Geheimnisse

 

 

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Kapitel 28: Feststellungen



Das Große geschieht so schlicht wie das Rieseln des Wassers, das Fließen der Luft, das Wachsen des Getreides.

Adalbert Stifter



Er wachte urplötzlich auf, wobei die Stille und die Schwärze, die ihn gnädigerweise umgeben hatte, sehr angenehm war. Die Schwärze war nicht lange geblieben und als der Schleier der Erschöpfung wieder dem Grau eines Traumes wich wachte er auf. Aufrecht saß er im Bett und sah sich um. Eine Weile war er ohne Orientierung, blinzelnd sah er sich in dem schwachen Licht um. Dann erkannte er vertraute Formen, ja sogar den Geruch wieder, er war im Büro seines Herrn. Severus Snape sah an sich herunter und strich über das weiche große Bett. Wie war er hier her gekommen? Langsam kam die Erinnerung zurück, Firenze hatte ihn ins Schloß getragen und dann schließlich Black. Sein Blick wanderte durch den Raum, sein Herr saß ruhig und tief schlafend in einem Sessel, und vor dem Kamin groß und unübersehbar hatte es sich der Zentaur bequem gemacht. Snapes nun wachen Augen suchten den Raum weiter ab, einer fehlte: Black. Fast aus Gewohnheit sah er die gegenüberliegende Wand an. An dieser hatte sich Hagrid meist angelehnt und geschlafen, wenn er über ihn gewacht hatte. Etwas betrübt schüttelte er den Kopf, es war töricht zu denken, der Halbriese sei dort. Hagrid war tot. Was jedoch nichts an der Tatsache änderte, dass Black nicht zu sehen war. Vielleicht hatte Black das Büro von Dumbledore verlassen und war in seine eigenen Räume zurückgekehrt. Es würde Black ähnlich sehen, so ganz war er mit seiner Aufgabe noch nicht verwachsen. Gerade wollte Snape sich wieder zurückfallen lassen, als etwas neben dem Bett schnaufte und grummelte. Vorsichtig beugte sich Snape vor, was sofort mit einem Schwindelanfall belohnt wurde, kurz schloß er die Augen und verbannte ihn aus seinem Kopf. Er wollte sehen wer da war! Als er die Augen öffnete sah er Black auf dem Boden neben dem Bett liegen. Warum bei Merlin lag er auf dem Boden? Es gab doch noch genug Stühle, und das Sofa war sogar noch frei! Black schien es nicht ganz so gut zu gehen, er grummelte wieder im Schlaf und bewegte sich unruhig. Snape spitzte die Ohren und versuchte herauszufinden, was Black da murmelte. Es war irgendetwas wie „kalt“ oder „ich muss hier raus“. Snape schloß daraus, dass der Animagus von Askaban träumte. Anscheinend war es ihm nicht vergönnt aus dem Traum zu erwachen, denn sein Murmeln wurde immer verängstigter. Gerade als er die Hand ausstrecken wollte um Black zu wecken, bevor er mit seinem Gemurmel seinen Herrn aufschreckte, schnellte der ehemalige Gefangene von Askaban aus seinem Traum hoch. Geschickt wich Snape aus, sonst wären sie sehr unsanft mit den Köpfen zusammen gestoßen. Black keuchte und sah sich gehetzt um.
'Auch er hat manchmal Probleme herauszufinden wo er ist', dachte Snape interessiert.
Black saß auf dem Boden und schließlich vergrub er sein Gesicht in beide Hände. Severus ließ sich wieder zurückgleiten und so waren sein Kopf und der von Black auf einer Höhe. Das Geräusch ließ Sirius die Hände vom Gesicht nehmen und er wandte den Kopf Richtung Bett.
Der Todesser beobachtete wie Sirius ihn kurz ansah, dann vergrub er wieder das Gesicht in beide Hände und schüttelte den Kopf.
„Alpträume?“ flüstere Severus.
Sirius nickte.
„Askaban?“ fragte Snape leise nach.
Wieder ein Nicken.
„Ich verstehe.“ Mehr sagte der Todesser dazu nicht.
Sirius Black nahm die Hände wieder vom Gesicht wobei das Gehetzte und Verängstigte noch nicht ganz aus seinen Augen verschwunden war.
„Eigentlich sollte das hier jemand machen, der etwas stabiler unterwegs ist und nicht ich.“ Sirius versuchte seine Stimme sarkastisch klingen zu lassen, was nicht ganz gelang.
