Kapitel 12: Freunde
"Lennard!!"
Voldemorts erstaunlich kräftige Stimme donnerte durch das einsame Haus. "Komm sofort her, wenn ich mit die spreche!"
"Sofort, mein Lord!" Lennard beeilte sich, Voldemorts Befehl Folge zu leisten. "Was wünschen Sie diesmal?"
Der Schatten, der mit jedem Tag deutlicher und damit kräftiger zu werden schien, baute sich drohend vor dem jungen Mann auf. "Was ich wünsche?", fragte er gefährlich ruhig. "Ich wünsche eine Erklärung… für DAS HIER!"
Und mit diesen Worten schleuderte er einen Stapel Zeitungen auf den Fußboden.
"Du unglaublicher Narr hast es jetzt schon bis auf die Titelseite des Tagespropheten geschafft. Warum lässt du eigentlich nicht gleich eine Visitenkarte zurück?"
"Ach das." Lennard zuckte gelangweilt mit den Schultern. "Was soll's, die beruhigen sich schon wieder."
"Nein, das werden sie nicht!" Voldemort schäumte vor Wut. "Jetzt wird das Zaubereiministerium anfangen, Nachforschungen anzustellen. Diesmal hast du es zu weit getrieben!"
Lennard gönnte sich ein verächtliches Lächeln. "Und seit wann stellt das ein Problem dar?", verlangte er zu wissen. "Was kann uns diese jämmerliche Truppe von Auroren, allen voran Cornelius Fudge, schon anhaben?"
"Sie können uns auf die Spur kommen, du Narr!"
"Wohl kaum." Lennard blieb gelassen. "Niemand kommt auf meine Spur, wenn ich es nicht will!"
"Junge, du machst einen Fehler." Voldemort hatte sichtlich Mühe, sich zu beherrschen. "Unterschätze NIEMALS deinen Gegner, anderenfalls könnte es dich teuer zu stehen kommen!"
"So etwas wie die Sache mit Potter würde mir nie passieren", entgegnete Lennard spöttisch - und wusste im selben Moment, dass er zu weit gegangen war.
"Crucio!", donnerte die schreckliche Stimme - und der junge Mann wand sich schreiend am Boden.
"Sprich NIE WIEDER in diesem Ton mit mir, du jämmerlicher Wurm! Du vergisst anscheinend, was du mir alles zu verdanken hast…"
Voldemort ließ den Crutiatus noch einige Minuten lang wirken, bis er die Wirkung wieder aufhob.
"Ich dulde keine Dummheit, und Respektlosigkeit schon gleich gar nicht. Unzählige habe ich schon aus weit geringerem Anlaß getötet."
Lennard kämpfte sich keuchend auf die Beine. In seinen Augen loderte mörderischer Haß. "Ich bitte um Vergebung, mein Lord", quetschte er zwischen den Zähnen hervor. "Es wird nicht wieder vorkommen."
Er war sich völlig klar, dass er gerade nur deshalb am Leben geblieben war, weil Voldemort ihn noch brauchte.
‚Ich verdanke dir nicht halb so viel wie du mir', dachte er, zitternd vor Zorn. ‚Und der Tag ist nicht mehr allzu fern, an dem wir beide abrechnen werden!'
"Ab sofort verbiete ich dir deine ‚Ausflüge'", sagte Voldemort jetzt. "Ich denke nicht daran, den Plan zu gefährden, nur, weil du dich nicht weißt, was gut für dich ist!"
"Aber…"
"Kein aber. Du wirst lernen, dich zu beherrschen. Genau wie ich es auch getan habe. Wenn alles vorüber ist, kannst du tun und lassen, was du willst!"
‚Worauf du dich verlassen kannst', dachte Lennard. ‚Und mit dir werde ich den Anfang machen!'. "Wie Sie wünschen, mein Lord", sagte er, wobei weder seiner Stimme noch seinem Gesichtsausdruck etwas von seinen wahren Gefühlen anzumerken war. Lennard konnte sich sehr wohl beherrschen. Wenn er es wollte.
