Fern der Heimat

 

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Kapitel 1: Eine Welt bricht zusammen

 




Harry und Sirius saßen gemeinsam im Park unter einem Baum. Vor den Blicken der Muggel waren sie durch einen dichten Busch geschützt.
Harry starrte fassungslos auf einen Brief, den er in seiner Hand hielt. „Wir schaffen das, mach dir keine Sorgen, Harry“, sagte Sirius und legte eine Hand auf seine Schulter. Harry antwortete nicht. Er sah seinen Paten nicht an, während dieser versuchte ihn zu trösten. Stattdessen las er immer und immer wieder die Zeilen in seiner Hand:


Sehr geehrter Mr. Potter,

da Sie es vorgezogen haben am 12. Juni nicht zu der Vormundschaftsverhandlung zu erscheinen, hat das Ministerium das vorläufige Sorgerecht den Muggeln Vernon und Petunia Dursley zugesprochen.
Sie haben das Recht innerhalb der nächsten fünf Tage Widerspruch gegen diese Entscheidung einzulegen.

Hochachtungsvoll

Valerie Rickpark
Abteilung für Vormundschaftsangelegenheiten
Zaubereiministerium



„Das können die doch nicht so einfach machen“, flüsterte er schließlich tonlos. „Morgen ist mein letzter Tag im Ligusterweg“, sagte Sirius leise, „sobald dein Onkel mich bei Dr. Thatcher abgeliefert hat werde ich nach Hogwarts gehen und mit Albus sprechen. Er weiß sicher eine Lösung.“
Harry löste seinen Blick von dem Brief und starrte Sirius fassungslos an.
„Du gehst?“, fragte er leise. „Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen.“ In seinen Augen spiegelte sich unendliche Verzweiflung wider.
„Harry, auf diese Weise kann ich dir am besten helfen, vertrau mir“, antwortete Sirius eindringlich.
Harrys Hände ballten sich zu Fäusten, seine Lippen waren zu schmalen Linien verzogen. „Dann geh doch“, sagte er tonlos zu seinem Paten, „ich komme auch ohne dich klar.“ Mit diesen Worten stand er auf und ging.
Sirius sprang sofort auf. „Harry, warte“, rief er ihm nach, aber Harry würdigte seinen Paten keines Blickes mehr, sondern eilte den belebten Kiesweg des Parks entlang.
Sirius wusste, dass es zu riskant war Harry in Menschengestalt zu folgen, also verwandelte er sich in einen Hund und setzte dem Jungen nach.
Als er Harry erreicht hatte, stupste er ihn mit seiner feuchten Nase an, doch Harry ignorierte ihn und stapfte weiter in Richtung Ligusterweg. Als sie den Garten von Nummer 4 erreicht hatten, drehte Harry sich endlich zu Sirius um und zischte: „Lass mich in Frieden.“ Dann betrat er das Haus und ließ Sirius alleine im Garten zurück.
Der Hund starrte auf die geöffnete Terrassentür, durch welche der Junge soeben verschwunden war. Sirius wusste, dass es hart war, Harry gerade jetzt zu verlassen, und er nahm ihm seinen Zorn nicht übel, aber seine Zeit im Ligusterweg war vorbei. Dr. Thatcher, Dudleys Diätärztin, hatte den Dursleys ihren Hund in Pflege gegeben, während sie im Urlaub war, und dieser Urlaub endete morgen. Es gab keine Möglichkeit seinen Aufenthalt zu verlängern.
Außerdem waren Sirius im Ligusterweg die Hände gebunden. Wie sollte er etwas für Harry tun, während er in einer Hundehütte saß?

