Kapitel 1
Albus Dumbledore
Der Schulleiter von Hogwarts ließ von seinem Stuhl aus müde den Blick über die Trümmer seines Büros schweifen. Harry Potter hatte das Recht, wütend zu sein. Sirius Black war tot, teilweise aufgrund seiner, Dumbledores, eigenen Fehlern. Der einzige Mensch, dem der Junge vertraut hatte, war fort und würde nie mehr wiederkommen. Vielleicht war es gut, dass Black nicht als Geist zurückkommen würde. Albus konnte sich die zahlreichen Probleme vorstellen, die daraus erwachsen würden. Harry hatte zu Sirius` Lebzeiten den größten Teil des Jahres kaum jemand anderem viel Beachtung geschenkt. Es wäre viel zu leicht für Harry, das ganze Leben zu ignorieren, wenn sein Pate als Geist hier lebte. Ich habe ihn so furchtbar im Stich gelassen. Ich wollte, dass er eine Kindheit hat, und ich habe ihn im Stich gelassen.
Doch nun hatte er erst mal mit jemand anderem zu tun. "Professor Snape", sagte Dumbledore ernst zu dem Mann, der durch die Tür kam, "bitte setzen Sie sich."
Der Zaubertrankmeister tat dies ohne Widerspruch. Seine schwarzen Augen glitzerten, als er die verstreuten Bruchstücke der einstmals schönen Gegenstände auf dem Boden betrachtete. "Was ist geschehen?"
"Harry war - aufgebracht. Zu Recht. Ich möchte von Ihnen kein weiteres Wort bezüglich des Jungen hören. Ich habe genug darüber gehört, welche Gefühle Sie ihm gegenüber hegen. Mehr möchte ich nicht hören."
Snape setzte sich aufrechter hin. "Aber…"
"Nein. Nicht ein Wort. Ich habe mir Ihre Beschwerden und Ihre Forderungen nach seinem Rauswurf nun schon jahrelang angehört. Man sollte doch meinen, Sie seien ein erwachsener Mann, Professor. Ich habe Sie mit ihrer kindischen Haltung gegenüber Harry viel zu lange gewähren lassen. Er ist doch nur ein Junge! Ich weiß, dass Sie Probleme mit seinem Vater hatten, aber es ist allmählich Zeit, darüber hinwegzukommen."
"Was schlagen Sie mir zu tun vor, Schulleiter?" Das Gesicht des Hausvorstandes der Slytherins war ausdruckslos.
"Einen Weg zu finden, seine Situation zu verbessern, denke ich. Ich muss zugeben, Sie waren schnell genug, sich über die Dursleys zu beschweren, sobald Sie die Wahrheit über sie herausgefunden hatten."
"Muggel!"
Albus seufzte. "Wie Sie zweifellos wissen, ist das Familienleben von Zauberern auch nicht immer das Beste." Diesen Teil von Snapes Vergangenheit sollte man zwar besser nicht ansprechen, aber im Augenblick war es ihm gleich. Er zwang sich, einen sanfteren Tonfall anzuschlagen. "Sie haben viele der Probleme Ihrer Slytherins gelöst, wenn es um Ärger in der Familie ging. Nutzen Sie etwas von diesem Sachverstand für Mr. Potter."
Snape schob seinen Unterkiefer vor. "Und was soll ich machen, wenn er nächstes Jahr wiederkommt und sich ebenso zu lernen weigert, wie er es dieses Jahr getan hat?"
"Diesen Besen fliegen wir, wenn er aus dem Schuppen ist. Es ist Ihr Verhalten im letzten Jahr, das ich mir genauer ansehen möchte." Dumbledore hasste es, wenn Snape seinen Rücken auf diese Weise straffte. Es war, als würde man mit einer Wand sprechen.
Ich muß irgendwie zu ihm durchdringen, dachte er. Leider hatte Snape in einer Hinsicht Recht: Einige der anderen Lehrer hatten sich dieses Jahr ebenfalls unzufrieden mit Harrys Fortschritten gezeigt. Sogar McGonagall hatte sich enttäuscht angehört.
"Ich habe mein Bestes getan." Seine Stimme war ruhig und frei von Gehässigkeit.