Amüsiert dachte er an Emily, die von alledem keine Ahnung hatte. Das Band wurde langsam aber stetig stärker und bald, sehr bald, würde die Verbindung ausreichen, um…
"Sieh lieber zu, dass die Kleine auch lange genug auf Hogwarts bleibt", herrschte Voldemort ihn jetzt an.
"Da besteht keine Gefahr", meinte Lennard. "Es war schwierig genug, sie dorthin zu bekommen, doch ich versichere Ihnen, dass sie dort bleiben wird." Er grinste. Der Vincerio war eine phantastische Sache, und wenn aus ihm ein Consanguiniti wurde, konnte man seinen Gegenpart in beinahe alle Richtungen manipulieren. Man musste nur wissen, wie.
Emily hatte es zwar irgendwie fertig bekommen, ihn etwas abzublocken, doch das war gut so. Je weniger sie von seinem Tun mitbekam, desto weniger Verdacht würde sie schöpfen. Das Band würde dadurch in keiner Weise geschwächt werden.
Er selbst hätte zwar eine andere Methode gewählt, als ausgerechnet Hogwarts zu seinem Ziel zu machen - doch Voldemort wollte seine Rache. ‚Lächerlich', dachte Lennard, doch ihm konnte es egal sein.
Seine eigenen Ziele wurden dadurch nicht gefährdet - und es wäre eine großartige Möglichkeit, die gesamte Zauberwelt aufzurütteln - bevor er selbst dann zuschlagen würde.
Seine äußerst komplizierte Gleichung schien aufzugehen, nur noch eine einzige unbekannte Variable befand sich jetzt noch darin. Diese konnte er - zu seinem größten Ärger - nicht mehr weiter beeinflussen, das lag jetzt allein an Emily. Er hatte sein Möglichstes getan, sie in diese Richtung zu stoßen und soweit er es mitbekam, schien die Saat aufzugehen. Es würde nur noch eine Zeitlang dauern.
‚Bande des Blutes und Bande des Herzens', dachte Lennard und beglückwünschte sich nicht zum ersten Mal zu seiner eigenen Genialität. ‚Diese beiden Faktoren, zusammen richtig genutzt, können die Welt aus den Angeln heben.'
***
Die folgenden Wochen verliefen relativ ereignislos, es schien eine allgemeine Stagnation zu herrschen.
Laryssa Twinkletwo versuchte nach wie vor ziemlich ergebnislos, Mayflower für sich zu begeistern (unzählige weibliche Schüler versuchten das ebenfalls und mit ebenso wenig Erfolg); Mayflowers Unterricht war von mal zu mal einschläfernder; Snape verteilte seine Punkteabzüge weiterhin bevorzugt an die Gryffindors und in Verwandlung klappte die Krähe auch fast bei niemandem.
Emily hatte sich bei Hagrid entschuldigt und kam mittlerweile recht gut mit ihm aus. Auch mit den anderen Lehrern schien sie sich irgendwie arrangiert zu haben, jedenfalls verursachte sie keine weiteren nennenswerten Punkteabzüge. Professor Mayflower behandelte sie weiterhin mit größter Aufmerksamkeit, doch sie versuchte, ihn nach besten Kräften zu ignorieren.
Ansonsten war der Alltag so alltäglich, dass es beinahe schon langweilig wurde.
Hermine, Ron und Harry studierten zwar eifrig den Tagespropheten, doch es gab keine weiteren Schreckensnachrichten von grausam ermordeten Zauberfamilien mehr, selbst die Muggel blieben verschont.
"Ich kann mir nicht vorstellen, warum das so plötzlich aufhört", meinte Hermine eines Morgens beim Frühstück. "Das ist garantiert noch nicht alles gewesen."
"Hoffentlich passiert bald mal wieder irgendwas", sagte Ron missmutig. "Langsam ist es so öde, dass ich schon für die kleinste Abwechslung dankbar wäre."
"Bedenke gut, um was du bittest…" zitierte Hermine. " Es könnte nämlich in Erfüllung gehen. Und sei lieber froh, dass nicht noch mehr schlimme Dinge passieren!"
"Und dabei ist das Schuljahr so spannend losgegangen!" Ron haßte es, wenn nichts Außergewöhnliches passierte.
