Kapitel 46
Severus Snape und Harry Potter sahen sich ungläubig an. „Das kann nicht wahr sein“, stotterte Harry.
Snape schnaubte. „Ich würde dir beinahe zustimmen wollen, aber da das nicht sein kann, tue ich es nicht. Also muss es wohl wahr sein.“
Harry machte ein komisches Geräusch, das wohl ein Lachen sein mochte. „Sie - unterhält - sich - mit - Voldemort?“ Harrys Augen waren riesig und sehr grün, nachdem er mehrmals mit ihnen geblinzelt und sie gerieben hatte. „Ist sie komplett verrückt? Tschuldigung, Professor“.
Severus versuchte, besser zu sehen und kniff die Augen zu. „Wenn meine Informationen richtig sind, Potter, hast du das auch schon öfters getan, in unterschiedlichsten Ausformungen. Und ein wenig Respekt vor älteren Damen könnte dir nicht schaden.“
Harry grunzte. „Ältere Damen, mein ...“
„Sprache, Potter“, kam die mahnende Stimme des ehemaligen Lehrers. „Ich nehme an, du hast noch keine blendende Idee, wie wir ihn überwältigen können, und dafür sorgen, dass die ältere Dame heil bleibt?“
„Wenn sie erfährt, wie Sie sie genannt haben, wird sie Sie umbringen“, sagte Harry und sah Snape mit beinahe so etwas wie Respekt an.
Snape schnaubte. Wunderbar. Jetzt sorgte seine Verbindung mit Sabina für Respekt bei der Jugend. Dafür hatte er gelebt. Wenn jemand, der so komplett verrückt war, Voldemort in ein Gespräch über seine Beweggründe zu verwickeln, mit ihm zusammen war, dann musste mehr an ihm dran sein, als das ungeschulte Auge wahrnahm. Sein Leben hatte sich gelohnt. Er konnte beruhigt sterben. Anerkennung von Harry Potter, dafür dass er diese komplett Irre hierher gebracht hatte.
„Es ist meine geringste Sorge, dass Frau Selpent mich umbringt, im Moment“, murmelte Severus ,während er versuchte, Sabina genauer zu erkennen. Sie schien heil zu sein. Einigermaßen. Sie bewegte sich nicht, sie wand sich aber auch nicht in Schmerzen. Soweit so gut.
Er hörte die verhasste Stimme sprechen. So wie er ihn damals kennen gelernt hatte. Der gleiche Ton, das gleiche Alter. Severus kniff die Augen noch mehr zusammen. Irgendwas stimmte hier nicht. Noch mehr nicht als sonst. Der Junge neben ihm lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Er schüttelte den Kopf, langsam und nachdenklich und legte die Fingerspitzen auf die Narbe. Dann schüttelte er wieder den Kopf.
Severus machte eine kleine herrische Bewegung mit dem Kopf, die deutlicher als Worte ein ungeduldiges „was?“ ausdrückte.
Der Junge, der durch seine Schule gegangen war, verstand ihn. Und gehorchte. Erstaunlich eigentlich. „Irgendwas ist nicht richtig“, murmelte er und klang verstört, verwirrter noch als üblich. „Es ist Voldemort, aber nicht so stark wie sonst, irgendwie verschwommener.“ Hilflos zuckte er mit den Achseln.
Severus hätte ihn schütteln können, wegen seiner sattsam bekannten Unfähigkeit, sich verständlich auszudrücken, ließ es aber. Es tat nicht Not, seine Kampfgenossen vor dem eigentlichen Kampf zu schwächen. Außerdem hatte der Junge erstaunlich klar seine eigenen Gefühle ausgedrückt.
Severus wandte seine Aufmerksamkeit auf die Frau. Ihre Stimme klang gelassen genug, als sie jetzt etwas murmelte, was er nicht verstand, aber ein höhnisches, ihm in den Ohren wehtuendes Gelächter von Tom Riddle zur Folge hatte.
