Kapitel 14: Der Verräter
Es war ein Déjà Vu für Sirius, als er hustend und nach Luft schnappend das Fenster des Jungenschlafsaales aufriß und dicker grauer Qualm sich augenblicklich seinen Weg nach draußen bahnte. Den Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Gryffindors konnte man zweifellos als rasende Wut bezeichnen und er zählte langsam von hundert rückwärts, beide Hände zu so festen Fäusten geballt, daß sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handflächen bohren.
Mindestens drei Minuten stand er so da und als er schließlich bei null ankam, war seine Wut noch immer noch verraucht wie der beißende Qualm im Schlafsaal. Trotzdem holte er tief Luft und drehte sich um.
Peter Pettigrew hatte sich so klein er konnte in eine Ecke gekauert und starrte den viel größeren und auch stärkeren Jungen, der eindeutig stinksauer auf ihn war, angstvoll an. Irgendwie erinnerte Peter Sirius in diesem Moment an ein widerliches Kriechtier, auf das er am liebsten drauf getreten wäre. Doch er sagte nichts. Das eisige Schweigen und der unbeschreiblich wütende Blick auf seinem Gesicht hatten mehr Effekt auf Peter als jedes Wort, das er noch sagen konnte. Reden war scheinbar pure Zeitverschwendung.
"Es tut mir leid, Sirius!" quiekte Peter in einer kläglichen Stimme. Er wollte, daß Sirius endlich aufhörte, ihn mit seinen schwarzen Augen, die jetzt fürchterlich glitzerten, anzustarren. Doch Sirius dachte nicht im Traum daran. Er stand vollkommen ungerührt vor dem kleinen, dicklichen Jungen, diesem jämmerlichen Etwas, das wieder einmal nichts anderes im Sinn gehabt hatte, als sie alle in Gefahr zu bringen.
James und Remus, die in einer anderen Ecke des Schlafsaales Schutz gesucht hatte, blickten sich unschlüssig an. Scheinbar wußten sie absolut nicht, wie sie sich jetzt verhalten sollten, denn Sirius war für sie in solchen Momenten auch einfach nicht berechenbar. Sie kannten ihn so nicht, obwohl die Ausbrüche der Wut, die Sirius durchlebte sich häuften, seit er, James und Peter damit begonnen hatten, ihren Plan, Animagi zu werden, in die Tat umzusetzen.
"Bitte, Sirius!" Sirius verzog das Gesicht. Er widerstand dem Drang, Peter am Kragen auf die Füße zu zerren und mit einem wohlplazierten Faustschlag wieder in seine Position am Boden zurück zu befördern. Wieder begann er, in Gedanken rückwärts zu zählen.
Er schloß die Augen und hörte, wie Peter aufatmete. Doch Sirius wußte, noch hatte sein unvernünftiger Freund keinen wirklichen Grund dafür. Nicht, bevor er sich beruhigt hatte. Noch war er in ernsthafter Gefahr.
'Beruhig dich, Sirius! Gewalt ist keine Lösung. Gewalt ist der Anfang vom Ende!' Immer wieder sagte Sirius sich diese Mantra im Kopf auf, wiederholte es wie einen weisen Ausspruch Buddhas und langsam zeigte es Wirkung. Seine Wut ließ nach, er fühlte sein Herz weniger schnell schlagen, seine Atmung wurde tiefer. Langsam öffnete er wieder seine Augen. Das Glitzern war verschwunden.
"Tu das nie wieder!" zischte Sirius Peter an und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Peter zuckte beim Klang seiner Stimme zusammen. Genauso gut hätte eine riesige schwarze Kobra sich vor ihm aufstellen und etwas zuzischen können, es hätte sich nicht furchteinflößender angehört.
Sirius brauchte eine Pause. Er warf sich seinen Umhang über die Schultern und ohne noch einen Blick auf die anderen drei Jungs zu werfen, verließ er den Schlafsaal. Seine Freunde blickten ihm verwirrt hinterher.
Keiner von ihnen wußte es und das war auch gut so.
Auf dem Weg zum großen Eichenportal des Schlosses, das nach draußen auf die Ländereien des Schlosses führte, schlüpfte Sirius mit den Armen in die Ärmel seines Umhangs und schloß den Klipp, der ihn zusammenhielt.
