war eine Zurückweisung des reservierten Tränkemeisters zu riskieren - wenn sie es sich auch nicht eingestehen mochte, so würde sie diese doch empfindlich treffen.
Sie zog es vor, sich hinter eine freundlich-kühle Maske zurückzuziehen und abzuwarten.

Snape holte tief Atem, als müsse er sich erst wappnen für das, was er zu sagen beabsichtigte.
"Erstens", begann er beschämt, "beherrsche ich weiterhin keine komplexen Zauber."
Ein trockenes Schlucken.
"Zweitens", fuhr er rauh fort, "zweitens…" Er brach ab, rang mit sich.

MacGillivray strich ihm ganz leicht über den Ärmel; es war kaum mehr als ein Hauch, und später hätte Snape nicht mehr sicher sagen können, ob er dies überhaupt real gewesen war, aber die Geste gab ihm den Mut einzugestehen, was er sonst niemals vor einem anderen Menschen zugegeben hätte: "…strengt es mich seit Yaxé über alle Maßen an, meinen Geist zu verschließen."

Die Schottin rieb sich sinnend die Nase und verrückte dabei die Brille. Das erklärte natürlich seine Besorgnis.
Hatte er dem Prozedere ohnehin nur zugestimmt, weil er keinen anderen Ausweg gesehen hatte, so mußte ihn die Beobachtung, die er selbstverständlich dem Trank zuschob, jetzt ungeheuer ängstigen.

Und dennoch - obwohl es nahelag, auf Yaxé zu schließen, waren Catriona MacGillivray keine Berichte über anhaltende Effekte bekannt.

Sein Blick verdunkelte sich unter der Mitteilung; sie war alles andere als befriedigend, und als MacGillivray auch noch weich hinzufügte: "Gib dir etwas Zeit, Severus", reagierte er ungehalten.

"Zeit ist genau das, was ich nicht habe", fuhr er sie an und trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. "Ich war schon viel zu lange zur Untätigkeit verdammt. Ich bin im Verzug mit" -

"Wer sagt das?" fiel sie ihm plötzlich ungewöhnlich ernst ins Wort. Ihre grünen Augen bohrten sich in seine schwarzen, bis er schließlich mißleidig den Blick abwandte und spröde erwiderte: "Das Konzept der Pflichterfüllung dürfte dir doch bekannt sein."

"Nicht, wenn es den Pflichtbewußten zerstört", gab MacGillivray leise und fest zurück.

Snape drehte sich weg, seine Lippen zu dem wohlbekannten Strich zusammengepreßt.

Sie hatte gut reden. Es gab keine Wahl für ihn, hatte nie eine gegeben, wenn man von unehrenhaftem Freitod einmal absah, daher war das bloße Erwägen einer Verweigerung schon ausgeschlossen und damit ohne jeden Sinn.

Er hatte sich auch niemals ausgemalt, wie es wohl wäre, ohne die Belastung als Doppelagent für beide Seiten zu sein; es führte zu nichts, und letztendlich war es sein großer Fehler gewesen, der ihn erst in eine solch mißliche Lage gebracht hatte. Im Grunde mußte er dankbar sein für die zweite Chance, die man ihm gegeben hatte - ganz gleich, was diese an Bedeutungsschwere nach sich zog.

Catriona MacGillivray schüttelte resigniert den Kopf, aber das konnte Snape nicht sehen.

"Wie sehen deine weiteren Pläne aus?" fragte sie mit unverhohlenem Bedauern in der klaren Stimme und hütete sich, den Werwolftrank anzusprechen.

"Ich werde den Direktor informieren", sagte Snape frostig-bitter, "daß ich für simple Anforderungen wieder zur Verfügung stehe. Davon abgesehen erwarten mich ungezählte Aufgaben, die während meiner… Abwesenheit vernachlässigt wurden."

Er wandte sich zu ihr herum, ging jedoch an ihr vorbei und entnahm eine Zutat dem Vorratsschrank, die wie Opopanax aussah. Unschlüssig behielt er sie in der Hand, starrte zu Boden.

"Aufdrängen werde ich mich nicht", schickte MacGillivray vorsorglich voraus, raffte ihre bodenlange Robe und trat zu ihm.

Er beäugte sie mißtrauisch, uneins mit sich, ob er ihr Bleiben oder Fortgehen ersehnte.

"Aber wenn du es über dich bringen kannst, etwas von deiner Arbeit an mich abzugeben, bin ich bereit, dir zu assistieren."

Wohlige Dankbarkeit durchströmte den fröstelnden Tränkemeister, und etwas wie Amüsement drohte, sich in seine Mundwinkel zu stehlen.
Sie fand trotz - oder vielleicht gerade durch ihre leise Ironie immer die richtigen Worte, bot ihm diskret den sprichwörtlichen Arm, ohne sich anzubiedern und ohne daß er das Gefühl haben mußte, in ihrer Schuld zu stehen.

"Es gibt Besorgungen in der Winkelgasse, die ich dir zutraue", sagte er spöttelnd, aber ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen und erreichte sogar seine unergründlichen Obsidianaugen.
"Penibel und kritisch bist du, auch selbstsicher im Auftreten - das sollte genügen."

Ein glockenhelles Lachen löste sich aus MacGillivrays Kehle und schwebte sekundenlang im Raum, bevor es in dem mächtigen Gemäuer verklang.

"Deine Einschätzung in allen Ehren", sagte sie noch immer grinsend, "aber das klingt eher nach der Nockturngasse, wo solche Fertigkeiten beim Feilschen erforderlich sind."

