Sein und Schein

 

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Kapitel 14: Macbeth

 


Eine gewisse Nervosität hatte sich der älteren Jahrgänge in der Schule bemächtigt. Jetzt, Anfang Mai, begann der Hauptanteil für die ZAG-Prüfungen und für die Abschlussklasse das UTZ-Examen.
"Neville, kommst du endlich?" Harry stieß die Tür zu ihrem gemeinschaftlichen Schlafraum auf und entdeckte seinen Freund, auf dem Bett hockend und wie hypnotisiert auf ein Buch schauend.
"Neville?"
"Wettertrank: nimmt man davon einige Tropfen, kann man das Wetter vorhersagen. Hauptbestandteil Eberwurz, auch Karlskraut oder Mariendiestel genannt. Dazu vier Wacholderbeeren auf einen kleinen Kupferkessel. Alles aufkochen lassen und mit einem kleinen Alraunenblatt ergänzen. Der einzige tierische Bestandteil ist die Schuppe eines Goldhüpfers. Erst nach dem Aufkochen zerstampft dazugeben. Trank abfüllen, Kessel löschen, Feuer reinigen."
"Neville?" Harry ließ die Tür los und kam nun ganz in das Zimmer. "Komm endlich, sonst kommst du zu spät zur ZAG-Prüfung bei Snape." Er zog den Jungen am Arm. "Geht es dir gut?"
"Was?" Neville zwinkerte. "Ja, natürlich, es geht mir gut." Er griff nach seinem Umhang und zog ihn sich falsch herum über, dann nahm er die Tasche und stolperte hinaus in den Gang.
Im Aufenthaltsraum der Gryffindors sahen Ron und Hermine zur Treppe. "Was dauert denn da so lange?" fragte Ron. Er wirkte trotz seiner Sommersprossen blasser als sonst. Hermine stand neben ihm und war die Ruhe in Person. "Also mal ehrlich Jungs, so schlimm wird's bestimmt nicht werden."
Ron verzichtete auf einen Kommentar und nahm Neville den Umhang ab. "Du solltest wenigstens wissen, wie man einen Umhang anzieht", murmelte er voller Mitgefühl.
"Ein Spritzer Blutegelsaft mit Rattenmilz verquirlen, dazu kleingehackte Schnappraupe in einem Sud aus Lilienwurzeln aufkochen."
"Weiße Lilienwurzel!" korrigierte Hermine. "Kommt endlich, sonst habt ihr die Prüfung schon verpatzt, bevor ihr die Chance dazu hattet, sie zu bestehen."
"Weiße Lilienwurzel zerstampfen und in der kleingehackten Raupe aufkochen lassen", betete Neville die Zutaten herunter.
Harry und Hermine sahen zu Neville und dann zu Ron. Der schien den gleichen Gedanken zu haben. "Das schafft er nie."
Jetzt wurde Hermine energischer. Sie strich ihr langes Haar nach hinten, griff nach dem Arm ihres Freundes und zog Neville durch den Eingang hinaus. "Schluss damit. Er schafft das. Er muß nur fest an sich glauben. Nicht war, Neville?"
"Getrocknete Schlangenhaut abwiegen, zu Pulver zerstampfen und mit Krötenaugen in einem Silberkessel anrösten. Alles mit Flubberschleim andicken und in einem Kupferkessel mit Wasser mischen und drei Stunden bei grünem Feuer köcheln lassen."
"Blauem Feuer!" kam diesmal die Korrektur von Ron und Harry gleichzeitig. Sie gingen hinter den beiden und versuchten, Nevilles eigenartige Zutatensammlung für Zaubertränke zu ignorieren, bevor irgendetwas hängen blieb, was sie dann auch verwechseln würden.
"Ich falle durch, ich versage!" jammerte ihr Freund, als er sich der Tür zum Zaubertränkezimmer näherte. Wie versteinert blieb er stehen und rührte sich keinen Schritt weiter. Unsagbare Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Einige Slytherins, die vorbei kamen, grinsten hämisch und gaben blödsinnige Kommentare ab.
Draco Malfoy sah von seinem Platz aus hinaus auf den Gang. "Was denn, Longbottom, so weit hast du es heute schon geschafft?" Gehässiges Lachen war die Antwort anderer Slytherins. "Warum kehrst du nicht gleich wieder um und ersparst uns deine klägliche Visage und dir die kommende Katastrophe?"
"Er hat recht." Neville klammerte sich fest an seine Tasche. Er bekam nicht einmal mit, wie Trevor darin ängstlich zu quaken begann. "Ihr solltet reingehen, bevor Professor Snape kommt." Fast flehend schaute er Ron, Harry und Hermine an. "Bitte."
Widerstrebend griffen die drei Gryffindors nach ihren Mappen und betraten zögernd den Raum. Harry schloss hinter sich die Tür. Neville blieb allein auf dem breiten Gang zurück und starrte völlig verängstigt auf den Steinboden. Endlich ordneten sich in seinem Kopf seine panischen Gedanken. Er musste jetzt nur noch seine Füße dazu bringen sich zu bewegen. Erst Richtung Waschraum und dann zum Gryffindor-Turm. Oder besser gleich zu Direktor Dumbledore. Ob seine Großmutter ihm am Bahnhof abholen würde? Bestimmt wird sie sehr enttäuscht von ihm sein. Aber er hatte das alles nicht gewollt.

"Was haben Sie nicht gewollt?" Snapes kalte Stimme brachte Nevilles Gedanken wieder völlig durcheinander. Beinahe zitternd sah er auf und in die unergründlichen Augen seines Lehrers. Der Zaubertrankmeister trug einen Stapel Pergament in der Hand und einen Becher mit Schreibfedern. Hatte er den letzten Gedanken laut ausgesprochen?
Da Professor Snape keine Antwort erhielt, runzelte er ungeduldig die Stirn. "Hätten Sie die Freundlichkeit, Mister Longbottom, sich in die Prüfungsklasse zu begeben?"
Keine Reaktion.
Snape verdrehte genervt die Augen, packte den Jungen, der erschrocken aufquiekte, am Arm und zog ihn hinter sich her zur Tür. Mit der gewohnten Wucht stieß er sie auf und schubste Neville in den Raum.
Sowohl die Gesichter der Slytherins als auch die der Gryffindors betrachteten das seltsame Paar neugierig.
"Auf Ihren Platz, Mister Longbottom, aber schnell. Malfoy, verteilen Sie die Prüfungsfedern, Granger, Sie die Blätter mit den Aufgaben. "
Snape stellte sich hinter sein Pult und beobachtete die Szenerie. Er überprüfte die Sitzordnung. Eine Weile ruhte sein Blick auf Potter und Weasley. Vielleicht sollte er sie auseinandersetzen? Das war zwar nicht nötig, denn er schrieb in zwei Gruppen und abschreiben war mit den verzauberten Federn ohnehin nicht möglich, aber es würde das Dreamteam der Gryffindors demoralisieren. Ein diabolisches Grinsen zuckte kurz um seine Mundwinkel und seine Augen leuchteten auf.
"Potter, Sie setzen sich an die linke Außenseite und lassen einen Platz zu Ihrem nächsten Nachbarn frei. Longbottom, Sie kommen hier in die erste Reihe gleich neben meinem Pult. Und Miss Granger, Sie dürfen sich in die letzte Reihe setzen."
Die Gesichter der Gryffindors entschädigten Snape für eine ganze Reihe von unerträglichen Stunden mit diesen Schülern. Er zog seinen Zauberstab heraus und richtete sie auf ein Pergament auf seinem Platz und sprach die Verschlüsselungsformel Weisheit und Wissen. "Pro Sapientia et Scientia!" Augenblicklich erschien eine Sanduhr auf dem Pult und auf den bis dahin leeren Bögen der Schüler die Aufgabenstellungen und Fragen.
"Sie haben genau zwei Stunden Zeit für die Prüfung. Nicht ein Sandkörnchen mehr." Er deutete mit dem Zauberstab lässig auf das Stundenglas.
Neville starrte auf die Fragen und dann hilfesuchend um sich. Nichts. Jeder seiner Mitschüler war unendlich von ihm entfernt und hatte seinen Kopf über den Prüfungsbogen gebeugt. Aus seinem Kopf war derweil auch das letzte Wissen verschwunden und in seinem Magen tanzten unzählige Schnappraupen ein wildes Ballett. Dass er Snapes Blick auf sich spürte, machte es nur noch schlimmer. Wieso also legte er nicht die Feder hin, nahm sich seine Kröte und ging einfach seinen Koffer packen?
"Wollen Sie nicht langsam beginnen, Longbottom?" schnarrte der Zaubertranklehrer und tippte mahnend mit seinem Finger auf das noch immer unberührte Blatt.
Der Junge versuchte, seinen Blick fest auf die Fragen zu heften. Dabei drückte er die magische Feder in seiner Hand derart zusammen, dass sie plötzlich nachgab und knickte. Ein leises Wimmern war zu vernehmen und dann ein kurzes Schniefen. Snape zog die Augenbrauen zusammen. Ungeduldig riss er dem Gryffindor die zerdrückte Feder aus den Händen und knallte ihm eine neue auf den Tisch. "Ich kann nur hoffen, Longbottom, dass Sie Ihre Schachfiguren pfleglicher behandeln als meine Federn!"
Snape verschwand und Neville seufzte verstohlen. Er schaute seinem Lehrer irritiert hinterher, der lautlos durch die Reihen schritt und den einen oder anderen Blick auf die Arbeit der Schüler warf.
Obwohl noch immer verzweifelt und starr vor Angst, schien in seinem Unterbewusstsein etwas 'klick' gemacht zu haben. Das Vakuum in seinem Kopf wurde allmählich von Zutaten und Rezepten verdrängt. Ungeordnet freilich, aber immerhin war etwas von dem wieder da, was er so oft in sich hineingepaukt hatte. Etwas hoffnungsvoller gestimmt griff Neville nach der neuen Feder, tauchte sie in das Tintenfass und begann die ersten Zutaten aufzulisten.
Weit hinter ihm stand Severus Snape an die Wand gelehnt und überblickte die Klasse. Als er Longbottom schreiben sah, verzog er grimmig das Gesicht.

