Kapitel 4
„Oh... so... lang?“
„Das ist die vorgeschriebene Einheitslänge.“
„Wunderbar!“
„Findest du?“
„Er könnte nicht... länger sein...“
„Dürfte er ja auch gar nicht. Die Abteilung für magische...“
An diesem Punkt beschloss Florence das Gespräch zwischen ihrem Bruder und Lily zu unterbrechen.
„Äh... störe ich?“
„Oh, hallo Flo! Nein, du störst überhaupt nicht. Jamie war nur gerade dabei, mir seinen neuen Rennbesen zu zeigen.“
„Ist er nicht fantastisch?“
„Einmalig... der schönste, den ich je gesehen habe! Aber eigentlich wollte ich etwas anderes von dir... sag mal, ihr hab doch sicherlich damals beim alten Quanticus gelernt, wie man diesen Trank zur Verwandlung von Süßigkeiten in kalorienreduzierten Joghurt braut, oder?“
„Hmm, Zaubertränke waren zwar noch nie meine Stärke, aber ich denke, an diesen kann ich mich erinnern. Warum?“
„Na ja, wir brauchen ihn für die nächsten Prüfungen und ich hab keinen blassen Schimmer, wie ich die Mengenverhältnisse wählen muss, damit der Joghurt nicht zu fest und nicht zu flüssig wird. Kannst du nicht kurz mit rauf zum Gemeinschaftsraum kommen und dir das ganze mal ansehen?“
„Kann das nicht noch ein bisschen warten? Lily und ich waren gerade...“
„Weißt du was?“ flötete Lily, die wohl eine willkommene Gelegenheit witterte, einem längeren Vortrag über die Länge von Rennbesen zu entfliehen. „Ich könnte doch einfach mitkommen! Vielleicht kann ich mich ja auch noch an ein paar Details erinnern!“
„Äh... ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass einer der Hauptbestandteile dieses Trankes unverdünnte Stinktiergalle ist...“
„IIIIIIHHHHHH!... wenn das so ist, gehe ich wohl besser noch ein bisschen spazieren. Vielleicht sehe ich ja Sirius irgendwo!“
Florence frohlockte innerlich. Es war doch zu leicht, Lily hinters Licht zu führen. Normalerweise hatte sie zwar nichts gegen die meistens doch sehr unterhaltsame Gegenwart der Freundin ihres Bruders, doch für das, was sie vorhatte, konnte sie sie beim besten Willen nicht gebrauchen.
„Also was ist jetzt? Kommst du mit?“
„Wenn es denn sein muss...“
Im Gemeinschaftsraum der Gryffindors fand James jedoch nichts als leere Sessel und ein prasselndes Feuer im Kamin vor.
„Hey, ich dachte, du hättest deinen Zaubertränkekasten wenigstens schon vorbereitet!“
„Wie wär's, wenn wir uns erst mal setzen?“
„Sollten wir nicht lieber gleich anfangen? Ich habe schließlich auch nicht ewig Zeit. Quidditchtraining und so...“
„James!“
„Was ist denn nun schon wieder?“ Er klang nun leicht gereizt und Florence beschloss, dass es wohl besser war, die Katze aus dem Sack zu lassen.
„Es geht gar nicht um den Joghurt-Trank.“
„Sondern?“
„Ich muss mit dir reden. Das heißt... ich muss dich etwas fragen...“
„So?“ Er zog eine Augenbraue hoch. Das interessierte ihn nun doch. „Und... um was geht es?“
„Nun ja, es geht um einen von deinen Klassenkameraden...“
„Oha!“ Ein wissendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Wer ist denn der Glückliche?“
„Nein, nein!“ Florence schüttelte entschieden den Kopf. „Nicht so...“
„Sondern?“
„Hmm... das ist etwas kompliziert...“ Und das war es wirklich. Wie um alles in der Welt sollte sie ihrem Bruder erklären, warum sie sich für den Jungen interessierte, den er mit ziemlicher Sicherheit am wenigsten leiden konnte?
„Egal. Wir können uns ja dazu hinsetzen... schließlich habe ich ja Zeit!“
Florence hätte beinahe über den plötzlichen Sinneswandel ihres Bruders gelacht, beherrschte sich aber und nahm auf dem Teppich neben dem Kamin Platz, während James sich auf dem nächstliegenden Sessel niederließ.
