Kapitel 10: Dornenkrone
"Du warst immer so stolz." Voldemort schlug Severus den Hut vom Kopf. "Aber vielleicht bist du es ja noch immer. Wolltest nie Schwäche zeigen, hast immer Selbstbeherrschung bewiesen wenn ich dich gefoltert habe, und dir keine Schmerzen anmerken lassen. Ich nehme an, genau das tust du auch jetzt gerade."
Severus antwortete nicht. Er hielt sich an den Worten fest, die ihm Vater Nikolski einst gesagt hatte:
Satan verdammt nur. Vergiss das nie, mein Kind. Höre nicht auf seinen Hohn.
Dann schlug ihm Voldemort mit einer solchen Wucht in den Magen, dass Severus sich krümmte und nach Luft schnappend zu Boden sank.
Der Dunkle Lord würde ihn töten.
Severus betete, bat Gott um mehr Zeit. Er konnte noch nicht sterben, nicht jetzt, wo er eben erst begonnen hatte, seinen Weg zu ändern. Nicht wenn er, der verlorene Sohn, gerade erst an Bord gegangen war auf dem Schiff nach Hause.
"Ah, Severus, dich so zu meinen Füßen zu sehen ... Wie in alten Tagen."
Tränen schwammen in Severus´ Augen.
"Aber ich werde sentimental." Voldemort schnippte mit den Fingern, und ein Sessel erschien hinter ihm. Er setzte sich und strich sich über das Kinn. "Ich glaube, ich brauche ein wenig Unterhaltung."
Erneut schnippte er mit den Fingern. Ein Metalleimer erschien neben Severus´ gesenktem Kopf, und dieser starrte auf seinen Inhalt: ein großer Hammer, Nägel und zusammengerollte Seile.
Severus Eingeweide erstarrten zu Eis.
"Viel origineller als nur eine weitere langweilige Salve von Crucios, findest du nicht auch?" sagte Voldemort. "Bis vor kurzem hatte ich keine Ahnung davon, wie einfallsreich Muggel sein können. Diese veralteten Texte, in die du dich so ehrfürchtig vergraben hast, waren ziemlich inspirierend."
Er winkte Malfoy, der sich an seine Seite stellte.
"Lucius, erzähl uns, wozu das Kreuzigen führt."
"Mit Vergnügen, mein Lord. Die Römer sahen es als eine so erniedrigende Form der Hinrichtung an, dass sie ihre eigenen Bürger davon verschonten. Der Muggel-Historiker Josephus nannte es `den erbärmlichsten Tod´. Die zum Tod durch Kreuzigung Verurteilten wurden ausgezogen, dann trieb man Eisennägel in ihre Handgelenke und durch ihre Sohlen hinab. Sie starben für gewöhnlich nach Stunden oder Tagen voll quälender Schmerzen, zu schwach, um sich zum Atmen aufrichten zu können."
"Ah, ja. Ich werde nie müde, es zu hören."
Severus hob den Kopf und sah seinen ehemaligen Meister an, ein Monstrum mit kaum mehr menschlichen Zügen. Dann betrachtete er seinen ehemaligen Freund, einen bösartigen Mörder, den alle fürchteten, eingeschlossen sein eigener Sohn ... Und er grämte sich ihretwegen.
"Tom, Lucius", sagte er. "Tut das nicht."
Einen Moment lang waren Voldemort und Malfoy sprachlos; dann erschien ein furchtbares Lächeln auf den Lippen des Dunklen Lords, und er sagte: "Genug der Theorie, Lucius. Ich brenne darauf, die praktische Umsetzung davon zu sehen."
Malfoy schritt auf Severus zu und sagte: "Steh auf, du armseliger Schuft."
Severus tat wie ihm geheißen.
"Ich habe ein besonderes Geschenk für dich", höhnte Malfoy, und einer der Todesser brachte ihm eine hölzerne Kiste. Malfoy öffnete sie; sie enthielt eine Krone aus Stacheldraht. "Eine moderne Note wäre angebracht, dachte ich."
Severus schloss die Augen.
Oh Herr mein Gott, ich bin dessen nicht würdig.
