Sünden der Väter

 

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Kapitel 9:
Nur fliegen ist schöner



Meine Damen und Herren, dies ist eine Notdurchsage. Unsere Motoren haben beide versagt. Nehmen Sie alle spitzen Gegenstände aus der Kleidung, ziehen Sie die Schuhe aus, stellen Sie die Rückenlehnen senkrecht und bewahren Sie Ruhe. Und wenn Sie jetzt nach links aus dem Flugzeug sehen, dann sehen Sie ganz tief unten auf dem Wasser mehrere große, bunte Punkte. Das sind die Fallschirme der Crew.

Ron Weasley riss die Augen auf und schrak aus seinem Sekundenschlaf auf, der Angstschweiß stand ihm noch immer auf der Stirn.
"Oh Harry, ich glaub' ich krieg langsam echt Panik." Harry nickte grimmig, sah auf seine Uhr und dann wieder aus dem Fenster des Wagens, wo sein Blick das riesige Werbeplakat der Freundin traf, auf dem stand: "Man kann warten, warten, warten. Und man kann leben, leben, leben." Wer zum Teufel dachte sich solche Sachen aus?
"Ich auch", entgegnete Harry aufgebracht. "Und wenn dein Vater sich nicht beeilt, verpassen wir unseren Flug!" Das konnte doch alles nicht wahr sein! Sein erster Urlaub und er saß im Londoner Berufsverkehr fest!

Hermine sah aus ihrer Muggelzeitschrift auf und kicherte leise. "Ich glaube, Ron meinte was anderes."
"Keine Panik, Kinder! Arthur Weasley ist noch niemals zu spät gekommen. Und zu einer richtigen Muggelreise gehört nun mal auch eine Muggelankunft." Ron rollte die Augen und äffte dabei den letzen Satz seines Vaters nach. Mr. Weasley arbeitete beim Zaubereiministerium für Muggelartefakte und wäre am liebsten selber in Urlaub geflogen.
Und noch dazu mit einem richtigen Muggelflugzeug! Aber Molly war das ganze Muggelreisen nicht so geheuer und es hatte ihn schon große Mühe gekostet, sie davon zu überzeugen, dass diese Muggelflugzeuge sicherer waren, als sie aussahen. Das gleiche galt übrigens auch für Ron…

***

Zwanzig Minuten später rannten die drei wie verrückt über den Flughafen, denn wie konnte es auch anders sein, ihr Terminal befand sich auf exakt der anderen Seite des Londoner Heathrowairports. Doch Harrys Charme, oder war es der verzweifelte Ausdruck in Rons Augen, half ihnen, sich überall vor- und durchzudrängeln, bis sie endlich auf die anderen Hogwartsschüler trafen, welche schon vor dem Terminal warteten. Obendrein ging Professor McGonagall sogleich unheilvoll auf das Trio zu.

"Das wurde aber auch Zeit! Ich habe mir schon Sorgen gemacht!" Ihr Ton war derselbe wie eh und je, doch als Hermine die Kleider ihrer Hauslehrerin sah, brach gerade sie, die Musterschülerin Gryffindors und McGonagalls ganzer Stolz, in lautes Gelächter aus. Auch Harry konnte sich kaum noch beherrschen und, wenn man es genau nahm, konnte man mit tödlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die Tränen in den Augen der meisten Schüler nicht vom Abschiedsschmerz herrührten.

"Was gibt es da so Amüsantes zu lachen, Ms. Granger? Vielleicht könnten Sie so gütig sein, mich in Ihr kleines Geheimnis einzuweihen, damit ich auch mitlachen kann?"
Doch Hermine war klug genug, sich zusammenzureißen und überreichte ihr, genauso wie Ron und Harry, der nach langen Überredungskünsten ihrerseits die Unterschrift seines Onkels Vernon gefälscht hatte, wortlos die Einverständniserklärung. Ein wenig schuldig fühlte sich Hermine noch immer. Sie, die Schulsprecherin, hatte doch tatsächlich einem Schüler geraten, die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten zu fälschen! Aber schließlich konnten sie nicht einfach den Jungen-der-lebt allein zurücklassen, oder?

