"Severus!" Sie schrie fast seinen Namen und ihre Stimme brach vor Emotion.
Sie stolperte hinein und hörte ein lautes Knacken, als etwas unter ihren Füßen zerbrach, aber sie wandte ihre Augen nicht von Severus ab. Was zur Hölle war mit ihm geschehen? Hatten die Todesser Severus hier angegriffen? Wie war das möglich? Albus hätte es doch gewußt, wenn sie innerhalb der Schule wären, oder nicht?
Sie führte eine rasche Reihe von Zaubersprüchen durch, Licht brach aus der Zimmerdecke, die Ketten verschwanden und Severus schwebte auf das blutbefleckte Bett.
Minerva wußte, daß sie es Albus erzählen mußte, aber Severus war dem Tode nah und sie wagte nicht, noch mehr Zeit zu verschwenden.
Gott, warum hatte sie nicht früher nach ihm geschaut? Und, du lieber Himmel, es machte ja auch keinen Unterschied, daß Poppy dieses Wochenende frei hatte?
Der Schulleiter war höchst erfahren in der Heilkunst. Minerva hatte nicht die Fachkenntnisse, um innere Verletzungen zu versorgen, aber sie glaubte, daß sie, durch das Stoppen der Blutungen aus den äußeren Wunden Severus lange genug stabilisieren könnte, um Albus zu holen.
Sie benutzte Heilzauber, um der Reihe nach jede Wunde zu reinigen und zu schließen.
Dann, als sie die peinlich geordneten Regale von Severus forschend durchsuchte, entdeckte sie Fläschchen mit Bluterneuerungstrank, Skele-Wachs, Branderleichterer, Schmerzverhütern und verschiedene andere Heiltränke, die sie zu Severus hinüber trug, der immer noch auf dem Bett lag, seine Haut fast durchscheinend im grellen Licht.
Der Mann sah in der ungewohnten Helligkeit, die plötzlich durch seine Räume flutete, seltsam verwundbar und ungeschützt aus. Es erschien ihr pervers, in sein persönliches Refugium mit diesem harten Licht einzudringen, wo er doch jede wache Minute versuchte, gerade diesem zu entkommen. Sie dämpfte das Licht mit einem Schlenker ihres Zauberstabs.
Minerva starrte auf das ausgezehrte Gesicht ihres Kollegen. Sie kannte Leute, dreimal so alt wie der Mann vor ihr, die in ihrem gesamten Leben weniger erlitten hatten, wie er in einer Woche. Minerva hatte keine Ahnung, wie Severus es durchstand, aber sie plante, Albus unter Druck zu setzen, damit er den Jungen zwang, mit dieser Lebensweise aufzuhören. Niemand konnte unter diesen Umständen überleben.
Sie zermarterte ihr Gehirn, versuchte sich an die korrekte Dossierung all dieser Tränke zu erinnern. Es war ausgesprochen ironisch, daß der Mann, der dort lag und alle diese Mittel brauchte, ganz genau wissen würde, welche Vorschrift bei jedem der Tränke notwendig wäre.
Minerva beschloss, Severus aufzuwecken, denn er würde es nicht begrüßen, wenn sie ihm Zaubertränke ohne seine Erlaubnis verabreichte und sie wollte nicht riskieren, daß sich sein Zustand noch verschlechterte.
Sie beugte sich nahe zu ihm hinunter und flüsterte:
"Enervate."
Die kalten, schwarzen Pupillen untersuchten forschend ihr Gesicht, als er langsam zu Bewusstsein kam. Er schien durch das Licht halb geblendet. Sie schob sein Haar sanft hinter seine Ohren und seine Augen begannen im Zimmer umherzuirren.
"Mein Gott, Severus, du hast zu lange im Dunkeln gelebt."
Ein rasselndes Husten erklang, das in einem anderen Leben ein Lachen hätte sein können. Sein Kopf rollte kraftlos zur Seite, dann sah er die Flaschen. Sie lächelte schwach.
"Was brauchst du, Severus?"
Er zeigte auf verschiedene Flaschen und erklärte die Dossierungen. Minerva maß sie so genau ab, wie sie konnte und half ihm, alles zu schlucken, da er versuchte, den unerklärlichen Würgreiz zu beherrschen, der zwangsläufig folgte. Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf.
"Wann hast du das letzte Mal gegessen, Severus?"
