Schmerz der Verleugnung

 

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite


 

Kapitel 5: Der Stummtrank

 

Jedoch betrat kein Mr. Tatred den Raum. Die Slytherins kamen herein, gefolgt von den Gryffindors. Severus spürte deutlich aufkeimende Komplikationen, die durch den Raum wallten. Giftige Blicke huschten zu Potter und seiner Fangemeinde, doch er reagierte, wie schon so oft, nicht darauf. Selbst Severus musste zugeben, dass Potter nichts weiter, als ein Wrack war. Seine Augen leuchteten nicht mehr und schienen erschreckend leblos. Sein Mund hatte schon längst nicht mehr gelächelt – seit dem Tod von Black konnte man ihn auch nicht mehr provozieren.

Severus verdrängte diese Gedanken. Sie gehörten nicht in seinen Kopf. Vielmehr überlegte er, wo denn der letzte Schüler blieb und was für eine Strafarbeit er ihm aufbrummen konnte.

„Setzen!“, blaffte er die Schüler an, die noch standen. In weniger als zwei Sekunden saßen diese mit ehrfurchtsvollen Blicken auf ihren Plätzen und starrten wie immer ihr Heft an. Bis auf einige Slytherins und zwei gewisse Gryffindors, schien keiner es zu wagen ihm ins Gesicht zu blicken – sie könnten ja etwas ausgefressen haben.

Das kleine Gör hatte sich wieder auf ihren Stuhl gesetzt und sah recht gelangweilt aus. Das würde er schon noch ändern.

„Wo ist Mr. Solores, Mr. Malfoy?” Der Angesprochene zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Ich weiß nicht, Professor“, antwortete er übertrieben höflich. „Bei Verwandlung hab ich ihn noch gesehen... Ich denke, dass sich der Idiot ver...“ Weiter kam er nicht, denn Severus fuhr ihm dazwischen.

„Potter! Holen gehen!“, blaffte er ohne denjenigen anzusehen.

„Ich kenn den doch gar nicht!“, kam der Protest. Langsam drehte sich Severus zu ihm um und maß ihn mit einem stechenden Blick. Entschlossene smaragdgrüne Augen sahen ihm entgegen.

„Was haben Sie gesagt?“, fragte er gefährlich leise.

„Ich kenne ihn nicht“, antwortete Potter mit ebenso ruhiger Stimme. „Und ich bin, wie Sie sehen, kein Slytherin.“ Irrte sich Severus, oder blitzte in den grünen Augen gerade Schadenfreude auf?

„Zehn Punkte Abzug für Gryffindor, Potter“, zischte Severus. Potter verzog keine Miene, sagte aber auch nichts. Severus beugte sich näher zu ihm herab. „Unsere Berühmtheit braucht den Stoff nicht, den wir durchnehmen“, sagte er ruhig und mit einem hämische Lächeln. „Schließlich werden Sie heut Abend mit Solores nachsitzen.“ Seine Stimme wurde leiser. „Außerdem haben Sie entsprechende Werkzeuge, um diesen Idiot zu finden.“ Potter riss die Augen auf.

Severus lächelte zynisch, als Potter ohne ein Wort zu sagen, aber mit deutlich hasserfülltem Blick, aufstand und den Raum verließ. Das hämische Gelächter der Slytherins begleitete ihn nach draußen.

Severus wandte sich wieder dem Unterricht zu.

„In der letzten Stunde...“

***



„Verdammt!“, fluchte Solon, als er erneut in einer Sackgasse landete, wo ihn eine Mauer geradezu hämisch anblitzte. Er krempelte seine inzwischen zurechtgeschnittenen Ärmel hoch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Unterricht hatte schon längst begonnen und wenn er sich recht entsinnen konnte, müssten sie jetzt Zaubertränke bei 'Seiner Ähnlichkeit’ haben.