Das letzte Sandkörnchen rieselte durch die Uhr und mit dem umgekehrten Spruch "Pro Scientia et Sapientia!" hörten alle Federn auf zu schreiben. Die Schrift auf den Blättern verschwand.
Hier und da war ein enttäuschter oder verzweifelter Ruf zu hören, aber schließlich gab jeder der Schüler seine Prüfung ab. Longbottom war der Letzte, der mit zitternder Hand und hektisch gerötetem Gesicht den Bogen seinem Lehrer vorlegte.
Snape blickte von seinem Pult auf, als Longbottem noch immer wie festgewurzelt vor ihm stehen blieb und verlegen zu Boden sah.
"Was?" schnappte er unfreundlich.
"Professor Snape", Neville schien die Stimme zu versagen. Doch er wollte es tun. Dieses eine Mal wollte er nicht einfach gleich davonlaufen. Er war doch ein Gryffindor. "Ich wollte mich für Ihre Hilfe während der Prüfung bedanken."
"Mister Longbottom", ausdruckslose Augen starrten ihn an, "ich pflege niemandem während der Prüfungen zu helfen. Das bilden Sie sich ein!"
Nein, Neville wusste es besser. Snape hatte ihm mit dem Hinweis auf die Schachfiguren geholfen, wieder Ordnung in seinen Kopf zu bekommen.
"Trotzdem Danke!" Bevor der Zaubertrankmeister zu einer giftigen Erwiderung ansetzen konnte, floh Longbottom Hals über Kopf aus dem Klassenraum.
Snape stapelte die Prüfungsblätter und grinste zufrieden. Wieder einmal ein dummes Schaf vorm Ertrinken gerettet, zumindest bis zum nächsten Schuljahr.

***



Ein frühsommerliches Gewitter ging über Hogwarts nieder und die Luft war geschwängert vom Duft der frischen Erde. Der Regen prasselte an die hohen Fenster der Großen Halle, wo sich unter Fackeln die Gäste, Schüler und Lehrer des Hauses versammelten, um der Aufführung von Macbeth durch das Haus Gryffindor beizuwohnen. Donnergrollen und Blitze außerhalb des Schlosses waren beinahe die perfekte Einstimmung auf das düstere Stück um Tyrannenherrschaft und Machtgier, über Verrat und Widerstand.
Der Vorhang vor der Bühne war in dunklen Farben gehalten und deutete eine graue Landschaft mit kahlen Bergen und verkrüppelten Bäumen an.
Jüngere Schüler setzten sich ganz nahe bei den älteren nieder. Selbst die Gäste und Lehrer ließen sich von der bedrückenden Atmosphäre einfangen.
Die Familie Weasley, zumindest der Teil von ihnen, der nicht am Stück beteiligt war, saß gleich hinter der Reihe der Lehrer. Arthur Weasley stand am Rand neben den Zuschauerplätzen und unterhielt sich leise mit seinem ältesten Sohn, während Percy als ein Vertreter des Ministeriums bereits gewichtig auf seinem Stuhl aufrecht saß, als hätte er einen Besen verschluckt.
Der überlaute Ruf eines Käuzchens gemahnte die Zuschauer Platz zunehmen.
Die Reihen füllten sich. In der ersten die hochgestellten Gäste vom Ministerium, der Direktor und natürlich die Lehrer. Neben Flitwick blieb ein Stuhl leer. Hier hätte Madam Sprout sitzen sollen, aber der Hauslehrerin der Hufflepuffs ging es noch immer nicht so gut, weswegen sie weiterhin das Bett unter der strengen Aufsicht von Madam Pomfrey hütete. Sie wurde bei den Hufflepuffs von Madam Hooch vertreten, die neben Professor Snape Platz genommen hatte.
Der Zaubertrankmeister verhielt sich still und abweisend wie immer, die verschränkten Arme vor der Brust. Gedanklich schien er ganz woanders zu sein. Madam Hooch versuchte erst gar nicht, ein Gespräch anzufangen. Ihr fehlte Minerva McGonagall. Doch die war hinter der Bühne mit den Gryffindors beschäftigt.
Das Käuzchen schrie ein weiteres Mal und die Gespräche verstummten. Die Fackeln an den Wänden erloschen und erwartungsvolle Stille breitete sich in der Halle aus.
Auf Besen sitzend flogen drei als alte Hexen verkleidete Mädchen durch die Halle. Sie kamen vom Eingang und sausten kichernd und brabbelnd über die Köpfe der Zuschauer hinweg.

Erste Hexe / Natalie
Wann kommen wir drei uns wieder entgegen,
Im Blitz und Donner, oder im Regen?


Zweite Hexe / Helena
Wenn der Wirrwarr stille schweigt,
Wer der Sieger ist, sich zeigt.


Dritte Hexe / Bianca
Das ist, eh' der Tag sich neigt.

Erste Hexe / Natalie
Wo der Ort?

Zweite Hexe / Helena
Die Heide dort.

Dritte Hexe / Bianca
Da wird Macbeth sein. Fort, fort!

Alle drei
Unke ruft! - Geschwind -
Schön ist hässlich, hässlich schön:
Schwebt durch Dunst und Nebelhöhn!


Die drei Gryffindors zogen noch zwei wilde Kreise über die Zuschauer hinweg und sausten dann zur Bühne, um vor dem Vorhang zu landen, der sich öffnete. Die Mädchen verschwanden und Macbeth, der von einer wilden Schlacht sprach und den Sieg, den er für seinen König erfocht, trat auf. In den Weiten des Hochmoores trifft er auf die drei wunderlichen Hexen, die ihm Größe und Macht prophezeien.

Macbeth / Alexus
Will das Schicksal mich
Als König, nun, mag mich das Schicksal krönen,
Komme, was kommen mag;
Die Stund' und Zeit durchläuft den rauesten Tag.
Verbirg dich, Sternenlicht!
Schau meine schwarzen, tiefen Wünsche nicht!
Sieh, Auge, nicht die Hand; doch lass geschehen,
Was, wenn's geschah, das Auge scheut zu sehen.


Und so erlebten die Zuschauer den blutigen Aufstieg des Macbeth, der seine Feinde aus den Weg räumte und vor keiner grausamen Tat zurückschreckte. Immer düsterer wurde die Szene auf der Bühne und bedeutungsschwangere Zeichen erfüllten den Raum. Manch ein Raunen ging durch den Saal, weil allzu viel an den erinnerte, dessen Namen nicht genannt werden durfte.
Die Düsternis lichtete sich etwas, als Harry Potter als Macduff die Bühne betrat. Applaus brandete ihm entgegen, noch bevor er ein Wort hervorbringen konnte. Snape sah sich angewidert zu den Gryffindors um.

Macduff / Harry
Die Nacht war stürmisch; wo wir schliefen, heult' es
Den Schlot herab, und wie man sagt erscholl
Ein Wimmern in der Luft, ein Todesstöhnen,
Ein Prophezeien in fürchterlichem Laut,
Von wildem Brand und grässlichen Geschichten,
Neu ausgebrütet einer Zeit des Leidens.
Der dunkle Vogel schrie die ganze Nacht durch:
Man sagt, die Erde bebte fieberkrank.