Als Harry das Wohnzimmer des Hauses durch die Terrassentür betrat, fiel sei Blick auf Onkel Vernon und Tante Petunia. Die beiden hatten gemeinsam auf dem Sofa gesessen, doch als Harry den Raum betreten hatte, war Onkel Vernon sofort aufgesprungen.
Ein gefährliches Lächeln umspielte seinen Mund. „Na, Bursche“, sagte er mit einem hinterhältigen Unterton, „ich nehme an, du hattest auch Besuch von so einem Federvieh.“
Harry antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig, denn Onkel Vernon hatte bereits das zerknitterte Stück Pergament in Harrys Hand entdeckt. Onkel Vernons Grinsen wurde noch breiter. „Richte dich schon mal darauf ein, dass du dein nächstes Schuljahr im ‚St. Brutus Sicherheitszentrum’ verbringen wirst. Ich werde dich noch heute dort anmelden.“
Harry sagte kein Wort, sondern starrte seinen Onkel nur an. Keine Gefühlsregung war in seinem Gesicht zu erkennen.
Onkel Vernon zögerte einen Moment. Er musterte Harry eingehend, in der Hoffnung, zu erkennen, was der Junge dachte. Diese Emotionslosigkeit verwirrte ihn.
„Geh auf dein Zimmer“, knurrte er schließlich. Harry drehte sich um und verließ ohne ein Wort das Wohnzimmer. Auf der Treppe lief ihm Dudley über den Weg. Als er Harry sah grinste er breit. „Hat dein komisches Volk jetzt endlich die Nase voll von dir?“, fragte er provozierend.
Harry antwortete nicht, sondern ging einfach an Dudley vorbei. Als er endlich sein Zimmer erreicht, und die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurden seine Knie schwach und er sackte auf den Boden.
Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füssen weggezogen. Seine ganze Welt, seine gesamte Zukunft schien sich vor seinem inneren Auge in Luft aufzulösen. Er gehörte einfach nicht hierher, er war kein Muggel, er war ein Zauberer und wollte, nein, musste bei seinesgleichen leben.
Tränen stiegen ihm in die Augen und er vergrub sein Gesicht im Schoß.

Harry wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte. Nach einiger Zeit raffte er sich langsam auf, setzte sich an seinen Schreibtisch, und begann einen Brief an das Zaubereiministerium zu schreiben.
Er wusste nicht, ob ein Einspruch gegen den Beschluss des Ministeriums überhaupt Sinn machte, aber er musste es auf alle Fälle versuchen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, den Rest seines Lebens bei den Dursleys zu verbringen.
Vielleicht konnte er wenigstes erreichen, dass die Dursleys ihm gestatten mussten, weiterhin Hogwarts zu besuchen.
Als er den Brief beendet hatte, nahm er das Blatt Pergament, verließ sein Zimmer und schlich leise die Treppe hinunter. Zu seiner großen Erleichterung schien keiner von seinen Verwandten in der Nähe zu sein.
Unbemerkt stahl Harry sich in den Garten und ging zur Hundehütte am Ende des Rasens. „Sirius“, flüsterte er leise.
Niemand antwortete. „Sirius“, wiederholte Harry etwas lauter. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. War Sirius sauer auf ihn? Er hatte schließlich allen Grund dazu, so wie Harry ihn vorhin behandelt hatte.
Zu seiner großen Erleichterung hörte er dann jedoch die Stimme seines Paten: „Ja, Harry, ich bin hier.“ Harry atmete erleichtert auf und ging um die hölzerne Hütte herum.
Sirius saß vor dem Eingang im Schneidersitz und hatte die Hände im Schoß. Als er Harry sah lächelte er.
Harry ließ sich neben Sirius ins Gras nieder. Für eine ganze Weile sprach niemand ein Wort, dann flüsterte Harry: „Es tut mir leid.“ Sirius legte lächelnd seinen Arm um Harry und antwortete ebenso leise: „Ist schon gut.“
Harry schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ist es nicht“, antwortete er, „es war ungerecht von mir, dich so anzufahren.“
„Vergiss es einfach“, sagte Sirius freundlich, „du warst aufgeregt, da sagt man manches, das man nicht so meint.“
Wieder saßen sie einen Moment schweigend nebeneinander. Schließlich ergriff Harry wieder das Wort: „Ich habe eben einen Brief an das Ministerium geschrieben, möchtest du ihn lesen?“
Mit diesen Worten reichte er seinem Paten das Stück Pergament, das er die ganze Zeit schon in der Hand gehalten hatte.
Sirius nahm den Brief und begann ihn zu lesen. Nach einer Weile nickte er anerkennend. „Sehr gut“, sagte Sirius schließlich, „Wenn sie jetzt noch verlangen, dass du bei Muggeln bleibst, gehören diese Ministeriums-Clowns wirklich gesteinigt.“
„Das ist nett von dir, Sirius“, sagte Harry dankbar, „Ich werde Hedwig gleich mit dem Brief nach London schicken, damit er auf alle Fälle pünktlich ankommt.“
„Ja, mach das“, pflichtete Sirius ihm bei, „aber vielleicht solltest du diesen Brief direkt an Cornelius Fudge schicken, er hat den größten Einfluss im Ministerium. Wenn du ihn überzeugst, hast du gewonnen.“ Harry nickte zustimmend.