McGonagall schaute nicht einmal auf die Unterschriften und ging gedankenverloren zu den anderen Lehrern zurück. Hatte sie über sie gelacht? Aber warum? An der Kleidung konnte es schließlich nicht liegen. Hatte sie sich doch exakt die Muggelkleidung des Gucci Sommerkatalogs gezaubert! Doch als sie sich umsah, bemerkte McGonagall schnell, dass nicht alle Muggel so farbenfroh gekleidet waren wie sie. Na ja, eigentlich war keiner, außer Professor Hooch, so auffällig bunt gekleidet wie sie…

Hermine wollte ihren Augen noch immer nicht trauen. McGonagall und Hooch sahen aus wie zwei Papageien. Ganz in Pink und Gelb, dazu mit einem großen, weißen Sonnenstrohhut und übergroßen Strandtaschen! Hooch hatte sogar eine riesige, Grace-Kelly-Sonnenbrille auf! Wahrscheinlich um ihre Reptilienaugen zu verstecken. Aber der Ich-versuche-mich-als-Muggel-zu-tarnen-Versuch war definitiv gescheitert. Nur die Herrn Professoren schienen normal gekleidet zu sein.

Lupin würde man vermutlich sogar als Muggel durchgehen lassen, mit seiner blauen Jeans und dem dunkelgrünen Pulli. Malfoy jedoch war ein natürlicher Blickfang. Er trug mal wieder seinen weißen Anzug… da konnte man halt nichts machen und Snape war halt… Snape. Doch Hermine konnte nicht anders, als sich einzugestehen, dass Muggelkleidung ihm besser stand. Wesentlich besser. Er trug eine schwarze Jeanshose und einen engen, schwarzen Pullover, seine Haare waren in einem Zopf zusammengebunden und eine schmale Brille mit dickem schwarzem Rand und Fensterglas rundete das Bild ab. Der Aufzug machte ihn irgendwie jünger und intelligenter, was wohl an der Brille liegen musste.

Dennoch war der Anblick so ungewohnt, dass er einfach nur grotesk wirkte. Mit anderen Worten: Es war göttlich! Die Gruppe der Lehrpersonen war ein Anblick, den wahrscheinlich keiner so schnell wieder vergessen würde. Und Collin war sich sicher, dass er dieses Jahr mit seinen Abzügen ein Vermögen machen würde…

Unvermittelt kamen plötzlich zwei Gepäckträger von hinten an und luden sage und schreibe fünf Koffer ab. Die Koffer waren aus dunklem Leder und ein goldenes D.M. ließ keinen Zweifel an ihrem Besitzer offen: Draco Malfoy.
"Ja, stellen Sie sie dort ab. Aber seien Sie ja vorsichtig!", kommandierte der blonde Slytherin.
"Ist ja schon gut, Kleiner. Wir machen das nicht zum ersten Mal, weißt du."
Dracos Augen verhießen nichts Gutes. "Wollen Sie nun bezahlt werden, oder nicht?"

Typisch Malfoy, dachte Hermine und schüttelte nur den Kopf, während sie Draco bezahlen sah. Oh je! Er hatte viel zu viel Geld in seinem Portemonnaie! Wenn das einer sehen würde!

Sofort nachdem die Träger verschwunden waren, ging sie zu ihm.
"Du solltest besser vorsichtig sein, Malfoy."
Dieser sah sie verständnislos an. "Was meinst du damit? Soll das etwa eine Drohung sein, Granger?"
Hermine rollte die Augen. Manchmal war er einfach so ein Slytherin!
"Natürlich nicht. Aber das hier ist die Muggelwelt! Wenn jemand Falsches sieht, dass du so viel Geld hast - und glaub' mir, du hast wirklich viel zu viel Muggelgeld mitgenommen - dann könnten sie dir etwas antun. Dich ausrauben oder Schlimmeres. Nur um an dein Geld zu kommen."

Draco schien für eine Sekunde ernsthaft darüber nachzudenken, rümpfte dann aber nur die Nase und wandte sich mit einem "Keiner wagt es, sich mit einem Malfoy anzulegen. Erst recht kein Muggel!" wieder von ihr ab.

"Bitte geben Sie nun Ihr Gepäck auf. Stellen Sie Ihre Koffer auf das Fließband, um das exakte Gewicht zu bestimmen. Jeder, der mehr als zwei Koffer bei sich hat, muss diese an Schalter zwei aufgeben."