Keiner von ihnen mußte etwas darüber wissen, was früher gewesen war. Er hatte das längst unter Kontrolle, es war Vergangenheit.
Sirius verfiel in einen leichten Trab und ehe er es sich versah, rannte er, als wäre der Teufel hinter ihm her bis er den Rand des Verbotenen Waldes erreicht hatte. Bevor er die Grenze der Bäume überschreiten konnte, hielt er inne. Einen Moment schien er zu überlegen, ob er trotz Helligkeit und strahlendem Sonnenschein einfach das Verbot, den Wald zu betreten, übergehen sollte. Doch dann besann er sich eines besseren. Er ließ sich an einem der dicken Baumstämme ins Gras sinken und fuhr sich durch das wirre schwarze Haar, das durch sein Rennen nur noch zotteliger war als sonst.
Peter machte ihn rasend. Er brachte ihn nun schon zum unzähligen Mal dazu, fast die Kontrolle über sich zu verlieren.
Und Sirius wußte nur zu gut, was es bedeutete, wenn er die Kontrolle verlor. Er brauchte keine Zauberkräfte, um den Jungen in nur wenigen Minuten in etwas zu verwandeln, von dem er sich nie wieder erholen würde.
Sirius schnaubte und starrte auf seine Hände. Er wußte, wozu diese Hände fähig waren. Es hatte sie weiß Gott oft genug dafür genutzt, anderen Schaden zuzufügen und es hatte ihn mehr als eine übermenschliche Beherrschung gekostet, sich vom Rausch der Gewalt und der Macht wieder los zu sagen.
Sirius erinnerte sich nicht gerne an die Zeit zurück, bevor er James Potter kennen gelernt hatte. Diese Zeit war eine dunkle Zeit gewesen, in der es wenig gegeben hatte, an das man guten Gewissens denken konnte, wollte man in Erinnerung schwelgen. Heute sah es vielleicht keiner mehr, glaubte jeder von ihm, er sei ein ruhiger, ausgeglichener Junge, doch Sirius wußte genau, daß das alles nicht so war, daß er noch weit entfernt davon war, wirklich ruhig und ausgeglichen zu sein.
Er schlug mit der Faust gegen den Baumstamm hinter sich und zuckte nicht einmal zusammen, als sich die raue Rinde in seine Haut bohrte.
Er hatte seiner rasenden Wut und der Gewaltbereitschaft in sich den Kampf angesagt und war damit bisher auch sehr erfolgreich gewesen, aber seit er Peter kannte, fiel es ihm immer schwerer, sich im Zaum zu halten. Wenn Peter wieder einfach tat, was er gerade wollte, aus reinem Trotz und reiner Dummheit, dann halfen nicht einmal die fürchterlichen Bilder von dem letzten Jungen, den er so übel zugerichtet, daß er es kaum überlebt hatte. Und da war Sirius gerade mal neun Jahre alt gewesen. Diese Bilder, die ihn sonst vor jeglicher Gewalt zurückschrecken ließen wie vor einem lodernden Feuer... Peter schaffte es, sie wirkungslos zu machen.
Langsam holte Sirius seine geballte Faust wieder nach vorne und besah sich die Wunde an seiner Hand, die durch die Rinde entstanden war. Er spürte den Schmerz nicht einmal und er wußte nur zu gut, was das bedeutete.
Rasende Wut war eine Droge, die jeden Schmerz überdeckte. Ein Gefühl, das er eigentlich nie wieder hatte durchmachen wollen.
Erst neulich hatte er seine Mutter nach dem Jungen gefragt - so weit er sich erinnerte, war sein Name David gewesen - und sie hatte ihm erzählt, daß es ihm wohl wieder gut ginge. Doch Sirius wußte, diesem Jungen würde es nie wieder gut gehen. Kein Junge, der von einem Gleichaltrigen fast zu Tode geprügelt wurde, würde darüber jemals wieder vollkommen hinwegkommen.
Noch heute wußte Sirius weder, warum er schon in so jungen Jahren so geworden war, noch warum er damals, nachdem David mit dem Krankenwagen unter Blaulicht und Sirenen ins Krankenhaus gekommen war, plötzlich erkannt hatte, was er eigentlich war und sich angewidert von sich selbst abgewandt hatte.
