Kapitel 19: Dracos Geheimnis
Am nächsten Morgen konnte Harry es kaum erwarten, Dracos Gesicht zu sehen.
Er grinste.
„Was ist denn so lustig Harry?“, fragte Ron, während sie auf die Große Halle zusteuerten.
„Och, nichts Ron. Nur, dass Malfoy letzte Nacht versucht hat mich hereinzulegen, allerdings entschied ich mich, seiner Aufforderung nicht Folge zu leisten.“
„Wirklich, was hat er gemacht?“ Nun grinste auch Ron.
„Er wollte mich um Mitternacht treffen, wahrscheinlich um sich zu duellieren, oder so was. Er muss verdrängt haben, dass er das schon mal versucht hat - in der 1. Klasse!“
Beide lachten.
Wie auch immer, Malfoy war noch nicht dort, als sie die Große Halle erreichten. Harry begab sich zu seinem Stammplatz und begann zu frühstücken, jedoch ließ er den Eingang nie unbeobachtet. Als Draco schließlich eintraf, machte er allerdings nicht das Gesicht, das Harry erwartet hatte.
Draco war wütend, das war klar, aber nicht auf die Weise, wie er es sonst war, wenn einer seiner Streiche misslang. Als er Harrys Grinsen bemerkte hielt er inne und blickte ihn finster an. Schließlich begab er sich, Harry einen letzten wütenden Blick zuwerfend, zu seinem eigenen Tisch.
Nun war es an Harry die Stirn zu runzeln. Warum hatte Malfoy so komisch geguckt. War da mehr hinter dem Treffen gewesen?
„Warum wollte sich Malfoy mit dir treffen Harry?“, fragte Hermine. Sie hatte die Unterhaltung ihrer Freunde gehört, sich aber noch nicht eingemischt.
„Ich weiß es nicht Hermine. Er schrieb nur, dass er sich mit mir treffen wolle. Das war alles.“
Hermine überlegte.
„Könnte es sein, dass er dich nicht austricksen, oder etwas anderes ... Malfoyisches tun wollte?“
Ron rollte mit den Augen.
„Ja, sicher Herm. Was denn sonst. Um Harry zu sagen, wie sehr er ihn mag? Weil er gern ein Autogramm haben möchte? Vielleicht um sich für all den Ärger zu entschuldigen, den wir mit ihm hatten?“
„Benimm dich nicht wie ein Kleinkind Ron“, schalt ihn Hermine. „Hast du mit ihm in letzter Zeit etwas Besonderes besprochen, Harry?“
„Nein, nicht dass ich wüsste“, sagte Harry. Allerdings fügte er hinzu, als er noch mal darüber nachdachte: „Na gut, nichts außer ihm zu sagen, was für einen Mist er gebaut hat, als er jedem von Snape erzählte.“
„Hey, Freunde“, sagte Ron und legte seine Arme um ihre Schultern. "Macht euch keinen Kopf darüber. Es ist Malfoy und wenn es ihm wirklich wichtig war, wird er dich sicher wieder kontaktieren, Harry.“
Damit war die Sache gegessen und sie wandten sich angenehmeren Dingen zu, wie etwa Quidditch (sehr zu Hermines Missfallen).
***
Wie sich herausstellte, hatte Ron recht. Obwohl er es sicherlich nicht erwartet hatte. So kam es, dass sie, als sie zu ihrer ersten Stunde gingen, von Malfoy abgefangen wurden.
„Was willst du Malfoy?“, fragte Harry, im Versuch genervt zu klingen. Er war mehr als begierig, zu erfahren, was Draco wirklich wollte.
„Ich? Ich wollte dich treffen, Potter. Erzähl mir nicht, dass du meinen Brief nicht gefunden hast - ich sah dein Gesicht beim Frühstück. Und ich vermute du hast mit deinen Freunden darüber geredet, Wiesel und Bücherwurm.“
„Pass auf, Schlangengesicht“, unterbrach Ron. „Sonst fange ich auch gleich an, über deine Freunde herzuziehen...“
„Oh, halt den Mund, Wiesel“, entgegnete Draco ruhig.
