Kapitel 26 - Gedanken
Erzählt von Thomas Andersson
Ich sass an dem kleinen Schreibtisch im Turmzimmer dieser verdammten Festung, in der ich seit meiner Entführung aus Hogsmeade gefangen gehalten wurde. Hell fiel der Schein des Mondes durch das grosse, gewölbte Fenster. Ausser dem Feuer, das in dem Kamin brannte und dem Raum eine trügerische Wärme verlieh, verbreitete nur eine Kerze auf dem Schreibtisch ein wenig Licht.
Müde liess ich den Kopf auf die Arme sinken. Ich war am Ende meiner Kräfte. Seit vier Tagen kümmerte ich mich um diesen Mann, den sie in der selben Nacht wie mich hergebracht hatten. Jedoch hatte ich sofort bemerkt, dass er hier kein Gefangener war. Wohl eher war er der Grund für meine Entführung. Seit meiner Zeit als Assistenz-Medizauberer hatte ich keinen Menschen wirklich behandelt. Vor beinahe zwanzig Jahren hatte ich mich gegen den Medizauberer-Beruf entschieden. Das war einfach nichts für mich. Das Leid der Patienten hatte mich zu sehr berührt, zu sehr belastet. Seit der Zeit führte ich lediglich die magische Apotheke in Hogsmeade. Zudem kümmerte ich mich um die älteren Zauberer und Hexen, die im Zaubereraltenheim lebten und kaum mehr über Magie verfügten. Dies war meine Lebensaufgabe geworden. Die alten Leutchen nannten mich noch immer „Doc“, auch wenn ich das nicht wirklich war. Wer konnte ahnen, dass mir dies einmal zum Verhängnis werden würde?
Langsam hob ich den Kopf und sah zum Bett hinüber. Wenigstens schlief mein Patient jetzt einigermaßen ruhig, was jedoch nur einem Trank zu verdanken war. Seine Fieberträume waren schrecklich gewesen.
Das verrückte an der Sache war, dass ich den Mann kannte, um den ich mich nun zu kümmern hatte. Severus Snape, Meister der Zaubertränke aus Hogwarts. Wie lange kannte ich ihn nun schon? Seit fünfzehn Jahren? Er kam regelmässig vorbei und besorgte sich Zutaten. Meist harmloses Zeug. Verbrauchsmaterial eben. Seit ein paar Jahren braute er ebenfalls den einen oder anderen Trank für mich, den ich selber nicht herstellen konnte. Ich schüttelte abermals ungläubig meinen Kopf. Severus Snape... tatsächlich ein verfluchter Todesser.
Klar, wer hatte nicht die Gerüchte darüber gehört, dass er ein Todesser gewesen sein sollte. Aber den Gedanken, dass Dumbledore einen ehemaligen oder sogar aktiven Todesser an seiner Schule unterrichten liess, hatte ich immer für absurd gehalten. Doch nun lag der Beweis in Fleisch und Blut hier in diesem Zimmer vor mir. Unverkennbar prangte das Dunkle Mal auf seiner Haut. Eingebrannt in seinen linken Unterarm. Mit eigenen Augen, hatte ich es gesehen.
Seit vollen vier Tagen versuchte ich für Severus zu tun, was in meiner Macht stand. Hin- und hergerissen zwischen meinen Gefühlen wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Zum einen war Severus mein Freund, zum anderen ein dreckiger Verräter. Er hatte in Askaban gesessen und war dort verhört worden. Nie zuvor hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie die Verhörmethoden des Ministeriums aussehen würden.
Nachdem ich aber nun mit eigenen Augen gesehen hatte, zu was das Ministerium fähig war, fragte ich mich nun doch, welche Seite grausamer war. Ich war immer ein Befürworter der ‚Guten Seite’ gewesen. Doch ich konnte kaum glauben, dass genau die Seite, zu der ich mich immer zugehörig fühlte, zu den selben Mitteln griff, wie die Todesser selbst. Klar, wer hatte nicht Cornelius Fudge’s flammende Rede an die Nation gehört, als der zweite Aufstieg des dunklen Lords bekannt geworden war? Er hatte Auszüge aus der ‚alten’ Rede von Barthemius Crouch verwendet und die Anwendung der Unverzeihlichen Flüche gegen die Todesser wieder frei gegeben. Bis jetzt hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, grossartig darüber nachzudenken.