Am nächsten Morgen brachte Onkel Vernon den Hund zurück zu Dr. Thatcher. Harry hatte kaum Zeit gehabt sich von seinem Paten zu verabschieden, so eilig hatte es sein Onkel gehabt das Tier wieder loszuwerden.
Traurig saß Harry in seinem Zimmer. Nun war er also auf sich alleine gestellt. Er konnte nur hoffen, dass sein Brief bei Minister Fudge Eindruck machte.
Zum Glück gab es außerdem noch Professor Dumbledore. Er würde mit Sicherheit auch noch ein gutes Wort für Harry einlegen, damit er bald wieder nach Hogwarts gehen konnte.

***



Eine Woche war mittlerweile vergangen, seit Sirius den Ligusterweg verlassen hatte. Harry hatte seit diesem Tag kaum noch sein Zimmer verlassen.
Lediglich zu den Mahlzeiten konnte er sich dazu durchringen seinen Verwandten zu begegnen. Den Rest des Tages lag er apathisch auf seinem Bett und starrte Löcher in die Luft.
Zu seiner großen Enttäuschung hatte er bis jetzt noch keine Antwort vom Zaubereiministerium erhalten.
Auf seinem Schreibtisch lagen die beiden Zauberstäbe, sein eigener, und der Stab seines Vaters, den Mrs. Figg ihm vor einem knappen viertel Jahr gegeben hatte. Es kam ihm vor, als wäre all dies vor vielen, vielen Jahren geschehen.
Selbstverständlich hatte er in den letzten Tagen seinen besten Freunden Ron und Hermine alles geschrieben, was seit dem Ende ihres 5. Schuljahres geschehen war, aber bis jetzt hatte er vergeblich auf eine Antwort gewartet. Wollten sie etwa nichts mehr mit ihm zu tun haben?
Es war später Vormittag als Hedwig, Harrys Eule, durch das geöffnete Fenster flog und auf Harrys Kopfkissen landete. Stolz streckte sie ihm ihr rechtes Bein entgegen, an dem ein Kuvert befestigt war.
Harry setzte sich abrupt auf und löste aufgeregt das Band, mit dem der Brief am Bein der Eule festgebunden war. Hedwig beobachtete ihn dabei missbilligend. Sie war sichtlich beleidigt, dass Harry sie nicht einmal zum Dank für ihre Dienste gelobt hatte.
Als Harry den Brief endlich von ihrem Bein gelöst hatte erhob Hedwig sich in die Luft und flog zu ihrem Käfig. Dort setzte sie sich auf ihre Stange und schmollte.
Harry öffnete das Kuvert und sein Blick fiel sofort auf den Absender: es war Ron. Harrys Herz machte einen kleinen Satz. Aufgeregt begann er zu lesen:

Hallo Harry,

ist das Zaubereiministerium nicht mehr ganz sauber? Wie können die allen Ernstes verlangen, dass Du für immer bei Muggeln leben sollst?
Ich hoffe doch, dass Professor Dumbledore denen noch mal ins Gewissen redet. Die sollen lieber mal ‚Du-Weißt-Schon-Wen’ erledigen, statt Dir das Leben zur Hölle zu machen.
Ach, ja, und bevor ich es vergesse: Hättet Ihr Snape nicht noch 2 Jahre in Askaban schmoren lassen können, bis wir unseren Abschluss haben? Schade eigentlich.

Halt auf jeden Fall die Ohren steif, Harry, Hermine und ich werden immer für Dich da sein, egal wie es weiter geht.

Alles Gute,

Ron

P.S.: Ich melde mich bald wieder bei Dir.