„Malfoy“, Harry wandte sich, langsam die Geduld verlierend, an den Slytherin, „komm zum Punkt, anstatt meine Freunde zu beleidigen. Ich werde dir nur dieses eine Mal zuhören.“
Malfoy starrte ihn an, fuhr aber fort: „Wie ich sagte, du bist nicht gekommen. Hast du gedacht, ich wollte dich reinlegen? Wir sind keine Erstklässler mehr, Potter! Ich dachte über das nach, was du mir erzählt hast - in der Eulerei, erinnerst du dich? Es gibt etwas, was ich dir erzählen muss, doch offensichtlich bist du nicht interessiert. Vielleicht habe ich mich in dir getäuscht.“ Damit drehte sich er um und ging weg.
Harry wechselte schnelle, nervöse Blicke mit Hermine und Ron. Was nun?
„Warte!“, schrie Harry schließlich.
Draco wandte sich um. „Ja?“, fragte er und hob eine Augenbraue, nun ein Grinsen im Gesicht.
„Ich will wissen, was du mir zu sagen hattest, Draco“, gestand Harry ein, obgleich durch zusammengebissene Zähne. Immerhin hatte es den gewünschten Effekt: Malfoy kam zurück zu ihm.
„Wirklich? Gut, dann treffen wir uns nach dieser Stunde - allein! Obwohl ich mir sicher bin, dass du es deinen Freunden sowieso erzählen wirst, später ...“ Er wandte sich wiederum ab und verschwand, nicht auf eine Antwort wartend.
„Nun, das war interessant!“, seufzte Ron. „Ich frage mich, was er hat.“
„Ich verstehe das nicht!“, entschied Hermine. „Ich meine, euer Gespräch in der Eulerei ist mehr als eine Woche her und er hat das Schloss seit dieser Zeit nicht verlassen. Was könnte er wissen?“
„Es muss etwas sein, das er schon wusste, als wir uns unterhielten“, grübelte Harry. „Möglicherweise fand er erst jetzt heraus, wie wichtig es ist.“ Er seufzte. „Was auch immer, ich werde es früh genug herausfinden und Malfoy hat recht: Ich werde es euch erzählen, sobald ich es weiß. Lasst uns jetzt besser zur Klasse zurückgehen. Es fängt gleich an.“
Hermine hob die Augenbrauen: „Und das aus deinem Mund, Harry? Ich bin überrascht!“
„Oh, sei still, Hermine“, sagte Ron und schlug ihr spielerisch auf die Schulter, worauf ihn Hermine angrinste.
***
Harry konnte das Ende der Stunde kaum erwarten. Was war es, was Malfoy ihm sagen wollte? Ungeachtet dessen, was Ron gesagt hatte, Harry war sich nicht so sicher, dass Draco nicht irgendwas besonderes hatte. Er erinnerte sich an eine Unterhaltung zwischen Draco und einem anderen Slytherin am Samstag. Wo war Draco gewesen? Hat es irgendwas mit dem zu tun, was er Harry sagen wollte? Und warum kam er überhaupt zu ihm? Sie hatten kein einziges freundliche Wort miteinander gesprochen in den vier Jahren, in denen sie zusammen nach Hogwarts gingen. Und wie sollten sie sich treffen?
Harry schüttelte den Kopf und verbannte Draco aus seinen Gedanken. Es war an der Zeit sich auf den Unterricht zu konzentrieren.
***
Als Professor Binns sie schließlich in die nächste Stunde entließ, spähte Harry vorsichtig in Malfoys Richtung. Der Slytherin allerdings ging ohne ein Wort.
'Fein, Malfoy. Und was nun?', dachte Harry.
Er wies Ron und Hermine an ohne ihn zu gehen und verließ das Klassenzimmer schleunigst.
Draco war nirgendwo zu sehen.
Harry schlenderte langsam hinter irgendjemandem her, doch noch immer kein Zeichen von Malfoy. Er begann gerade zu denken, dass alles nur ein großer Schwindel war, als ihn jemand in eine dunkle Ecke zerrte.
