Kapitel 35
Sie hatte nur noch kurz mit dem alten Mann gesprochen. Ihm von dem Gefühl berichtet, das sie empfunden hatte, bei diesem Kampf.
Und sie hatte ihm bestätigt, was er schon wusste. Sie wollte jetzt erst recht weitermachen mit ihrer Ausbildung.
Und sie würde dafür sorgen, dass Severus im Bett blieb. Und sich erholte.
Sie brauchte selber Erholung. Sie erinnerte sich an ihren Wunsch, eine schwache Frau zu sein, und hysterisch zu werden. Der war sehr verführerisch gewesen. Aber irgendwie war sie nicht dazu gekommen.
Ob es nun zu spät war?
Sie ging wieder ins Schlafzimmer zurück.
Sie würde ihm ihre Besorgnis nicht zeigen.
Er würde sie nur auslachen.
Und schlimmer, er würde sie nur wieder von der Ausbildung abbringen wollen.
Aber lieber Herr Jesus, diese Schmerzen.
Es war ein Wunder, dass er noch lebte.
All die Jahre.
Kein Wunder, dass er war, wie er war.
Sie würde wahrscheinlich täglich jemand umgebracht haben, einfach um sich abzureagieren.
Aber sie würde ihm diese Gefühle nicht zeigen. Mitleid war das letzte was er brauchte. Was er wollte.
Auch wenn sie es mehr für Mitgefühl hielt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie hatte es mitgefühlt. Und es war nicht schön gewesen.
Schwarze Augen sahen sie an.
Graue Augen sahen ihn an.
„Schicke Robe.“
„Danke.“
Sie hielt sich vom Bett entfernt. Sie konnte sich nicht trauen.
„Was trägst du darunter?“
Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein, oder?
Sie ließ die Robe sich öffnen.
„Ah.“
Sie schlüpfte zu ihm unter die Bettdecke. Und vergaß ihre guten Vorsätze.
Vergaß sie nicht.
Konnte sich nur nicht dran halten.
Sein Arm umschlang sie. Sie drückte sich an ihn. Verzweifelt.
Küsste ihn. Viele kleine Küsse über das ganze Gesicht. Die Nase. Mindestens vier Küsse. Die Stirn. Die Schläfen. Die Falte zwischen den Brauen. Die wunderbaren Wangenknochen. Die fleischigen Wangen. Die Ohrläppchen. Das Kinn.
Und den Mund.
Mit nassem Gesicht. Nassen Augen. Laufender Nase.
Er sagte nichts. Drückte sie nur fester.
Sie konnte es kaum glauben.
Sie hatte mit beißendem Spott gerechnet.
Er schien mitgenommener zu sein, als sie gedacht hatte.
Das erschreckte sie noch mehr.
Und sie küsste weiter. Seinen wunderbaren Hals. Den er sonst immer so gut verborgen hielt. Sie hätte zum Vampir werden können, bei diesem Hals.
Und sie legte ihren Kopf auf seine Brust und hörte einfach nur seinem Herzschlag zu.
Seinem herrlichen kräftigen Herzschlag.
Fühlte seinen warmen Körper an ihrem. Fühlte seine Finger ihre Haare streicheln.
Fühlte sich, als habe sie Drogen genommen. Als habe sie noch nie so viel empfunden.
Einfach nur durch diese Nähe. Menschliche Nähe. Wärme.
Leben.
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