Richtig bewusst wurde mir die Bedeutung seiner Worte erst hier in diesem kahlen, steinernen Zimmer, hoch oben im Nordturm von Lord Voldemorts Festung. Und das in dem Moment, in dem ich mich über einen Todesser beugte, von dem ich gedacht hatte, dass er mein Freund sei. Trotz meiner maßlosen Enttäuschung darüber, was Severus war, konnte ich ihn nicht einfach nur hassen. Wie hätte mich die Situation kalt lassen können?
Ich wusste nicht, was mich mehr schockierte: Die Tatsache, dass Severus ein Todesser war, oder das, was ihm das Ministerium angetan hatte.
Ein leises Stöhnen vom Bett her riss mich aus meinen Gedanken. Schnell erhob ich mich und eilte hinüber.
Unruhig wälzte sich Severus im Bett hin und her. Sein Atem ging schwer.
Prüfend legte ich meine Hand auf seine Stirn. Sie glühte noch immer. Das Fieber war unverändert hoch. Die schwere Lungenentzündung, die sich der Tränkemeister in Askaban eingefangen hatte, machte ihm erheblich zu schaffen. Ich griff nach dem Lappen, der in der Schüssel kalten Wassers lag und betupfte damit die glühend heisse Stirn meines Patienten.
Die hässliche Schwellung in seinem Gesicht war glücklicherweise etwas zurück gegangen und die gebrochene Schulter heilte gut. Doch noch war ich nicht zu optimistisch. Ich war ja nicht wirklich ein Medizauberer. Vielleicht hatte ich eine Verletzung übersehen? Ich wusste es nicht. Ich war mir nicht sicher.
Plötzlich schrie Snape auf. Seine Hände krallten sich in das Laken und er warf seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Eine steile Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. Fast augenblicklich begann er gequält nach Luft zu schnappen.
„Ganz ruhig, Sev“, flüsterte ich. Meine Tasche stand geöffnet neben dem Bett. Es war eine dieser ledernen Notfalltaschen, wie sie normalerweise Medizauberer benutzten. Mein Dad hatte sie mir geschenkt, als er noch dachte, dass ich in seine Fußstapfen treten würde. Noch immer sah ich sein enttäuschtes Gesicht vor mir, wenn ich an den Tag dachte, an dem ich endlich den Mut fand, ihm zu sagen, dass ich nicht ein Medizauberer werden wollte. Die Tasche hatte ich trotzdem behalten. All die Jahre hatte sie unter der Theke in meiner Apotheke gestanden. Ich wusste eigentlich nie genau, warum ich sie dort stehen hatte und noch weniger, warum ich sie immer mit den neuesten Tränken auffüllte. Bis heute....
Ich griff in die Tasche und brachte eine Flasche hellgrüner, durchsichtiger Flüssigkeit zum Vorschein. Damit tränkte ich den weichen Lappen, den ich ebenfalls aus der Tasche zog, und presste ihn einen Moment auf Severus’ Mund und Nase. Schon bald liess der Krampf nach und seine Atmung beruhigte sich wieder.
Nach ein paar Minuten schlug er zum ersten Mal die Augen auf.
„Hallo Professor“, sagte ich leise und setzte mich auf die Bettkante. „Wieder zurück unter den Lebenden?“
Erzählt von Severus Snape
Die Kälte, die mich umfangen hatte, wich langsam einer angenehmen Wärme. Ich schlug die Augen auf.
Jemand beugte sich über mich. Erst nahm ich das Gesicht nur verschwommen wahr, doch nach und nach klärte sich mein Blick.
„Thomas?“, krächzte ich ungläubig. „Du...“ Ich liess meinen Blick über die Wände schweifen und befühlte die Decke, unter der ich lag. ‚Ein warmes Bett...’ Dies war keinesfalls Askaban. „Wo bin ich?“ Meine Stimme hörte sich merkwürdig fremd an.
Ich wollte mich erheben, doch die Hand des Apothekers hielt mich zurück und der Schmerz, der augenblicklich meine Brust durchzog, liess mich aufstöhnen.