Er wußte nur eines. Eines Tages würde Peter Pettigrew es schaffen, das Monster in ihm wieder auszugraben, das er so sorgfältig in die hinterste Ecke seines Seins eingemauert hatte. Und an diesem Tag wünschte er für Peter die Gnade Gottes, sonst würde das die letzte Dummheit dieses Schwachkopfes gewesen sein.
Sirius warf einen Blick hinüber zum Schloß, das sich jetzt dunkel gegen den Sonnenuntergang abhob. In wenigen Minuten würde es dunkel sein und es war sicherlich keine gute Idee, wenn er dann noch hier draußen rumlief. Er stand auf und machte sich auf den Rückweg zum Schloß.
Er lächelte erleichtert, als sich langsam der pochende, stechende Schmerz in seiner Hand bemerkbar machte.
Sie alle hatten ihre dunklen Geheimnisse, das war Sirius klar. Aber er hoffte, daß seine Freunde seine dunkle Seite niemals kennen lernen würden.
***
Lily war noch oft still und in sich gekehrt, aber Severus merkte, daß sie sich nicht mehr so sehr zurück zog, wie am Anfang des Schuljahres. Und das machte ihn mehr als glücklich.
Es war bereits das zweite Wochenende in diesem Schuljahr, in dem sie Ausgang nach Hogsmaede hatten und Severus stand am Fuß der Treppe in der Eingangshalle und wartete darauf, daß Lily nach unten kam.
Der Herbst war dieses Jahr sehr früh und sehr kalt über Hogwarts und seine Ländereien herein gebrochen, deshalb hatte Severus, obwohl es erst Ende Oktober war, bereits seinen silber-grünen Schal um seinen Hals gewickelt und auch die in der ganzen Schülerschaft einheitlichen grauen Handschuhe hielt er in der rechten Hand, die er auf das Geländer der Treppe stützte, den rechten Fuß auf die erste Stufe gesetzt.
Zwei Mädchen aus Ravenclaw gingen an ihm vorbei und kicherten. Severus hob überrascht die Augenbraue und sah die beiden an. Eine von den beiden wurde feuerrot und er hörte die andere flüstern:
"Diese düstere Ausstrahlung ist umwerfend! Kein Wunder, daß diese Lily so auf ihn abfährt." Severus' Augen weiteten sich in diesem Moment so stark, das er glaubte, sie müßten ihm jeden Moment aus dem Kopf fallen. Er schüttelte verwirrt den Kopf, als hätte er sich verhört und starrte den beiden etwas fassungslos hinterher.
Was war das denn gewesen?! Tuscheln und Fingerzeige war er ja gewöhnt, aber das!
"Was ist so interessant an den beiden?" hörte er Lilys sanfte Stimme und er drehte sich zu ihr um. Er hatte immer noch einen höchst verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht und zeigte in Richtung der beiden, natürlich so, daß sie es nicht sehen konnten, er war schließlich nicht so plump wie andere Leute hier.
"Die zwei..." Er schüttelte noch einmal verwirrt den Kopf und Lily lachte leise.
"Ja?" fragte sie auffordernd.
"Die haben über mich geredet und die eine hat gesagt, ich hätte eine umwerfende düstere Ausstrahlung. Und die andere... ja, die ist ganz rot geworden, als ich sie angesehen hab. - Und ich hab sie sicher NICHT nett angesehen. Die sind doch vollkommen verrückt oder?" Lily hob die Schultern und lächelte geheimnisvoll. Sie hakte sich bei ihm ein und zog ihn in Richtung Ausgang, wo Hausmeister Filch Namen auf einer Liste abhakte, um genau zu kontrollieren, daß auch nur die Schüler die Schule verließen, die die Erlaubnis dazu hatten.
"Du mußt dich vielleicht daran gewöhnen, daß die Mädchen dich jetzt mit anderen Augen sehen." Severus sah sie von der Seite an. "Und warum sollten sie das tun?"
Lily lächelte wieder geheimnisvoll, beließ es aber diesmal nicht bei dem Lächeln. "Weil du wirklich eine sehr anziehende, düstere Ausstrahlung hast und dabei ein warmherziger Kerl bist. Du wirkst wie ein schlimmer Junge, bist hinter deiner Fassade aber weich und charmant, das mögen die Mädchen. - Das einzige, was sie bisher davon abgehalten hat, so von dir zu denken, ist die Tatsache, daß du Severus Snape bist." Sein Blick verdunkelte sich etwas.