Harry ließ den Brief sinken und seufzte. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass ihn sein bester Freund noch nicht vergessen hatte und zu ihm hielt.
Harry hatte eine ganze Weile so dagesessen, als er durch ein Klingeln an der Haustür aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er hörte Schritte, dann öffnete jemand die Tür. Für einen Moment war es still, dann hörte er die schrille Stimme von Tante Petunia: „Verlassen Sie mein Haus, sofort. Wir wollen mit Ihresgleichen nichts zu tun haben.“
Harry sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Wer konnte das bloß sein? War es vielleicht Remus, der Harry wieder abholen wollte, im Notfall mit Gewalt? Oder etwa Professor Dumbledore?
Bevor er sich entschieden hatte was er machen sollte hörte er wieder Tante Petunias Stimme: „Taugenichts, beweg deinen Hintern hier runter.“
Harry griff aufgeregt nach seinen beiden Zauberstäben, steckte sie im Laufen in seine Tasche, und rannte so schnell er konnte die Treppe hinunter. Unten angekommen hielt er atemlos inne und starrte auf die drei Männer, die in der Tür standen.
Zwei von Ihnen kannte Harry nicht. Sie trugen beide einheitliche Umhänge, die entfernt an eine Uniform erinnerten. Auf ihrer Brust prangte das Zeichen des Zaubereiministeriums.
Den dritten kannte er, es war .... Percy. Was wollte Percy im Ligusterweg? Harry starrte ihn verwirrt an.
„Percy“, begann er unsicher, „was willst DU denn ...“
„Guten Tag, Mr. Potter“, unterbrach Percy ihn jedoch ungerührt, „wird sind im Auftrag des Zaubereiministeriums hier.“
Harry starrte Percy nun noch verwirrter an. Er hatte ein ganz mieses Gefühl bei dieser Sache. „Da Sie nicht länger ein Mitglied der Zauberergesellschaft sind und zukünftig keine Zauberschule mehr besuchen werden, wurde ich beauftragt Ihren Zauberstab zu konfiszieren. Sie werden ihn nicht mehr benötigen.“
Harry war wie versteinert. Sein Blick fiel auf Tante Petunia. Sie grinste über das ganze Gesicht, als ob soeben Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen wären.
„Aber Percy“, stammelte Harry, „das könnt ihr doch nicht .....“
„Mr. Potter“, unterbrach Percy ihn erneut und streckte fordernd seine Hand aus, „bitte händigen sie mir ihren Zauberstab aus, ansonsten bin ich gezwungen entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.“
„Das verstehe ich nicht“, protestierte Harry, „was soll das bedeuten, ich bin kein Mitglied der Zauberergesellschaft mehr? Da muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe vor einer Woche einen Brief an Minister Fudge geschrieben, in dem ich gegen den Beschluss des Ministeriums Widerspruch eingelegt habe.“
Percy griff wortlos in seinen Umhang und reichte Harry ein zusammengerolltes Blatt Pergament. Verwirrt nahm Harry den Brief an sich und öffnete ihn:


Sehr geehrter Mr. Potter,

ich danke Ihnen für Ihr rührendes Schreiben. Leider ist es uns nicht möglich Ihrem Einspruch stattzugeben.

Wie Sie wahrscheinlich selbst am Besten wissen, sind Sie in der Zaubererwelt in großer Gefahr, aus diesem Grund halten wir es für sinnvoll, wenn Sie zukünftig jedweden Kontakt zu Mitgliedern der Zaubererwelt unterlassen.
Es ist Ihnen weiterhin untersagt reines Zaubergelände wie Hogwarts, die Winkelgasse oder Gleis 9 ¾ zu betreten.
Außerdem wird das Ministerium Ihren Zauberstab in Gewahrsam nehmen, um Sie vor sich selbst und anderen zu schützen.
Zu Ihrer und unserer Sicherheit sind Sie ab diesem Tage nicht länger ein Mitglieder der Zauberergesellschaft.

Gegen diesen Beschluss kann kein Widerspruch eingelegt werden.