„Nur ruhig“, antwortete Thomas. „Du bist in Sicherheit, Severus.“
Seine Worte ergaben für mich keinen Sinn. Ich erinnerte mich nur daran, zuletzt in Askaban gewesen zu sein. Die kalte feuchte Zelle, das Quietschen der Ratten, die Dementoren... Bei der Erinnerung daran lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Dann blickte ich mich etwas genauer in dem Raum um. Ich war mir sicher, noch niemals zuvor hier gewesen zu sein. „Ein merkwürdiger Raum für eine Apotheke...“, brachte ich heiser hervor.
Thomas kühlte mir die Stirn mit einem feuchten Lappen. „Wir befinden uns nicht in meiner Apotheke, Severus. Auch sind wir nicht in Hogsmeade. Ehrlich gesagt, weiss ich nicht mal, ob wir uns überhaupt in England befinden.“
Jetzt erst fiel mir auf, wie unordentlich seine Kleidung war und wie zerzaust er aussah. Und plötzlich erinnerte ich mich daran, Lucius Malfoys Gesicht über mir gesehen zu haben.... in Askaban... Das Denken fiel mir ungewöhnlich schwer und meine Augen brannten. Ich hatte Fieber, ohne Zweifel. Lucius Malfoy musste mich also aus Askaban rausgeholt haben. Aber wie? Warum? Und wo zum Geier war ich nun? Dies hier konnte unmöglich Malfoy Manor sein. Dazu war der Raum zu karg, zu schlicht.
„Die Festung des dunklen Lords?“, fragte ich leise.
Ich erahnte Thomas’ Nicken mehr, als das ich es wahrnahm. Als ich noch etwas sagen wollte, legte er einen Finger auf meine Lippen.
„Schhhh, Severus. Sprich jetzt nicht weiter. Hier!“ Er reichte mir einen Becher mit roter Flüssigkeit. „Trink! Du brauchst dringend Ruhe. Wir unterhalten uns dann, wenn Ddu wieder wach bist, okay?“
Zögernd griff ich nach dem Becher und leerte ihn in einem Zug. Der süsslich-säuerliche Geschmack von Waldbeeren liess mich ein klein wenig schaudern. Doch gleich spürte ich, wie der Trank seine Wirkung entfaltete und langsam glitt ich wieder in den Schlaf zurück.
Zur gleichen Zeit in Hogwarts...
Erzählt von Remus Lupin
Tief durchatmend trat ich ins Freie. Die frische Nachtluft drang wohltuend in meine Lungen. Es war kühl und die ersten Schneeflocken tanzten durch die Luft. Der Mond stand bereits hoch über Hogwarts und erhellte das Gelände mit seinem silbernen Licht. Morgen Nacht würde es wieder soweit sein. Der Vollmond war nähergerückt und Severus war nicht da. Noch immer war der Wolfsbanntrank nicht konservierbar. Wohl oder übel würde ich mich vollständig verwandeln. Morgen würde ich mich, wie früher, durch den Gang unterhalb der Peitschenden Weide begeben, um in der Heulenden Hütte zu einem Monster zu werden, einer schrecklichen Laune der Natur. Doch diesmal würde ich allein sein. Kein James, kein Sirius und auch kein Peter.
Bei dem Gedanken an diesen verlogenen Mistkerl Pettigrew spie ich aus. Noch immer war dieser Verräter auf freiem Fuß. Nach Harrys Erzählungen zu schliessen, hatte sich der Kerl bei Voldemort verkrochen. Gewaltsam lenkte ich meine Gedanken in eine andere Richtung. Peter Pettigrew war es nicht wert, über ihn nachzudenken.
Gedankenverloren ging ich über die Ländereien von Hogwarts, vorbei an den Gewächshäusern und Hagrid’s Hütte. Obschon es schon spät war, brannte noch immer Licht im Inneren.
Da ich mich nach etwas Gesellschaft sehnte, entschied ich mich, bei Hagrid anzuklopfen. Der gutmütige Halbriese mochte Besuch und freute sich eigentlich immer, wenn jemand vorbeikam. Doch kaum hatte ich angeklopft, bereute ich meine Handlung auch schon wieder. Die Tür öffnete sich und Fang, Hagrids Saurüde, sprang in einem Satz heraus. Knurrend und zähnefletschend blieb er geduckt vor mir stehen, die Rückenhaare wild gesträubt. Das Tier spürte, dass meine Verwandlung kurz bevorstand. Der Raubtiergeruch, der von mir ausging, verriet mich. Morgen Nacht würde ich einmal mehr meine menschliche Form verlassen und die Gestalt des Wolfes annehmen, die ich so sehr hasste.
