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Kapitel 44



Severus fühlte, wie der Junge neben ihm landete. Er zog ihn sofort hinter eine Rüstung. Vorsicht war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Alastair Moody war gegen ihn ein vertrauensvoller Mensch. Er hatte keine Ahnung, wie Voldemort es geschafft hatte, nach Hogwarts zu kommen. Er wusste nicht, ob er allein war. Er wusste nichts.

Er fühlte nur seine Anwesenheit. Die Stelle seines Arms, wo das Abzeichen des dunklen Herrschers gewesen war, schmerzte ohne Unterlaß. Er sah den Jungen an. Er war blass und seine lächerlich grünen Augen hinter der noch lächerlicheren Brille riesig. Geistesabwesend rieb er sich die Narbe auf der Stirn. Eigentlich war es nur noch eine Erinnerung einer Narbe, beinahe so wie bei ihm selbst. Sie war im Laufe der Jahre immer mehr verblasst. Doch es reichte wohl als Verbindung zu dem, der sie verursacht hatte, aus.

Wofür man in diesem Moment dankbar sein musste, wenn man denn etwas fühlen wollte.

Severus war - nun ja, schon dankbar. Dankbar, dass Potter hier war. Auch wenn er es ihm nie sagen würde. Er hatte mit dem Jungen zusammen gekämpft, beim letzten, dem angeblich allerletzten Mal gegen den üblichen Gegner.

Der Junge hatte Kräfte, die denen des Gegners nicht nachstanden. Dass Voldemort ihn als Baby nicht hatte töten können, blieb ein Mysterium für Severus, der diesen Blödsinn mit der Liebe einer Mutter, die das Kind schützte, nie geglaubt hatte. Aber der Junge war wirklich gut.

Natürlich nicht auf die Art, auf die es ankam. Nicht für Severus Snape. Potter schien alles zuzufallen. Und was ihm nicht zufiel, das interessierte ihn nicht. Zaubertränke - nein, dafür wollte er seinen Geist nie anstrengen. Albernes Quidditch, das einem beim Kampf nichts, aber auch gar nichts nutzte, das gefiel ihm. Severus hatte ihn mit einer solchen Inbrunst gehasst; für sein Talent, sein überragendes Talent, für dessen Besitz er nichts konnte, und von dem er nicht mal etwas zu ahnen schien. Der ignorante, tölpelhafte leichtsinnige ...

Er holte tief Luft. Nichtsdestotrotz hatte der Junge in Hogwarts und in seiner Aurorausbildung gelernt. Genug gelernt, um am Leben zu bleiben. Und hoffentlich genug gelernt, um nun Sabina zu befreien.

Ein kleiner Teil von Severus wollte nur so weit denken. Sabina befreien, und gut. Raus da. Sollte Voldemort sehen wo er blieb.

Der größere, ältere und schicksalergebene Teil von Severus wusste, dass das nicht genügt. Nie genügen würde. Sie würden Voldemort vernichten müssen. Wieder einmal. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft es schon ein endgültig letztes Mal gegeben hatte.

Immer war er wiedergekommen.

Und er musste jetzt sehr stark sein, wenn er unbemerkt in die Schule kommen konnte. Vielleicht zu stark. Zu stark, um endgültig besiegt zu werden? Zu stark, um Sabina zu retten? Er wusste es nicht. Er wusste, dass er ungeachtet all dieser Gedanken kämpfen würde. Wieder einmal. Er fühlte sich müde und uralt. Es half nichts. Er würde kämpfen. Und man konnte über diesen Jungen sagen, was man wollte. Er würde es auch tun. Ohne einen Gedanken an seine eigene Sicherheit, ohne Gedanken an Schutz.

Es war zum Kotzen. Der Junge war wirklich die Lichtgestalt, für die ihn viele gehalten hatten. Es war furchtbar. Und er, Severus Snape, war auf ihn angewiesen. Wie die ganze Zaubererwelt, auch wenn sie es nicht wusste und es nie zu schätzen wissen würde, was dieser Junge für sie getan hatte.

Severus wusste, was er getan hatte. Und er wusste als einziger, vielleicht zusammen mit Dumbledore, was es den Jungen gekostet hatte. Seine Verankerung im Licht war nicht mehr so einfach, so eindeutig und leicht wie früher noch. Der Junge war kein Kind mehr.

Gott sei dank.

Er wollte nicht die Schuld für den Tod eines Kindes auf sich laden.

Er hatte schon genug Schuld für ein ganzes Leben.

Und auch genug Gedanken. Schluss jetzt mit dem unnötigen Quatsch.

Er sah wieder Potter an, der ihn aufmerksam betrachtete. Er hob die Schultern und senkte sie wieder. Los.

„Welche Richtung?“

Harry sah ihn schweigend an und deutete dann nach links. Snape nickte. So hatte er das auch gefühlt. Gut. Es schien noch zu funktionieren.

Außer natürlich Voldemort wollte, dass sie in die Irre liefen.

Außer natürlich ...

Ja genau. Es gab jede Menge Gedanken, wie im Labyrinth. Natürlich wollte Voldemort ihn. Das hatte er ja deutlich gesagt. Sabina war ein Köder, die wie eine Fliege in sein Netz gelaufen war. Der Junge würde für ihn eine nette Zugabe sein. Oder eine tödliche Überraschung.

Snape presste grimmig die Zähne zusammen.