Hermine wollte noch protestieren und versuchen zumindest ein wenig Vernunft in Draco hineinzureden, doch zu spät. Die Frau an der Gepäckannahme rief sie bereits zu sich.
"Fräulein. Ja sie, mit den vielen Koffern, kommen sie doch schon."
Draco wirbelte herum. "Das sind meine Koffer! Nicht ihre!" Alle Schüler in Hörweite lachten triumphierend über Malfoys Wutausbruch, während dieser mit hochrotem Kopf einen Koffer nach dem anderen zum Terminal zerrte. Tja, nur ein Malfoy bewerkstelligte es, mehr Koffer als die Mädchen mit unnützem Zeug zu füllen.

Der Weg ins Flugzeug war lang und beschwerlich. Jeder Koffer wurde durchleuchtet oder gleich durchsucht, wobei sich herausstellte, dass Draco Malfoy doch tatsächlich einen Koffer nur mit Haargelvorratspackungen und Kosmetik-Accessoires gefüllt hatte!!! Ferner mussten alle mehrere Metalldetektoren hinter sich lassen und - zum Ärgernis aller Mädchen - ihre Nagelpfeilen und Lebensmittel abgeben. Nach unglaublichen anderthalb Stunden (da sie das Glück hatten durch das EU-Member-Gate gehen zu dürfen) saßen nun endlich alle auf ihren Plätzen und füllten weiße und grüne deutsche Zettel aus: Der deutsche Bürokratie-Wahnsinn hatte begonnen.

***

Ron Weasley las zum x-ten Mal die Sicherheitsvorkehrungen durch. Er und Harry saßen direkt hinter Professor Malfoy und Lupin, welche sich angeregt über das deutsche Schulsystem unterhielten. Warum waren die alle nur so ruhig?

"Ähm… Professor Malfoy?", fragte Ron nach einigem Hin und Her schüchtern. Malfoy drehte sich zu ihm um und seine grauen Augen trafen Ron.
"Ja?"
"Da Sie sich ja mit diesen Muggelsachen auskennen, dachte ich - na ja, was mein Vater sagt stimmt nicht immer und - ist das hier auch WIRKLICH sicher?"
Professor Malfoy warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. "Sie haben doch wohl keine Angst, Mr. Weasley, oder? Wo ist der legendäre Gryffindormut? Nehmen Sie sich ein Beispiel an ihrem Nachbarn, Mr. Potter." Harry hatte den Kopf nach hinten in sein aufblasbares Nackenkissen gelegt und saß schnarchend neben dem völlig aufgelösten Rotschopf. "Haben Sie keine Angst, Mr. Weasley. Ich bin schon tausende von Malen mit einem Flugzeug geflogen und mir ist noch nie etwas zugestoßen. Statistisch gesehen sind Flugzeuge sogar um ein Vielfaches sicherer als Automobile. Und glauben Sie wirklich, dass Dumbledore seine Schüler in ein Flugzeug stecken würde, mit der Gewissheit sie nie wiederzusehen?"

Na gut, da ist was Wahres dran…

"Ich glaube, Sie haben Recht, Professor. Mir ist nur ein wenig mulmig bei dem Gedanken, mein Leben in die Hände einer Maschine zu legen."
"Seien Sie vollkommen unbesorgt, Mr. Weasley. Lehnen Sie sich einfach zurück und genießen Sie den Flug."
Ron nickte und tat was ihm gesagt wurde. Zumindest versuchte er es. Krampfhaft versuchte er sich auf etwas anderes, etwas beruhigendes zu konzentrieren. Quidditch. Er als Torwart gegen Slytherin. Sie führten und… DING-DONG Verdammte Durchsage! Dabei war er fast erfolgreich gewesen in seinem Versuch, sich auf etwas anderes als auf diesen dummen Flug zu konzentrieren! Ron blickte zur Seite. Zumindest hatte sie Harry aus seinem Schönheitsschlaf gerissen.

"Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie folgende Sicherheitsanweisung:
Vergewissern Sie sich, dass Ihr Handgepäck sicher unter dem Vordersitz oder im Gepäckfach über Ihrem Sitz verstaut ist. Dieses Flugzeug hat 8 Notausgänge. Sie sind mit dem Wort EXIT gekennzeichnet: 2 vorne, 4 im Kabinenbereich, 2 im hinteren Bereich.
Den Weg zu den Notausgängen zeigen Leuchtmarkierungen am Boden. Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir Ihnen, auch während des Fluges angeschnallt zu bleiben. Im Falle eines Druckverlustes in der Kabine werden Sauerstoffmasken über Ihren Sitzen automatisch herausgeklappt. Ziehen Sie eine Maske zu sich herunter und befestigen Sie diese mit dem Gummiband über Nase und Mund."