Er stöhnte, rollte mit den Augen und versuchte sich aufzusetzen, um sich aus dieser Situation zu befreien. Sie erkannte, daß er schon einiges an Kraft zurückgewonnen hatte. Sie war beeindruckt; seine Zaubertränke mußten unglaublich stark sein.
"Antworte mir, Severus, wann hast du zuletzt gegessen?"
"Ich bin wirklich kein großer Esser, Minerva." Er lächelte fein und zog sich am Bettpfosten hoch. Sie griff nach seinem knochigen Arm, als er unsicher auf den Beinen schwankte, aber er schob sie sanft von sich.
"Es gibt andere Wege, sich am Leben zu halten."
Das bezweifelte sie nicht. Wenn sie über die aufgetürmten Regale schaute, die sich unter dem Gewicht der Zaubertränken bogen, fühlte Minerva, wie sie anfing zu glauben, daß Severus alles möglich machen konnte.
"Wo ist meine Robe?" fragte er ruhig und schaute an seiner Brust herab - da waren noch einige merkwürdige Beulen rund um den Oberkörper zu sehen, aber die Blutergüsse und Schnitte waren geheilt und sie hatte sein Gesicht und seinen Brustbereich gesäubert, obwohl noch einiges in seinem Haaren zurückgeblieben war. Er sah widerlich aus, es bestand aber gerade keine Möglichkeit, das zu ändern.
"Wo sind meine Gewänder?" fragte er wieder, diesmal zornig. Sie verlor die Geduld. Er war manchmal unmöglich.
"Wo deine Gewänder sind? Ich weiß es nicht, Severus!"
Sie sprach mit herablassender Stimme, triefend vor Sarkasmus. "Ich bin nicht stehen geblieben, um danach Ausschau zu halten, ich war zu beschäftigt, dein Leben zu retten!"
Er drehte ihr bedächtig den Rücken zu und öffnete eine Schublade, aus der er eine gefaltete, schwarze Robe herauszog.
"Ich werde das nächste Mal daran denken, daß ich zuerst danach suche, ich werde dich dann einfach in Ketten hängen lassen, auch wenn das Blut aus allen Löchern tropft..."
Er erstarrte plötzlich, aber sie zeterte weiter.
"....bis ich sicher bin, daß jedes verdammte Stück aus deinem Schrank an seinem korrekten Platz ist."
Die Stille war ohrenbetäubend. Severus stand immer noch starr mit dem Rücken zu ihr gewandt. Sie keuchte ein wenig. Er senkte den Kopf und sie seufzte, weil sie sich ein bisschen schämte.
"Es tut mir Leid, Severus. Es ist nur, als ich in dein Zimmer kam, warst du so...," sie schluckte die Tränen, "...ich wußte nicht, ob du tot oder lebendig warst. Ich wußte nicht, was passiert war. Ich weiß es auch jetzt noch nicht. Ich habe mein Bestes getan, um dein Leben zu retten. Und dann wachst du auf und fragst mich, was ich mit deinen Gewändern angestellt habe!" Ihre Stimme wurde langsam hysterisch. "Gott, Severus, ich bin so erschrocken."
Er nickte zögernd, drehte sein Gesicht zu ihr und murmelte sanft: "Ja. Es tut mir Leid, Minerva, ich wollte nicht, daß du das mit ansiehst."
"Oh, komm, Severus." Sie runzelte die Stirn. "Ich würde sagen, es war ein Glück, daß ich es gesehen habe, andernfalls hätte diese Nacht etwas anders geendet."
Der Mann schüttelte traurig den Kopf. "Es tut mir Leid."
"Severus." Sie näherte sich dem großen Mann und blickte ihm in die Augen. "Das ist doch nicht deine Schuld."
Er lächelte bitter und begann seine Robe über den Kopf zu ziehen. "Darüber ließe sich diskutieren, Minerva."
"Nun, du weißt, auf wessen Seite ich stehe." Sie unterbrach sich, da er ein schmerzerfülltes Zischen ausstieß, als sein Gewand auf halbem Weg über den Schultern steckte. "Was ist? Wo tut es weh?" Sie zog die Robe das restliche Stück hinunter.
Er stöhnte frustriert. "Ich glaube, die verdammte Schulter ist ausgerenkt....", er betastete sie vorsichtig. Sie legte eine Hand auf seine Brust, um ihm zu helfen, aber er zuckte erneut zusammen, "...und möglicherweise auch ein paar Rippen."