Um Snape musste man sich ebenfalls kümmern. "Ich fürchte, Sie haben Recht. Als er sich über Sie beschwerte, versuchte ich ihm zu erklären, dass Blacks Tod nicht Ihr Fehler war. Ich erzählte ihm, dass ich darauf gehofft hatte, Sie wären imstande, Ihre Vorurteile zu überwinden und entschuldigte Ihr Verhalten damit, Severus, dass einige Ihrer Wunden offenbar zu tief seien, um zu heilen. Ich habe Sie deswegen viel zu lange verhätschelt. Sie müssen einen Weg finden, um mit Ihren Gefühlen bezüglich Harrys Vater zurechtzukommen. Sie müssen die Vergangenheit ruhen lassen. Sie können nicht zulassen, dass irgendwelche Streiche der Rumtreiber Folgen für jemanden haben, der nicht daran teilhatte. Das werde ich nicht zulassen."
"Ich würde diese Dinge wohl nur schwerlich als Streiche bezeichnen, Direktor."
"Man kann da unterschiedlicher Ansicht sein, Professor. Was auch immer Sie wegen des Geschehenen empfinden, ich kann nicht gestatten, dass Ihre üble Laune auf Harry in irgendeiner Weise weiterhin Einfluss hat."
"Das ist leichter gesagt als getan." Farbpünktchen erschienen nun auf Snapes Gesicht.
"Handeln Sie trotzdem danach. Sie erinnern sich vielleicht an die Bedingungen, unter denen Ihnen das Unterrichten in Hogwarts gestattet wurde. Sollten Sie sich nicht jedem Schüler gegenüber professionell verhalten, müsste ich Ihre Anwesenheit hier noch einmal überdenken." Albus hasste es, diese Drohung zu verwenden. Nichtsdestotrotz musste etwas unternommen werden, um die Aufmerksamkeit des Tränkemeisters auf das Problem zu lenken. Alle Mitglieder des Phoenix-Ordens mussten Opfer bringen für ein höheres Wohl.
Der jüngere Zauberer wurde blass. "Ich verstehe, Schulleiter", sagte er mit einem rauen Flüstern. "Dürfte ich gehen?"
Der Schulleiter registrierte, wie erschöpft Snape aussah. Es war für sie alle ein schweres Jahr gewesen. Zweifellos war der Tränkemeister in seiner Abwesenheit ebenso beschäftigt gewesen wie all die anderen.
"Aber natürlich. Severus, Sie können mich jederzeit um Hilfe bitten. Ruhen Sie sich ein wenig aus, bevor Sie sich daranmachen. Sie würden ja auch keinen komplizierten Zaubertrank brauen, wenn Sie ohnehin schon müde wären. Und dies hier wird vermutlich noch schwieriger."
Es war lange her, dass sie das letzte Mal die Art von Gespräch geführt hatten, von der Albus wusste, dass sie half, alte Probleme zu lösen. Das war nicht mehr geschehen seit…nun, tatsächlich seit Harrys erstem Schuljahr. Offenbar war Severus wieder in alte Denkmuster zurückgefallen und hatte es nicht einmal bemerkt.
"Was immer Sie anordnen, Schulleiter." Damit stand Snape langsam auf, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Büro.
Sein Umhang bauschte sich nicht auf die übliche Weise um ihn. Albus wusste nicht, ob dies ein Zeichen der Demut war oder ob der Mann einfach zu müde war.
War ich zu schroff? Musste ich ihm wirklich dermaßen die nackte Klinge meiner Macht zeigen? Dumbledore hatte es niemals bereut, Snape aus Azkaban gerettet zu haben, kurz bevor er von einem Dementor geküsst werden sollte. Moodys Warnung war gerade noch rechtzeitig gekommen. Er hatte auch nicht gezögert, dem Ministerium für Snapes gutes Verhalten zu bürgen. Zweifellos hätte jeder Mann im Alter des Tränkemeisters die rechtliche Abhängigkeit von einem anderen als lästig empfunden, aber das Ministerium hatte für den ehemaligen Todesser weitaus Schlimmeres geplant. Albus hatte den Beamten gegenüber klargemacht, dass die Auroren wohl kaum viele Spione finden würden, wenn sie jemanden wie Snape, der ihnen bei Voldemorts erster Rückkehr derart geholfen hatte, vernichten würden, doch hatten nur wenige, wie Mad Eye, zugehört.