„Was zum -"
„Schhh, Potter! Ich bin es, Draco Malfoy.“
„Oh, du“, sagte Harry, Draco anschauend. „Ich dachte du hättest das Treffen vergessen.“
Draco verzog das Gesicht und bedeutete Harry, ihm in ein ungenutztes Klassenzimmer zu folgen. „Also gut, Potter. Ich denke hier sind wir ungestört.“
„Äh, Malfoy, ich will nicht allzu streberhaft klingen, aber was ist mit unserer nächsten Stunde? Wir werden zu spät kommen.“
Draco verdrehte die Augen. „Oh komm, es ist ja wohl nicht so, als ob du noch nie zu spät gekommen wärest. Wir sagen einfach, wir haben unsere Bücher vergessen, oder so was.“
„Ok“, sagte Harry und schaute erwartend zu Draco, der aussah, als müsse er seine Gedanken ordnen.
„Gut, was ich dir sagen wollte, Potter, ist ...“ Draco seufzte und blickte beiseite. „Ich weiß nicht, warum ich dies ausgerechnet dir erzähle, aber ...“ Wieder legte er eine Pause ein.
Er straffte sich und begann von neuem.
„Mir gefiel nicht, was du mir in der Eulerei erzähltest. Wie du über meinen Vater sprachst und all das. Wie auch immer, mir ist nach einer Weile etwas klargeworden. Du hast nicht nur Dumbledore verteidigt, sondern ebenfalls Snape - denke ich jedenfalls. Du sagtest, es wäre nun unmöglich ihn aus Azkaban zu holen. Es klang, als würde dir dies leid tun. Jetzt möchte ich wissen, warum - du hast ihn niemals gemocht, da bin ich mir sicher. Ich muss Gewissheit haben, ob deine Absichten aufrichtig sind, bevor ich dir mehr erzähle.“
Das hatte Harry nicht erwartet. Immerhin, es war ein besserer Anfang, als er sich erhofft hatte. Nun musste er vorsichtig sein, um nichts zu verspielen. Noch kannte er Dracos Motive nicht.
„Du hast Recht, Malfoy. Ich kann Snape nicht ausstehen. Er ist gemein zu uns und unfair. Aber das ist kein Grund ihn nach Azkaban zu wünschen. Nebenbei, ich glaube nicht, dass es wahr ist, was sie über ihn sagen - ein Todesser zu sein und all das. Ich meine, Dumbledore hätte es gewusst und sicherlich hätte er ihn hier nicht unterrichten lassen, wäre er ein Schwarzmagier. Daher kann ich Fudges Handlung nicht gutheißen. Er ist echt bemitleidenswert.“
Draco schnaubte. „Ich stimme dir gänzlich zu. Ich frage mich schon immer, wie er Minister werden konnte. So, du denkst also nicht, Snape könnte ein Schwarzmagier sein, hmmm? Du bist sehr vertrauensselig, Potter, falls das die Wahrheit ist.“
„Nur, wenn die besagte Person mein Vertrauen verdient, Malfoy. Nebenbei, ich kann mir Snape durchaus als Schwarzmagier vorstellen. Aber das ist kein Grund ihn zu verdammen, oder? Nun, ich habe dir meine Motive erklärt. Was ist mit deinen?“
„Musst du wirklich danach fragen?“, schnarrte Draco. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass Professor Snape hier wohl der einzige ist, der weiß, wie man mit uns umgehen muss. Du sagst, er ist unfair zu dir, aber ich sage, er ist einfach mit Leib und Seele ein Slytherin. Sagen wir einfach, er half mir, als ich nicht wusste, wohin ich mich wenden sollte, ok? Ich weiß mit Sicherheit, dass ich ihm trauen kann. Das ist auch der Grund, warum ich so verärgert über den Direktor bin. Snape vertraute ihm und was bekam er im Gegenzug?“
Harry legte die Stirn in Falten. „Er vertraute Direktor Dumbledore? Also meinst du nicht, dass er ein Schwarzmagier ist, oder?“
Draco presste die Zähne zusammen. Er hätte es vielleicht nicht so sagen wollen. „Das habe ich nicht gesagt!“
„Nein, aber warum sollte Snape Dumbledore vertrauen, wenn er ihn betrügt? Das macht keinen Sinn.“
„Belassen wir es dabei Potter, ok? Ich wollte nur sagen, ich denke die ganze Sache ging ein bisschen zu schnell für meinen Geschmack - ihm wurde nicht einmal der Prozess gemacht!“
Er atmete einmal tief durch. „Jedenfalls, das, was ich wirklich sagen wollte, ist dies: Als ihr alle nach Hogsmeade gegangen seit, apparierte ich nach Hause. Ja, ich weiß, wie man appariert. Und ich empfehle dir, es keinem zu sagen! Azkaban ist geöffnet worden und ich wollte hören, was Vater dazu zu sagen hat. Ich weiß, dass einige seiner Freunde dort gefangen waren.