Solon trat erzürnt gegen die Mauer und wandte sich wieder um. Warum hatte diese McGonagall auch unbedingt mit ihm reden wollen? Nur, weil er, bevor sie ihnen auch nur erklärt hatte, wie es denn ginge, seinen Ast sofort in eine Schreibfeder verwandelt und die ganze Zeit gelangweilt dagesessen hatte? „Sie verunsichern ja Ihre Mitschüler!“, hatte sie gesagt. Solon verdrehte die Augen. Seine Feder war schwarz gewesen – eigentlich sollte sie typisch weiß aussehen – und das hatte diese McGonagall ebenfalls gestört.

Er verdrängte die ‚alte Ziege’, wie er sie nun nannte, aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf den Weg. Er befand sich bestimmt nicht mehr in den Kerkern, denn um ihn herum waren Holzwände. Nein – er war in einem der verwirrenden Geheimgänge gelandet.

Vor sich hin fluchend setzte Solon seinen Weg fort und beachtete nicht die Bilder, die tuschelten und auf ihn deuteten. Der Boden knarrte unter seinem Gewicht und eine schrille Stimme hallte durch die Wände hindurch. Solon hielt kurz inne. Dann erkannte er sie: McGonagall missfiel schon wieder etwas. In Gedanken zählte er sie schon zu den Lehrern, die er überhaupt nicht ausstehen konnte.

Etwas schneller lief er weiter; der Boden knarrte lauter. Wenn er noch weiter vor sich hin trödelte, würde er das Klassenzimmer nie finden. Doch kurz vor dem Wandbehang, der in die befreienden Gänge führte, hielt er wieder inne. Schritte... Jemand lief dort draußen herum.

Er hatte sich gerade entschlossen denjenigen nach dem Weg zu fragen, als der Wandbehang energisch zur Seite gerissen wurde und ein schlaksiger Junge mit wirren schwarzen Haaren und einem wütenden Blick in den Geheimgang stürmte. Solon sah gerade noch, wie er ein Stück Pergament in seinem Umhang verschwinden ließ und ihn dann mit zornigen smaragdgrünen Augen musterte.

„Was ist?“, fragte Solon, der es hasste betrachtet zu werden. Er kam jedoch nicht umhin seine Augen über den Jungen wandern zu lassen. Sie blieben an der Narbe hängen. Er sagte jedoch nichts dazu.

„Snape schickt mich!“, antwortete der Junge, Harry Potter, wie Solon erkannt hatte, mit zitternder Stimme. Er versuchte anscheinend seine Wut zu unterdrücken. „Ich soll dich ins Klassenzimmer bringen!“ Er wandte sich wieder ab und schlüpfte durch den Wandbehang.

Obwohl Solon die Art von Harry nicht gefiel, folgte er ihm trotzdem.

„Wieso hat der keinen Slytherin geschickt?“, fragte Solon den voraneilenden Jungen.

„Weil er mich hasst“, antwortete dieser tonlos.

„Ach, dich auch?“

Harry hielt kurz inne und wandte sich zu ihm um. Nun sah er verwirrt aus. „Aber du siehst ihm doch... ich meine...“

„Gerade deswegen hasst er mich ja“, antwortete Solon ruhig. „Weil ich ihm ähnlich sehe.“ Harry nickte und schritt wieder voran. Solon spürte deutlich, dass der Junge gerade seine Meinung ihm gegenüber geändert hatte.

„Ich heiße übrigens Harry Potter“, bestätigte der Gryffindor seine Vermutungen. Solon unterdrückte ein ‚Ich weiß’ und antwortete: „Solon Solores.“

Der Rest des Weges verlief ereignislos. Sie lauschten nur ihren widerhallenden Schritten und den gelegentlichen Schreien aus den Klassenzimmern. Kurz vor der Kerkertür, die zu Snapes Klassenzimmer führte, sagte Harry: „Er will dir eine Strafarbeit aufbrummen.“ Solon hob die Brauen.

„Ach, will er das? Nur, weil ich mich verlaufen habe?“

„Du scheinst ihn wirklich nicht zu kennen“, sagte Harry, bevor er die Tür aufstieß.