Da saß er, lutschte an einem Zitronenbonbon und überlegte. Immerhin mußte das Ministerium beweisen, dass es seine frühere Nachlässigkeit wiedergutmachte. Snape war ein leichtes Ziel. Nicht zu vergessen, dass er Schlimmeres als den Tod riskiert hatte, als er Fudge das Dunkle Mal gezeigt hatte, um dem idiotischen Hufflepuff zu zeigen, dass Voldemort zurück war. Würden sie ihn ins Gefängnis werfen, würde das Schlagzeilen machen, durch welche die Öffentlichkeit der Tatsache versichert wäre, dass ihre Führer angemessen wachsam seien und dass der Schulleiter von Hogwarts ein Idiot gewesen war, den Kerl zu beherbergen.
Dumbledore sah sich im noch immer verwüsteten Büro um. Harry Potters Zorn konnte in den kommenden Jahren noch ein furchtbares Problem werden. Sollte er selbst den Krieg nicht überleben, so könnte es Harrys Aufgabe werden, Severus vor dem Ministerium zu schützen. Wie ironisch war es doch, dass gerade Snape der einzige Lehrer war, der mit dieser Art von Schülern die meiste Erfahrung hatte. Sein eigenes Gespräch mit Petunia Dursley hatte letztes Jahr für einige Zeit Wirkung gezeigt, aber weder das noch Moodys Drohungen würden den ganzen Sommer über hinreichen. Vielleicht überschätze er ihren Einfluss im Haushalt, aber es schien schon merkwürdig, dass sie so lange nicht über ihre Abneigung gegen die Kräfte ihrer Schwester hinweggekommen war. Es war nicht verwunderlich, dass so viele muggelgeborene Schüler sich nach und nach von ihren Familien in die Zaubererwelt zurückzogen.
Vielleicht hatte gerade seine eigene Strenge ihr und Severus gegenüber die Dinge nur noch schlimmer gemacht.
Oh Merlin, was konnte er denn sonst tun? Er hatte viel zu lange die Augen vor der Situation des Jungen verschlossen. Ich dachte, er könnte hier heilen. Ich dachte, es sei genug. Vor dem letzten Jahr hatte er noch gedacht, er sei erfolgreich gewesen. Nicht einmal nach dem Horror, einem wiederauferstandenen dunklen Lord gegenüberzutreten, hatte Harry die Art von Zorn gezeigt wie nur kurz zuvor.
Es war tatsächlich Umbridges Schuld. Sie hatte alles ruiniert. Sie hatte Minerva vorübergehend ausgeschaltet, hatte Harry nicht nur mit Veritaserum, sondern auch mit dem Cruciatus-Fluch gedroht und sogar in einem Anfall von Groll Snape auf Bewährung gesetzt! Miss Granger hatte es riskiert, bei dem Versuch, etwas gegen diese Frau zu unternehmen, fast getötet zu werden, als sie gesehen hatte, dass niemand anderes etwas unternehmen würde. Und dann der Angriff auf das Ministerium.
Der einzige Lichtblick war der prachtvolle Abgang der Weasley-Zwillinge gewesen. Albus gestattete sich beim Gedanken daran ein Lächeln. Minerva hatte zugegeben, Peeves geholfen zu haben. Wenn er doch nur hätte dabei sein können, als sie gemurmelt hatte: "Andersherum schrauben!"
Ich hätte wegen der Dursleys schon Jahre zuvor etwas unternehmen müssen, gab Dumbledore sich selbst gegenüber zu. Der Junge war für sein Alter immer zu dünn und verkümmert gewesen, wenn man seine Abstammung in Betracht zog. Es war ärgerlich, festzustellen, dass Snape in der ganzen Zeit im Hause Slytherin mit weitaus schlimmeren Familiensituationen umzugehen hatte. Auf jeden Fall war es an der Zeit, das Problem jemandem zu übergeben, der wusste, was zu tun war.
Dumbledore begann, mit einem Schlenker der Hand sein Büro aufzuräumen und die Gegenstände zu reparieren, die noch zu retten waren. Wenn er nicht vorsichtig war, konnte Hogwarts selbst ähnlichen Schaden erleiden. Es war jedes Opfer wert, die Schule sowie die Zaubererwelt in besserer Gestalt zu bewahren.
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