Fang machte sich zum Sprung bereit, gerade in dem Moment, in dem Hagrid aus der Hütte trat. „Was ist denn los, Fang?“, fragte der grosse Mann. Augenblicklich erfasste er die Situation und pfiff den Hund mitten im Sprung zurück. Ich selbst war wie gebannt stehen geblieben. Hätte Hagrid nicht geistesgegenwärtig eingegriffen, hätte Fang mich erwischt.
Hagrid griff hart in Fangs Halsband und sperrte den wie verrückt bellenden Hund in die Hütte. Verlegen wandte er sich dann an mich. „Tut mir leid, Professor Lupin. Weiss auch nicht, was mit dem Vieh los ist.“ Ein unmissverständliches Kratzen an der Tür drängte mich, von meinem Vorhaben abzusehen.
„Lass nur, Hagrid. Kein Problem. Ich geh dann besser, bevor er dir noch die Hütte zerlegt.“ Der Krach aus dem Innern liess keine Zweifel daran, dass Fang dies gerade in Angriff genommen hatte.
„Also, dann bis morgen, Professor“, gab Hagrid zurück und verschwand in seiner Hütte.
Hastig ging ich weiter. ‚Kein Problem?’, dachte ich verächtlich. Natürlich war’s ein Problem. Als aufgeschlossener Mensch, der ich nun mal war, sehnte ich mich nach Gesellschaft und gerade jetzt wurde ich ausgeschlossen, gemieden während der prekären Mondphasen. Dabei war mein Bedürfnis nach Gesellschaft nie so gross, wie einen Tag vor und einen Tag nach Vollmond.
Ich fühlte mich verloren, als ich langsam um den See herum ging. Dunkel und still lag er da. Ich setzte mich auf die Steinbank an seinem Ufer. Nur das leise Plätschern des Wassers war zu hören. Auf dem Kiesweg hatte ich eine Handvoll Steinchen aufgehoben und warf sie nun langsam, eins nach dem anderen ins Wasser. Jedes davon getränkt mit meinem Selbstmitleid und meiner Bitterkeit.
Auf einmal änderten meine Gedanken ihre Richtung. War ich nicht ein unverbesserlicher Egoist? Ich sass hier auf dieser Steinbank, als freier Mensch. gesund und von Menschen geliebt. Aber was war mit Severus? Sass er noch immer in Askaban? Klar, musste er wohl. Dummer Gedanke.
Ob sie Dementoren vor seiner Zelle postiert hatten? Schaudernd dachte ich an das Zusammentreffen mit den Dementoren hier in Hogwarts. Das hatte mir völlig ausgereicht. Niemals hätte ich diesen verachtungswürdigen Kreaturen hilflos ausgeliefert sein wollen. Ohne meinen Zauberstab, ohne meinen Patronus, der die Kälte und die Grausamkeiten, die diese Wesen den Menschen antaten, von mir abschirmte. Die Qual, die man dabei erleiden würde, konnte ich mir kaum ausmalen.
Dumbledore hatte vernommen, was mit Severus geschehen war. Doch noch war er zu schwach gewesen, um sich mit dem Ministerium in Verbindung zu setzen. Ich hoffte, dass es morgen klappen würde. Es musste einfach. Severus hatte es nicht verdient in Askaban zu sitzen und zu leiden. Ja, vielleicht sogar seinen Verstand zu verlieren. Welch Verlust für die Zaubererwelt. Eines der wohl grössten Genies, verrückt geworden in Askaban. Wer würde meinen Trank brauen? Wer würde sich damit auskennen?
„Verdammter Egoist, der du bist, Remus Lupin!“, fluchte ich vor mich hin. Schon wieder dachte ich nur an mein Wohl, an meine Zukunft. Dabei sollte ich mich doch um Severus sorgen. Um ihn als Mensch, nicht als Zauberer oder Tränkemeister. Verflucht, warum konnte ich ihn nicht wenigstens diese Nacht als Menschen sehen. Nur als normalen Menschen, ohne irgendwelche egoistischen Hintergedanken.