Es stellte sich heraus, dass er nicht alleine zu Hause war. Jemand, den ich nicht kannte, war bei ihm. Neugierig, worüber sie sich unterhalten würden, hielt ich an der Tür und belauschte sie. Du kannst dir meine Überraschung vorstellen, als ich bemerkte, dass sie über Snape sprachen. Ich erwartete Dankbarkeit in der Stimme meines Vaters zu hören, dass sein alter Freund frei war. Schließlich hatte er sich darüber beschwert, wie unfair Snape behandelt worden war. Wie auch immer, er sagte nichts in dieser Art. Er sagte genau das Gegenteil!“
Hier hielt er inne und starrte ärgerlich aus dem Fenster.
„Was, Draco? Was haben sie gesagt?“ Harry musste zugeben, dass Malfoy ihn vollkommen in seinen Bann gezogen hatte.
„Das einzig Dumme ist, dass er nicht mehr meiner Gnade ausgeliefert ist.“
„Häh? Was meinst du, Malfoy?“
„Das ist es, was er sagte, Potter. Daß er es genoss ihn zu foltern. Anscheinend war Vater einige Male in Azkaban, während Snapes Gefangenschaft dort. Er gebrauchte den Cruciatus an ihm. Und ich dachte sie wären Freunde!“
Draco lachte heiser. „Außerdem scheint es so, dass der Angriff auf Azkaban schon seit einiger Zeit vorbereitet wurde. Das ist zumindest, was der andere Mann sagte. Sie hatten einzig und alleine auf Snape gewartet. Was auch immer das bedeutet.“
Harry fühlte sich plötzlich sehr unwohl. Offensichtlich hatte Voldemort mit dem Angriff auf Azkaban gewartet, bis er wusste, wem gegenüber Snape loyal war. Wenn Lupin und er nun nicht dort gewesen wären ...
„Warum erzählst du mir das, Draco?“, fragte Harry perplex. „Du gibst praktisch zu, dass dein Vater Verbindungen zu den Todessern hat. Warum?“
„Er sagte, du würdest es verstehen und wüsstest, was zu tun ist. Entweder du oder Dumbledore, aber ich wollte wirklich nicht zum Direktor gehen ...“ Draco blickte wieder aus dem Fenster.
„Wer trug dir auf zu mir zu kommen, Draco? Nicht dein Vater, oder?“ Harry wusste nicht mehr, was er denken sollte.
„Mein Vater? Ha! Er würde mich eher ins nächste Jahr fluchen, wenn er es wüsste. Nein, es war Snape.“
Harry klappte der Kiefer runter. „Snape?! Du hast mit ihm gesprochen? Wann? Wo? Ist er ok?“
„Er ist zu Hause - mein Zuhause, meine ich. Malfoy Manor. Möchtest du es selber sehen?“, fragte Draco.
„Vergiss es, Malfoy! Ich werde garantiert nicht mit dir nach Malfoy Manor gehen.“
„Wer sagte denn was vom Manor? Ich dachte eher daran, das hier zu benutzen.“ Mit diesen Worten zog Draco etwas aus der Tasche, was Harry sofort wiedererkannte.