Der Lehrer für Zaubertränke spürte die bedrohliche Atmosphäre, die von diesem Stück ausging, mehr als die anderen. Ihm war nicht entgangen, dass ältere Gäste verstohlene Blicke zu ihm warfen und sich dann schnell wieder von ihm abwandten. Unbewusst strich sich Snape über den linken Arm, das Gesicht verschlossener denn je.
Eine Unruhe erfasste ihn, die sich mit den feindseligen Blicken nicht erklären ließ. Es war wie eine unterschwellige Bedrohung, die sich näherte. Er hatte gelernt, auf seine Instinkte zu achten, wenn sie so deutlich spürbar wurden. Unauffällig tastete er mit der Hand nach seinem Zauberstab und versicherte sich, dass er griffbereit war.
Auf der Bühne ging derweil Macbeths blutiger Aufstieg weiter, indem er seinen Lehnsherrn und König meuchelte und sich selbst als Herrscher ausrief.
An dieser Stelle gab es eine Pause.
Die Gäste standen auf, waren betroffen über das düstere Stück. Einige der jüngeren Schüler zogen es vor, in ihre Häuser zurückzukehren. Die älteren standen in kleinen Gruppen herum und diskutierten über den schottischen König. Alles passierte sonderbar gedämpft.
Severus Snape trat an Dumbledore heran, der sich mit Arthur Weasley unterhielt und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Albus sah irritiert seinen Zaubertranklehrer an, nickte jedoch und wandte sich dann wieder Weasley zu. Snape verließ die Große Halle unbemerkt.
Nach der Pause stürmten erneut die drei wilden Hexen mit ihren Besen über die Häupter der Zuschauer hinweg zur Bühne. In einen großem Kessel begannen sie einen Zaubertrank zu brauen, mit dessen Hilfe sie eine Erscheinung beschworen, die dem Macbeth sein weiteres Schicksal prophezeite.

Erscheinung / Alicia
Macbeth! Macbeth! scheu den Macduff,
Scheu den Than von Fife.
Sei blutig, kühn und frech; lach allen Toren,
Dir schadet keiner, den ein Weib geboren:
Kein solcher kränkt Macbeth.


Macbeth / Alexus
Dann leb, Macduff; was brauch ich dich zu fürchten?
Doch mach ich doppelt sicher Sicherheit,
Und nehm ein Pfand vom Schicksal - du sollst sterben.


Erscheinung /Alicia
Sei löwenstark und stolz, nichts darfst du scheuen,
Wer tobt, wer knirscht, und ob Verräter dräuen:
Macbeth wird nie besiegt, bis eins hinan
Der große Birnams Wald zu Dunsinan
Feindlich emporsteigt.


Macbeth / Alexus
Das kann nimmer werden -
Wer wirbt den Wald? Heißt Bäume von der Erden
Die Wurzel lösen? Wie der Spruch entzückt!
Aufruhr ist tot, bis Birnams Waldung rückt
Bergan, und unser Macbeth hochgemut
Lebt bis ans Ziel der Tage, zahlt Tribut
Nur der Natur und Zeit.


Das Gewitter tobte noch immer über das Schloss, als würden die Elemente selbst ein Teil des düsteren Dramas sein. Unter der Leitung des edlen Macduff organisierte sich derweil erster Widerstand gegen den Tyrannen.

Malcom / Ron
Lass uns 'nen stillen Schatten suchen und
Durch Tränen unser Herz erleichtern.


Macduff / Harry
Lieber lass uns das Todesschwert ergreifen, wacker
Auferstehn für unser hingestürztes Recht,
An jedem Morgen heulen neue Witwen,
Und neue Waisen wimmern;
Blute, blute,
Du armes Vaterland!


Der Zaubertrankmeister streifte angespannt durch die verlassenen Gänge des Schlosses. Über ihm kreiste lautlos sein Rabe.
Immer wieder sah Snape an den Fenstern stehend hinauf in den tobenden Himmel. Die Unruhe in ihm wuchs und er fragte sich verzweifelt, was sie zu bedeuten hatte.
Schließlich trat er vor das Tor in den Regen. Auch hier lag alles dunkel und verlassen.
Sein Weg führte ihn an der Peitschenden Weide vorbei bis zum äußeren Tor des Schlosses. Nein, das war sicher verschlossen und mit zusätzlichen Schutzzaubern belegt.
Nach und nach prüfte er weitere Türen, die ungebetene Gäste benutzen könnten, und fand sie allesamt gut verwahrt.
Langsam ging er zum Schloss zurück. Vor der Tür hob er den Arm und rief nach dem Raben. Der Vogel, der über dem Hof seine Kreise in dem stürmischen Wind zog, ließ sich mit weit gefächerten Schwingen auf dem dargebotenen Platz nieder.
"Ka, mein gefiederter Freund, flieg um das Schloss und schau dich um. Irgendetwas Seltsames geht hier vor."
Der Rabe nickte mit dem Kopf, zupfte noch einmal an den langen Haaren von Severus und stieg wieder zum Himmel hinauf. "Beobachten!"
Snapes Robe war vom Regen durchnässt und schleifte nun schwer und feucht über den Steinboden. Wasser tropfte aus seinen Haaren, aber er bemerkte es nicht. Seine Aufmerksamkeit war auf etwas anderes gerichtet, etwas viel schlimmerem. Schwarze Magie lag in der Luft, er spürte es. Sie war sofort da, als er in die Eingangshalle zurückkehrte.
Voldemort hatte sich auffallend für die Theaterprojekte interessiert und sein erklärtes Ziel war noch immer, Harry Potter zu töten. Doch der stand auf der Bühne, von fähigen Zauberern und Hexen umgeben, die ihn schützen konnten, ganz zu schweigen von Dumbledore.
"Denk nach, Severus, denk nach!" ermahnte er sich.

Auf der Bühne hatte sich Macbeths Glück gewendet. Die verbliebenen treuen Untertanen flohen ängstlich vor ihm aus der Burg. Seine letzte blutige Tat war die Ermordung von Macduffs Familie.

Malcom / Ron
Dein Schloss ist überfallen; Weib und Kinder
Grausam gewürgt - die Art erzählen hieße
Das Trauerspiel von deines Hauses Fall
Mit deinem Tod beschließen.


Macduff / Harry
Meine Kinder? Mein Weib gemordet auch?

Malcom / Ron
Fasst Euch:
Lasst uns Arznei aus mächt'ger Rache mischen,
Um dieses Todesweh zu heilen.
Ertrag es wie ein Mann.


Macduff / Harry
Das will ich auch.
Doch güt'ger Himmel,
Führ diesen Teufel Schottlands mir entgegen.


Malcom / Ron
So klingt es männlich.
Jetzt kommt zum König; fertig steht das Heer.
Es mangelt nur noch, dass wir Abschied nehmen.
Macbeth ist reif zur Ernte, und dort oben
Bereiten ew'ge Mächte schon das Messer.
Fasst frischen Mut; so lang ist keine Nacht,
Dass endlich nicht der helle Morgen lacht.


Snape näherte sich mit gezogenem Zauberstab dem Gryffindor-Turm. Auf Trickstufen achtend stieg er die Treppen hinauf und stieß mit zwei jungen Schülerinnen zusammen, die ihn verstört anstarrten wie einen Geist. Erschrocken fuhren sie zusammen, fassten sich jedoch recht schnell und wollten sofort in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen.
"Halt!" befahl der Zaubertranklehrer.
Die Mädchen erschraken erneut, blieben aber gehorsam stehen.
"Was treibt ihr hier auf den dunklen Gängen?" wollte er wissen.
"Ach, Professor, Sie sind's!" seufzte erleichtert eines der beiden Kinder. Der Stein, der ihr vom Herzen fiel, hätte ein Erdbeben auslösen können. "Sie haben uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt." Sie versuchte ein zaghaftes Lächeln und zupfte dabei ihre Begleiterin an dem Arm. Sie stellte sich dicht neben sie.
"Ihr solltet in der Halle oder in Eurem Turm sein", knurrte Snape. Er hatte keine Zeit, für McGonagalls Schüler auch noch Kindermädchen zu spielen. Für was hielten die ihn? Für den Gute-Nacht-Geschichtenerzähler?
"Wir waren im Turm, aber die anderen dort haben uns zurück geschickt, wir sollen Professor McGonagall holen. Ihm geht es nicht gut."
Snape runzelte die Stirn. Er wurde aus dem verworrenen Bericht nicht schlau. "Wer ist 'ihm'?"