Hochachtungsvoll

Cornelius Fudge
Minister für Zauberei



Harry hatte das Gefühl als falle er in ein tiefes, schwarzes Loch. Alles in seinem Kopf drehte sich. Wie in Trance griff er in seine Tasche und zog seinen Zauberstab hervor. Zögernd reichte er ihn Percy.
Dieser nahm den Stab an sich und steckte ihn ein. Eine kurze Pause entstand, dann sagte Percy: „Harry, auch den anderen, bitte!“
Harry starrte Percy fassungslos an. Woher konnte er das wissen? Hätte er es nicht einfach für sich behalten können?
„Aber Percy“, versuchte Harry zu bluffen, „ich habe nur den einen. Ich verstehe nicht was du meinst.“
„Ron hat uns alles erzählt, es hat keinen Sinn sich rauszureden“, antwortete Percy nun etwas freundlicher. Langsam griff Harry erneut in seine Tasche und zog den Zauberstab seines Vaters hervor. Liebevoll ließ er seinen Blick über das alte Stück schweifen und sagte leise: „Er hat mal meinem Vater gehört.“
„Ich weiß“, antwortete Percy ebenso leise, „ich werde dafür sorgen, dass ihm nichts geschieht, das verspreche ich dir.“
Harry strich zärtlich über das abgegriffene Holz. „Gib ihm endlich dieses Ding“, keifte Tante Petunia.
Harry wandte seinen Blick von dem Zauberstab ab und starrte seine Tante ärgerlich an. Langsam hob er den Zauberstab und richtete ihn auf seine Tante.
„Mach mir keine Vorschriften“, zischte er. Seine Tante riss erschrocken die Augen auf und kreischte: „Wag dich, du unverschämter Bengel.“
Harry öffnete den Mund, doch bevor er einen Zauberspruch aussprechen konnte hatte Percy geistesgegenwärtig einen Satz nach vorne gemacht und Harry den Zauberstab aus der Hand gerissen.
„Mach keinen Unsinn, Harry“, sagte er, „das ist es nicht wert.“
„Was habe ich jetzt noch zu verlieren?“, antwortete Harry tonlos.
„Eine ganze Menge“, keifte Tante Petunia. Ihr Kopf war hochrot und auf ihren Wangen traten bereits einige Adern vor Wut blau hervor. Harry blickte seine Tante emotionslos an.
„Geh auf dein Zimmer“, keifte Tante Petunia weiter, „Warte nur, bis dein Onkel nach Hause kommt, dann wirst du schon sehen, was du noch zu verlieren hast.“ Mit diesen Worten versetzte sie Harry einen kräftigen Stoß, so dass dieser fast das Gleichgewicht verlor und nach vorne taumelte.
Ohne sich noch einmal umzudrehen schlurfte er die Treppe hinauf und zurück in sein Zimmer. Dort setzte er sich kraftlos auf sein Bett und starrte gegen die Wand. Alles schien sich zu drehen.
Wut kochte in ihm. Wie hatte Percy ihm das nur antun können? Hätte er ihm nicht einfach den zweiten Zauberstab lassen können? Niemand sonst hätte es erfahren.
Am liebsten hätte er laut geschrieen, aber aus irgend einem Grund fehlte ihm dazu die Kraft, also saß er einfach nur da und starrte vor sich hin.
Harry wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, als seine Zimmertür abrupt aufgerissen wurde. Harry blickte auf. In der Tür stand Onkel Vernon. Sein Gesicht war hochrot und seine Augen waren zu gefährlichen Schlitzen verengt. Er erinnerte an einen wildgewordenen Stier.
„Was bildest du dir eigentlich ein, du undankbarer Bastard?“, donnerte er los. „Haben wir dich nicht jahrelang durchgefüttert? Haben wir dir nicht ein Dach über dem Kopf gegeben? Und was ist der Dank?“
Harry blickte seinen Onkel an ohne zu antworten, was Onkel Vernon nur noch rasender machte. „Hast du gar nichts dazu zu sagen?“, donnerte er weiter. Harry schwieg beharrlich.
„Zum Glück hat das alles jetzt ein Ende“, schnaubte Onkel Vernon, „Ich bin froh, dass es in diesem Hause zukünftig keine Zauberei mehr geben wird. Bis zum Ende der Ferien will ich dich nicht mehr sehen. Komm mir bloß nicht unter die Augen, sonst könnte ich mich vergessen. Du kannst froh sein, dass ich ein so friedfertiger Mensch bin, sonst würde ich dich hier und jetzt windelweich prügeln.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Zimmer. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Dann hörte Harry ein leises Klicken. Onkel Vernon hatte ihn eingeschlossen.
„Warte nur, bis du in ‚St. Brutus’ bist, da werden sie dir schon Manieren einprügeln“, hörte Harry die gedämpfte Stimme seines Onkels durch die geschlossene Tür.