Snape dachte kurz nach und er erwiderte: „Eigentlich sollte hier kein Todesser liegen, erst recht nicht einer, der an dieser Schule unterrichtet.“
Severus sah, dass Black darüber nachdachte und schließlich lächelte er schwach. „Hm, da ist etwas Wahres dran. Also Snape, nach dem du wach bist... Pomfrey meinte, du solltest versuchen hiervon etwas zu dir zu nehmen.“
Dabei machte er eine Handbewegung zum Nachttisch hin. Snape drehte leicht den Kopf, und allein schon die Farbe von bestimmten Mitteln sagte ihm um was es sich handelte.
Sirius stand leise auf und begann die verschiedenen Flaschen abzuwiegen. Er besah die Farbe und roch daran, dabei rief er im Geiste alle Medikamente ab, die er von Hagrid wußte. Er entschied sich zuerst für einen Trank zur Stärkung des Herzens, mit größter Umsicht mischte er ihn in einem filigranen Kristallkelch zusammen. Mit dem Kelch in der Hand sah er etwas hilflos zu Snape herab. Der Todesser gab ihm Zeit, Hagrid hatte auch etwas Zeit gebraucht. Dann gab sich Black einen Ruck und er ließ sich am Bettrand nieder. Mit größter Vorsicht beugte sich Black vor und griff mit der freien Hand hinter den Kopf von Snape und hob ihn vorsichtig an. Sachte hob Sirius den Kelch an seine Lippen. Die bittere Medizin ran seine Kehle herunter. Schwer schluckte Snape, wie viel Medizin hatte er schon in seinem Leben getrunken? Angewidert verzog er das Gesicht. Gleichzeitig spürte er, wie sich sein Herzschlag beruhigte und fester wurde.
So ging es noch zwei weitere Kelche, bis Snape den Kopf schüttelte, mehr wollte und konnte er nicht mehr zu sich nehmen. Sirius ging diesem Wunsch wortlos nach und stellte die Karaffe zurück.
Es wurde still zwischen ihnen, Snape atmete ruhiger und Sirius saß einfach nur am Bettrand und beobachtete ihn.
Firenze, welcher immer noch vor dem Kamin lag, grummelte und ein Vorderhuf zuckte.
Snape brannte etwas auf der Seele. Hagrid hatte ihm beigebracht, auch einmal seine Wünsche zu äußern, seine Fragen zu stellen und nicht immer zu schweigen. Dieses Geschenk von Hagrid wollte er anwenden, wollte fragen, doch der Schrecken der letzten Tage, Voldemort, umklammerte noch seinen Geist, seine Knochen.
Sirius seufzte und warf einen Blick auf die Uhr. „Bis zum Morgen sind noch ein paar Stunden. Wir sollten versuchen, noch etwas zu schlafen.“
Elegant glitt er vom Bettrand und saß wenig später wieder auf dem Boden vor dem Bett. Leise und sorgfältig begann er seine Decke zu ordnen und sich auf ein paar weitere Stunden Schlaf vorzubereiten.
Gerade als Sirius sich zurecht legte, flüsterte Snape: „Ich bin auch einmal da gelegen.“
„Wie kam es dazu?“ fragte Sirius leise vom Boden aus.
„Es war die erste Nacht wo ich zurück zu meinen Herrn kam, um Nachrichten zu bringen“, raunte Severus.
„Warum hast du dich hier hingelegt nicht auf den Sessel oder das Sofa?“ flüsterte Sirius und es raschelte leise als er sich umdrehte.
„Warum liegen Sie da, Black?“ Severus wußte zwar, dass es unhöflich war eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, doch glaubte er so Sirius selbst auf die Antwort kommen zu lassen.
Sirius Black ließ sich mit der Antwort Zeit, Snape befürchtete, dass er eingeschlafen war, doch der Atem kam dazu noch zu schnell von Black. Andere hätten jetzt nachgefragt, ihn zu einer Antwort gezwungen, doch Geduld war eine der Eigenschaften, die bei Voldemort ein längeres und schmerzfreieres Leben ermöglichten, und Snape hatte es zur Perfektion gebracht. Was Voldemort jedoch nicht davon abhielt, ihm bei jeder Gelegenheit zu zeigen wo er stand.
Nach Minuten kam endlich eine Antwort, ganz leise aber auch sehr schnell, fast so als befürchtete Black, Severus würde ihn auslachen. „Es fühlte sich richtig an.“
Snape nickte in Gedanken, das war es.
Der Atem von Sirius kam nun länger und tiefer, er war eingeschlafen. Vielleicht würde er jetzt in Ruhe schlafen können.