"Und jetzt bin ich wohl nicht mehr einfach nur Severus Snape?" Lily streichelte kaum spürbar über seine Hand.
"Doch, das bist du. Aber du hast ihnen gezeigt, daß Severus Snape eben nicht... wie Barabas Snape ist." Lily brachte den Namen seines Vaters nur mit Mühe hervor, was Severus einen Stich versetzte. Nicht, daß er es nicht verstand, er konnte es nur allzu gut nachvollziehen, aber es war einfach ein scheußliches Gefühl, wenn das Mädchen, das man liebte, nicht einmal ruhigen Gewissens den Namen der Eltern des Partners sagen konnte.
"Sie sollen zur Hölle fahren", antwortete er schlicht und kalt. "Sie sollen nicht plötzlich anfangen, mich mit anderen Augen zu sehen, als wäre ich nicht mehr der selbe." Lily schwieg. Sie war sich fast sicher, daß die halbe Schule von der Sache in der Winkelgasse wußte und davon, wie Severus und Lily sich füreinander eingesetzt hatten. Das war vermutlich der Grund für den Sinneswandel der Mädchen.
Das war genau das, was sie sich immer gewünscht hatte, aber in ihr schrie es noch immer laut auf, wenn sie daran dachte, welchen Preis sie dafür hatte bezahlen müssen. Noch immer schlief sie keine Nacht ruhig und noch immer bekam sie das grausame Gesicht von Barabas Snape nicht aus ihrem Kopf.
Doch Lily wußte jetzt eins. Man durfte sich nicht selbst schwören, für jemand anderen durch die Hölle zu gehen, um dann im Selbstmitleid zu zerfließen, wenn die Hölle ihren Tribut für diesen Schwur forderte. Auch die Hölle hatte mal ein Ende und wenn sie sich jetzt auch scheinbar mittendrin befand und der Weg noch lang war, sie würde das Ende der Hölle erreichen, mit einem Lächeln, denn sie ging für ihn hindurch.
"Was hast du?" fragte Severus sie sanft. Sie hatte einen so merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht, daß er es mit der Angst zu tun bekam. Sie schüttelte den Kopf.
"Ich mußte nur gerade an einen achtlos gemachten Schwur denken." Sein Blick verriet ihr, daß er kein Wort verstand, doch sie lächelte nur und schüttelte den Kopf.
"Nicht wichtig, eine dumme kleine Sache mehr nicht." Doch als sie die Worte aussprach, spürte sie nur allzu deutlich ein Stechen, ganz tief drinnen.
"Komm, laß uns ein Butterbier trinken gehen." Obwohl sie lachte, als sie ihn weiterzog, war Severus überzeugt, daß es ihn doch interessiert hätte, worüber Lily sich den Kopf zerbrach.
Auch Lucius Malfoy war an diesem Tag nicht alleine unterwegs in Hogsmeade, doch obwohl das Slytherin-Mädchen aus dem fünften Schuljahr an seinem Arm ausgesprochen hübsch war und alle Aufmerksamkeit der Welt sicher verdient hatte, klebte sein Blick geradezu an Lily und Severus. Seine wäßrig blauen Augen funkelten böse.
"Lucius, wo starrst du bloß die ganze Zeit hin? Hast du mir überhaupt zugehört? Ich hab mit dir geredet!" Lucius wandte seinen Blick von dem Paar ab und sah seiner Begleitung ins Gesicht. Mit einem kalten Lächeln strich er eine ihrer hellblonden Locken aus ihrem Gesicht. Sie zog einen Schmollmund.
"Verzeih mir, Narcissa, ich war einen Moment abgelenkt." Narcissa schnaubte verächtlich und warf einen Blick auf Lily, die Severus ein paar Meter vor ihnen gerade zu einem der Schaufenster zog.
"Es ist nicht nett, in Begleitung einer Dame anderen Mädchen hinterher zu starren. Das solltest du eigentlich wissen." Sie schürzte verächtlich die Lippen. "Vor allem, wenn es nichts weiter als ein Schlammblut aus Gryffindor ist." Lucius ließ ein kaltes, freudloses Lachen hören.