Druckverlust? Sauerstoffmasken?
Ron wurde übel. Und das schon vor dem Start. Eine Stewardess stellte sich auf den Gang und fing an, die Handhabung der Masken zu demonstrieren, wobei sie durchgängig über das ganze Gesicht lächelte.
Als ob die wirklich glaubt, dass diese Sauberstoffmasken uns im Fall eines Absturzes retten können?!

"Entsprechend den internationalen Sicherheitsvorschriften zeigen wir Ihnen jetzt die Handhabung der Schwimmwesten: Ihre Schwimmweste befindet sich unter Ihrem Sitz. Im Falle einer Notwasserung ziehen Sie die Schwimmweste über den Kopf, schließen Sie den Verschluss vorne und ziehen Sie die Bänder straff. Blasen Sie die Schwimmweste erst nach dem Verlassen des Flugzeuges auf, indem Sie an den roten Knöpfen ziehen. Sollte es erforderlich sein, können Sie die Schwimmweste mit den Mundstücken aufblasen."

Na klar! Erst stürzt das Ding brennend in die Nordsee. Wenn ich bis dahin nicht vom Feuer, dem Aufprall oder der Kälte getötet worden bin, blase ich also in aller Ruhe meine Schwimmweste auf und warte auf Hilfe? Die spinnen wohl!
Dann griff Ron Weasley nach der Kotztüte und rannte zur Toilette.

***

Draco Malfoy warf den fünften Entwurf seiner Zollerklärung in den Papierkorb auf den Gang. "Die machen mich arm! Die reinste Abzocke hier. Ich hasse Deutschland!"
Hermine saß als Schulsprecherin unaffektiert neben Malfoy und füllte in Windeseile einige Kreuzworträtsel aus.
"Das liegt daran, dass du so viel mitgenommen hast, Draco. Man kann all die Sachen auch in Deutschland kaufen. Wir fliegen ja nicht nach Afrika oder sonst wo hin."
Draco konnte einem schon irgendwie Leid tun. Das ganze Schuljahr war die reinste Katastrophe. Immer wieder machte sich der Erbe des Malfoy-Vermögens zum Deppen und musste sich nun auch noch, gezwungenermaßen, immer wieder von dieser kleinen Besserwisserin korrigieren lassen!
Na ja, manchmal konnte sie aber auch richtig nett sein.

Draco schreckte auf. Hatte er gerade Granger und nett in einem Satz untergebracht? Das war kein gutes Zeichen. Wenn er nicht aufpasste, würde er wahrscheinlich auch noch zu so einem verweichlichten Gryffindor werden! Verdammte Granger!

Die Personalien, Zolleinfuhr und Visumsfragen in feinster Druckschrift anzugeben, schien für alle ein unüberwindbares Problem darzustellen, so dass die Berge von grünem und weißem Papier in den Mülleimern und auf dem Flur immer größer wurden.

"Bitte schnallen Sie sich nun an. Wir beginnen mit dem Start, sobald der Tower uns die Abfluggenehmigung erteilt. British Airways wünscht allen einen komfortablen Flug und eine gute Ankunft in Hamburg."

Draco schenkte der Ansage keine Beachtung. Alles nur Blablabla. Und als ob er sich um den Start Sorgen machen müsste. Er war ein Malfoy! Das Fliegen lag ihm im Blut. Außerdem war er Slytherin-Sucher! Warum denke ich überhaupt darüber nach?

Das Flugzeug rollte an, sein Körper wurde in den Sitz gepresst, seine Finger krallten sich instinktiv an den Armlehnen fest, der Druck auf den Ohren nahm zu und sein Magen wurde auf seltsame Weise nach unten verlagert.

Ja seltsam. Um nicht zu sagen komisch…beunruhigend. Nein, alles nur nicht das! Hatte er sich denn heute nicht schon genug blamiert? Reiß dich zusammen, Draco! … Geht nicht!

Urplötzlich rannte Draco Malfoy zum Klo, während Hermine und Harry sich wissend angrinsten. Dann: "WER IMMER DA DRIN IST, ÖFFNE DIE TÜR ODER STIRB!"
Der Rest des Fluges verlief, mal abgesehen von kleineren Turbulenzen, verursacht durch das linke Getriebe, mehr oder weniger ereignislos.


Kapitel 8

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