"Vielleicht haben wir gerade ja auch so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm", vermutete Harry. "Aber was auch immer dahinterstecken mag, wenigstens Emily scheint endlich Ruhe zu haben."
"Wenn wir Recht haben, steht sie unter einem Fluch", gab Hermine zu bedenken. "Der Vincireo kann nicht gebrochen werden - und der Consanguinity schon gleich gar nicht. Ich fürchte jedenfalls, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist."
Sie hatten sich zwar alle Mühe gegeben, aber ihre Ermittlungen waren im Sande verlaufen. Weder stand im Tagespropheten etwas über die ganze Sache, noch war sonst eine weitere Quelle zu finden.
Emilys Geheimnis schien eines zu bleiben, und mittlerweile hatten die drei etwas das Interesse daran verloren.
Es gab schließlich auch noch andere Dinge, um die man sich kümmern musste.
Der Schulabschluß rückte langsam, aber unaufhaltsam näher und die Siebtklässler begannen nach und nach, ihre Bewerbungen zu schreiben.
Hermine würde auf die Universität gehen um später eine Karriere als Aurorin zu machen, Harry hatte sich ebenfalls dazu entschieden.
Ron schwankte noch, aber er tendierte immer mehr zu einer Beteiligung am Scherzartikelladen seiner Brüder. Er wusste nur noch nicht, wie er das Hermine schonend beibringen sollte.
Cho Chang wollte ebenfalls die Universität besuchen, Lavander und Parvati wollten gemeinsam ein Institut für Wahrsagerei eröffnen, was Draco Malfoy vorhatte, wusste niemand so genau - und Emily… war wohl die einzige, die keine Zukunftspläne schmiedete.
Sie hatte sich tatsächlich auf Hogwarts eingelebt und begonnen, sich dort wohlzufühlen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde es ewig so weitergehen.
Wie gerne hätte sie sich der Illusion hingegeben, dass alles vorbei wäre, dass Lennard seinen Plan aufgegeben und sie selbst endlich Ruhe hätte, doch sie wusste, dass das nur Wunschdenken war. Lennard würde zuschlagen, sie hatte nur keine Ahnung, wann. Und wie.
Und unglücklicherweise war sie ihrem Ziel immer noch nicht nennenswert näher gekommen, worüber sie manchmal fast in Panik ausbrach. Doch jedes Mal schob sie diese Gedanken dann wieder weit von sich.
‚Morgen', dachte sie dann immer. ‚Morgen ist auch noch ein Tag und früh genug…'
Doch jeder weitere Morgen verstrich ungenutzt.
Dank Professor Snapes Trank hatte sie unter keinen Albträumen mehr zu leiden und sah auch nicht mehr so bleich, elend und mager aus. Eine Schönheit war sie zwar nach wie vor keine, doch wenigstens konnte man sie jetzt auf den ersten Blick der weiblichen Spezies zugehörig einordnen.
Beinahe jeden Abend verbrachte sie damit, Professor Snape bei der Erstellung des Effingos zu helfen, eine langwierige und komplizierte Arbeit, und es war auch nicht absehbar, ob sie überhaupt Erfolg haben würden.
Anfangs hatte es deswegen etwas Gerede unter den Schülern gegeben, doch auch das hatte sich gelegt. Mittlerweile fand niemand mehr etwas dabei, wenn Emily manchmal die halbe Nacht in den Kerkern mit Snape zubrachte - denn beiden traute wohl niemand ernstlich zu, dass sie an etwas anderem als Zaubertränken Interesse haben könnten.
Emily genoß diese Stunden in Snapes Labor, in der sie ihre Leidenschaft für Zaubertränke voll ausleben konnte. Und Snape selbst, so unleidlich, unfair und sarkastisch er sich im Unterricht weiterhin gab, war während dieser Stunden ein beinahe schon amüsanter Gesellschafter.
Es bestand so eine Art unausgesprochenes Abkommen zwischen ihnen, er fragte sie nicht weiter nach ihrem ‚Problem', und Emily erkundigte sich dafür niemals nach der Ursache seiner Verbitterung. Doch interessiert hätte es sie schon.