"Du solltest wissen, daß ich diesem Schlammblut keinesfalls hinterher schaue, weil sie mir gefällt. Sie ist mir sogar ein sehr großer Dorn im Auge." Seine Stimme hatte einen gefährlichen Ton angenommen. Narcissa machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Vergiß doch endlich mal diesen Severus. Wenn er es so will, dann laß ihn doch mit dem Schlammblut glücklich werden. Es ist sein Blut, das er damit in den Schmutz zieht."
"Ihr Frauen habt von nichts eine Ahnung. Manchmal wäre es besser, ihr würdet euren Mund nur zum Lächeln benutzen", gab er zurück und beobachtete zufrieden, wie Narcissa sich gekränkt auf die Lippen biß. Er war ein so verdammt uncharmanter Klotz, anders konnte man Lucius Malfoy einfach nicht beschreiben.
Als Severus und Lily wenige Minuten später im "Drei Besen" vor ihrem Butterbier saßen, schien es einen Moment fast so, als wäre alles wieder beim Alten. Lily lachte und war fröhlich, nur der feine Hauch der Traurigkeit in ihren Augen erinnerte Severus noch immer an das Geschehene. Aber er wußte, es war erst zwei Monate her, er durfte einfach nicht zu viel von ihr verlangen, selbst wenn er die alte Lily wiederhaben wollte und mehr als alles auf der Welt brauchte.
Die Tür der Kneipe ging auf - wohl seit sie hier saßen schon zum zehnten Mal - doch diesmal blickte Severus auf und sofort wurde sein Blick zu Eis. Lucius und seine ebenso gefährliche Angebetete betraten die "Drei Besen". Lily bemerkte die Veränderung in Severus sofort und folgte seinem Blick. Auch sie zeigte wenig Anzeichen von Begeisterung. Ihr Blick traf den von Lucius und Lucius verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen.
Plötzlich sprang Severus auf und stieß dabei seinen Krug Butterbier um. Der schiere Haß stand in seinen Augen und schlug Lucius entgegen, der nur ein müdes Lächeln dafür übrig hatte - äußerlich. Die anderen Gäste der Kneipe wandten ihren Blick auf Severus, doch der merkte es nicht. Er sah nur noch Lucius und obwohl keiner um sie herum begriff, was plötzlich in ihn gefahren war, Severus hatte die kurze, fast auffällig zufällig wirkende Geste gesehen, die Lucius gemacht hatte und die eindeutig in Lilys Richtung gegangen war. Ein flüchtiges Streicheln über die linke Wange, ein mehr als triumphierendes Grinsen auf dem Gesicht.
"Nicht Severus!" zischte Lily ihm zu, doch Severus raste vor Zorn, die Hände an beiden Seiten zur Fäusten geballt, zitternd. Am liebsten wäre auch Lily aufgesprungen, um Severus fest zu halten, doch da war er auch schon schnurgerade auf Lucius zugelaufen, in dessen Augen ein scharfer Beobachter jetzt nun doch ein Zeichen der Angst gesehen hätte.
"Du... und... ich... sofort", preßte er hervor, mit Mühe gegen seinen Zorn ankämpfend, der ihn zu übermannen drohte, und machte eine unmißverständliche Bewegung mit dem Kopf in Richtung Ausgang.
Lucius grinste kalt, doch das Grinsen zitterte.
"Mach dich nicht lächerlich, Severus, vor all den Leuten hier." Doch Severus wich seinem Blick nicht aus, packte Lucius schließlich am Kragen und zerrte ihn Richtung Ausgang. Mehr als nur ein Gast des "Drei Besen" war darüber überrascht, denn noch immer überragte Lucius Malfoy Severus um mindestens einen Kopf und war auch ein ganzes Stück breiter gebaut.
Doch sein rasender Zorn verlieh Severus die nötige Kraft. Er stieß Lucius zur Tür heraus, so daß er vor dem "Drei Besen" stolpernd zu Boden fiel.
"Was soll diese Show, Severus!!" brüllte er den jüngeren Schüler voll Haß an.
"Das könnte ich ebenso gut dich fragen, du dreckiger Bastard!!!" brüllte Severus zurück und zog seinen Zauberstab aus dem Ärmel seines Umhanges hervor. Lucius stockte der Atem, doch nur eine Sekunde später fing er sich wieder.