Und einen Schmerz, der ihn die Augen zusammenkneifen ließ. Verdammt, diese Frau musste den Terror der Zaubererwelt auch noch reizen, konnte nicht hübsch anständig da sitzen und auf Rettung warten. Verdammt sei sie.
'Das scheint sie schon zu sein, Severus', meldete sich die Stimme der Vernunft in ihm. Und hat es jemals jemandem was genützt, in Voldemorts Gegenwart einfach nur stumm auf das Ende zu warten? Eigentlich nicht. Er sollte das wissen.
Severus atmete tief durch, als er merkte, dass er sonderbarerweise den Atem angehalten hatte. Er entspannte auch seinen Körper ein wenig. Der ängstliche Blick Potters trug nichts zu seiner Entspannung bei. Er warf ihm einen tödlichen Blick zu und der Junge wandte sich ab. Gut. Soweit.
Er versuchte wieder das Undenkbare. Das vormals Undenkbare. Aber im Krieg waren ja alle Mittel erlaubt. Und Sybil Trelawney würde es nie erfahren. Er versuchte wieder, in Sabina hineinzuspüren, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Und seine Anstrengungen nicht gleich mit höhnisch zuckendem Mund wieder zunichte zu machen. Er glaubte zwar nicht dran, aber er würde das jetzt tun, verdammt!
Oh ja. Das war erstaunlich. Sie hatte Schmerzen. Sie hasste ihn, Voldemort. Und ihn, Severus. Nun verzogen sich seine Lippen doch. Waren das wirklich ihre Gedanken oder seine eigene stets bereite Interpretation einer Situation? Er kam sich komplett albern vor und war bereit, es sein zu lassen, als er wie einen winzigen Hauch eine Frage in seinem Hirn spürte. ‚Severus?‘
Er hatte plötzlich ein komisches Gefühl hinter den Augen. Unwillig drückte er sie zu. Das war doch kompletter Blödsinn, das alles. Er merkte, dass er nickte, im Kopf und mit ihm. Dann bemerkte er, dass Potter ihn von der Seite betrachtete, und presste die Lippen fest aufeinander. Trotzdem wurde er von einem Gefühl der Hoffnung überflutet, dass von Sabina stammen musste, so peinlich und pathetisch war es. Er hatte niemals eine solche Hoffnung gekannt.
Nun gut, sei’s drum. Er nickte ihr noch mal zu, ohne daran zu glauben, funktionierte es vielleicht ja auch. Dann drehte er sich zu Harry um. Wer war nun hier der Held? Nun ja, vielleicht gab es ja verschiedene Ausformungen. Den in den hellen Klamotten und den in den dunklen.
„Ich geh da jetzt rein, Potter“, sagte Severus Snape und bereitete sich vor.
Harry nickte eifrig. „Was ist der Plan?“
Severus starrte ihn an. „Das ist der Plan.“
Die grünen Augen zwinkerten. „Ach ja?“
„Ja.“
„Nun gut.“
Die beiden Männer sahen sich noch mal an. Harry schien etwas sagen zu wollen, aber Severus kam ihm zuvor. „Wenn ich mich irre, Potter, verlasse ich mich darauf, dass du weisst, was zu tun ist. Du hast es ja schon öfters getan. Rettung in letzter Minute ist doch deine Spezialität. Und dank deiner Muggelerziehung weisst du ja sicher: Frauen und Kinder zuerst.“
Severus nickte Harry noch einmal zu und verwandelte sich, ohne Sabina noch einen rettenden Gedanken zu schicken. Man konnte es auch übertreiben mit dem Verwandeln. Und das tat er sicher nicht. Die Schlange glitt zischelnd davon, ungläubig betrachtet von Harry Potter. Wenn sie eine gewisse Genugtuung darüber empfand, vom Helden so angestarrt zu werden, zeigte sie es nicht. Sie verschwand in dem Gang, der den Lauscherposten von dem Zimmer trennte, in dem Voldemort und Sabina waren.
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