„Ein Denkarium? Du willst mir deine Erinnerung zeigen?“
Draco zuckte mit den Schultern. „So kannst du es selber sehen und ich muss nicht deine Fragen beantworten. Nebenbei wirst du wissen, dass es die Wahrheit ist - Denkarien können nicht verfälscht oder geändert werden, wie du wohl weißt.“
Harry betrachtete es unsicher. Sollte er es wagen?
„Also gut, Draco. Was muss ich tun?“
„Nun, wir werden zusammen reingehen, du musst nur meine Hand nehmen. Keine Sorge, ich werde es niemandem erzählen.“
Widerwillig ergriff Harry Malfoys Hand und wartete. Der Slytherin stellte das Denkarium auf einen Tisch und tauchte einen Finger hinein.
Augenblicklich begann der Raum sich zu verändern. Harry fand sich in einem langen Flur wieder. Das war also Malfoy Manor.
„Nach einer Weile hatte ich genug von dem Gespräch gehört und ging hinauf und wanderte einige Zeit umher. Ich hatte kein bestimmtes Ziel. Nun, es stellte sich heraus, dass ich zu einem eher ungenutzten Teil unseres Manors ging“, erklärte Draco. „Pass auf und folge mir - oder besser dem anderen 'mir'.“
Harry hörte jemanden hinter sich herankommen. Als er sich umwandte, sah er, dass es Draco war. Es war ein merkwürdiges Gefühl den Slytherin zweimal zu sehen. Der neue Draco stoppte und presste sich gegen die Wand.
Ein Hauself kam um die Ecke. Er ging in einen der Räume und verschwand. Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und ging in die entgegengesetzte Richtung.
Draco ging langsam zu der Tür und öffnete sie. Harry bemerkte, dass es drinnen vollkommen dunkel war.
Harry stand dort für einen Moment und sprang fast zurück, als er eine schwache Stimme hörte.
„Lucius? Bist du das?“ Die Person hustete schwach.
Der andere Draco stutzte, offensichtlich erkannte er die Stimme.
„Pro - Professor Snape? Sir?“
„Draco? Was tust du hier? Du-“, wiederum unterbrach der Husten Snape.
Der andere Draco schloss die Tür und entzündete ein paar Kerzen.
Harry folgte den beiden Dracos zum Bett, obgleich eher widerwillig.
Es war Snape, das stimmte. Doch, wenn Harry erwartet hatte, er hätte sich von Azkaban erholt, lag er definitiv falsch. Er schien so verletzt und krank, wie zu dem Zeitpunkt, an dem Harry und Lupin ihn besucht hatten. Offensichtlich war Malfoy Sr. nicht an Snapes Genesung interessiert. Zumindest nicht an einer schnellen.
„Sir?“, fragte Draco. „Sie sind verletzt. Was hat er mit Ihnen gemacht? Warum sind Sie hier? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
Snape brachte ein kleines Lächeln zustande. „Du kannst damit anfangen, nicht so viele Fragen zu stellen, Draco. Es bereitet mir Schwindel. Keine Sorge. Es sieht wohl schlimmer aus, als es ist. Ich werde nicht sterben und das sollte genügen.“
Er machte eine Pause und musterte Draco mit müden Augen. „Wen meinst du mit 'Er'?“, fragte er schließlich.
„Meinen ... meinen Vater. Ich belauschte ihn im Flur. Er unterhielt sich mit jemandem und sagte, dass ... dass er, na ja, dass er den Cruciatus auf Sie angewendet und es genossen hat!“
Draco schaute beiseite, nicht fähig seinem Blick zu begegnen.
Snape seufzte. „Draco, sieh mich an. Draco!“
Langsam wandte sich Draco wieder Snape zu.
„Hör zu Draco, dein Vater ist am wenigsten für meinen derzeitigen Zustand verantwortlich. Selbst wenn er mehr getan hätte, ist dies nicht dein Fehler, also schäme dich nicht für etwas, das du nicht getan hast.“
Draco schwieg einige Momente. Abermals wollte er nicht Snapes Blick begegnen.
„Ein Teil davon war mein Fehler, Sir!“, sagte er schließlich mit leiser Stimme.