Im Halbdunkel der Großen Halle näherte sich das Drama seinem Höhepunkt und der unvermeidlichen Auseinandersetzung zwischen Macduff und Macbeth, die sich auf dem Schlachtfeld endlich gegenüberstanden.

Macduff / Harry
Zu mir! Du Höllenhund, zu mir!

Macbeth / Alexus
Von allen Menschen mied ich dich allein;
Du, mach dich nur zurück, mit Blut der Deinen
Ist meine Seele schon zu sehr beladen.


Macduff / Harry
Ich habe keine Worte, meine Stimme
Ist nur in meinem Schwert.


Macbeth / Alexus
Mein Leben ist gefeit, kann nicht erliegen
Einem vom Weib Geborenen.


Macduff / Harry
So verzweifle
An deiner Kunst; und sage dem Engel,
Dem du von je gedient, dass vor der Zeit
Macduff geschnitten ward aus Mutterleib.
Nun, so ergib dich Memme!
Und leb als Wunderschauspiel für die Welt,
Wir wollen dich als seltenes Ungeheuer
Im Bild auf Stangen führen, mit der Schrift:
Hier zeigt man den Tyrannen.


Macbeth / Alexus
Ich will mich nicht ergeben, um zu küssen
Den Boden vor des Knaben Malcom Fuß,
Gehetzt zu werden von des Pöbels Flüchen.
Ob Birnams Wald auch kam nach Dunsinan;
Ob meinen Gegner auch kein Weib gebar,
Doch wag ich noch das letzte: Vor die Brust
Werf ich den mächt'gen Schild; nun mag dich wahren,
Wer Halt! zuerst ruft, soll zur Hölle fahren!


Fasziniert beobachteten die Zuschauer den beginnenden Zweikampf, den die beiden Gegner miteinander ausfochten. Die Schläge wurden hart geführt. Doch was man anfangs dem Szenario zuschrieb, beunruhigte langsam die Besucher, die nahe genug an der Bühne saßen, um zu erkennen, dass Harry Schwierigkeiten hatte, die Hiebe abzuwehren. Macbeth schlug mit unverminderter Härte zu.
"Verdammt, Alexus, was machst du?" fragte Harry, einen weiteren Hieb ausweichend.
"Meinen Auftrag erfüllen!" schnaubte dieser. Eine ganze Reihe von Schlägen folgten. Das Schwert, eigentlich eine harmlose Imitation traf Harrys Arm. Im Publikum schrieen einige erschrocken auf. Harry sah ungläubig auf seinen Arm. Ein dünner Streifen Blut zeichnete sich sofort darauf ab und erst dann kam der brennende Schmerz hinzu.
Alle starrten zur Bühne hinauf, noch immer in Schrecken verhaftet.

"Halten Sie ihn auf!" Snapes Stimme drang durch die ganze Halle. Er stand an der Tür, in der einen Hand den Zauberstab, der zur Bühne wies, und mit dem anderen Arm einen noch immer benommenen Schüler stützend.
"Dieser Macbeth dort ist falsch." Eilig übergab der Zaubertrankmeister einigen Schülern ihren Kameraden und hastete an den Bänken entlang nach vorne, wo sich Harry und der Fremde noch immer einen Kampf lieferten.
"Stupor!" Ein roter Lichtstrahl zuckte zur Bühne und verfehlte knapp Macbeth. Snape fluchte. Er war noch zu weit weg. Die Ablenkung reichte jedoch, dass Harry sich auf dem Boden rollend aus der Reichweite des nächsten Hiebes bringen konnte.
Ein zweiter Fluch traf. Es war Dumbledore, der reagierte. Aber Macbeth blockte den Fluch ab. Er hatte das Schwert weggeworfen und nun gleichfalls einen Zauberstab in der Hand.
Der Tumult in der Halle war unbeschreiblich. Alle waren aufgesprungen. Einige drängten zum Ausgang, andere versuchten zu helfen und rannten sich gegenseitig um. Viele zogen nun gleichfalls ihre Zauberstäbe, hatten aber nicht die geringste Ahnung, was sie damit anfangen sollten, da der Weg zu dem falschen Macbeth immer wieder von anderen Zauberern versperrt war. Inzwischen wurde das Gedränge und das Chaos größer. Einige jüngere Schüler weinten, weil man sie einfach umriss. Vertrauensschüler versuchten Ordnung zu schaffen und vermehrten mit ihren widersprüchlichen Befehlen und Anweisungen das Durcheinander nur.
Albus Dumbledore und Severus Snape erreichten fast gleichzeitig die Bühne.
Macbeth stand über Harry gebeugt und die Spitze seines Zauberstabes wies auf dessen Brust.
"Ava .."
"Expelliarmus!" rief Snape.
Wieder ein roter Lichtstrahl. Diesmal traf er. Der Zauberstab fiel Macbeth aus der Hand und schleuderte ihn selbst von Harry fort. Dumbledore fing den Stab auf.
Macbeth, seiner Waffe beraubt, heulte wütend auf. Er streckte die Hand aus. "Accio mein Zauberstab!"
Der Stab gehorchte seinem Herren und entschlüpfte dem erstaunten Dumbledore aus der Hand. Im selben Augenblick benutzte Macbeth einen einfachen Lähmzauber, um Dumbledore einen Moment zu stoppen. "Impedimenta!"
Der Schuldirektor wehrte ihn mühelos ab.
Wieder heulte Macbeth auf. Er erkannte, dass er nichts mehr ausrichten konnte und suchte sein Heil in der Flucht.
Mit drohend erhobenem Zauberstab stürmte er hinter die Bühne und setzte dabei mit "Incendio!" die Dekoration und Vorhänge in Brand.
McGonagall, die nicht alles mitbekommen hatte, was vorne auf der Bühne geschah, versuchte die Schüler ihres Hauses aus dem Gefahrenbereich zu schaffen und löschte dabei so viele der Flammen, wie nur möglich mit einem entsprechenden Zauber.
Snape, Dumbledore aber auch Arthur Weasley und sein Sohn Bill folgten Macbeth hinter die Bühne. Zu spät dachte Snape an die hintere Tür, die er selber immer gern für unauffällige Abgänge benutzte. Sie führte über eine Wendeltreppe und einen schmalen Gang auf einen der Seitenkorridore. Von dort kam man auf einen der Hauptgänge der zu weiteren führte.
"Bill, kommen Sie!" riss er den ältesten der Weasley-Söhne mit sich. "Wir versuchen, ihm den Weg abzuschneiden."
War dieser Kerl erst mal aus dem Schloss, konnte er leicht einen anderen Fluchtweg benutzen. Apparieren war zwar nicht möglich, aber ein Besen tat es auch schon.
Sie eilten durch die Halle und bahnten sich einen Weg zwischen die aufgebrachten und zum Teil verängstigten Schüler. Bill sah den Wildhüter nahe der Tür, die hoffnungslos verstopft war. "Hagrid, mach Platz, wir müssen vorbei!" rief er dem Halbriesen immer wieder zu. Zum Glück erkannte Hagrid die Situation und schob mit seinen großen Händen sanft, aber bestimmt eine Gasse in das Gewirr, gerade breit genug, um die beiden Lehrer hindurchschlüpfen zu lassen.
Vor der Halle blieben sie stehen und sahen sich suchend um.
"Und nun?" wollte Bill wissen.
"Sie rechts, ich links!" Snape deutete mit dem Zauberstab in die beiden Richtungen. "In der Eingangshalle treffen wir uns wieder."
Verängstigte Kinder sahen den beiden Lehrern mit blassen Gesichtern nach.