"Du wagst es dich doch nicht wirklich, vor all den Leuten hier einen Fluch auf mich auszusprechen, Severus. So dumm kannst noch nicht einmal du sein!"
"Ich wäre mir an deiner Stelle nicht so sicher!" flüsterte Severus bedrohlich.
"Werd doch endlich vernünftig!" In Lucius' Stimme lag zum ersten Mal so etwas wie ein Flehen. Severus lächelte ihn grausam an. Lucius hatte Angst und zeigte sie, obwohl man ihn hier sehen und hören konnte. Was für ein erhebendes Gefühl.
"Ich bin vernünftig. Vernünftiger als du, der sich immer wieder mit mir anlegt, obwohl ich dich schon einmal davor gewarnt habe.
Du hast meinem Vater gesteckt, daß ich mit Lily in der Winkelgasse war. Wer auch sonst hätte das gewesen sein können? Wie konnte ich nur einen Augenblick so dumm sein, zu glauben, mein Vater wäre durch Zufall früher als verabredet im Tropfenden Kessel aufgetaucht!" Severus' Worte bohrten sich einzeln wie kleine Eisnadeln unter Lucius' Haut, der immer noch auf dem Boden saß und Severus anstarrte.
"Es ist alles so logisch und einleuchtend. Vater wäre niemals, unter gar keinen Umständen, freiwillig im Tropfenden Kessel gewesen, wenn er gewußt hätte, daß er dort auf mich warten muß. Andere Zauberer und Hexen, womöglich Mischlinge und Muggelgeborene unter ihnen, einfach undenkbar für ihn!!! Du bist es gewesen!" Schweiß bildete sich auf Lucius' Stirn, denn mit jedem Wort steigerte Severus sich immer mehr in seinen Haß hinein und er war nur noch einen Schritt entfernt von blinder, rasender, alles auf ihrem Weg zerstörender Wut.
"Severus! Laß uns darüber reden." Lucius wußte selbst, wie albern dieser Einwand war, doch der Zauberstab, die Angst, die ihm das Herz bis zum Hals schlagen ließ... sein rationales Denken hatte sich längst von ihm verabschiedet.
"Ich rede doch! Wie viel mehr willst du noch reden?!! Du hast schon viel zu viel geredet und vor allem mit den falschen Leuten!!" Severus hob den Zauberstaub ein wenig höher und Lucius krabbelte in Panik auf allen Vieren rückwärts von ihm weg. Severus folgte ihm, Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit auf seinem Gesicht.
"Ich hatte dir gesagt, daß du nie wieder etwas über Lily sagen solltest, daß du dich nie wieder in diese Sache einmischen solltest... und ich hatte dir gesagt, daß du es dich nicht wagen solltest, meinem Vater davon zu erzählen. - Du redest zu viel, man sollte dich endlich zum Schweigen bringen!" Lily stieß die Tür zum "Drei Besen" auf und rannte auf Severus zu.
"Severus, hör bitte auf!" Doch Severus hörte sie nicht.
"Serenitatis!" brüllte er und grüne Funken stoben aus seinem Zauberstab hervor. Lucius griff sich entsetzt an den Hals, bewegte den Mund, doch kein Laut drang daraus hervor. Er sah aus wie ein Fisch auf dem Trockenen, der stumm und verzweifelt immer wieder den Mund öffnete und schloß. Ein zufriedenes Lächeln zog über Severus' Gesicht. Er fuhr herum, als Lily seine Hand ergriff.
"Warum?!" schrie sie ihn an und einen Moment war er so verwirrt, daß er ihr nicht folgen konnte.
"Warum kann das nicht aufhören?!" Severus wollte sie in den Arm nehmen, doch Lily schüttelte nur den Kopf und wich vor ihm zurück.
***
Zerknirscht saß Severus auf dem Stuhl in Dumbledores Büro und wartete auf Professor Dumbledore und Professor Talis, den Hauslehrer von Slytherin. Er mußte immer noch lächeln, als er an das Gesicht von Lucius dachte, wie er da stumm und in Todesangst auf dem Boden kauerte, doch auch Lily kam ihm wieder in den Sinn, ihre Augen, dieser Blick, als ob sie von ihm abgestoßen wäre... er schlug die Augen nieder.