„Tja, also es ist so: Als ich letzte Woche auf der Krankenstation war - du weißt schon, wegen meinem gebrochenen Knöchel, da hab ich...“ Nun, irgendwann musste es ja einmal raus. „...also, da hab ich Snape getroffen...“
„Snape?“ James Stimme klang, als spräche er von einem besonders widerwärtigem Insekt.
„Ja, aber hör mir erst zu, bevor du dich aufregst. Er schien... ziemlich krank zu sein. Zumindest sah er so aus und...“
„Flo, du wirst dir doch nicht etwa Sorgen um Snapes Gesundheit machen! Er sieht immer krank aus. Schon als ich ihn zum ersten Mal in King's Cross am Bahnhof gesehen habe sah er krank aus. Bei ihm hat sich ganz augenscheinlich der Charakter aufs Äußere niedergeschlagen!“
„Darum geht es nicht... nicht wirklich. Es war nur so seltsam. Avery war bei ihm und Poppy. Das heißt - zuerst war nur Avery da. Und dann hat Snape mit mir geredet.“
„Er hat mit dir geredet? Was hat diese dreckige Schlange zu dir gesagt? Ich schwöre dir, wenn er dich beleidigt hat, dann dreh ich ihm eigenhändig den Hals um!“
'Dafür hast du doch Sirius', dachte Florence, sagt es aber nicht laut.
Stattdessen fuhr sie mit ruhiger Stimme fort. „Nun, es hätte mich auch schwer gewundert, wenn er irgendetwas Nettes zu mir gesagt hätte. Aber mit so was komme ich auch ganz gut selbst klar. Ich hab's ihm zurückgegeben, darauf kannst du wetten...“
„Und? Hat er dich in Ruhe gelassen?“
„Wie man's nimmt...“ Auf einmal kehrte das unbehagliche Gefühl zurück, dass sie bereits an jenem Abend auf der Krankenstation beschlichen hatte.
„Was soll das heißen?“ fragte James misstrauisch. Anscheinend arbeitete er bereits einen Plan aus, wie er es Snape heimzahlen konnte, dass er es gewagt hatte, seine Schwester anzusprechen.
„Soll heißen, er hat die Augen verdreht, angefangen zu husten und ist dann einfach umgekippt.“
„Wow!“ James schien schwer beeindruckt zu sein. „Wie hast du das hingekriegt?“
„Ich hab aus Versehen seine Mutter erwähnt.“
„Seine Mutter?“
„Ja... ich weiß den Zusammenhang nicht mehr genau, aber ich habe irgendwas von seiner Mutter gesagt.“ Sie vermied es zu erwähnen, dass sie Snape damals im Kreuzgang gesehen hatte. Aus irgendeinem Grund fühlte sie, dass es James nichts anging. „Wusstest du, dass sie tot ist?“
„Ja, ich denke schon. Dad hat mir einmal erzählt, dass er anscheinend beide Eltern verloren hat, als er noch ein Kind war.“
„Dad?“
„Ich habe ihn einmal nach Snape gefragt, ich glaube das war, als ich einmal in den Weihnachtsferien etwas... äh... verändert nach Hause kam.“
Florence musste nun doch grinsen. Sie erinnerte sich nur zu gut an den Tag, an dem Snape ihm irgendeinen Fluch auf den Hals gehetzt hatte der bewirkte, dass sein ganzer Körper mit lila Flecken überzogen worden war. James war wirklich froh gewesen, als es ihnen nach einer Woche endlich gelungen war, einen Gegenzauber zu finden, nicht zuletzt, weil Lily, deren Eltern ja Muggel waren, als Weihnachtgeschenk unter anderem eine Tafel Schokolade geschickt hatte, auf deren Verpackung eine Kuh abgebildet war, deren Musterung unbestreitbar Ähnlichkeit mit James damaliger Hautfarbe aufwies, eine Tatsache, die zu unverhohlener Heiterkeit innerhalb der ganzen Familie geführt hatte.
„Na ja, jedenfalls hab ich Dad damals gefragt, ob er wüsste, was die Snapes denn so für Leute wären. Da erzählte er mir, dass Snape bei seinem Großvater lebt, seit seine Eltern umgekommen sind. Keine Ahnung wie, aber er war damals wohl noch recht jung, auf jeden Fall muss der alte Snape ein komischer Kauz sein. Angeblich war er sogar ein Anhänger Grindelwalds, aber sie konnten ihm nie irgendetwas nachweisen. Seitdem verschanzt er sich auf seiner Burg irgendwo in Irland und experimentiert mit den Dunklen Künsten rum. Das hab ich jedenfalls gehört. Da kann man wohl sagen, dass Snape ganz nach seinem Großvater kommt, oder?“
„Hmmm....“, machte Florence. Man konnte das wohl auch andersherum sehen. Waren wir nicht alle das, wozu andere uns machten? Doch das sagte sie nicht laut, zum einen, weil James es sicher nicht hätte hören wollen, zum anderen, weil sie vor sich selbst ein wenig erschrocken war. Sie würde doch nicht anfangen, eine Entschuldigung für Snapes völlig indiskutables Verhalten finden zu wollen!