Snape lief über die Treppen hinunter und blieb nur ab und an stehen, um nach weiteren verdächtigen Schritten zu lauschen. Doch das Prasseln des heftigen Regens überdeckte jegliche Geräusche. "Verflucht!" knurrte er wütend. Dann hetzte er weiter bis er die Eingangshalle fast zeitgleich mit Bill erreichte.
"Nichts!" schüttelte Bill seine langen roten Haare.
Natürlich war das Hauptportal verschlossen, wie es sein sollte. Unwahrscheinlich, dass der falsche Macbeth diesen Weg gewählt hatte, aber sie konnten vom Schlosshof aus besser erkennen, wo er herauskommen würde.
Snape richtete seinen Stab auf die Flügeltür, murmelte einen Gegenzauber der den Bann um das Tor löste und befahl anschließend, die Tür zu öffnen "Alohomora!" Das Schloss sprang auf und die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt. Bill riss sie ganz auf und lief in die Mitte des Rasens im Innenhof. Er versuchte, in der Dunkelheit und durch den dichten Regen etwas zu erkennen. Mit scharfem Auge musterte er jedes Fenster, jede Pforte und jede Seitentür, doch der falsche Macbeth blieb verschwunden.
"Und nun?" fragte er seinen Begleiter.
Die beiden Männer waren so schnell gelaufen, dass sie schwer atmeten. Snape beugte sich etwas vor und drückte die Handflächen gegen die Knien um tief Luft zu holen. Das dunkle Haar, noch von seinem ersten Streifzug nass, klebte ihm im Gesicht.
"Die Geheimgänge habe ich vorhin noch zusätzlich versiegelt. Die bekommt er nicht auf. Er wird auch kaum einen davon kennen. Es bleibt nur die Flucht über den Hof oder ..." Der Zaubertrankmeister hielt inne. Bill Weasley musste die gleiche Idee gehabt haben. Beide starrten hinauf in den Himmel. "... der Astroturm!" beendete Weasley den Satz.
In dem Moment sahen sie hoch über sich im leuchtendem Grün das Dunkle Mal erscheinen.
Ein Schatten hob vom Turm ab und ließ sich von Sturm und Regen davontreiben.
"Zum Muggel aber auch, ich Idiot!" fluchte Snape.
"Gehen wir!" meinte Bill resigniert und zog den Zaubertrankmeister am Arm mit ins Trockene. Er war nicht weniger enttäuscht als Snape. "Ich hoffe nur, Harry und dem anderen Jungen geht es gut."
Bevor sie die Tür erreichten, bemerkten sie auf dem Astroturm ein weiteres Licht und kurz darauf einen langgezogenen Schrei.
Etwas Helles stand an der Brüstung und sah auf den Innenhof hinab.
"Das ist Albus." Snape strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. "Er muß diesen falschen Macbeth noch erwischt haben."
Bill nickte. "Erstaunlich, wie er in seinem Alter so schnell den Turm hochgekommen ist."
Der Zaubertrankmeister schnaubte. "Fragen Sie ihn lieber nicht. Mehr als ein verschmitztes Lächeln wird er Ihnen nicht geben. - Ah, und wer kommt hier angeflogen?"
In der Dunkelheit tauchte ein schwarzer Vogel auf, der sich mit schweren nassen Federn auf der Schulter von Snape niederließ.
"Gefallen im See!" krächzte Ka aufgeregt. "Er liegt im See!"
Wohlig ließ der Rabe sich streicheln. "Im See! Im See!"

***



Hogwarts hatte sein Tagesthema nach den Ereignissen des vergangenen Abends. Harry sah sich wieder unzähligen Freundschafts- und Aufmunterungsbekundungen ausgesetzt. Hufflepuffs und Ravenclaws bemühten sich, zu vergewissern, dass es ihm gut ginge. Die Gryffindors waren nicht weniger bei der Sache und lediglich die Slytherins hielten sich diesbezüglich schon aus Prinzip zurück. Diesmal war Harry sogar dankbar für die Feindschaft zwischen den beiden Schulhäusern. So ging es das ganze Wochenende über.
Die Lehrer zeigten sich am Montag taktvoller. Sogar Snape schnarrte ihn im Unterricht nur zweimal an und zog ihm nur wenige Punkte ab. Freilich machte er die Differenz mit den anderen Gryffindors wieder wett.
Dann kam der Nachmittagsunterricht und mit ihm die ZAG-Prüfung bei Gilderoy Lockhart in Verteidigung gegen die Dunklen Künste. War Harry den ganzen Tag eher geistig abwesend, brachte ihn nun eine Panikattacke von Hermine endlich wieder auf den Boden der Realität zurück.
Ron schüttelte seine Freundin hilflos, damit sie endlich aufhörte sinnloses Zeug zu reden. In diesem Moment war die Ähnlichkeit mit Nevilles Verhalten vor der Zaubertrankprüfung frappierend.
"Ich kann das nicht, ich kann das nicht!" schniefte Hermine und ließ sich in einen der Sessel sinken.
"Es ist doch nur Lockhart!" versuchte Ron sie zu beruhigen. "Das kann doch keine Herausforderung für dich sein." Hilfesuchend sah er zu Harry. Der zuckte nur mit der Schulter. "Wenn Neville Zaubertränke überlebt hat, wirst du mit Lockhart spielend fertig."
Mit vereinten Kräften schafften Ron und Harry es, Hermine endlich zu überzeugen, wenigstens die Prüfung nicht zu schwänzen. Zusammen betraten sie als Letzte den Klassenraum, in dem Lockhart sie mit dem strahlendsten Lächeln begrüßte und sogleich jedem die neuste Ausgabe der Zeitung "Der moderne Zauberer" überreichte, auf der er das Titelbild zierte. Hermine bekam sogar eine Ausgabe mit einem Autogramm und einer Widmung von ihm.
Mit entsetzten Augen starrte sie auf das Bild und dann in Lockharts Gesicht. Bevor sie etwas sagen konnte, war der Lehrer bereits wieder zu seinem Pult getreten und schwatzte über das Interview in der Zeitung. "Sie finden das interessante Gespräch von mir auf Seite 34 gleich neben der Bestsellerliste für Bücher, wo mein neustes Werk 'Hoppen mit den Hobbeats' selbstredend auf Platz eins zu finden ist."
"Mir ist ganz schlecht", jammerte Hermine und drückte ihre Hand instinktiv auf den Mund.
"Schön gleichmäßig durchatmen, Hermine!" Ron versuchte sein Bestes, seine Nachbarin zu beruhigen. "Kotz' jetzt bloß nicht auf diese dämliche Ausgabe, sonst kriegt Lockhart einen Anfall."
"Mir doch egal!" nuschelte Hermine hinter der Hand.
In diesem Moment sah Lockhart zu seiner Lieblingsschülerin und missdeutete ihre Hand vor dem Mund völlig falsch. "Oh, Miss Granger, so verzückt? Also wenn Ihnen das Autogramm mit der Widmung so viel Freude macht, signiere ich Ihnen gern noch eine Ausgabe." Er zwinkerte kokett mit einem Auge und strich sich mit der Hand über sein goldgelocktes Haar
"Jetzt kotze ich doch!" entschied Hermine leise und begann zu würgen.
"Nein, nicht!" Harry fächerte ihr mit der Hochglanzausgabe der Zeitung Luft zu, wobei der Gilderoy Lockhart auf dem Titelblatt sich nur mit Mühe am Rand festhalten konnte, bevor er ähnlich blass um die Nase ausschaute wie Hermine. Würgend verschwand er aus dem Bild.
Inzwischen hatte sich Hermine wieder beruhigt und versuchte, Lockharts Kommentar zu überhören. "So geht es den meisten meiner Fans, immer einer Ohnmacht nahe."
"Der hat doch nicht alle Kessel im Regal", grummelte Harry. Er knallte die Zeitung auf den Tisch und achtete darauf, dass Lockharts Bild unten lag.
Derweil war der Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste endlich wieder bei seinem Unterricht angelangt. "Nun ist aber gut, Miss Granger. Halten Sie uns jetzt nicht mehr weiter auf. Sie wissen ja, dass wir heute die UTZ-Prüfung schreiben. Ich teile Ihnen die Frageblätter aus."
Neville, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, betrachtete ungläubig den Bogen mit den Prüfungsaufgaben. "Oh nein, ich hätte doch seine blöde Biographie lesen sollen", stöhnte er. Ron sah nicht weniger verdutzt auf die Fragen, die mit schöner schnörkliger Schrift aufs Pergament gebracht worden waren. "Ich halt 's nicht aus!" entfuhr es ihm.
Lockhart drehte sich erstaunt um "Nana, Mister Weasley, zugegeben, meine Errungenschaften sind zahllos, aber ich habe Ihnen doch nun wirklich die wichtigsten Episoden erzählt. Sie sollten sich daran erinnern können." Er schüttelte den Kopf. "So jung und schon so dösig!"

