Kapitel 12: Rivalität und eine Offenbarung
Das Schloß lag für ihre Zwecke perfekt: Weit weg von den nächsten menschlichen Behausungen, groß und leerstehend...naja, fast.
Aber das alte Verwalter-Ehepaar war kein Problem gewesen. Sie lagen jetzt im Kerker des Schlosses, gefesselt und bewegungsunfähig, bis sie gebraucht würden. Danach würde man sie beseitigen. Es war so einfach.. und so genial zugleich.
Nicht einmal der Verrat von Severus Snape konnte die Hochstimmung des Dunklen Lords trüben. Snape würde bekommen, was er verdiente, und seinem Lord noch ein letztes "Geschenk" machen, von dem er noch nichts ahnte. Und dieses Geschenk würde Voldemort neue Kraft verleihen und seine Macht stärken... Er lachte leise und voller Vorfreude in sich hinein. Es würde einfacher sein, als einem Kind sein Spielzeug wegzunehmen, auch wenn seine Leute in Hogwarts diesen Auftrag nicht würden ausführen können. Beizeiten würde er sich überlegen müssen, ob er diese Todesser noch gebrauchen konnte.. aber die Zahl seiner Anhänger würde größer werden denn je, so würde ihr Verschwinden kaum auffallen. Und er war auf sie nicht angewiesen, Lucius Malfoy hatte dafür gesorgt.
***
Als die Sonne schon am Himmel stand, hatten Severus, Dumbledore, Remus und Sirius ihre Arbeit für diese Nacht beendet.
Dumbledore hatte Remus und Sirius ein Gästequartier zugewiesen. Dort lag Remus nun und starrte an die Decke, unfähig, ein Auge zuzutun. Sirius schnarchte längst im Bett in der anderen Ecke des Raumes - doch Remus konnte seine Gedanken nicht zum Stillstand bringen.
Severus Snapes Worte der letzten Nacht hatten ihn zutiefst beunruhigt, und er konnte die Bereitschaft nicht verstehen, mit der Sirius so schnell mit ihm Frieden geschlossen hatte.
Severus hätte damals keinen Moment gezögert, Sirius wieder nach Askaban zu schicken. Er war voller Haß und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht gewesen... wie hatte Sirius das nur so schnell vergessen können?
Nun, es waren ungewöhnliche Zeiten. Die Angst war wieder da... doch sie hatte Remus Lupin nie wirklich verlassen. Sein ganzes Leben war von der Angst bestimmt - bei jedem Vollmond aufs Neue. Und er hatte geahnt, daß Voldemort zurückkehren würde.
Aber diesmal ging es noch um viel mehr: Es ging um Patricias Leben.
Damals, als Voldemorts Macht auf dem Höhepunkt gewesen war, hatte Patricia mit all dem kaum etwas zu tun gehabt. Sie war noch so jung gewesen, und außer Quidditch hatte es nur einen wichtigen Aspekt in ihrem Leben gegeben: ihn selbst.
Remus tat der Gedanke an seinen Verrat mehr als weh. Sie hatte ihn geliebt.. und er sie auch, soweit er sich nicht dagegen hatte wehren können.
Er hatte ihre Nähe gemieden, und sich andererseits nach ihr gesehnt. Er hatte sich geschämt für das, was er war; für seine Armut und für das Biest, das in ihm lebte, Teil von ihm war.. und an jedem Vollmond ein Stück von seiner Lebensenergie aufzufressen schien.
Patricia hatte ihm ihre Hilfe angeboten, sie verdiente in ihren späteren Profi-Jahren als Jägerin sehr gut, doch er hatte es abgelehnt. Ein Mann, der Hilfe von einer Frau annehmen muß, ist kein richtiger Mann. Ein Mann, der eine Frau und eine Familie nicht ernähren kann, ist kein richtiger Mann. Das hatte sein Vater ihm gepredigt, und Patricia hatte nur darüber gelacht. "Was meinst du denn, wie es bei den Muggeln ist? Dort gibt es genügend Frauen, die arbeiten gehen, während die Männer zuhause bleiben und sich um Kinder und Haushalt kümmern."