Im Unterricht wurde Emily von Snape kaum besser behandelt als die übrigen Gryffindors auch. Doch im Gegensatz zu den anderen kannte sich Emily mit diesem Fach aus - und lieferte sich mit Snape so manche heftige Diskussion, wie ein Trank denn nun genau auszusehen hätte.
Sie genoß diese Dispute, die sie dann nicht selten am Abend weiterführten. Manchmal ergriff Snape dann wutentbrannt einen Kessel und braute den Trank, wegen dem sie gerade stritten, noch einmal zusammen. Und Emily, die in seinem Labor längst keine Scheu mehr hatte, schnappte sich dann einen anderen Kessel und braute darin ihre Version zusammen. Und nicht selten stellte sich dann heraus, dass sie Recht hatte.
Erstaunlicherweise schien Snape dieser Wettstreit jedes Mal Spaß zu machen und er konnte sich sogar als fairer Verlierer erweisen. Zumindest in ihrer Gegenwart.
Emily wertete das als ziemlichen Vertrauensbeweis, denn der allseits so gefürchtete Professor würde restlos sein Gesicht verlieren, wenn sich herumsprechen würde, wie er von einer Schülerin deklassiert wurde. Doch Emily behielt das stets für sich.
"Langsam fürchte ich hier um meinen Job", hatte Snape das letzte Mal gemeint - und dabei tatsächlich gelacht. Ein freundliches Lachen, ohne jede Spur von Verkniffenheit oder Sarkasmus.
"Keine Sorge, Professor, diese Gefahr besteht nicht", hatte sie erwidert und ihr fröhliches Lächeln war schlagartig erloschen. Die Erinnerung an ihre Sorgen - und vor allem, ihre Aufgabe, war dabei wieder hochgekommen.
Fast war sie versucht, Snape um Hilfe zu bitten, ihm alles zu erzählen und auf seine Unterstützung zu hoffen. Die sie natürlich niemals bekommen würde. Nicht einmal ein Snape würde es sich leisten können, einen derart wahnsinnigen Plan zu unterstützen, das Ganze gehörte eigentlich in die Hände des Zaubereiministeriums. Doch wer würde ihr dort glauben? Und vor allem, was würde dann mit Lennard geschehen?
Emily seufzte traurig. Nein, sie war und blieb auf sich alleine gestellt.
"Meinen Sie eigentlich immer noch, Sie können das alles alleine lösen?", fragte Snape sanft, dem ihr plötzlicher Stimmungsumschwung nicht entgangen war.
Emily schrak zusammen. Konnte er Gedanken lesen? "Wenn nicht ich, dann keiner", entgegnete sie - und kam sich dabei irgendwie lächerlich vor. Wollte sie sich mit ihren siebzehn Jahren tatsächlich anmaßen, eine solche Gefahr abwenden zu können? Wer war sie eigentlich, dass sie auf solch größenwahnsinnige Ideen kam? Ihr ganzer Plan erschien ihr mit einem mal als der blanke Wahnsinn, unausgegoren und von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Doch einen besseren hatte sie nicht… und der Vincireo war stark.
Snape seufzte nun auch, setzte sich an den Tisch und sah ihr ernst in die Augen. "Hogwarts scheint Ihnen zwar gut zu bekommen, doch es ist nicht zu übersehen, dass Sie irgendetwas von innen aufzufressen scheint", meinte er dann. "Und so etwas ist auf die Dauer ziemlich ungesund, glauben Sie mir, ich spreche da aus Erfahrung. Wenn Sie so weitermachen, kann es Sie umbringen!"
"Ja", sagte Emily einfach. "Ich weiß."
Snape schüttelte fassungslos den Kopf. "Und das nehmen Sie so einfach hin? Sie geben doch sonst nicht so schnell auf, Miss McElwood. Oder wollen Sie etwa sterben?"
"Nein", sagte Emily kläglich. Diese Wendung ihres Gespräches behagte ihr zwar überhaupt nicht, doch irgendwie tat es gut, wenigstens ein bisschen darüber zu reden. Auch etwas Neues.
"Ich möchte ganz und gar nicht, aber es wird wohl darauf hinauslaufen. Darauf, oder noch schlimmeres. Es sei denn…"
"Es sei denn, was?", fragte Snape gespannt.