„Ich erzählte jedem von Ihrer Gefangenschaft. Ich dachte ich könnte Dumbledore provozieren, sich für Sie einzusetzen, aber er hat sich nur öffentlich von Ihnen distanziert. Vater sagte, der Direktor wollte die ganze Sache vertuschen damit er nicht mit ihr konfrontiert werden würde. Ich wollte Ihnen nur helfen, und nun ...“
„Ich vermutete bereits, dass du es gewesen bist, Draco. Ich weiß, du hast es vermutlich gut gemeint, aber du musst mehr überlegen, bevor du handelst. Du bist ein klein wenig zu rasch.“
„Ich weiß, Sir.“ Er senkte den Kopf. „Sir, Sie sind kein Gefangener meines Vaters, oder?“
Snape lachte kurz auf. „Nein Draco, obwohl ich das leichte Gefühl habe, dass ihm das sehr gefallen würde. Ich bin hier, weil ich wohl noch nicht ganz wieder der Alte bin und außerdem ist Lucius ein gesetzestreuer Bürger, niemand würde mich hier vermuten.“
Snape schloss seine Augen und Harry bemerkte erst jetzt, wie entkräftet er wirklich war. Er hatte den starken Verdacht, dass Malfoy Sr. Snape sehr wohl als Gefangenen hielt, zumindest soweit es ihm möglich war. Dem Anschein nach sah es nicht so aus, als ob er sein Möglichstes tat um Snape gesund zu pflegen. Nebenbei, Snapes Zauberstab war nirgendwo zu sehen und da beide Hände bandagiert waren wäre er nicht fähig ihn irgendwie zu benutzen.
„Sir“, begann Draco von neuem. „Sie erzählten mir einst, dass der Tag kommen könnte, an dem ich erkennen würde, dass mehr zum Leben gehört, als mir beigebracht wurde. Ich glaube die Zeit ist gekommen. Ich war immer stolz auf meinen Vater. Er war stark und klug, aber nun erscheint er mir nur noch rachsüchtig und klein. Er erzählte mir, er und Sie seien Freunde und dass er besorgt um Sie sei. Und nun finde ich heraus, dass er mich angelogen hat, dass er Sie in Wirklichkeit verachtet und Ihnen nichts als Unglück wünscht - das sagte er selbst vor ein paar Minuten. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“
Snape seufzte nochmals. „Ich bin vielleicht die falsche Person, dir dies zu sagen, doch, wenn du zweifelst, solltest du immer auf dein Gefühl hören. Gewöhnlich sagt es dir, was zu tun ist. Manchmal ist es schmerzlich, doch der einfache Weg ist zumeist nicht der richtige.“
„Ich verstehe, Sir, aber es ist so schwer. Jetzt zum Beispiel, jetzt wo ich ein Stückchen der Wahrheit kenne, möchte ich den Schaden, den ich angerichtet habe, ungeschehen machen, doch ich weiß nicht wie. Hat Dumbledore tatsächlich versucht Ihnen zu helfen, indem er nichts tat, oder vertraut er Ihnen nicht? Will das Ministerium wirklich Ihren Kopf, oder ist das nur eine Intrige?“
„Draco, das ist zu kompliziert, um es jetzt zu erklären. Ich kenne selbst nicht jedes Detail. Ich kann nur vermuten, aber glaube mir: Hier bin ich sicherer, als im Ministerium. Und zu deiner anderen Frage: Wenn der Direktor mir nicht vertraut, warum gab er dann meine Verhaftung nicht unverzüglich bekannt? Dies hätte ihm selbst eine Menge Ärger erspart. Ungeachtet dessen, dass er sich für gewöhnlich alt und tattrig gibt, ist Dumbledore weitaus gewitzter, als die meisten Leute annehmen würden. Vertraue mir, es gibt kaum eine Fassade die er nicht durchschauen kann. Denkst du wirklich er würde es nicht bemerkt haben, wenn er für viele Jahre einen Todesser vor der Nase gehabt hätte.“
Draco schien nur noch mehr verwirrt. „Aber ich weiß, dass Sie in diese Sache verwickelt sind mit - nun - mit 'Ihm' und allem. Mein Vater erwähnte es immer und immer wieder - und da hat er nicht gelogen. Und Dumbledore fand im letzten Jahr nicht heraus, dass Moody nicht Moody war.“
Er runzelte die Stirn und dachte kurz nach. „Andererseits, würde das Potters Einstellung erklären.“
„Potter? Was hat er damit zu tun?“, frage Snape, eine Augenbraue hebend.