"Läßt du dir minderwertige Ware andrehen, lernst du mich kennen", gab er staubtrocken und todernst zurück, und MacGillivray, entsetzt ob solcher Umgangssprache aus seinem Mund, forschte angestrengt in seinem verschlossenen blassen Gesicht, bis sie sicher war, soeben Kronzeugin eines Scherzes von Severus Snape geworden zu sein.

"Besonders wichtig sind diese Drogen - Ambrosius Theriak, der Apotheker, sollte alles vorrätig haben."

Er drückte ihr ein Pergament in die Hand; sie überflog es kommentarlos und verstaute es sicher in einer Innentasche ihrer Robe.

"Für den unwahrscheinlichen Fall, daß dies deine Reisekleidung ist, ist die Liste dort gut aufgehoben", sagte der Tränkemeister gehässig, und erst als die Worte heraus waren, wurde ihm überrascht bewußt, wie verletzend-böse sie in ihren Ohren geklungen haben mußten.
Noch niemals hatte es ihm etwas ausgemacht andere mit dem scharfen Schwert seiner Zunge zu treffen; im Gegenteil, er war stolz auf die Eleganz und Präzision, mit der er die Waffe führte, und sogar das Lehrerkollegium fürchtete seinen grausamen Zynismus.

MacGillivray hakte ein Stückchen Lippe hinter die Zähne, legte den Kopf schief, so daß ihr ganzes Gebaren vor Geringschätzigkeit strotzte und fragte nachsichtig, wie sie mit einem ungezogenen Kind gesprochen haben würde: "Möchtest du mir damit sagen, daß es dich besorgen würde, wenn ich die Liste vergäße?"

Snape, dem der Ärger über ihren Ton und im Besonderen über sein eigenes Schuldbewußtsein eine peinliche Röte in das abgezehrte Gesicht trieb, nickte nichtsdestotrotz betont würdevoll, was der Szenerie den Anstrich eines komödiantischen Kammerspiels verlieh.

"Es sei denn natürlich, du kannst sie bereits auswendig", setzte er mit siegesgewisser Liebenswürdigkeit hinzu, hinter der die Bosheit mit kleinen giftigen Augen aus der Dunkelheit hervorlugte.

"Ich pflege mir so wenige Artikel nie aufzuschreiben", trumpfte sie schamlos auf und genoß die zornige Verfärbung seiner bleichen Lippen, denn immerhin handelte es sich um gut acht Drogen und mindestens zehn weitere Dinge aus der Winkelgasse, die sie, so sehr sie Gedächtnistraining befürwortete, durchaus ebenfalls notiert hätte.

"Ist das wahr?" erkundigte sich der Tränkemeister mit einem Mal scheinheilig und bedachte sie mit einem scharfen Blick, in dem MacGillivray trotz aller Bemühungen nichts zu lesen vermochte.
Sie entschied sich für ein freimütiges "Natürlich nicht, Severus!"

Seine offensichtliche Erleichterung, die er nicht so schnell genug hinter der allgegenwärtigen Maske aus Gleichmut verbarg, daß sie nicht noch einen Blick darauf erhaschen konnte, rührte und erheiterte sie gleichermaßen.

"Dachte ich auch nicht", sagte Snape kühl, und jetzt lachte die Schottin laut und befreiend auf. Von wegen. Manchmal benahm er sich wirklich wie ein trotziges Kind.

"Dann ist ja alles in Ordnung", gluckste sie vielsagend.

Wie gern hätte sie ihn in die Arme genommen, ihre Finger in seinem Haar vergraben, ein wenig von der Anspannung aus seinen verkrampften Schultern gestreichelt, aber abgesehen davon, daß auch sie keine Befürworterin der öffentlichen Zurschaustellung von Affektion war, erschien es ihr utopisch, daß er jemals wieder soviel Nähe tolerieren würde, wie in jener Nacht.

"Viel Erfolg", verabschiedete er sie gerade mit einer bedeutsamen Geste, und Catriona MacGillivray beeilte sich fortzukommen, bevor sie wirklich sentimental wurde.

Der Tränkemeister lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, kaum daß sie ins Schloß gefallen war und zwang sich zu tiefen, langsamen Atemzügen.

Ihre Gegenwart tat so wohl, daß er beinahe körperliche Schmerzen fühlte, nun da sie fort war. Er genoß es, mit ihr zu streiten; tatsächlich gefielen ihm ihre Wortgefechte, und bald würde er sich nach ihrem Rat sehnen, wie er sich danach zu sehnen begann, ihre Nähe zu spüren, mit ihr zusammenzusein.

'Unsinn', rief er sich harsch zur Ordnung, 'verschließ deinen Geist und laß solche Flausen nicht zu.'

Er schlug die Tür hinter sich zu und versiegelte sie nachlässig mit einem so anspruchslosen Zauber, den er unter normalen Umständen nicht einmal für seine Abfalltruhe verwendet hätte, bevor er sich mit energischen Schritten zum Büro des Direktors aufmachte.

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Kleine Pflanzenkunde: Giftsumach (Toxicodendron quercifolium) ist stark hautschädigend. Bei der Sammlung Handschuhe tragen! Die Pflanze kommt in der Muggelmedizin kaum zum Einsatz.
Theriak ist ein pharmazeutisches Kompositum. Ursprünglich ein universelles Gegengift, entwickelte es sich über die Zeit zu einem Allheilmittel und schließlich zu einem Aphrodisiakum, nicht zuletzt durch seine Hauptingredienz, das Opium.
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