Die Schüler sahen von ihren Kesseln auf und starrten die Beiden an. Die Gryffindorhälfte verglich ihn schon wieder mit Snape, auf dessen Gesicht sich ein selbstzufriedenes Lächeln gebildet hatte.

„Zehn Punkte Abzug für Slytherin“, zischte er, was alle Schüler sichtlich verwirrte. Er starrte Solon direkt in die Augen. Dieser erwiderte den Blick angriffslustig. „Nach der Stunde kommen Sie und Potter zu mir! Und nun setzen Sie sich! Und Potter? Fünf Punkte Abzug für Gryffindor, weil sie so lange gebraucht haben.“ Solon sah, wie Harry die Hände zu Fäusten ballte und Snape den hasserfülltesten Blick zuwarf, den er je gesehen hatte.
Er kämpfte dagegen an nichts zu sagen. Tausende Flüche gegen seinen Zaubertranklehrer spukten in seinem Kopf herum, erreichten aber zum Glück nicht seinen Mund. Mit grimmiger Miene ließ er sich auf den einzigen freien Platz neben Blaise Zabini fallen.

Blaise sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an, wie er es schon zum Frühstück getan hatte. Solon hatte ihn für sympathisch gehalten, doch nun...

„Hab ich was an der Nase?“, zischte er ihm bösartig zu. Blaise wandte sofort seinen Blick ab.

„Ich muss dann mit dir reden“, murmelte er nur, bevor er ihm ohne Kommentar die Zutaten zum Zerkleinern rüberschob. Solon starrte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, ignorierte ihn dann aber und studierte kurz die Tafel. Silenttrunk... Na toll. Was wollten sie mit einem Getränk, das ihnen das Sprechen versagte? Bei seinem Blick auf die Tafel entdeckte er auch das kleine Mädchen, welches auf einem Stuhl saß und ihn die ganze Zeit anlächelte. Terra... Was hatte die denn hier zu suchen? Solon sah sie fragend an, doch er erhielt nur ein strahlendes Lächeln als Antwort.

Solon wandte sich kopfschüttelnd von ihr ab und begann die Zutaten zu zerkleinern. Er wollte gar nicht wissen, was Terra geritten hatte bei diesem Tyrannen in den Unterricht zu gehen.

Am Ende der Stunde war Solon einer Explosion nahe. Snape hatte es fertig gebracht und war ständig zu Blaise’ Kessel gehuscht, den er ja mit Solon teilte. Mit sichtlicher Genugtuung ließ er sich an Solons Fehlern aus, der nicht gerade gut in Zaubertränke war, da er sich nie sonderlich dafür interessiert hatte. Es verletzte ihn jedoch, dass er aus Snapes Stimme deutlich heraushören konnte, dass dieser ihn darauf aufmerksam machte, wie wenig sie sich doch ähnelten und sie unmöglich Verwandte sein konnten.

Als er dann auch noch aufgefordert wurde den Trank zu testen, den er mit Blaise fabriziert hatte und dieser ganz bestimmt nicht die vorgesehene Farbe angenommen hatte, beschloss er in Gedanken, dass er etwas unternehmen würde. Er wollte die Sache Snape aus der Welt schaffen!

Nun stand er vor seinen Mitschülern, die ihn alle anstarrten und verwunderte Blicke zwischen ihm und der bissigen Fledermaus hin und her wandern ließen. Solon brauchte nicht ihre Gedanken lesen, um zu wissen, dass sie sich fragten, warum Solon behandelt wurde wie ein Gryffindor – nur noch schlimmer. Wo er doch Snape *so ähnlich* war.

„Trinken Sie!“, befahl Snape schroff. Solon warf ihn einen giftigen Blick zu, wusste aber nichts, was er ihm entgegen setzen konnte.