Er hatte doch nur nicht zulassen wollen, daß Lucius sich auch noch in seinem Erfolg sonnte. Er sollte nicht grinsend und stolz durch die Welt gehen, während Lily nachts vor Angst nicht schlafen konnte.
"Mr. Snape, das war eine sehr große Dummheit von Ihnen." Severus blickte auf, als er die Stimme Dumbledores hörte. Sie war warm und freundlich wie immer, doch Severus wußte, wie aufgebracht er über ihn war. Er hatte ihn "Mr. Snape" genannt.
"Ja", antwortete er schlicht.
"Vielleicht möchten Sie sich erklären", setzte Dumbledore nach. "Sie wissen schon, daß auf eine solche Tat normalerweise der Schulverweis droht." Severus fühlte sich in dem Moment als fiele ihm ein riesiger Eisklumpen in den Magen und sofort schoß sein Kopf nach oben. Sein Blick traf den von Dumbledore. Doch der alte Zauberer lächelte nicht, blickte ihn nur verständnislos und besorgt an...
"Er...er..." Severus fluchte innerlich. Jetzt fing er auch noch an, dumm vor sich hin zu stottern! "Lucius Malfoy ist Schuld an dem, was in der Winkelgasse passiert ist, Sir, und er hat sich darüber auch noch lustig gemacht. Ich dachte, es wäre an der Zeit, daß Mr. Malfoy endlich mal den Mund hält", sprudelte es aus ihm heraus und er empfand es als mindestens genauso schlimm wie das Stottern zuvor. Wieder trafen sich ihre Blicke und nun sah er die Verblüffung auf Dumbledores Gesicht.
"Nun, Mr. Snape, das erklärt mir natürlich Ihre Handlung, da ich weiß, wie furchtbar dieses Erlebnis für Sie und Miss Evans war, aber seien Sie trotzdem versichert, daß ich Ihre Handlung noch lange nicht gut heißen kann.
Sicherlich ist Schweigen manchmal ein Segen", er hätte schwören können, daß es in Dumbledores Augen schalkhaft aufblitzte, "aber dennoch haben Sie den falschen Weg gewählt, Mr. Malfoy zum Schweigen zu bringen." Severus senkte den Blick wieder. "Ja Sir, ich weiß."
Dumbledore nickte und wandte sich Professor Talis zu, der den jungen Schüler mit einer Mischung aus Wut und Unverständnis musterte.
"Ich möchte in diesem einen Fall von der üblichen Strafe absehen, Basil." Die Augen des Lehrers für Zaubertränke blitzte einen Moment auf. Zwar war Severus Snape ohne Frage einer seiner mit Abstand besten Schüler, doch was er sich heute in Hogsmaede geleistet hatte, entbehrte seiner Meinung nach jeglicher Entschuldigung.
"Sir?" gab er deshalb nur etwas unsicher zurück. Dumbledore lächelte ihn an und tätschelte ihm die Schulter.
"Auch, wenn ich es nicht gutheißen darf - wie ich ja bereits sagte - kann ich die Reaktion von Mr. Snape voll und ganz nachvollziehen. Ich hätte vermutlich ähnlich gehandelt, wäre ich an seiner Stelle gewesen.
Severus, Sie werden nicht der Schule verwiesen und ich werde auch nicht Ihre Eltern informieren, auch wenn ich Ihnen nicht versprechen kann, daß sie es so nicht erfahren. Aber dennoch, seien Sie gewarnt, daß so etwas nie wieder passieren darf. Ich werde mir gemeinsam mit Professor Talis noch eine passende Strafe ausdenken. Sie gehen am besten zurück in Ihren Gemeinschaftsraum." Severus nickte und als er das Büro von Dumbledore verließ, atmete er erleichtert auf. Doch auch jetzt, wo er nur knapp für sein Handeln dem Schulverweis entgangen war, glaubte er noch immer, daß er richtig gehandelt hatte.
Der Wasserspeier schob sich zur Seite und neben ihm an der Wand lehnte Lily und wartete auf ihn. Sie sah ihn an und er nickte.
***
"Das war sehr dumm von dir und das weißt du auch", sagte sie ruhig, als sie an das Geländer gelehnt stand und in den Sternenhimmel über ihnen blickte. Severus saß auf dem Treppenvorsprung und betrachtete ihren schmalen Rücken.