Für Hermine war der Tag gelaufen. Sie fühlte sich so unendlich elendig, dass sie auf jegliche Gesellschaft verzichten wollte. So begab sie sich müden Schrittes in ihren Mädchenschlafraum und war für den Rest der Welt an diesem Abend nicht mehr zu sprechen.
Ihren Freunden ging es etwas besser. Sie hatten während der ZAG-Prüfung munter bei den anderen abgeschrieben und so ziemlich jede Frage beantworten können.
"Von wegen dösig!" bemerkte Ron, als er mit Harry und Ginny zum Abendessen ging. "Zum Glück ist Lockhart noch dösiger. Hat uns keine verzauberten Federn gegeben und nicht mal darauf geachtet, was in der Klasse passiert, stierte die ganze Zeit nur auf dieses blöde Titelblatt."
"Hat er bei uns auch gemacht", bemerkte Ginny. Sie setzte sich den Zwillingen gegenüber. "Fred, hast du zufällig meinen kleinen Teppich gesehen?"
"Hätte ich das denn sollen?" kam auch gleich die Antwort zurück. Er und sein Bruder kicherten verstohlen und widmeten sich dabei einem Beutel, den sie unter dem Tisch versteckt hielten.
Ihre Schwester winkte ab. "Vergiss es. Und was immer ihr vorhabt, wartet, bis wir mit dem Essen fertig sind, ja?"
"Dann verpasst ihr ja das Beste!"
"Und was genau habt ihr beiden vor?" fragte nun Ron interessiert.
"Wir haben uns Glimmpulver besorgt!" erklärte George und kicherte in Erwartung des kleinen Streiches, den sie den Slytherins spielen wollten. "Sobald einer von ihnen an uns vorbeikommt, streuen wir etwas auf den Umhang und wenn das Pulver lang genug dem Licht ausgesetzt ist, beginnt es zu glimmen."
"Das ist doch gefährlich!" gab Neville zu bedenken.
"Ach was, ist doch kein richtiges Feuer. Es ist nicht mal heiß, sieht aber verdammt echt aus", ergänzte Fred die Ausführungen seines Bruders.
Neville verzog das Gesicht und stand auf. "Also, damit will ich nichts zu tun haben, Jungs."
Verwundert sahen die Zwillinge ihm nach. "Was hat er denn?"
Harry griff nach einem Krug mit Kürbissaft. "Ach, seiner Kröte geht es nicht so gut, nimmt ihn richtig mit. Snape hat sie wieder als Versuchsobjekt missbraucht."

***



Die Glocke beendete endlich den Nachmittagsunterricht in Hogwarts. Im Klassenraum für Verwandlungen saßen die Slytherins und Gryffinors noch immer über ihre Holzkästchen gebeugt, die sie in einen Taschenspiegel verwandeln sollten.
"Also gut, der Unterricht ist beendet", Professor McGonagall verwandelte die verzauberten Gegenstände in ihre Ursprungsform zurück. Die Fünftklässler räumten ihre Sachen zusammen und gingen.
"Miss Granger, Sie bleiben bitte noch einen Moment."
Ron und Harry sahen sich verwundert an und blieben gleichfalls stehen.
"Nur Miss Granger!" erhielten sie ungefragt Antwort. "Mister Weasley, Mister Potter, Sie beide können gehen."
Derart hinauskomplimentiert verließen die Jungen den Unterrichtsraum und fragten sich, was die alte McGonagall wohl von Hermine wollte.
Dieselbe Frage stellte sich auch Hermine und sah erwartungsvoll zu ihrer Hauslehrerin.
"Miss Granger", begann die Professorin auch sofort, "ich habe von Professor Lockhart eine sehr beunruhigende Mitteilung erhalten."
Hermine wurde blass.
"Er sagte mir, Sie würden als einzige Ihres Jahrgangs bei der ZAG-Prüfung in Verteidigung gegen die Dunklen Künste durchfallen? - Und er wäre sehr, sehr enttäuscht von Ihnen."
Ja, sie hatte es geahnt - nein, sie hatte es gewusst. Hermine ließ den Kopf hängen und schniefte ein wenig.
"Hermine, wie konnte das passieren?" fragte McGonagall voller Anteilnahme. "Sie sind doch eine der besten Schülerinnen und dann dieser Patzer?"
"Es ist wegen Professor Lockhart", murmelte Hermine kaum hörbar. "Er ist ein ..." Sie wollte nicht unhöflich sein und schwieg daher lieber.
"Hmpf! Wenn Sie glauben, dass reine Antipathie der ausschlaggebende Faktor für Ihre Leistungen sind, müsste bei Professor Snape wohl nahezu jeder Schüler außerhalb des Slytherinhauses durch Zaubertränke rasseln oder? Nein, mein Kind. So einfach wird es wohl kaum sein."
"Es tut mir leid, Sie enttäuscht zu haben", nuschelte Hermine nur.
"Professor Lockhart sagte mir, dass Sie sich am Prüfungstag nicht wohl fühlten. Ihnen war schlecht? Sie sahen zumindest sehr blass aus", baute McGonagall ihrer Schülerin eine goldene Brücke. "Ich meine, Sie haben nicht einen Federstrich auf dem Prüfungsblatt gemacht." Die Hauslehrerin zog das besagte Pergament hervor und zeigte es ihr. Natürlich konnte sie nicht sagen, dass sie bei derartigen Fragen selber wohl auch kein Wort geschrieben hätte. Bei Merlin, wenn Severus diese Fragen in seinem zweitliebsten Fach sieht, ist die Katastrophe unausweichlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer seiner eigenen Schüler ihm davon berichten würde.
"Gehen Sie, Miss Granger."