Erzählt von Muriel Stern
Obschon mich niemand öffentlich beschuldigt hatte, verfolgte mich doch das unbestimmte Gefühl, dass mir anklagende Blicke folgten, wenn ich durch die Grosse Halle ging. Niemand hatte mich offen auf die Sache mit Severus angesprochen, aber ich machte mir nichts vor. Sie wussten, was geschehen war, dass ich diejenige war, die Severus dem Ministerium ausgeliefert hatte. Hogwarts war wie eine grosse Familie, jeder wusste, was der andere tat.
McGonagall ging mir aus dem Weg. Ab und zu erhaschte ich ihren traurigen Blick, aber wenn sie den meinen spürte, wandte sie sich ab. Die anderen verhielten sich ähnlich. Ab und zu sah ich, wie zwei oder drei Lehrer irgendwo zusammenstanden und tuschelten. Sie sprachen über mich und das was ich getan hatte.
Der Einzige, mit dem ich eigentlich noch Kontakt hatte, war Remus.
Ich stand am Fenster in meinem Schlafzimmer und liess die aussergewöhnliche Aussicht auf den See, auf mich wirken. Leise knackten die Holzscheite im Kamin und ab und zu verpuffte eine Harzblase, wenn die Flammen sie erreichten.
Heute Abend hatte ich nach dem Abendessen eine Eule erhalten. Noch immer hielt ich das Pergament in den Händen. Mindestens zehn Mal hatte ich den Brief bis jetzt gelesen und noch immer ergab es für mich keinen Sinn. Wie sollte es das auch?
Eine Freundin von mir, die beim Ministerium im Innendienst arbeitete, hatte mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit diesen Brief geschickt. Wieder entrollte ich das teure Pergament und las:
Meine liebe Muriel,
eigentlich dürfte ich Dir dies nicht schreiben, aber ich denke, Du hast ein Recht darauf, es zu erfahren.
Die Sache passierte vor vier Tagen, mitten in der Nacht. Das Ministerium schweigt das Thema tot. Niemand von ausserhalb hat etwas davon erfahren. Aber da Du meine beste Freundin bist, habe ich das Gefühl, dass es meine Pflicht ist, Dich darüber zu informieren.
Severus Snape, der Todesser, den Du vor fünf Tagen erwischt hast, ist aus Askaban ausgebrochen. Wie und warum das geschehen konnte ist unklar. Niemand will etwas genaueres wissen.
Du solltest Dich in Zukunft in Acht nehmen. Wer weiss, ob er sich nicht rächen will.
Pass gut auf Dich auf, Kleine. Ich denke an Dich.
Alles Liebe,
Saskia
Ich liess den Brief sinken und rieb mir müde über das Gesicht. Man konnte nicht behaupten, dass ich in letzter Zeit gut schlief. Wohl kaum verwunderlich nach dieser verabscheuungswürdigen Tat.
Doch nun war es Severus scheinbar gelungen, zu fliehen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Zum einen war er den Folterknechten des Ministeriums entkommen, doch als ich vor vier Tagen bei ihm gewesen war, war er nicht mal in der Lage gewesen, sich gross selbständig zu bewegen. Wie um Himmelswillen sollte ihm da die Flucht aus diesem Hochsicherheitsgefängnis gelungen sein?
Leise Furcht beschlich mich. Was wäre, wenn er gar nicht geflohen war... Würde das Ministerium zugeben, einen Gefangenen beim Verhör getötet zu haben? Oder würden sie lieber eine Lügengeschichte verbreiten? Fudge war mir immer etwas suspekt gewesen, das Wahlergebnis im Grossen und Ganzen umstritten. Ich war mir noch immer nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, als das Parlament ihn zum Zaubereiminister gewählt hatte.
Als ich so nachdachte, kam mir noch ein anderer, schrecklicher Gedanke. Hatte Lord Voldemort seinen Schützling aus der Zelle geholt? Würde er soweit gehen, einen seiner Todesser aus dem Gefängnis zu holen? Und wenn ja, warum hatte er es zuvor niemals getan? Wie viel war ihm Severus wert?
Was sollte ich jetzt tun? Mit diesem Brief zu Dumbledore laufen? Remus fragen, was er davon hielt? Oder einfach abwarten?
Ich setzte mich auf das Fensterbrett und zog die Beine an meinen Körper. Leicht fröstelnd lehnte ich mich gegen die kalte Scheibe und blickte hinaus in die Nacht.
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