„Du darfst ihn nicht vergiften, Professor Onkel!“, ertönte plötzlich die Stimme von Terra. Fast jeder verzog seinen Mund und versuchte angestrengt nicht loszulachen. Solon lächelte nur hämisch und zwinkerte seiner Schwester zu, die jedoch nicht verstand, warum. Das erledigte Snape für sie.

„PROFESSOR *SNAPE*!“, brüllte er die Kleine an, worauf sie eine Schnute zog. Solon kannte dieses Verhalten. Sie bockte...

„Du bist doch der Vater von Solon – dann kann ich dich Onkel nennen!“, sagte sie trotzig. Die Mundwinkel von Solon und Snape klappten gleichzeitig herunter und genauso zeitgleich kamen ihre Worte über die Lippen: „ICH BIN NICHT SEIN VATER!“ „DER IST NICHT MEIN VATER!“ Die Klasse sah die Beiden geschockt an. Sie hatten gerade das ausgesprochen, was ihnen die ganze Zeit im Kopf herumspukte.

Snape erholte sich anscheinend ziemlich schnell von dem Schreck, dass sie schon wieder etwas gemeinsam hatten, schritt auf das bockende Mädchen zu und packte sie kurzerhand am Kragen.

„Du sprichst mich nie wieder mit ‚Du’ an“, zischte er der nun deutlich verängstigten Terra zu. „Und wenn ich noch einmal das Wort Onkel aus deinem Mund höre, dann kannst du schneller Hogwarts verlassen, als dir lieb ist!“ Terras Lippen zitterten. Er hatte sie erwischt. An Hogwarts hing sie sehr und sie würde nichts tun, was die Lehrer dazu veranlassen könnte sie rauszuschmeißen. Sie nickte nur brav und schluckte die Tränen herunter.

Snape drückte sie grob auf den Stuhl und wandte sich dann wieder an die erstarrte Klasse, die noch immer die Beiden musterten.

„Trinken Sie!“, befahl er erneut, jedoch ohne ihn anzusehen. Solon kämpfte die aufkommenden Zweifel danieder. Snapes erzürnter Ausbruch hatte ihm deutlich gemacht, dass dieser sich auch Gedanken über ihn machte.

Solon schüttelte den Kopf. Er musste sich ablenken. Er schloss die Augen und schluckte das Zeug mit einem Zug, um den Becher gleich darauf fallen zu lassen. Es schmeckte widerlich. Ein heftiges Brennen meldete sich in seinem Hals und breitete sich schnell über den ganzen Körper aus. Er verzog kurz das Gesicht, ließ sich aber sonst nichts anmerken.

„Nun erzählen Sie mir doch einmal, warum Sie zu spät gekommen sind“, ertönte die ölige Stimme Snapes hinter seinem Rücken. Trotz dem widerlichen Geschmack in seinem Mund, öffnete er ihn, um Snape mit einer patzigen Antwort zu kontern. Doch über seine Lippen kam kein einziges Wort. Der Trank hatte trotz allem seine Wirkung getan.

„Sehr schön“, flüsterte Snape. „Und da Sie einiges falsch gemacht haben, werden Sie zwei Stunden mehr als sonst nichts mehr sagen können!“ Solon widerstand dem Drang seinen Zauberstab zu packen und ein Schild mit der Aufschrift ‚Das werden Sie bereuen!’ herbei zu zaubern. Sein Gesicht färbte sich zornrot und keiner wagte es über seinen Zustand zu lachen.
Mit energischen Schritten ging er wieder zu seinem Platz zurück. Er spürte deutlich die Blicke aller in seinem Rücken, doch er konnte sich nicht beschweren. Es war so demütigend!

„Ach, und Solores?“ Solon reagierte gar nicht drauf, während die Slytherins anfingen zu tuscheln. Snape behandelte die Slytherins eigentlich mit Respekt. „Fünf Punkte Abzug für Slytherin!“ Ein Glas zersplitterte. Solon hatte zu fest zugedrückt. Eine grüne schleimige Masse tropfte seine blutige Hand herunter und sein Körper zitterte vor Zorn. Er atmete tief ein und aus und fixierte Snape mit einem tödlichen Blick. Die Slytherins verstummten sofort und wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Einerseits waren sie sauer auf Solon, weil dieser ihnen soviel Punktabzug einbrachte. Andererseits... mit ihm konnte man nicht gut Kirschen essen.