Was hätte Hermine auch sagen sollen. Sie verließ tief in Gedanken versunken das Klassenzimmer und wäre im Treppenhaus beinahe mit Hagrid zusammengestoßen, der nervös um sich schaute, als ob er etwas suchte.
"Oh, hallo Hermine!" Der Wildhüter blieb stehen. "Sag mal, hast du etwas ungewöhnliches gesehen?" fragte er vorsichtig.
Das Mädchen schüttelte den Kopf und ging Richtung Große Halle.
Hagrid sah ihr verwundert hinterher, besann sich aber auf sein eigenes kleines Problem.
"Was suchst du hier, Hagrid." Der Hausmeister war mit Mrs. Norris dem Halbriesen schon über zwei Flure gefolgt. Jetzt fand er es an der Zeit, dessen seltsames Verhalten auf den Grund zu gehen.
"Oh, na ja, ähm!" druckste Hagrid herum. "Ich hatte da ... also das ist so ... Ich meine ... ich wollte ..."
"Bei allen Elementen, was hast du nun schon wieder angestellt?"
Der Halbriese fasste sich ans Herz. "Dir ist nicht zufällig etwas süßes niedliches über den Weg gelaufen?"
"Süß und niedlich?" Filch nahm vorsichtshalber Mrs. Norris auf den Arm und bedachte Hagrid mit einem misstrauischem Blick.
"Muss es nicht heißen groß und gefährlich?"
Bevor sich Hagrid in Erklärungsnotstand befand, ertönte ein schriller lauter Schrei durch das ganze Schloss. Beinahe jeder, der sich gerade auf den Gängen aufhielt, blieb wie erstarrt stehen, während andere die Köpfe zur Tür hinausstreckten. Unruhe breitete sich aus, als weitere langgezogene Schreie ertönten.
"Oh!" langsam setzte sich Hagrid in Bewegung. "Ich glaube, ich weiß, wo ich hin muß."
Mit eiligen Schritten ließ der Halbriese den verdutzten Hausmeister stehen und war schon um die nächste Ecke verschwunden bevor Filch etwas sagen konnte.
Inzwischen klappten von überall Türen und einige Lehrer kamen angelaufen.
"Was ist passiert?" fragte Professor McGonagall besorgt. Filch zuckte mit den Schultern und zeigte in die Richtung, in der der Wildhüter gelaufen war. "Hat irgendwas mit Hagrid zu tun", grummelte er.
Die Lehrerin verzog das Gesicht und eilte diesem nach. Unterwegs traf sie auf Madam Hooch und Professor Snape.
"Die Schreie kamen aus den oberen Klassenräumen", gab Snape zu verstehen.
"Wer kann das gewesen sein?" wollte Madam Hooch wissen. Sie vergewisserte sich, dass sie nicht allein die Treppen hinaufeilte. Es erfolgten weitere Schreie, die dann plötzlich aufhörten.
"Ich könnte schwören, das ist Madam Preist gewesen." Minerva McGonagall sah besorgt die Treppe hinauf.
Kaum oben angekommen stoppte die Lehrerin für Verwandlungen und sah sich Hagrid gegenüber, der etwas in den Armen hielt. Etwas dunkles behaartes. Dieses Etwas zuckte und wand sich in dessen Umklammerung. Hagrid sprach beruhigend auf dieses Etwas ein. "Bist ganz erschreckt, nicht wahr mein Kleiner? - Oh, die Professoren."
"Was ist passiert Hagrid? Wer hat geschrieen?" fragte Madam Hooch noch ganz außer Atem.
"Falscher Alarm!" meinte dieser nur lächelnd. "Madam Preist hat sich ein wenig erschreckt, als der Kleine hier munter in ihr Klassenzimmer spazierte, um sich mal umzuschauen."
Professor McGonagall deutete mit blassem Gesicht auf das zapplige Etwas. "Hagrid, das ist eine riesige Spinne!" Ihre Stimme schien sich zu überschlagen.
"Nein, nein, der Kleine hier ist doch nur ein Baby. Aragog ist eine riesige Spinne. Oh Professor McGonagall, würden Sie mal nach Madam Preist sehen. Ich konnte sie nicht dazu bewegen, wieder vom Tisch zu steigen", plauderte der Wildhüter weiter, als ob es ganz normal wäre, dass schwarze Spinnen von der Größe einer Suppenterrine Lehrerinnen auf Tische jagte.
Die beiden Frauen ließen den Halbriesen stehen und drückten sich im respektvollem Abstand an ihm vorbei, um ihrer Kollegin zur Hilfe zu eilen.
Snape und Filch, der Mrs. Norris lieber in seinen schützenden Armen behielt, musterten den Mann mit der Spinne vor ihnen. Unter deren Blicken wurde Hagrid nervös. Dabei hatte er geglaubt, dass zumindest der Lehrer für Zaubertränke ihm ein wenig Verständnis entgegenbringen würde. Immerhin hatte er die Runespoore, da sollte Snape ihm ruhig diese Spinne gönnen.
"Was hat dieses Ding im Schloss zu suchen?" hörte er auch schon die anklagende Stimme des Tränkemeisters.
"Ach Professor, der Kleine hatte sich im Wald verlaufen und da habe ich ihn für die Nacht zu mir in die Hütte genommen. Aber als ich heute Nachmittag vom Unterricht zurückkam, war der Kleine ausgebüxt."
Filch schnaufte abwertend. "Oh Mann, Hagrid, du bist wirklich verrückt!" Damit machte er auf dem Absatz kehrt. "Kommen Sie, Mrs. Norris, wir überlassen diese Angelegenheit Professor Snape!" Grinsend sah er zurück zu Hagrid, der ängstlich sein neuestes Spielzeug streichelte und ganz zerknirscht zu Boden schaute.
"Und was soll nun mit diesem Ding werden?" fragte Snape.
"Ich dachte, ich bringe sie zur Hütte und päpple den kleinen Kerl noch ein wenig auf."
"Und?" kam es mit lauerndem Ton.
Mit wehmütigem Gesicht sah Hagrid die Spinne an, die sich scheinbar beruhigt hatte und lässig zwei ihrer acht Beine über seinen Arm baumeln ließ. "Bringe ihn dann in den Wald zurück?"
"Das wäre eine Möglichkeit", bemerkte Snape. "Die andere, dass dieses Ding eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan einer gewissen - wie haben Sie sie getauft - Aurora abgibt."
Hastig drückte der Halbriese die Spinne an sich. "Professor, Sie machen einen Scherz."
Der Lehrer für Zaubertränke setzte ein fieses Lächeln auf. "Wie kommen Sie darauf, Hagrid? Ich bin nicht gerade bekannt für meine Scherze!"
"Und wenn ich ihn gleich in den Wald schaffe?" Hoffnung glomm in den Augen des Halbriesen auf. "Der Kleine wird auch nie wieder das Schloss betreten."
Snape schien wirklich einen Moment nachzudenken, bevor er beiseite trat und Hagrid durchließ. "Verschwinden Sie mit diesem Ding."
Erleichtert nickte Hagrid. "Danke Professor, vielen, vielen Dank!"
"Und Hagrid!" rief Snape ihm nach. "Sorgen Sie dafür, dass unterwegs nicht noch mehr Leute auf irgendwelche Tische springen müssen!"
"Nein, ganz bestimmt nicht!" Hagrid verschwand in dem nächsten Gang.
Der Zaubertrankmeister sah ihm nach und verzog spöttisch den Mund. "Gwenda hat recht, ich bin zu nachgiebig geworden!" brummte er und begab sich zurück in seine Kerkerräume.
Wie mochte es ihr wohl im Moment gehen? Voldemort war bei der letzten Audienz nicht gerade zimperlich mit der Schönen umgegangen. Der Lord machte sie für das gescheiterte Attentat auf Potter verantwortlich. Die Idee, sich mit einem Doppelgänger in Hogwarts einzuschleichen, um den Jungen vor Dumbledores Augen zu erledigen, stammte schließlich von ihr.
Der Plan wäre perfekt gewesen, wenn der Todesser auf der Bühne nicht so kläglich versagt hätte. Der Kerl hätte Potter gleich erledigen sollen und nicht erst mit ihm spielen.
Der unvergleichliche Potter wäre tot und nicht einmal Dumbledore wäre in der Lage gewesen, es zu verhindern.
Es war ein diabolischer Plan, der nicht eines gewissen Witzes entbehrte. Doch Potter lebte und Gwenda pflegte zu Hause ihre Wunden.

***



Direktor Dumbledore stand am Fenster und betrachtete noch einmal das Pergament mit Lockharts Prüfungsfragen. Minerva McGonagall wartete geduldig, während sie an einem der Zitronenkekse knabberte und eine Tasse Kaffee genoss.
Endlich drehte sich Dumbledore zu seiner Stellvertreterin um. "Und alle Prüfungen sind von dieser Art?"
Minerva zuckte die Schultern.
"Offen gestanden hoffte ich, dass Lockhart aus seinen Fehlern gelernt hätte. War ein schrecklicher Irrtum von mir." Er legte das Pergament zurück auf den Tisch.
"Vielleicht hätten wir doch Severus das Fach geben sollen." Minerva stellte die Tasse ab und streifte sich einige Krümel von ihrem Gewand. "Ich meine, was hat Lockhart den Kindern schon beigebracht? Severus dagegen würde selbst bei verminderten Wochenstunden weiter gekommen sein."
"Nein, Minerva", war Dumbledores entschiedene Stimme zu hören. "Ich möchte nicht, dass er dieses Fach dauerhaft unterrichtet. Auf keinen Fall."
"Kommen Sie, Albus, indirekt tut unser Zaubertrankmeister das schon längst. Oder glauben Sie wirklich, dass der Duellierunterricht, den er für seine Slytherins gibt, nur harmlose Abwehr- und Entwaffnungszauber beinhaltet?"
"Es ist sein Haus!" gab der Direktor beschwichtigend zurück. Er setzte sich und griff nach einem köstlich ausschauenden Keks. "Ich werde mit Gilderoy sprechen und mit Severus. Wir können diese Prüfungen nicht so stehen lassen. Falls sich Gilderoy aber uneinsichtig zeigt, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als ihn zu bitten, uns zu verlassen."
"Diese Entscheidung hätten wir schon im letzten September treffen sollen." Minerva McGonagall stand auf. "Hoffentlich ist es nicht zu spät."
Professor Dumbledore sah seiner Stellvertreterin mit schief gehaltenem Kopf und einem sanften Lächeln nach.

In den tiefer gelegenen Räumlichkeiten des Schlosses standen sich Professor Lockhart und Professor Snape gegenüber. Der eine mit dem strahlendsten Lächeln der Welt, der andere mit einem preisverdächtigen säuerlichen Gesicht.
Der Zaubertrankmeister wedelte entrüstet vor den Augen seines Kollegen mit einem Pergament herum. "Können Sie mir vielleicht verraten, Kollege", und er betonte das Wort besonders abfällig, "was diese Fragen mit Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu tun haben könnten?"
"Halten Sie doch mal still, ich kann ja gar nicht erkennen, was da drauf steht." Lockhart versuchte, den Bogen zu fassen.
Wütend drückte ihm Snape die Liste in die Hand und verschanzte sich hinter seinem Arbeitstisch.
"Oh!" freute sich die Gestalt mit der auffallend hellen Kleidung, als er die Fragen erkannte. "Das sind ja meine Prüfungsthemen." Unbewusst warf sich Lockhart in Pose und strich mit der freien Hand über das goldgelockte Haar. "Ah ja, das hier ist eine meiner Lieblingsfragen. Welche Farbe hatte mein Umhang, als ich gegen die Todeshexe von Durham kämpfte."
"Wäre es nicht günstiger, zu erfahren, wie Sie die Hexe besiegten, als in welcher Kleidung?"
Snape Stimme tropfte nur so vor giftigem Sarkasmus. Eigentlich hatte er sich gesetzt, war aber sofort wieder aufgesprungen. Er stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab und beugte den Oberkörper vor.
"Seien Sie nicht so kleinlich, Kollege", entgegnete Lockhart. "Selbst in einem Kampf um Leben und Tod sollte jeder Zauberer auch auf sein Erscheinungsbild achten. Freilich", diesmal ein etwas abschätzender Seitenblick zu Snape, "scheinen Sie mir wenig empfänglich für solche feinen Nuancen zu sein."
"Ich möchte bezweifeln, dass der Dunkle Lord die gleiche edle Gesinnung hinsichtlich Modefragen besitzt wie Sie", schnappte der Zaubertrankmeister. "Wie wollen Sie denn Voldemort besiegen? Wollen Sie ihn mit einem Umhang in Ihrer Lieblingsfarbe erwürgen? Wollen Sie ihn mit Ihrem preisgekrönten Lächeln blenden oder ihn vor Neid auf Ihre Locken tot umfallen lassen?"
Die dunkle Gestalt hatte sich in Rage geredet. "Vielleicht wird es in Zukunft nicht mehr heißen; Harry Potter, der Junge, der überlebt hat, sondern; Harry Potter, der Junge, der gut gekleidet starb!", brüllte er außer sich.
"Also gut, Professor Snape, jetzt bin ich wirklich empört."
"In der Tat?" Der Meister der Zaubertränke richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und verschränkte die Arme herausfordernd vor der Brust. "Und? Soll mich das jetzt beeindrucken?" giftete er.