Er war aber kein Muggel. Er war noch nicht mal ein richtiger Mann, denn keiner wollte ihm Arbeit geben. Und so konnte er in den Augen seines Vaters (aber auch in seinen eigenen Augen) niemals bestehen.
Patricia war es egal gewesen. Sie hatte sogar versucht, die Animagus-Prüfung zu machen, um auch während seiner Verwandlung in einen Werwolf bei ihm sein zu können. Doch sie war durchgefallen; die Verwandlung in eine Krähe war ihr nicht vollständig geglückt.
"In Verwandlungen bin ich nie so toll gewesen", hatte Patricia damals frustriert festgestellt. "Ein Wunder, daß McGonagall mich so mochte."
Aber nicht nur McGonagall hatte sie in der Schule gemocht. Patricia war bei allen Lehrern beliebt gewesen, besonders bei Professor Abalos, der damaligen Zaubertrankmeisterin.
Doch Severus Snape hatte Patricia nie gemocht.. und nun behauptete er, sie zu lieben!
Es war lächerlich. Und es schmerzte. Wie konnte sie ihn, Remus, so schnell vergessen, und sich ausgerechnet in einen seiner größten Rivalen verlieben? Kollegialität, Freundschaft.. das ja..... aber so etwas?
Als er sich Patricia in Severus´ Armen vorstellte, merkte er, wie ihm übel wurde.
Er setzte sich langsam auf und betrachtete den schlafenden Sirius. Ihm war, als hörte er dessen Stimme in seinem Kopf, die sagte: "Aber du hast es doch nicht anders gewollt, Remus. Nun liebt sie Snape, und es ist ganz allein deine Schuld, denn du hast sie in gewisser Weise in seine Arme getrieben."
Das mag stimmen, dachte Remus. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät. Immerhin hatte Severus Patricia verlassen. Er hatte sie damit gewiss tief verletzt. Vielleicht war dies seine Chance... seine allerletzte Chance.. wenn nur noch ein wenig von ihren Gefühlen für ihn übrig war....
Remus sprang aus dem Bett und zog sich eilig an. Er wollte sofort zu ihr gehen.
Als er das Gästequartier verließ, fiel ihm auf, wie merkwürdig still es in der Schule war.
Dann erinnerte er sich: Es war Hogsmeade-Wochenende!
Nur ein paar vereinzelte Zweit- oder Erstklässler wanderten durch die Korridore und musterten Remus verwundert. Natürlich - sie kannten ihn ja nicht als Lehrer! erinnerte sich Remus nicht ohne Bitterkeit.
"Wohin des Weges, Lupin?" Die leise, kalte Stimme, die völlig unvermittelt hinter seinem Rücken erklang, jagte ihm einen unwillkürlichen Schauer über den Rücken.
"Severus.... kannst du auch nicht schlafen? Ich wollte mir gerade aus der Küche eine Tasse Tee holen." So eine dumme Notlüge.
Severus´ Lippen kräuselten sich verächtlich und er musterte ihn mit einem durchdringenden Blick. "Mach mir doch nichts vor. Ich weiß genau, wo du hinwillst. Aber du mußt dich leider noch etwas gedulden: Sie ist mit den Schülern in Hogsmeade."
Remus erwiderte seinen Blick schweigend.
"Ich weiß nicht, was du dir davon erhoffst, Lupin. Die Zeiten haben sich geändert - sie ist über dich hinweg", sagte Severus, ohne seine Augen auch nur einen Millimeter von Remus abzuwenden.
"Über dich vielleicht auch bald, Severus. Es geht ihr augenscheinlich schlecht, und sie braucht jemanden, der für sie da ist."
Severus lachte. "Und der willst ausgerechnet du sein? Lächerlich! Ich habe von Patricia Abstand genommen, um sie nicht noch mehr zu gefährden. Gerade du müßtest das verstehen können" Plötzlich wurde er sehr ernst. "Und nun kommt der Werwolf zurück und will sie dem Tod fast noch ein Stückchen näher bringen... es ist nicht mehr nur der Dunkle Lord, der sie gefährdet... nun auch noch das Monstrum in dir. Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen."