***



Die nächsten vierzehn Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Durch die Katzenklappe, welche die Dursleys bereits einige Jahre zuvor in Harrys Zimmertür eingebaut hatten, erhielt Harry in unregelmäßigen Abständen etwas zu Essen und zu trinken.
Da er nichts besseres zu tun hatte lag Harry von morgens bis abends auf seinem Bett und starrte vor sich hin. Zu gerne hätte er ‚Quidditch im Wandel der Zeiten’ zur Hand genommen und ein bisschen darin herumgeblättert, aber diese Erinnerungen waren einfach zu schmerzlich.
Er wollte am Liebsten überhaupt nicht mehr an Zauberei denken, geschweige denn an Quidditch.
Wie versprochen hatten Ron und Hermine ihm mehrmals geschrieben, aber Harry hatte keinen ihrer Briefe beantwortet. Warum sollte er auch? Was sollte ihm das bringen?
Er wollte nicht daran erinnert werden, dass seine Freunde in wenigen Wochen wieder nach Hogwarts zurückgingen, und er selbst zurückbleiben musste.
Gelangweilt blickte er auf den Kalender, der neben seinem Bett an der Wand hing. Heute war der 31. Juli, sein Geburtstag. All seine Freunde, Ron, Hermine und Hagrid hatten ihm Eulen mit Briefen und Geschenken geschickt, doch sie lagen alle unberührt auf dem Schreibtisch.
Niedergeschlagen stand Harry auf und schlurfte zum geöffneten Fenster. Er suchte den Himmel nach einem Zeichen von Hedwig ab. Seine Eule war nun schon seit drei Tagen auf Beutezug und Harry machte sich allmählich Sorgen um sie.
Von weitem sah er ein Auto die Straße herauffahren. Harry bemerkte, dass es ein fremdes Kennzeichen hatte, welches nicht aus dieser Gegend stammte. So etwas war im Ligusterweg recht ungewöhnlich.
Das Auto kam allmählich näher und hielt schließlich nur wenige Meter vor Nummer 4. Neugierig beugte Harry sich etwas nach vorne um sehen zu können was dort unten vor sich ging.
Als sich die Beifahrertür öffnete stockte ihm fast der Atem: es war Hermine. Sie trug einen karierten Faltenrock und eine weiße Bluse. Ihre Haare waren zu zwei ordentlichen Zöpfen geflochten.
Harry musste sich ein Grinsen verkneifen. Hermine erinnerte ihn an ein kleines, braves Muggelmädchen, auf dem Weg zur Schule.
Aber was in Merlins Namen wollte sie hier? Harry beobachtete, wie Hermine zur Haustür des Ligusterweges Nummer vier ging, bis sie aus seinem Blickfeld verschwand. Dann hörte er ein Klingeln.
Wenige Sekunden später hörte er, wie sich die Haustür öffnete. Harry lehnte sich weit aus dem Fenster, um verstehen zu können, was unten gesprochen wurde.
„Ja?“, hörte er die verwunderte Stimme seines Onkels.
Harry hätte zu gerne sein Gesicht gesehen. Im Ligusterweg kam es nie vor, dass irgendwelche Mädchen vor der Tür standen. Dudley war zwar mittlerweile in einem Alter, in welchem man sich durchaus vorstellen konnte eine Freundin zu haben, aber er zog es vor mit seinen Freunden durch die Straßen zu ziehen und Jüngere zu verprügeln. Er war einfach noch nicht reif genug um überhaupt eine Freundin in Betracht zu ziehen.
„Guten Tag Mr. Dursley, mein Name ist Hermine Granger“, antwortete Hermine mit zuckersüßer Stimme. Harry musste an sich halten um nicht loszuprusten.
„Möchtest du zu Dudley?“, fragte Onkel Vernon noch immer recht verwirrt. „Nein, Sir“, antwortete Hermine höflich, „ich möchte gerne zu Harry.“
„Harry?“, fragte Onkel Vernon argwöhnisch, und die Verwirrung in seiner Stimme wich leichtem Ärger.
„Bist du etwa eine von denen?“, fragte er weiter. Jegliche Freundlichkeit war verschwunden.