Albus Dumbledore, der sich auf die Suche nach Gilderoy Lockhart gemacht hatte, blieb auf dem Hauptflur stehen. Er drehte sich zu einem Seitengang um, aus dem er eine nur zu vertraute Stimme hörte. Wenn Severus richtig wütend wurde, war sein Geschrei noch etliche Gänge weiter zu vernehmen. Zwar verstand der Direktor nicht, was sein Lehrer für Zaubertränke brüllte, aber er hielt es für seine Pflicht, denjenigen zu retten, der sich einen solchen Zorn von Snape zugezogen hatte.
Er stieg die Treppe zu den Kerkern hinunter und scheuchte dabei einige Slytherins fort, die gut gelaunt auf dem Gang zu Snapes Büro standen und lauschten.
"Wer ist in Professor Snapes Büro?" fragte Dumbledore eines der Mädchen, das sich nun mit zufriedenem Grinsen gerade in entgegengesetzter Richtung absetzen wollte.
"Professor Lockhart!" kicherte sie und rannte davon.
Seufzend schüttelte der Direktor den Kopf. Er trat an die Tür und klopfte.
Keine Reaktion, also trat Dumbledore unaufgefordert ein.

"Versuchen Sie es, los, Lockhart!" Snape stand noch immer groß und drohend hinter dem Tisch. In seinen Augen blitzte es gefährlich. "Fordern Sie mich heraus. - Bitte!" setzte er zynisch hinzu. Aus einer Innentasche des Umhangs zog er den Zauberstab hervor.
"Ha, glauben Sie etwa, ich fürchte mich vor Ihnen?" kreischte Lockhart.
"Ach ja? Dann betrachten Sie das als eine Gnade, Sie Paradiesvogel. Na los, ziehen Sie schon."
Von den beiden Männern unbemerkt näher gekommen, erfasste der Direktor sofort die explosive Situation. Lockhart hatte nicht die geringste Chance gegen den Zaubertrankmeister.
"Das reicht, meine Herren!" schaltete er sich ein, bevor Snape in seiner Wut wirklich etwas unvernünftiges tat.
"Direktor!" Lockhart schaute erst verwundert und dann doch sehr erleichtert aus.
"Albus!" stutzte Snape.
"Sie sollten sich beide erst einmal beruhigen. - Severus, bitte zügeln Sie Ihr Temperament. Ich konnte Sie bis zum Turm hören. Und Sie, Professor Lockhart, sollten sich gleichfalls zurückhalten." Die Stimme von Albus Dumbledore ließ keinerlei Widerspruch zu.
Den beiden Männern blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen. Selbstgerecht ordnete Lockhart seine Frisur, während Snape sich in stummen und abweisenden Protest hüllte.
"Ich nehme an, Ihre Meinungsverschiedenheit begründet sich auf die Prüfungsfragen in Verteidigung gegen die Dunklen Künste?"
Snape schnaufte verächtlich, Lockhart lächelte glücklich.
"Gut, dann lassen Sie uns genau darüber reden."

***



Nachdem die Hälfte des Mai's völlig verregnet war, begann das Wetter sich endlich sommerlich zu entwickeln. Die meisten Schüler nutzten jede Gelegenheit, sich bei den angenehmen Temperaturen am See oder auf dem Quidditchfeld zu vergnügen. Etliche von ihnen hatten die meisten Jahresabschlussprüfungen bereits hinter sich. Doch kurz vor Ende des Monats gab es einen protestierenden Aufschrei unter ihnen. Der Schuldirektor teilte den Häusern beim Abendessen einige Neuigkeiten mit.
"Wie Sie bereits sehen konnten, ist der Stuhl von Professor Lockhart leer. Das liegt daran, dass der Professor heute Nachmittag abreisen musste. Aufgrund von anderweitigen Verpflichtungen war ich bedauerlicherweise gezwungen, Professor Gilderoy Lockhart kurzfristig von seinen schulischen Aufgaben zu entbinden."
Etliche Mädchen schrieen entsetzt auf und sahen sich mit Tränen in den Augen einigen weniger taktvollen Blicken ihrer Mitschüler ausgesetzt. "Professor Lockhart bekam eine BSE vom Ministerium", fuhr Dumbledore fort. "Wie Sie wissen, werden Besonders Schnelle Eulen nur in Ausnahmesituationen gesendet. Professor Lockharts Qualitäten und Fähigkeiten werden anderswo dringender gebraucht."
Im Gegensatz zu einigen weinenden Mädchen brauste bei den anderen Mitschülern spontaner Applaus auf.
Der Schuldirektor versuchte, die aufgebrachten Schüler - die todunglücklichen genauso wie die euphorischen - wieder zu beruhigen. Er gönnte ihnen aber diesen kleinen Ausbruch, denn nun kam er wieder auf das eigentliche Problem zurück.
"Durch die plötzliche Abreise unseres hochgeschätzten Kollegen blieben leider sämtliche Prüfungsarbeiten in Verteidigung gegen die Dunklen Künste unkorrigiert liegen. Es ist schwierig für uns, ja fast unmöglich, diese Arbeiten ohne Professor Lockharts Kenntnisse zu beurteilen." Minerva sah zu Albus auf und bemerkte sein verstohlenes Lächeln, dass er hinter seiner Brille zu verbergen suchte. "Aus diesem Grunde bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Prüfungen wiederholt werden müssen."
Damit war die Euphorie endgültig verflogen.
"Professor Snape und Mister Weasley haben sich bereiterklärt, sich die verbleibenden Stunden in Verteidigung gegen die Dunklen Künste zur Wiederholung zu teilen. Mister Weasley übernimmt die unteren Klassenstufen, Professor Snape die Klassen ab dem 5. Schuljahr. In zwei Wochen erfolgt die schriftliche Abschlussprüfung. Genauere Informationen zu den geänderten Stundenplänen finden Sie in Ihren jeweiligen Häusern an der Informationstafel."
Ron und Harry sahen sich wie vom Donner gerührt an. "Das ist nicht mehr lustig!" maulte Ron und sah sich schon als Opfer einer allumfassenden Verschwörung. "Und dann auch noch Snape! Seht euch doch die alte Krähe mal an. Für den wird es ein Freudenfest!"
Und wirklich saß der Zaubertrankmeister und nun auch noch Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste an seinem Platz und stellte ein äußerst befriedigtes Lächeln zur Schau.
"So zufrieden wie der jetzt ausschaut, möchte ich lieber Stammgast auf der Krankenstation sein", jammerte Ron weiter.
"Zufrieden? Für diese Miene gibt es noch keine Umschreibung!" mischte sich George ein. "Schau mal genau hin. Wenn du jetzt Snape mit einem besonders gefährlichen Werwolf zusammentun würdest, bekäme der arme Wolf eine Identitätskrise."
Neville neben Harry sitzend, war förmlich in sich zusammengeschrumpft. "Ich hab gehört, es gab einen ziemlichen Streit zwischen Professor Snape und Lockhart."
"Vielleicht hat er ja Lockhart einen mächtigen Fluch auf den Hals gehetzt?" spekulierte Fred. "Denn eins sage ich euch, kein normaler Zauberer würde je eine BSE zu einem Versager wie Lockhart schicken."
Alle Augen richteten sich auf Snape, der noch immer gefährlich zufrieden ausschaute.
Hermine war so ziemlich die einzige am Tisch, die von der neuen Situation unberührt blieb. Ihre Augen glänzten und dankbar sah sie zu Dumbledore hinüber, der sich nun angeregt mit Minerva McGonagall unterhielt.




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 Kapitel 15

 

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