Snape reagierte nicht darauf und ordnete zwei Rollen Pergament Hausaufgaben über die Wirkungsweise des Silenttrunks an. Dann entließ er die Schüler.

Blaise war so umsichtig Solons Schülervorrat ebenfalls wegzuräumen, denn der rührte sich nicht vom Fleck. Er saß noch immer da, die Hand zu Faust geballt und Blut tropfte inzwischen auf den Tisch herab. Blaise verabschiedete sich mit einem knappen „Bis dann“ und ließ ihn mit Harry und Snape allein.

„Wollt ihr dahinten auf noch mehr Punktabzug warten, oder warum bewegt ihr euch nicht nach vorn?“ Solon sah auf. Harry hockte ebenfalls auf seinem Platz und packte gemächlich seine Vorräte zusammen. Seine Freunde waren schon längst verschwunden. Er erhob sich und lief langsam nach vorne. In Snapes Gesicht zuckte es. Er stand wieder kurz vor einem Wutausbruch.

Solon schüttelte die Scherben ab und begab sich, ohne die tiefe Wunde an seiner Hand zu beachten, zu Snapes Schreibtisch.

„Wenn ihr so weiter macht, werdet ihr die Abschlussprüfungen bestimmt nicht überleben“, zischte Snape mit zusammengekniffenen Augen. Keiner antwortete. Solon konnte nicht, Harry wollte nicht. Er sah gleichgültig aus, während sein Leidensgenosse immer noch mit der Fassung rang und seine Hand von seinem Zauberstab fernhalten musste. „Heut Abend um acht in meinem Büro“, fuhr Snape fort. „Und lasst die Zauberstäbe in euren Schlafsälen!“ Solon konnte deutlich die gehässige Vorfreude aus der Stimme heraushören. Er musste seine Hände in Zaume halten, die darauf aus waren sich um Snapes dünnen Hals zu schließen. Einen Moment herrschte Stille. Man hörte nur das Klappern der Reagenzgläser, die Terra abwusch. Ein Punkt, über den Solon mit Salena diskutieren wollte. Snape verdonnerte Terra zu Kinderarbeit!

„Verschwindet!“, zischte dieser letztendlich. Die Beiden gehorchten aufs Wort.

„Er ist ein Ekel!“, verkündete Harry, als sie sich ein wenig von Snapes Klassenzimmer entfernt hatten. Solon nickte nur. „Du solltest in den Krankenflügel gehen. Ohne deine Stimme kannst du doch keinen Unterricht mitmachen.“ Harry hatte Recht. Er konnte ja nicht einmal mehr Zaubersprüche aussprechen, wie ihm jetzt einfiel. Aber er wusste überhaupt nicht, wo sich der Krankenflügel befand.

„Ich bring dich hin“, sagte Harry, der sein Gesicht richtig interpretiert hatte. Solon war dankbar, dass Harry ihn führte. Er gab sich Mühe sich die vielen Gänge und Abzweigungen zu merken. Als er jedoch vor dem Krankenflügel stand, wusste er, dass es nichts gebracht hatte.

Harry öffnete ohne anzuklopfen die Tür und trat ein.

„Ah, mein Stammkunde“, hörte Solon eine Stimme von drinnen.

„Nein“, antwortete Harry. „Mir geht es gut. Nur Solon hier nicht. Er musste einen missglückten Silenttrunk schlucken und kann nun nicht mehr sprechen. Sn... Professor Snape hat ihm kein Gegenmittel gegeben.“ Madam Pomfrey setzte schon zur Schimpfattacke gegen Snape an, als Solon den Raum betrat. Sie hielt mit geöffnetem Mund inne und betrachtete ihn kurz. Dann wurde ihr Blick mitleidig.