"Ich konnte nicht anders", gab er schlicht zurück. Lily drehte sich zu ihm um. Sie war nicht mehr wütend auf ihn, wie noch wenige Stunden zuvor in Hogsmaede, das war wenigstens schon einmal etwas.
"Das macht es aber leider nicht besser. Hör endlich auf damit, dich darum zu kümmern, was die anderen sagen und tun. Und wenn es Malfoy war, dem ich diese Narbe hier zu verdanken hab, dann ist es eben so. - Es ist es einfach nicht wert, daß du dafür alles aufs Spiel setzt. Wenn du jetzt von der Schule fliegst, sehen wir uns wahrscheinlich nie mehr wieder, ist dir das denn nicht klar?" Eine Wolke verdeckte für einige Minuten den Mond und tauchte den Westturm damit in völlige Dunkelheit. Als sie sich wieder verzog und das silbrig kalte Licht wieder auf Lilys Gesicht fiel, tropften Tränen auf den kalten Steinboden. Severus sprang auf und zog Lily in seine Arme.
"Ich möchte doch nur nicht, daß dir noch einmal weh getan wird. Ich möchte das so sehr, daß ich einfach alles um mich herum vergesse und so wütend werde, daß solche Dinge wie heute wie von selbst passieren. So bin ich nun einmal." Der alte Selbsthaß war in Severus' Stimme zurück gekehrt.
"Und ich möchte dich nicht verlieren." Die beiden lagen sich in den Armen und für einen Moment gab es nur sie und keine anderen Menschen auf der ganzen Welt. Nur eine Eule, die gerade aus einem Fenster des Schlosses geflogen war und nun in Richtung Süden verschwand. Eine Eule, die eine schicksalhafte Nachricht überbringen würde.
***
Barabas Snape zerknüllte das Stück Pergament in seiner Hand, die vor Wut zitterte. Sein Gesicht hatte eine ungesund rote Farbe angenommen und für einen Moment glaubte Tabatha, ihr Mann habe vergessen, daß er hin und wieder Luft holen mußte.
"Dieses verdammte Balg!!" brüllte er, daß die Wände zitterten und die Hauselfen unten in der Küche sich verängstigt in die nächste Ecke drängten, obwohl ihr Herr weder sie meinte noch in ihrer Nähe war, um seine Wut an ihnen auszulassen. Doch bei Barabas Snape wußte man nie.
Er schleuderte den kleinen Pergamentball in die nächste Ecke und verfluchte sich dafür, daß er die Eule gleich wieder hatte wegfliegen lassen. Zu gerne hätte er dem Unglück bringenden Vieh den Hals für diese Botschaft umgedreht. Nach zwei gehetzten Runden um den Frühstückstisch rannte er aus dem Eßzimmer und wenige Sekunden später hörte Tabatha, wie die Tür der Bibliothek zugeschlagen wurde.
Langsam stand sie auf und hob den zerknüllten Brief auf. Sie strich ihn wieder glatt und las die wenigen Zeilen, die in Lucius Malfoys steiler Handschrift darauf geschrieben waren.
Sir,
leider sehe ich es als meine Pflicht an, Ihnen mitzuteilen, daß Ihr Sohn Severus auch weiterhin noch die Nähe des Schlammblutes sucht und sogar so weit gegangen ist, mich in aller Öffentlichkeit anzugreifen, um ihr zu gefallen.
Ich fürchte, weitere, tiefer gehende Maßnahmen sind hier erforderlich.
Ergebendst
Lucius Malfoy
"Oh Severus, warum bist du nur so dumm?!" seufzte Tabatha und knüllte den Brief wieder zu einer Kugel zusammen und legte diese zurück in die Ecke. Sie setzte sich an den Tisch und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Ihr Sohn setzte alles aufs Spiel. Seine Zukunft, seine Ehre, seine Familie. Und das alles nur für ein Schlammblut. Tabatha lachte bitter und kaum hörbar auf.
Sie wußte, daß ihr Sohn dieses Mädchen liebte. Sie selbst hatte einmal gewußt, was Liebe war. Doch daß ausgerechnet ihr Severus diese Gefühle einmal für sich entdecken würde, war ihr stets unmöglich erschienen.
Doch es war geschehen und es stürzte ihren Sohn ins Verderben.
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