Malfoy nahm vorsichtig die Krone aus der Kiste, um sich nicht an den Stacheln zu verletzen. "Du solltest dich geschmeichelt fühlen, Severus, dass ich mir deinetwegen solche Umstände gemacht habe", schnarrte er. "Gleich wirst du aussehen wie dein Gott."
Als Malfoy sie auf Severus´ Kopf hinuntdrückte und die Stacheln in seine Stirn und Kopfhaut stießen, konnte der Zaubertrankmeister ein Wimmern nicht unterdrücken; Bäche von Blut rannen über sein bleiches Gesicht.
"Sehr gut, Lucius. Ich mag den Effekt. Schön", lobte der Dunkle Lord.
"Ich war sicher, dass es Euch gefallen würde, Meister", sagte Malfoy. "Und nun, zum Höhepunkt." Malfoy richtete seinen Zauberstab auf einen Baum und murmelte: "Crucificat formis vegetatum."
Augenblicklich begannen sich zwei der unteren Äste zu bewegen, und mit einem ächzenden Geräusch wurde der Baum in die Form eines Kreuzes gebogen.
"Severus, du bist des Verrats beschuldigt." Malfoy griff nach den Kleidern des blutenden Mannes und riss sie ihm vom Körper, sodass er schließlich nackt dastand. Dann wendete der Todesser sich Voldemort zu und sagte: "Meister, wie lautet Euer Urteil?"
"Kreuzige ihn", sagte der Dunkle Lord.
Malfoy schubste Severus auf den Baum zu. Der Zaubertrankmeister machte ein paar zögernde Schritte, dann blieb er davor stehen, Malfoy den Rücken zugewandt.
"Schau mich an", sagte der Todesser.
Severus gehorchte zögernd. Seine schmerzerfüllten Augen bohrten sich in jene Malfoys und er sagte: "Lucius. Es ist noch nicht zu spät."
Malfoy hob eine Augenbraue und schüttelte dann den Kopf. "Severus, Severus. Du warst schon immer so ein Idealist." Er schnalzte mit der Zunge. "Schau, was es dir gebracht hat."
Der blonde Zauberer schwang seinen Zauberstab und levitierte Severus zuerst auf zwei Meter Höhe über den Boden, dann befestigte er die ausgestreckten Arme seines Opfers mit Seilen an den Ästen. Snape keuchte, Schmerz flackerte in seinen Schultern auf durch das Gewicht, das plötzlich an ihnen zog und er kämpfte darum, irgendeinen Halt für die Füße zu finden; schließlich konnte er eine Sohle auf einem knorrigen Ast abstützen. Kaum fähig, seinem Körper zu helfen - die untere Hälfte drehte sich nun seitwärts - stellte er einen Fuß auf den anderen.
"Wenn ich daran denke, dass ich dich einmal wie einen Sohn geliebt habe. Aber du lässt mir keine Wahl." Voldemort bewegte die Hand. Drei Nägel schossen aus dem Eimer, stiegen hoch in die Luft und kamen zum Stillstand, ihre Spitzen gegen Severus´ Handgelenke und die Fußspitze gepresst.
Der Zaubertrankmeister hielt den Atem an und wappnete sich gegen die Qualen, die ihn nun erwarten würden. Er erschrak, als er seinen früheren Meister sanft sprechen hörte. "Severus, du kannst deine Meinung noch immer ändern. Komm zurück zu mir, und es wird wieder sein wie früher. Besser sogar, mein Dunkler. Möchtest du tatsächlich so sterben? Vergiss diesen ganzen frommen Muggel-Unsinn, und komm zu mir zurück. Erinnerst du dich nicht, wie sehr ich dich geliebt, dich allen anderen vorgezogen habe? Natürlich, es gab ... Züchtigungen. Doch nur zu deinem Besten."
Severus flüsterte. "Du weißt ... nicht, was ... Liebe ist."
"Ich habe dich verstanden, als es kein anderer tat. Ich habe dich gerächt, habe jene zerstört, die dich jahrelang grundlos so elendig schikaniert hatten. Bist du nun anders, Severus? Willst du mir Glauben machen, dass du ihnen vergeben hast?"
"Ich ... ich habe."
"Leichtfertig gesprochene Worte", sagte Voldemort. "Lass uns sehen, wie wahr sie sind."