„Falls du dir tatsächlich Sorgen um ihn machen solltest, was ich allerdings nicht hoffe, dann kann ich dich beruhigen. Es ist schon gestern wieder im Unterricht aufgekreuzt, genauso ekelhaft und schleimig wie immer!“
„Das tröstet mich!“ Florence zauberte ein sarkastisches Lächeln auf ihre Lippen, welches ihrem Bruder zeigen sollte, wie wenig sie sich aus Snapes Gesundheit machte. Und tatsächlich verfehlte es seine Wirkung nicht. James begann zu lachen, stand von seinem Sessel auf und klopfte ihr auf die Schulter.
„Das ist meine Flo! Übrigens kann ich es kaum erwarten, Sirius, Remus und Peter zu erzählen, dass Snape wegen dir beinahe in Ohnmacht gefallen wäre!“
Als Florence nach dem Abendessen in die Eingangshalle hinaustrat und sich gerade auf den Weg in den Gryffindor Gemeinschaftsraum machen wollte, wurde sie von einer Hand auf ihrer Schulter zurückgehalten. Sie drehte sich um und fand sich Angesicht zu Angesicht mit Sirius Black wieder, in dessen Augen sich ein rätselhafter Ausdruck wiederspiegelte.
„Oh, hallo Sirius!“
Shit! Was wollte dieser klatschergeschädigte Hohlkopf den nun schon wieder von ihr? Blieb nur zu hoffen, dass es kein Kuss oder andere leidenschaftliche Liebesbezeugungen waren...
„Flo, was hat dieser... dieser unsagbare Schmierölkopf dir angetan?“
„Hä?!?“
„Snape! James hat mir alles erzählt!“
„Ah so, das. Da kann ich dich voll und ganz beruhigen. Snape hat mir nämlich überhaupt nichts getan. Zumindest nichts, mit dem ich nicht selbst fertig werden könnte.“
„Aber er hat dich beleidigt!“
„Tut er das nicht mit allen von uns?“
„Flo, es ist eine Sache, wenn er über Prongs oder mich herzieht, aber ein hilfloses Mädchen...“
„Welches hilflose Mädchen? Die Geschichte kenne ich ja noch gar nicht!“ Und damit drehte sie sich auf dem Absatz um und wollte die Treppe hinauf davon rauschen. Was bildete sich dieser Kerl denn ein? Dass er, der große, strahlende Sirius Black sie gegen den bösen Schwarzmagier Severus Snape verteidigen musste? Sollte er sich doch ein anderes Burgfräulein suchen, für das er Drachen töten konnte!
Doch leider ließ er ihr keine Chance, davonzukommen. Er kam hinter ihr her, holte sie am Treppenabsatz ein und drehte sie beinahe gewalttätig zu sich um.
„Du magst denken du wärst schlau und mutig genug, um alleine zurechtzukommen - sehr schön. Aber eines lass dir gesagt sein, Florence Potter. Sollte dieses Monster dir auch nur ein mal zu nahe kommen, ich schwöre dir, dann werde ich ihn töten!“
Florence zitterte. In Sirius' Augen lag ein gefährliches Funkeln, ein mörderischer Ausdruck, der sie keinen Moment daran zweifeln ließ, dass er das, was er gerade gesagt hatte, auch ernst gemeint hatte.
In dieser Nacht träumte sie von einem riesigen, schwarzen Loch, das sich vor ihr auftat und sie jeden Moment zu verschlucken drohte. Zuerst kämpfte sie dagegen an, doch ihr Widerstand schwand, als eine Schlange aus der Finsternis auftauchte und sie mit ihren hypnotischen, schwarzen Augen anstarrte. Auf einmal fühlte sie sich warm und geborgen, sicher in dem Wissen, dass die Dunkelheit ihr nichts tun würde, solange die Schlange bei ihr war. Und dann ließ sie sich fallen. Ins Bodenlose, immer tiefer und tiefer... bis sie mit einem Schrei erwachte.
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