„Oh, na ja, er trat mir einmal entgegen und schien sehr verärgert darüber, dass ich jedem von Ihnen erzählt hatte und damit die Chance verdarb, Sie aus Azkaban rauszuholen. Ich wunderte mich warum er so eifrig Dumbledore verteidigte und sich irgendwie gleichzeitig um Sie Sorgen machte.“
„Potter“, schnaubte Snape. „Er ist zu neugierig für sein eigenes Wohlergehen. Aber manchmal erweist sich das als äußerst brauchbar.“ Er sagte dies mehr zu sich selbst, als zu Draco. Bald wandte er sich jedoch wieder dem jungen Slytherin zu.
„Ich kann dir nicht sagen, wie dankbar ich für deinen Besuch bin, Draco. Es tut gut zur Abwechslung mal mit jemand Anständigen zu reden. Aber ich muss dich bitten zu gehen. Ich weiß nicht, wann Lucius zurückkommt und er sollte dich wirklich nicht hier finden. Außerdem möchte ich dich um einen Gefallen bitten.“
„Alles, Professor“, sagte Draco.
„Du musst jemandem von unserem ...Treffen hier berichten, Draco. Ich würde Dumbledore bevorzugen, doch ich weiß, du vertraust ihm nicht wirklich. Die einzig andere Möglichkeit wäre Potter; seltsam wie das auch klingen mag. Ich kann dir nicht erklären wieso, aber diese beiden sind die einzigen, die den Großteil der Geschichte kennen und geneigt sein werden dir zuzuhören und - was weitaus wichtiger ist - dir zu glauben. Ich hätte freilich niemals gedacht solch eine wichtige Sache Potter in die Hände zu legen. Ich werde ein ernsthaftes Gespräch mit dem Jungen führen, wenn ich jemals wieder nach Hogwarts komme.“
Er lächelte grimmig.
„Sie haben Recht, Sir“, sagte Draco nach ein paar Sekunden. „Mir gefällt keine von den Möglichkeiten. Ich werde Potter ertragen, denke ich. Ich kann einfach nicht zum Direktor gehen. Unmöglich!“
„Ich hoffe du wirst zu ihm gehen, Draco, eines Tages. Doch nun geh bitte, bevor Lucius zurückkommt.“
Draco zögerte. Er legte die Stirn in Falten und blickte zurück zu Snape. „Sir, warum ich? Wenn ich meinem Vater all das erzähle, werden Sie in großen Schwierigkeiten sein. Ich verstehe es nicht.“
Snape verblieb für ein paar Sekunden still. Schließlich erklärte er mit schwacher Stimme: „Ich erzählte dir davon, den richtigen Pfad zu wählen, Draco. Dies wird dein erster wirklicher Test sein, wenn du willst. Ich schicke dich, weil einfach kein anderer zur Verfügung steht. Außerdem, und das ist weitaus wichtiger: Ich vertraue dir. Ich vertraue dir, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst. Ich gebe zu, es wäre erheblich einfacher für dich, zu Lucius zu gehen und damit mein Schicksal zu besiegeln. Wie auch immer, du wirst es lohnenswerter finden wenn du dich für den beschwerlicheren Weg entscheidest. Es tut mir leid, ich kann nicht mehr sagen, Draco.“
Was unausgesprochen blieb, war die Tatsache, dass Snape sein Leben mehr oder weniger in Dracos Hände legte - und beide wussten es.
„Ich verstehe, Sir. Glaube ich. Ich wünsche Ihnen das Beste für das, was Sie tun werden, was auch immer das ist.“
Snape nickte ihm nur schwach zu und mit einem letzten Blick wandte Draco sich um und ging. Bevor er die Tür erreichte hielt er ein letztes Mal inne.
„Sie können auf mich zählen, Sir!“, sagte er leise, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.
TBC ...
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