„Das haben wir gleich“, murmelte sie sichtlich verwirrt. „Setzen Sie sich... ich hole das Gegenmittel.“ Die Frau verschwand im Nebenraum. Ein Geräusch von aufeinanderklirrenden Gläsern sagte ihm, dass sie gerade ihr gesamtes Medizinarsenal durchwühlte. Er ließ sich auf einem der Betten nieder und beobachtete mit gerunzelter Stirn die Tür. Snapes Worte gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. ‚Er ist nicht mein Sohn!’ Er hatte es mit soviel Wut ausgesprochen, dass es schon fast weh tat. Er musste etwas tun.

„Snape hat noch nie einen Slytherin vor der ganzen Klasse heruntergemacht“, meldete sich Harry zu Wort. Solon zuckte zusammen und blickte zur Tür. Harry war ja noch immer da. Er lehnte lässig am Rahmen und musterte ihn aufmerksam. Solon wollte schnauben, aber nicht einmal das brachte er zustande. Deswegen hob er nur eine Braue.

„Eigentlich bevorzugt er sie immer“, fuhr Harry fort. „Und ehrlich gesagt habe ich noch nie gehört, wie er einem Slytherin Punkte abgezogen hatte.“ Solon zuckte mit den Schultern und starrte wieder die Tür an, hinter der Madam Pomfrey verschwunden war. Es klirrte noch immer. Hoffentlich fand sie auch etwas.

Zu seiner Erleichterung sagte Harry nichts mehr. Doch ging er auch nicht. Er blieb an seinem Platz stehen und sah nach draußen. In seiner Brille spiegelte sich der strahlend blaue Himmel wieder, doch seine Augen erreichte es nicht. Diese Augen erinnerten ihn an Salena. Solon wollte fragen, ob er denn keine Freunde habe oder ob er denn nicht zum Unterricht müsse, doch die Worte kamen einfach nicht nach oben. Jedes Mal, wenn er zu sprechen versuchte, machte sich sein Hals schmerzhaft bemerkbar. So ließ er es sein und beobachtete weiterhin die Tür, hinter der das Klirren endlich verstummte.

Madam Pomfrey kam mit einer weißen verstaubten Flasche wieder heraus. Schon beim Anblick der Flasche verzog Solon das Gesicht.

„Nun schauen Sie nicht so“, sagte Madam Pomfrey mit anklagender Stimme. „Sie wollen doch wieder reden! Oder wollen Sie lieber abwarten, bis der Trank nachlässt? Es kann passieren, dass dies starke Nebenwirkungen mit sich bringt! Am Ende können Sie gar nicht...“ Solon schüttelte energisch mit dem Kopf. Er wollte erst gar nicht wissen, was passierte, wenn er nichts dagegen tat. Die Folgen würden ihn noch wütender auf Snape machen.

Mit angewidertem Gesicht nahm er die Flasche entgegen.

„Trinken Sie vorsichtig“, mahnte die Krankenschwester. „Ihr Körper muss sich erst daran gewöhnen.“ Solon nahm einen kleinen Schluck. Es war wie Eis. Als würde eine gewaltige Gletscherhand in seinen Hals greifen und dort alles packen, was nicht da hin gehörte. Es riss das Brennen in seinem Hals wie eine Lawine mit sich und wanderte in seinen Magen.

Solon schluckte den letzten Tropfen und stieß dann heftig Luft aus. Er fühlte sich, als ob er gerade einen Eiswürfel verschluckt hatte.

„Uärgh“, brachte er kratzig hervor. Madam Pomfrey lächelte.

„Na sehen Sie“, sagte sie und nahm ihm die Flasche ab. „So schlampig haben Sie doch nicht gearbeitet – sonst hätte der Trank nicht funktioniert.“ Solon wurde noch weißer, als er überhaupt schon war. „Ich muss mal ein ernstes Wörtchen mit Ihrem Vater reden!“ Madam Pomfrey klang sehr erzürnt. Solon erwiderte nichts auf ‚Vater’.