Remus suchte so unauffällig wie möglich in seiner Tasche nach seinem Zauberstab. Hatte er ihn etwa im Zimmer vergessen?
"Und was willst du tun, Severus? Es ist immer noch ihre Entscheidung, nicht wahr?"
"Ich kann eine ganze Menge tun, Lupin. Viel mehr, als du dir auch nur erträumst."
Die beiden sahen sich noch immer starr in die Augen.
Remus bemerkte, wie Severus sich langsam auf ihn zu bewegte. Nun gut, wenn er den offenen Kampf wollte, sollte er ihn bekommen.
Wie auf ein Zeichen hin zückten beide die Zauberstäbe, doch bevor sie ihre Zauber aussprechen konnten, rief eine Stimme hinter ihnen: "Aufhören, sofort! Seid ihr verrückt geworden?"
Sie drehten sich um und sahen eine vor Wut kochende Patricia, die ihren Zauberstab auf die beiden gerichtet hatte. Patricia sah wild und gefährlich aus, wie immer, wenn sie zornig war. Severus konnte trotz der unglücklichen Situation nicht umhin zu bemerken, wie gut sie ihm mit diesem Funkeln in den Augen gefiel. Sie wirkte in diesem Moment so gesund und voller Energie wie schon seit Wochen nicht mehr.
"Was soll das hier eigentlich werden? Ein wirklich tolles Beispiel für die Schüler, muß ich schon sagen. Zaubern auf dem Gang ist verboten, das wissen schon die Erstklässler. Und duellieren erst recht! Ihr spinnt ja wohl!"
Sie schüttelte den Kopf und schien Remus jetzt erst zu bemerken. "Du hier? Gibt's Neuigkeiten?"
"Nun, schon einiges. Ich..", setzte er an, doch Patricia unterbrach ihn: "Erzähl mir alles in Ruhe. In meinem Büro müßten noch Tee und Kekse zu finden sein, außerdem hab ich diese Schokolade vom Honigtopf mitgebracht, du weißt doch noch, die............"
Und sie plapperte munter weiter, während sie Remus unterhakte und mit ihm von dannen rauschte, ohne Severus noch eines Blickes zu würdigen.
Dieser stand wie vom Donner gerührt und sah die beiden hinter der nächsten Biegung verschwinden.
Severus spürte, wie sich seine Eingeweide vor lauer Eifersucht schmerzhaft verkrampften.
Oh, wie oft schon hatte er Eifersucht empfunden! Aber noch nie war sie so bitter gewesen wie diese. Voldemort war in diesem Moment aus seinem Bewußtsein verschwunden, und es gab nur noch einen Feind für ihn: Remus Lupin!
'Gut, die erste Runde geht an ihn!', dachte Severus, während er in Richtung seines Büros eilte.
Aber dieser Kampf war noch nicht vorbei. Er hatte gerade erst begonnen.
***
"Es tut mir so leid, Professor Dumbledore. Aber ich konnte einfach nicht mehr."
Sie schnäuzte sich in Dumbledores riesiges geblümtes Taschentuch, während der alte Zauberer der weinenden Frau beruhigend die Schulter tätschelte.
"Schon gut, Poppy. Ich kann Sie ja verstehen.."
"Noch nie, noch kein einziges Mal in meiner ganzen Laufbahn habe ich meine Schweigepflicht verletzt, das müssen Sie mir glauben..", schluchzte sie, und Dumbledore nickte nur. "Ich weiß, Poppy. Niemand wird Sie dafür verurteilen.. und ich bin froh, daß Sie so großes Vertrauen zu mir haben. Aber ich weiß nicht, ob ich Professor Knight-Haversham von ihrer Entscheidung abbringen kann, wenn es dafür nicht schon zu spät ist."
Madam Pomfrey schluckte und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.