Wie auf Befehl, nahm einer der Todesser seine Maske ab.
"Unser neuestes Mitglied. Einer deiner alten Bekannten", sagte der Dunkle Lord.
"Severus", sagte Sirius Black und starrte auf die gekrümmte Gestalt seines lebenslangen Feindes. "Welch einmaliges Vergnügen."
Severus fühlte sich, als wäre alle Kraft aus seinen Muskeln gewichen. "Si - Sirius."
"Er war behilflich, dich hierher zu bringen", sagte Voldemort. "Wie auch einen deiner Freunde. Wir können dich doch nicht ohne Gesellschaft da oben am Kreuz hängen lassen, nicht wahr?"
Black warf seinen Umhang zur Seite und gab den Blick frei auf einen gefesselten und geknebelten Draco Malfoy.
"Ein kleines Abschiedsgeschenk, könnte man sagen", grinste Black. Er tippte mit seinem Zauberstab gegen die Wangen des Jungen, und Seile und Knebel verschwanden. Sofort stieß sich der junge Slytherin von Black ab und rannte auf Severus zu.
"Professor!" rief Draco, zitternd von Kopf bis Fuß. Er spähte über die Schulter zu seinem Vater hin, der ihn mit kalten, verächtlichen Augen ansah, und starrte wieder hinauf zu seinem Hausvorstand. "Professor!"
Severus´ Herz verkrampfte sich. "Lasst ihn ... gehen." Er wurde schwächer, und seine Arme zitterten.
"Immer der Reihe nach", sagte Voldemort. "Ich kann sehen, du benötigst ein wenig Beistand."
Severus´ Glieder wurden plötzlich von einer unsichtbaren Kraft gehalten. Erleichterung übermannte ihn, und er atmete tief durch.
"Ein kleiner Aufschub, damit du mir antworten kannst", sagte der Dunkle Lord. "Deine Antwort wird dein Schicksal besiegeln. Frage. Sirius Black hat dich mir ausgeliefert. Derselbe Sirius Black, der dich während deiner Schulzeit in Hogwarts bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt hat." Blitzartig war Voldemort von seinem Sessel hochgefahren und hatte Black seinen Zauberstab in die Kehle gerammt.
"Mein - mein Lord?" krächzte Black.
"Was soll ich mit ihm machen, Severus?" fragte Voldemort. "Sag das Wort, und ich werde ihn hier sofort für dich töten."
Tausende Erinnerungen überkamen Severus, und eine kleine Flamme entzündete sich in seiner Brust.
Oh, ist das nicht genau das, was der Dreckskerl verdient nach allem, was er dir angetan hat?
"Stell dir Blacks leblosen, zuckenden Körper zu deinen Füßen vor. Alles, was du zu tun hast, ist fragen", sagte Voldemort.
Dir zu Füßen liegen wie der Hund, der er ist.
"Nein ... nein!" sagte Severus. Er verjagte die teuflischen Stimmen, die sich in seinem Geist einnisten wollten und rief den Herrn wieder und wieder an.
Oh Herr, eile, mich zu retten. Erhebe dich, oh Herr, rette mich, mein Gott.
"Schade", sagte Voldemort. Er senkte seinen Zauberstab von Blacks Kehle, und starrte ihn finster an. "Du freust dich hämisch und besitzt eine Menge Dreistigkeit, aber du hast mir deinen Wert für mich noch nicht bewiesen, Sirius Black. Lass dir gesagt sein, dass ich ein sehr strenger Meister bin und nimm diese Demonstration als Warnung. Ich kann dein Lebenslicht jederzeit, aus jedem Grund auslöschen. Ist das klar?"
"Ja, ja, mein Lord", sagte Black.
"Ich bin mir mehr als bewusst, dass die Strafe, die ich Severus auferlege, dir großes Vergnügen bereitet. Erinnere dich daran, dass du genauso schnell an seiner Stelle sein kannst, solltest du dich meinen Befehlen widersetzen."
"Ja, mein Lord", sagte Black und kniete nieder, um den Saum von Voldemorts Robe zu küssen. "Ich werde Euch immer dienen, mein Herr."
Voldemort riss seinen Umhang von Black fort und ließ sich wieder auf seinem Sessel nieder. "Nun, Severus. Du hast deine Wahl getroffen. Mein Meister hat genau das erwartet."