Mit Harry zusammen verließ er den Krankenflügel. Madam Pomfrey hatte ihm noch mit einem empörten Laut die Hand geheilt und ihm gesagt, dass er sich nächstes Mal vorsehen solle. Solon hatte kaum drauf reagiert.

Harry sagte ihm, dass sie nun zusammen Unterricht hätten und musterte dann Solon wieder.

„Du hast nichts gesagt“, stellte er fest. Solon sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ich konnte nicht reden“, antwortete er mit immer noch kratziger aber resignierender Stimme. Harry jedoch lächelte.

„Ich meine, als Madam Pomfrey gesagt hatte, dass sie mal mit deinem Vater reden müsse.“ Solon ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.

„Ich konnte noch nicht richtig reden und war es Leid mich über dieser Verwechslung zu beschweren“, log er kühl. Doch Harry gehörte nicht zu denen, die sich von ihm einschüchtern ließen – wenn er sich nicht einmal von Snape einschüchtern ließ...

„Natürlich“, antwortete er ironisch. Zum Glück kamen sie beim Zaubertrankklassenzimmer an, denn das ersparte ihm die Antwort.

„Na Solores, haben wir unser überhebliches Stimmchen verloren?“, keifte Pansy Parkinson, als sie den Raum betraten. Solon lächelte ihr entgegen, was all ihre Häme aus dem Gesicht weichen ließ.

„Danke der Nachfrage, Pansy. Mir geht es Prima.“ Pansy klappte der Mund auf. Er beachtete sie nicht weiter und ließ sich auf einen freien Platz fallen, den er hinter Harry und seinem rothaarigen Freund fand. Dieser stritt sich gerade mit Draco, der ihn nur von oben herab ansah und mit arroganten Sprüchen konterte. Aus diesem Streitgespräch hörte Solon heraus, dass der Rothaarige Ronald Weasley hieß und auch gleichzeitig das sogenannte Wiesel war. Daher also der Spitzname. Ronald wandte sich an Harry, der sich demonstrativ aus dem Streitgespräch raushielt.

„Warum hilfst du eigentlich dieser Slytherin-Snape-Schlange?“, fragte er. Solon hob die Brauen. Anscheinend hatte der temperamentvolle Junge noch gar nicht mitbekommen, dass er hinter ihnen saß.

Harry stöhnte auf. „Hast du schon einmal mitbekommen, dass er nicht wie Snape ist und von diesem gehasst wird, Ron?“

„Er ist ein Slytherin“, konterte Ronald oder auch Ron.

„Müsste ich dich dann also auch hassen, weil du ein Gryffindor bist?“ Solons ironische Stimme wehte zu den beiden Gryffindors. Ron wirbelte herum und starrte ihn mit offenem Munde an. Solon beugte sich nach vorne.

„Ich halte nichts von diesen Rivalitäten zwischen den Häusern“, sagte er leise zischend. „Ich mag es nicht, wenn Slytherins auf alle Häuser pfeifen und ich mag es nicht, wenn alle Häuser auf uns pfeifen.“ Solons Augen funkelten gefährlich auf, sodass Ron keinen Ton hervorbrachte. Er wandte sich wieder ab und starrte stumm nach vorne.

Ron sagte die ganze Stunde nichts mehr. Nicht einmal mehr an Harry wandte er sich, obwohl er sichtlich mit dem ‚Duftzauber’ zu kämpfen hatte. Sie sollten den Raum mit angenehmem Veilchenduft erfüllen, doch bei einigen kamen Dämpfe aus dem Zauberstab, die nicht im entferntesten einem Veilchen ähnelten.

Solon, der ganz hinten saß, lehnte mit samt dem Stuhl an der Wand. Ein lilafarbener Wind zog um ihn herum, ließ ihn Veilchenduft einatmen und schirmte ihn gleichzeitig von Rons knoblauchspeiendem Zauberstab ab.