"Es sei denn, es gelingt mir, den Consanguiniti zu brechen", sagte Emily fast flüsternd. "Dann wäre ich frei…"
"Frei… wovon? So kann ich Ihnen nicht weiterhelfen", meinte Snape. "Sagen Sie mir doch BITTE, was eigentlich los ist."
Doch Emily schüttelte nur den Kopf. Ein Professor Snape war es nicht gewohnt, um etwas zu bitten, wie sehr musste er also darauf fiebern, ihr ihr Geheimnis zu entlocken? "Vielen Dank, aber ich schaffe das schon", sagte sie brüsk und ihre Gesichtszüge verhärteten sich.
Snape fühlte sich seltsamerweise verletzt, denn er hatte es wirklich ehrlich gemeint. "Ich habe jetzt nicht als ‚Spion' für Dumbledore gefragt, sondern als Freund." Er lächelte sie etwas schief an. "Und ich dachte, wir wären so etwas wie… Freunde. Oder?"
Emily war verwirrt. Sie würde ihm so gerne glauben, doch welche Pläne verfolgte er wirklich? Er, ein ehemaliger Todesser? Und er betrachtete sie als Freund?
"Wir sind uns ziemlich ähnlich - und Freunde haben wir wohl beide nicht allzu viele", sagte er dann. "Und manchmal ist man auf eben solche angewiesen, auch, wenn man es nicht wahrhaben möchte. Auch das ist eine Erfahrung, glauben Sie mir."
Und plötzlich wurde Emily ärgerlich, eine irrationale Wut stieg kochendheiß in ihr auf. Sie war immer nur herumgeschubst worden, benutzt, als ein Spielball von irgendwelchen Dingen, mit denen sie eigentlich nie etwas zu tun haben wollte. Und Snape benutzte sie ebenfalls. Sie war für ihn eine sehr nützliche Hilfe bei der Verwirklichung eines ehrgeizigen Projektes - und wenn er von ihrem Geheimnis wüsste, würde er es dazu benutzen, sich beim Ministerium zu profilieren…
Und ohne lange nachzudenken, sagte Emily ihm das auch. Genau so und nicht gerade in freundlichem Ton. Dann hielt sie plötzlich inne, denn Snape sah ziemlich betroffen aus.
"Ist das wirklich die Meinung, die Sie von mir haben?" Er blickte sie an, zuerst irgendwie traurig, dann wurde sein Blick kalt. "Und warum verbringen Sie dann Ihre Zeit hier unten bei mir, wenn Sie tatsächlich glauben, ich würde Sie ausnutzen? Ist es Masochismus, oder wollen Sie etwas anderes - benutzen Sie mich am Ende vielleicht selbst?"
Emily erbleichte, denn Snape hatte damit einen ziemlichen Treffer gelandet. "Bitte, es tut mir leid", flüsterte sie. "Und Sie haben Recht…" Sie biß sich auf die Zunge, als ihr das herausgerutscht war.
"Womit?", weine Frage klang wie ein Peitschenschlag.
"Mit… ich wollte tatsächlich etwas von Ihnen erfahren, ich brauche Ihre Hilfe in einem Punkt…"
"Ach, auf einmal?"
"Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin, jedenfalls jetzt nicht mehr so sehr… nicht nur…" Emily geriet ins Stottern, die Situation war ihr völlig entglitten.
"Warum dann?" Snape war jetzt unbarmherzig.
"Weil es mir Spaß macht, hier zu arbeiten… und weil ich Sie gerne mag."
Den letzten Satz hatte Emily auch beinahe nur geflüstert und Snape rührte es irgendwie an. Diese kleine, verkorkste Person mochte ihn?
"Dann haben Sie eine interessante Art, das zu zeigen, Miss McElwood", entgegnete er, jetzt einen Hauch freundlicher. "Stoßen Sie immer alle Menschen dermaßen vor den Kopf, wenn sie gerade anfangen, Sie etwas zu mögen?"