„Von denen?“, fragte Hermine verwirrt. „Ich weiß nicht, wen Sie meinen, Mr. Dursley. Ich bin eine Freundin von Harry. Wir haben uns vor einem Jahr in der Sommerschule kennen gelernt.“
Harry grinste. Hermine war wirklich um keine Antwort verlegen.
„Ach so“, sagte Onkel Vernon, nun wieder etwas freundlicher, „aber Harry will keinen Besuch. Du bist umsonst gekommen.“ Harry hielt die Luft an. Onkel Vernon würde doch Hermine nicht wieder wegschicken.
„Aber Mr. Dursley“, sagte Hermine überrascht, „heute ist doch sein Geburtstag, da freut sich jeder über Besuch.“
Onkel Vernon stutzte einen Moment, dann murmelte er: „So, hat er das.“
Eine kurze Pause folgte, dann fuhr er lauter fort: „Na ja, dann macht er vielleicht eine Ausnahme. Komm mit.“
Harry atmete erleichtert auf.
Eine Minute später hörte Harry ein Klicken an seiner Tür, dann wurde sie abrupt geöffnet. Onkel Vernon stand in der Tür, hinter ihm eine triumphierend lächelnde Hermine.
„Bitte schön“, sagte Onkel Vernon und ließ Hermine eintreten. Dann funkelte er Harry warnend an und sagte: „Aber macht nicht zu lange, schließlich wollen wir noch mit der Familie feiern. Denk dran, in einer halben Stunde kommen die Gäste.“
Harry antwortete nicht.
„Hast du mich verstanden?“, fuhr Onkel Vernon Harry an. „Ja, ich hab’s gehört“, antwortete Harry patzig. Onkel Vernon fixierte Harry noch einen Moment warnend, dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Harry stürzte sofort auf seine Freundin zu, fiel ihr um den Hals und seufzte: „Hermine“
Hermine lächelte. Sie wartete geduldig, bis Harry sie aus seiner Umarmung entließ, dann setzte sie ein erstes Gesicht auf und sagte vorwurfsvoll: „Happy Birthday, Harry. Aber erkläre mir bitte, warum hast du dich bei keinem von uns gemeldet? Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht.“
Harry seufzte. „Ich wollte nichts mehr von der Zaubererwelt wissen. Die Erinnerungen tun einfach zu weh. Außerdem wurde mir jeder Kontakt zu euch verboten.“ Hermine schnaubte verächtlich.
„Seit wann hältst du dich an Regeln?“, antwortete sie augenzwinkernd, dann wurde sie wieder ernst. „Außerdem kannst du dir bestimmt vorstellen, dass es uns auch weh getan hat nichts mehr von dir zu hören. Wir dachten du interessierst dich nicht mehr für uns.“
Harry ließ den Kopf hängen und nickte. „Tut mir leid, das wollte ich nicht“, flüsterte er.
„Ist schon gut“, antwortete Hermine lächelnd.
Dann ging sie zu Harrys Schreibtisch und ließ sich auf dem Stuhl davor nieder. Neugierig blickte sie sich in dem spartanisch eingerichteten Zimmer um, dann sagte sie: „Hm, so lebst du also.“ Harry verzog das Gesicht, antwortete jedoch nicht.
„Warum bist du hier?“, fragte er stattdessen. Hermine lächelte. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Mit diesen Worten griff sie in ihre Tasche, zog ein kleines Päckchen heraus und reichte es Harry.
Harry nahm es entgegen und drehte es in der Hand. „Ein Buch, wie ungewöhnlich für dich“, sagte er schließlich mit einem schiefen Lächeln.
„Mach es schon auf“, drängte Hermine. Harry setzte sich auf sein Bett, Hermine gegenüber, und öffnete das Päckchen. Es war tatsächlich ein Buch. Harry starrte verwirrt auf den Titel: ‚Zaubern mit der Macht der Gedanken, ein Leitfaden für Hochbegabte’.
„Aber Hermine, ich habe keinen Zauberstab mehr, was soll ich mit einem Zauberbuch?“
Hermines Lächeln verschwand für einen Augenblick als sie antwortete: „Ich weiß, Percy hat es uns erzählt, und es tut ihm wirklich leid.“