"Wer sollte es können außer Ihnen? Vielleicht hat sie es noch nicht getan, und ich bin mir sicher, daß sie es auch nicht wirklich will. Werden Sie es Professor Snape sagen?"
Dumbledore seufzte.
Madam Pomfrey hatte mit ihm ein Geheimnis geteilt, das zu verschweigen sie nicht mehr ertragen konnte. Und, abgesehen davon, hatte er als Schuldirektor nicht das Recht zu wissen, daß eine seiner Angestellten schwanger war? Aber war sie es überhaupt noch? Und war er, Dumbledore, wirklich der Richtige, Severus diese Nachricht zu überbringen? Er kannte seinen Zaubertrankmeister schon sehr lange, und er bildete sich ein, ihn sehr gut zu kennen.
Jedoch konnte er Severus´ Reaktion auf die Tatsache, daß er Vater wurde, überhaupt nicht vorausahnen.
"Ich geh dann mal wieder auf die Krankenstation, Professor."
Er nickte und geleitete Madam Pomfrey zur Tür.
Als sich die riesige Tür hinter ihr geschlossen hatte, merkte Albus Dumbledore wieder einmal sein Alter.
'Ich habe das Gefühl, daß mir langsam alles aus den Händen gleitet', dachte er. 'Hatte ich mir nicht mal eingebildet, daß ich alles weiß, was in Hogwarts passiert? Aber eigentlich weiß ich gar nichts. Eine junge Lehrerin kommt an meine Schule, verdreht meinem verbitterten Zaubertrankmeister den Kopf. Voldemort zerstört jegliche Aussicht auf eine Zukunft der beiden. Er will Severus umbringen. Und ich bin kaum in der Lage, ihm zu helfen. Wie kann ein einziger Mensch mit dieser Angst leben? Wie können wir alle mit dieser Angst leben? Wie kann eine einzige Frau ihren Kummer und ihre Not alleine tragen? Kein Wunder, daß sie verzweifelt ist.
Alle fürchten Voldemort. Und ich selbst kann mich nicht davon freisprechen. Nur, wie sollen wir den Kampf aufnehmen, wenn das Unglück bereits in uns selbst lebt? Wenn wir einsame, traurige und gebrochene Menschen gegen ihn kämpfen lassen? Harry ist traurig; seit Cedrics Tod ist er nicht mehr Derselbe. Keine Abenteuerlust mehr, kein Mut..
Und Severus... sein Schmerz währt schon zu lange. Ich weiß, auch ich war nicht immer gerecht zu ihm. Ja, ich habe James und Harry Potter ihm oft genug vorgezogen. Aber wie viel einfacher ist es doch, die gern zu haben, die in der Sonne stehen?
Nicht nur sie, auch Remus und Sirius sind gebrochene Menschen. Der Eine mit dem Fluch des Werwolfes geschlagen, der andere hat sein halbes Leben unschuldig in der Hölle von Askaban verbracht.
Und da ist nun sie, Patricia, die mit so viel Energie und Freude ihre Stelle hier in Hogwarts angetreten hat, die so mutig Severus´ Leben gerettet und aus dem Hintergrund Harry bewacht hatte. Was ist aus ihr geworden? Eine einsame, unglückliche Frau.
Und wer war verantwortlich, wer hatte diese Menschen auf dem Gewissen? Nein, es war nicht nur Voldemort. Es waren die Ignoranz und die Kälte der anderen, die sie allein gelassen, abgestempelt, verflucht oder eingekerkert hatten.'
Doch nun mußte es damit vorbei sein! Diese jungen Menschen waren seine Hoffnung, und sie mußten kämpfen! Sie mußten kämpfen für eine bessere Zukunft, dafür, daß es eine Zukunft für sie alle gab, auch für ihre Kinder.
Dumbledore mußte trotz allem lächeln, denn vor seinem inneren Auge flammte kurz das Bild von Severus Snape auf, der einen Säugling wickelte.
Was für eine eigenartige Vorstellung, dachte er. Aber wirklich so unmöglich? Ich werde alles dafür tun, daß das Kind von Patricia und Severus leben kann.
Zurück