Der kleine Flitwick kam mit einer Klammer auf der Knollennase nach hinten getrippelt und erklärte ihm, wild mit den kleinen Ärmchen gestikulierend, wie er den Zauber anwenden sollte. Solon lachte leise bei dem Anblick des kleinen Zauberers. Mit der Klammer auf der Nase sah er richtig komisch aus.

Am Ende der Stunde schaffte letztendlich auch Ron es, doch der Geruch des Knoblauchs haftete noch an seiner Kleidung, was die Slytherins dazu veranlasste, sich neue Namen für ihn auszudenken.

„Was haben die gegen ihn?“, fragte Solon Blaise, als er dem schreienden Jungen hinterher sah, der von Harry und einem Mädchen mit buschigen Haar den Gang entlangbugsiert wurde. Die Slytherins lachten hämisch. Blaise zuckte mit den Schultern.

„Er regt sich immer so schön auf“, sagte er, doch er lächelte nicht. Erst jetzt merkte Solon, dass Blaise nicht zu der ‚Lästerbande’ gehörte. „Früher ist Potter meist das Opfer gewesen. Aber Potter...“

„Reagiert nicht mehr drauf“, antwortete Draco für ihn. „Der Junge ist wenigstens intelligent – aber das Wiesel...“

„Und das höre ich aus dem Munde eines Malfoys“, höhnte Solon nun mit einem hämischen Lächeln.

„Halt die Klappe, Solores“, keifte dieser zurück. Er ballte seine Hand zu einer Faust. „Beleidige nie eine Familie, die du nicht kennst.“ Solon hob eine Braue.

„Nun, leider kenn ich die Malfoys“, antwortete er schulterzuckend. „Ich bin ehrlich: Deinen Vater mag ich nicht besonders! Er ist ein arrogantes Arschloch! Ob du auch so bist?“ Das Gesicht von Draco färbte sich zornrot. Die beiden Schränke tauchten an seiner Seite auf.

„Sollen wir ihn für dich verprügeln?“, fragte Goyle. Milicent und Pansy, die Milicent von Solons ‚Missetat’ erzählt hatte, stimmten sofort zu und bleckten mit den Zähnen. ‚Oh Gott, ich bin in einem Haus voller Affen gelandet’, schoss es Solon durch den Kopf.

„Nein, verdammt noch mal!“, rief Draco. „Wenn, dann regle ich das! Mitternacht! Hinter den Gewächshäusern! Allein!“ Solon lächelte wieder.

„Wüsste nicht, mit wem ich da auftauchen sollte“, antwortete er locker. „Aber ich werde da sein.“ Er wandte sich um und ließ einen zornigen Draco zurück.

Blaise folgte ihm.

„Du wolltest mit mir reden?“, fragte Solon ohne ihn anzusehen. Nun war Mittagspause und sie hatten noch eine Menge Zeit bis zum Unterricht. Blaise bejahte das und deutete auf eine Tür.

„Gehen wir da rein – da ist jetzt keiner drin.“

So, wie das Zimmer aussah, war dort schon seit Jahren niemand drin gewesen. Überall lag der Staub dick auf den Tischen und Stühlen und durch die Fenster drangen nur vereinzelte Sonnenstrahlen, da eine dicke Staubschicht sie am Durchkommen hinderte.

Blaise schloss die Tür, versah sie mit einem Verschlusszauber und gleichzeitig mit einem Zauber, der verhinderte, dass jemand mithörte. Solon runzelte die Stirn.

„Was soll das?“, fragte er eine Spur schärfer als beabsichtig.

„Keine Panik – ich will dir nichts antun.“ Solon lächelte wieder zynisch.

„Das würdest du auch nicht schaffen.“ Blaise antwortete nicht darauf, sondern sah nun selbst hinterhältig aus. Solon war sofort alarmiert.

„Kommen wir gleich zur Sache, Tatred.“ Das Gesicht von Solon färbte sich unnatürlich weiß.


 

Kapitel 4

 

Zurück