Dann kehrte ihr Lächeln zurück. „Aber das macht doch nichts.“ Harry blickte sie noch verwirrter an.
„Das hier ist eine Anleitung, wie man auch ohne Zauberstab zaubert“, erklärte Hermine und deutete auf das Buch.
„Aber das kann ich nicht“, unterbrach Harry sie, „das können doch nur ganz wenige.“
Hermine nickte zustimmend. „Das ist wahr, aber wenn ich mich recht erinnere, hat ein kleiner Junge einmal vor vielen Jahren eine Boa auf seinen Cousin Dudley gehetzt. Soweit ich weiß hatte er damals auch keinen Zauberstab, oder?“
Ein triumphierendes Lächeln machte sich auf Harrys Mund breit. Hermine hatte recht. Er hatte damals nur mit der Kraft seiner Gedanken eine Glasscheibe verschwinden lassen, ohne überhaupt zu wissen, dass es so etwas wie Zauberei gab. Erst Wochen später hatte er von Hagrid erfahren, dass er ein Zauberer war.
„Es wird nicht leicht werden“, riss Hermine ihn aus seinen Gedanken, „aber du wirst es lernen, da bin ich mir ganz sicher. Du musst es nur wollen.“
„Und ob ich will“, sagte Harry strahlend.
„Wenn du erst mal den Dreh raus hast, kannst du jeden beliebigen Zauberspruch auch ohne Stab ausführen. Und das können sie dir nicht verbieten.“
„Aber sie könnten ......“, wollte Harry Hermine unterbrechen, doch Hermine erstickte seinen Widerspruch im Keim: „Was sollten sie dir denn androhen? Ausschluss aus der Gesellschaft? Das haben sie bereits getan, und wegen ein bisschen rumzaubern werden sie dich nicht gleich nach Askaban schicken, außerdem weiß ich gar nicht, ob sie das noch könnten.“
Harry nickte zustimmend. Dann herrschte einen Moment Stille. Harry beobachtete Hermine neugierig. Das Lächeln aus ihrem Gesicht war verschwunden und dunkle Schatten breiteten sich über sie.
„Was ist?“, fragte Harry besorgt.
Hermine blickte ihm direkt in die Augen und sagte: „Mir ist nur gerade wieder etwas wichtiges eingefallen.“ Dann schwieg sie einen Moment. Harry wartete geduldig, bis Hermine fortfuhr.
„Hast du in den letzten Tagen etwas von Sirius gehört?“
„Nein“, antwortete Harry verwirrt, „wieso?“
Hermine antwortete nicht, stattdessen griff sie in ihre Tasche, holte ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus und reichte es Harry.
Harry erkannte, dass es ein Fetzen aus dem Tagespropheten war. Er faltete den Artikel auseinander und las, was dort stand:


Gefährlicher Verbrecher endlich wieder hinter Schloss und Riegel

Wie Minister Fudge vor wenigen Stunden dem Tagespropheten mitteilte, ist es dem Zaubereiministerium gelungen den gefährlichen Massenmörder Sirius Black zu verhaften.
Der Anhänger von Sie-Wissen-Schon-Wem war vor drei Jahren aus Askaban geflohen und hatte sich seitdem erfolgreich dem Zugriff der Auroren und Dementoren entzogen.
Vorgestern, am späten Abend, konnten zwei Auroren, deren Namen aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben, den gefährlichen Verbrecher nur wenige Kilometer vor Hogwarts verhaften. Black setzte sich bei der Verhaftung nicht zur Wehr.
Wie uns das Ministerium mitteilte wird Black innerhalb der nächsten Stunden nach Askaban überstellt, wo er voraussichtlich den Rest seines Lebens verbringen wird.
Mit Amnestie wird dieser Massenmörder nicht rechnen können, außer Peter Pettigrew, der Zauberer, den Black auf dem Gewissen hat, steht aus seinem Grab auf und entlastet Black. Doch darauf kann er wohl lange warten.

Rita Skeeter

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