Am nächten Morgen erwachte Sirius und in diesen wenigen Stunden hatten ihn keine Alpträume heimgesucht. Snape hatte richtig geraten, er hatte von Askaban geträumt. In seinen Träumen saß er wieder in dieser kleinen Zelle, verbittert und unglücklich, wissend, dass durch seinen Fehler sein bester Freund und dessen Frau umgebracht worden waren. In der Nacht kam die Trauer wieder und die Verzweiflung. Black richtete sich auf, Firenze saß auf dem Boden, ein Buch in den Händen, Dumbledore war verschwunden, zweifelsfrei war er im Schloß unterwegs, und Snape? Noch etwas benommen schwenkte er den Kopf Richtung Bett, es war leer!
Verblüfft starrte Black darauf.
„Er ist schon seit zwei Stunden weg. Sie haben so gut geschlafen, dass wir beschlossen, Sie nicht zu wecken.“ Firenze legte das Buch weg und mit einem Ächzen stand er auf. Der Boden bebte leicht, als das magische Wesen auf ihn zu trat.
„Außerdem hat sein Unterricht vor einigen Minuten begonnen. Nur eine Stunde zum Glück. Heute Nachmittag reisen die Schüler ab, wegen der Ferien.“ Während Firenze auf ihn zutrat stand Black auf.
„Wie geht es ihm?“ fragte Black.
„Er wird die Stunde unterrichten und keiner wird bemerken, dass er erschöpft war oder noch ist.“ Firenze kam nun zum Stehen und sah ihn aus seinen unergründlichen Augen an.
Black griff in seine Hosentasche und holte ein Lederband hervor, mit dem er immer versuchte seine Haare zu bändigen. Während er seine Haare zusammenband, sah Black aus einem nahen Fenster.
Schüler gingen lachend über das Gelände, sie freuten sich wahrscheinlich auf die Ferien. Einige warfen mit Schneebällen oder schmolzen sich den Weg zum Schloß frei. Es war ein friedliches Bild, wie es in einer Schule sein sollte. Doch Black wurde es schwer ums Herz, Dumbledore hatte Recht, es war nur wie ein langes Luft holen. Voldemort würde über die Ferien eine beängstigende Ruhe verbreiten und sie dann mit dieser Ruhe beinahe in den Wahnsinn treiben.

Die Schüler waren am Schloß angelangt und fast glaubte Black ihre lachenden Stimmen zu hören. Seine Augen wurden feucht als er daran dachte, wer wohl dieses Jahr überleben würde und wer nicht, er wollte nicht noch mehr Freunde und Bekannte verlieren. Nicht wieder aufwachen müssen und erkennen, dass vertraute Gesichter fehlten. Selten in seinem Leben traf in diese Erkenntnis so wie in diesem Augenblick, er suchte den Blick von Firenze.
Der Zentaur sagte nichts, sondern sah gleichfalls aus dem Fenster. Dachte Firenze so wie er? Konnte er es überhaupt? Firenze hatte auch Familie verloren, sein Junges, rief sich Sirius zurück ins Gedächtnis. Half er vielleicht deswegen? Firenze seufzte und sein langer weißer Schweif schlug um ihn. „Seien Sie nicht traurig Black, morgen ist Weihnachten und wir sollten uns darauf freuen. Wozu traurig sein über etwas, was noch nicht eingetreten ist? Das ist doch genau das, was der Dunkle Lord will, uns in unseren Gedanken schocken, festfrieren lassen.“
„Sie haben recht Firenze, es war töricht von mir so zu denken“, sagte Black.
„Nein, nicht töricht, nur menschlich.“ Und Sirius glaubte fast so etwas wie ein Lächeln hören zu können.

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