Emily errötete. "Sie sind ja auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit anderen", schlug sie tapfer zurück. "So, wie Sie manchmal auf anderen herumtrampeln…"
"Das ist ja wohl meine Angelegenheit. Und auf Ihnen habe ich nie ‚herumgetrampelt', wie Sie sich auszudrücken belieben…"
"Stimmt", entgegnete Emily, und es klang verwundert, als ob ihr das gerade erst jetzt bewusst geworden wäre. "Warum eigentlich nicht? Ich bin schließlich auch eine Gryffindor."
"Weil…" Snape überlegte einen Moment. "Weil Sie mir ähnlich sind. Weil Sie sich für Zaubertränke begeistern können und dafür äußerst begabt sind. Weil man sich mit Ihnen - wenigstens ab und zu - vernünftig unterhalten kann und Sie nicht dumm sind. Ich verabscheue dumme Menschen!"
"Aha", machte Emily nur.
Snape war gerade dabei, sich richtig in Fahrt zu reden. "Und es stört mich, wenn meine Assistentin permanent von ihrer Arbeit abgelenkt wird, tagaus tagein dasselbe Problem wälzt und jedes gut gemeinte Hilfsangebot ausschlägt. Das zeugt nämlich NICHT gerade von Intelligenz!"
Emily senkte den Kopf. "Wahrscheinlich haben Sie Recht, aber ich weiß einfach nicht…"
"Versuchen wir's mal anders", knurrte Snape. "Bei welcher Sache benötigen Sie meine Hilfe? Sie sagten doch, dass Sie von mir etwas Bestimmtes erfahren wollten…"
"Ja, das sagte ich. Leider", entgegnete Emily missmutig. "Und ich wünschte, ich hätte nichts gesagt. Ich kann Ihnen das nicht einfach so aus dem Zusammenhang heraus erklären, dazu müssten Sie die ganze Geschichte kennen."
Snape lehnte sich bequem auf seinem Stuhl zurück. "Ich habe Zeit", meinte er und deutete auf den anderen Stuhl. "Setzen Sie sich hin und erzählen Sie!"
Emily schüttelte heftig den Kopf. "Nein, bitte, so einfach geht das nicht…"
"Und wenn ich verspreche, es für mich zu behalten?" Snape schaute sie erwartungsvoll an. "Letztes Angebot. Können Sie mir denn nicht wenigstens ein bisschen vertrauen?"
"Könnten Sie es denn, wenn Sie in meiner Situation wären?"
"Ich weiß nicht." Snape ärgerte sich, denn damit hatte sich Emily elegant aus der Affäre gezogen. "Ich weiß ja nicht einmal, in was für einer Situation Sie so genau stecken."
Warum machte er sich eigentlich die Mühe? Wenn sie nicht reden wollte, sollte sie es halt bleiben lassen, ihm konnte das schließlich egal sein.
War es aber nicht, und darüber wunderte er sich nicht zum ersten Mal.
"Na schön", sagte Emily plötzlich. "Aber nicht heute. Ich muß dazu noch etwas… vorbereiten, und wenn die Voraussetzungen gegeben sind, und Sie mich überzeugen können, dass Sie es nicht weiter verraten, werde ich es Ihnen erzählen."
"Ach, jetzt stellen wir schon Bedingungen", spottete Snape.
Emily schenkte ihm ein maliziöses Lächeln. "Es ist Ihre Entscheidung. Wenn Ihre Neugier groß genug ist, müssen Sie sich darauf einlassen. Oder dumm sterben."
Snape funkelte sie an. "Es gibt nicht viele Menschen, die es wagen, so mit mir zu reden", sagte er gefährlich ruhig.
"Ich bin in vielen Dingen eine Ausnahme", gab Emily zurück. "Und ich habe keine Angst vor Ihnen!"
"Wie schade." Snape musste widerwillig lächeln. "Obwohl, eigentlich bin ich darüber ganz froh, es langweilt auf die Dauer, wenn alle vor Schreck erstarren, wenn ich auch nur in ihre Nähe komme."
"Es liegt einzig an Ihnen, das zu ändern."
***
Als nächstes standen in Hogwarts aber erst einmal drei wichtige Dinge bevor: Der von allen sehnlichst erwartete Besuch in Hogsmeade, das Quidditch-Turnier Gryffindor gegen Slytherin - und der Halloween-Ball am ersten November. In dieser Reihenfolge.
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