Er spürte einen Schmerz, wie einen Schatten. Cruciatus. Sabina. Der Mistkerl.

‚Severus, sei kein Idiot, was hast du gedacht, dass er mit ihr machen würde? Sie wird das überleben. Sie wird!‘

Er bewegte sich ein wenig schneller. Und versuchte etwas, was er noch nie zuvor getan hatte. Er suchte in sich nach Verbindungen zu Sabina.

Er fand nichts. Er verfluchte sich. So ein Quatsch auch. Verbindungen. So was gab es doch nicht. Außer dem Mal des dunklen Herrn.

Und wenn es so was geben würde, dann nicht in diesem Fall. Sie kannten sich gerade mal ein paar Wochen.

Oder sie war ohnmächtig. Oder ...

Nein. Das nicht.

Er konnte nicht verhindern, dass er sich ein wenig schneller bewegte. Er fühlte, wie grüne Augen über ihn glitten. Einem Moment hatte er die entsetzliche Vorahnung, dass Potter ihn tröstend berühren wollte.

Er tat es nicht. Sein Glück. Mächtiger Zauberer, Junge der lebte und lebte oder nicht - er hätte ihm die Hand abgehackt.

Sie bogen in den verbotenen Teil ein. Es wurde kälter, staubiger und feuchter. Ungemütlich. Wie in den Kerkern, in denen er so lange gelebt hatte.

Severus sah, wie der Junge fröstelte. Er war noch blasser geworden, seine Augen noch riesiger.

„Angst, Potter?“ Es war gut, dass der Junge bei ihm war. Sonst hätte er die Wände schlagen müssen. Und das tat weh. Nicht zu vergessen, die Blicke, die die Portraits ihm dann zuwarfen. Den Blick des Jungen kannte er schon. Oh ja. Seit Jahren. Duldend, leidend aber nicht nachgebend.

Verzeihend? Mitleidig?

Verdammt. Er musste wirklich den Eindruck vermittelt haben, als liege ihm etwas an dieser Frau. Was natürlich nicht wahr war. Es lag nur in seiner Verantwortung, sich um das zu kümmern, was ihm gehörte.

Nein, das war nicht ganz richtig. Was er hierher gebracht hatte. So. Das war besser.

Potter berührte seinen Arm. War er jetzt komplett übergeschnappt? Snape sah den Jungen neben sich an, und bereitete eine vernichtende Bemerkung vor. Es war nicht leicht, unter den Umständen. Aber er hatte einen Ruf zu wahren. Und das würde er tun. Was hätte er denn sonst noch? Eben.

Potter schien zu lauschen, mit angehaltenem Atem. Snape hielt sich noch ein wenig zurück. Es gab wichtigeres als einen Ruf zu wahren. Manchmal.

„Wir sind nahe“, sagte der Junge jetzt und die grünen Augen waren riesig. „Irgendwas ist anders, komisch, aber ich spüre die Magie. Es ist dunkle Magie, aber trotzdem ....“ Er schüttelte den Kopf, als versuche er in dem Ding, das er sein Hirn nannte, Ordnung zu machen: Ein Unterfangen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war, wie sein langjähriger Lehrer ihm gleich hätte sagen können. Potter war brillant, auch wenn er ihm das natürlich nie sagen würde. Aber Ordnung? Nein, für solch nachrangige Dinge war im Leben von Harry Potter, dem Helden der Zaubererwelt, kein Platz.

„Und ich habe natürlich keine Angst. Ich bin ja schließlich der Held, nicht?“, sagte der Held und sah Severus weiter mit diesen grünen Augen an und ihm wurde beinahe ungemütlich. Noch ungemütlicher als ihm schon war. Er war nachgerade mit mehr Menschen gedanklich verbunden als je in seinem Leben und er konnte nicht sagen, dass das sein Leben bereicherte. Nein, durchaus nicht.

Hier hingen keine Portraits mehr. Sie waren ganz allein. Es gab keine Treppen, die die Richtung änderten. Keine Teppiche. Keine Wandbehänge. Nichts, was an das gemütliche anheimelnd gruselige Hogwarts der Schüler erinnerte. Dies war eher wie die andere Seite, die dunkle Seite, das Ebenbild auf einer anderen Ebene. Spinnweben. Schmutz. Enge Gänge. Dunkelheit. Steinstufen. Und auch er spürte dunkle Magie. Dazu musste man nicht Spezialist für die dunklen Künste sein. Obwohl er natürlich auch das war, auch wenn sie ihm nie den Posten als Lehrer gegeben hatten. Nein, lieber hatten sie ihn einem komplett idiotischen Narziß, einem Werwolf und Voldemort unter einem Turban gegeben. Nicht dass er den Posten je hatte haben wollen.

Sie blieben abrupt stehen. Es war plötzlich noch sehr viel kälter geworden. Und in der Ferne sahen sie einen Schimmer. Grünes Licht.

„Und nun?“, fragte Potter.

Severus fühlte sich einen Moment geschmeichelt, dass der Junge sich an ihn um Führung wandte, als ob er das je in seiner Schulzeit getan hätte. Dann fiel ihm schlagartig ein, dass er überhaupt keinen Plan hatte. Er sah Potter mit hochgezogener Augenbraue an.

„Hast du einen komplett verrückten Gryffindorvorschlag, Potter? Jetzt ist die Gelegenheit.“


Kapitel 43

Kapitel 45

 

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