"Der Junge", sagte Severus. "Mach mit mir, was du willst, aber tu ihm nichts. Wenn du mich einmal geliebt hast, wie du sagtest ... Dann tu mir diesen letzten Gefallen."
"Warum sollte ich mir die Finger schmutzig machen und diesem wertlosen Kind auch nur ein Haar krümmen? Er kann dir beim Leiden und Sterben zusehen, und dann wird er von irgendeiner Kreatur aus dem Wald hier aufgefressen werden oder der Wildnis erliegen. Er ist es nicht wert, das Dunkle Mal zu erhalten."
Lucius Malfoys Gesichtszüge waren wie Stein. Draco wurde rot, und er hob trotzig das Kinn.
"Zeit, dies hier zu einem Ende zu bringen", sagte Voldemort. "Vindicte penetratus. Sustenere abolitas."
Die Nägel, die in Severus´ Fleisch gestochen hatten, durchbohrten es und drangen tief ins Holz, und die Kraft, die seinen Körper gehalten hatte, verschwand.
Der Zaubertrankmeister schrie. Draco hielt sich die Ohren zu und kauerte am Fuß des Baumes.
Nach einer Ewigkeit wurden Severus gequälte Schreie zu einem abgehakten Atmen, und er bemerkte, dass Voldemort mit ihm sprach.
"... ist das, was du willst?"
Schweiß rann über Severus´ Gesicht und Brust, vermischt mit Blut und Tränen. Er versuchte zu sprechen, doch konnte nicht.
"Ich gebe dir noch eine letzte Chance, Severus", sagte Voldemort. "Gib deinen unfähigen Gott auf, schwöre mir und meinem Meister Untertänigkeit, und wir werden dich erlösen."
"Du - du hast n-nichts ... zu geben ...", sagte der Zaubertrankmeister schließlich. "Meine Seele gehört Gott."
"Er hat dich im Stich gelassen."
Severus blickte von Voldemort weg und betete.
Viele sagen über meine Seele: Es gibt keine Erlösung für ihn in seinem Gott. Aber Du, oh mein Herr, Du bist mein Helfer, mein Ruhm, und Du hältst meinen Kopf hoch. Jene, die mich peinigen freuen sich, wenn ich zittere; doch was mich betrifft, so habe ich auf Deine Gnade gehofft.
Mitten in seinem Leiden überkam Severus eine gewaltige Ruhe, eine Stille in seinem Herzen; er fühlte, wie die Anwesenheit Gottes sein Dasein überdeckte, und was von seiner Verbitterung übrig war floss von ihm wie Wasser durch ein Netz.
Er blickte wieder zu Voldemort, dann zu Lucius und Sirius. Was er sah waren zerbrochene Seelen, hungrig, aber sich noch der Nahrung verweigernd; zermahlen von Schmerz und verbrannt von Zorn und Hass. War er einst nicht genau wie sie gewesen? Wie konnte er sie verurteilen?
In diesem Moment schreckte der Dunkle Lord in seinem Sessel zurück und befahl Lucius Malfoy: "Wir gehen. Ich ertrage seinen Anblick nicht länger."
"Ich auch nicht, mein Lord."
Einen Augenblick später waren Severus und Draco allein.
Der Junge kauerte noch immer am Fuß des Baumes, und Severus konnte ihn weinen hören.
Mit größter Anstrengung sagte der Zaubertrankmeister: "Draco ... du musst ... versuchen n-nach Hogwarts ... zurückzukehren."
"Ich w-werde Sie nicht alleinlassen, Professor Snape ..."
Schmerz durchdrang Severus´ Körper, und er versteifte sich, die Augen geschlossen.
"Professor!" Der Junge begann noch mehr zu weinen.
"Draco", sagte Severus, nachdem er einen weiteren tiefen Atemzug gemacht hatte, "wenn du ... keine Hilfe holst ... werde ich ... mit Sicherheit sterben ... Geh, Kind."
"Ich weiß doch nicht einmal, w-wo wir hier sind, Professor! Ich werde Hog-Hogwarts nie finden!"
"Du musst ... Vertrauen haben. Du wirst ... du wirst den Rückweg finden."
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