Sie zog rasch ihre Hand zurück und lächelte entschuldigend. "Ich habe nur die äußeren Verletzungen geheilt. Ich bin ehrlich gesagt nicht qualifiziert genug, um noch mehr als das zu tun..."
Er nickte und lächelte. "....und du wußtest, daß ich nicht übermäßig erfreut gewesen wäre, wenn du einen Fehler bei meinen inneren Organen gemacht hättest."
"....und ich wußte, daß, ja...." Sie grinste und sah ihn voller Zuneigung an. Dann erstarb das Lächeln auf ihrem Gesicht. "Was ist passiert, Severus?"
Er wich seufzend zurück. "Minerva."
"Nein, Severus." Sie folgte ihm, damit er sich nicht noch mehr zurückziehen würde. "Du kommst hier nicht heraus, du wirst mir jetzt erzählen, was geschehen ist und wenn ich dich in deinem Zimmer einschließen muß, bis du es tust."
"Minerva, bitte." Severus' dunkle Augen waren voller Gram und Niedergeschlagenheit. "Du weißt, ich rede nicht gern über diesen Teil von meinem Leben."
"Diesen Teil deines Lebens! Severus, das ist dein Leben!" Sie drängte ihn an die Wand. "Deine Verbindung zu denen verschlingt jeden Aspekt deines Daseins! Dein Herz, deine Seele und alles Feuer in deinem Geist wird aus dir herausgerissen und jeden Tag schwindet dein Lebenswille ein wenig mehr." Sie flüsterte jetzt nur noch mit erstickter Stimme.
Severus lehnte an der Wand, sein Gesicht verzerrt, die Augen geschlossen, und schüttelte ablehnend den Kopf. Sie starrte auf sein Gesicht, sah, was aus dem impulsiven, jungen Mann geworden war, den sie einst gekannt hatte, und eine Träne ran an ihrer Wange herab. Das war einfach nicht richtig.
"Ich werde nicht zulassen, daß sie dir das antun", flüsterte sie bestimmt. "Ich werde Albus aufsuchen."
Sie drehte sich entschlossen um und ging, um ihren Zauberstab von dem Tisch neben Severus' Bett aufzuheben. Sie wischte sich die Träne ab. "Ich werde nicht danebenstehen und zusehen, wie du leidest. Ich lasse nicht zu, daß der Schulleiter so etwas von dir verlangt. Dieses Opfer ist zu groß."
"Was?" Die Stimme klang so kalt, daß sie sich umdrehte, um zu prüfen, daß sie wirklich zu Severus gehörte.
"Ich habe genug, Severus. Es fängt an lächerlich zu werden. Du bist fast gestorben... aber du bringst es noch nicht mal übers Herz, mir zu erzählen, was passiert ist."
"Ich kann nicht, Minerva." Er sprach durch die zusammengebissenen Zähne, seine Lippen bewegten sich kaum. "Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich kann nicht mehr unterscheiden, was Realität war und was nicht."
Seine Stimme erstarb. Seine bleichen Hände waren ineinander verkrampft. Sie konnte sehen, wie die Fingernägel der einen Hand blutige Linien über die andere zogen.
"Es ist in Ordnung, Severus." Sie legte ihre Hände auf seine. "Du bleibst hier. Versuch nicht, wegzulaufen. Ich werde gehen und den Direktor holen, er wird dich ordentlich heilen können."
"Du wirst es Albus nicht erzählen." Seine Augen waren weit aufgerissen und glasig, er zitterte ein wenig, als er auf den Boden starrte. Minerva wich vor dem großen, unvorhersehbaren Mann vor ihr zurück. Sie konnte fühlen, wie Kraft von ihm ausstrahlte. Sie fragte sich besorgt, ob Severus seinen Zauberstab hatte oder nicht.
"Ich muß, Severus. Ich muß das hier aufhalten. Es zerstört dich. Der Schulleiter hätte das schon längst untersagen sollen. Ich schäme mich für ihn."
"Er weiß es nicht, Minerva." Er zischte ihren Namen wie eine Beleidigung.
"Was?" Sie schnaufte ungläubig. "Wie kann er das nicht wissen?"
"Das ist doch ganz einfach."
Ihr missfiel der Ton, den er gebrauchte; es war, als ob er alle Energie auf seine Worte konzentrierte, als könne er kaum seine Gefühle beherrschen.
"Ich habe ihm nichts davon erzählt."
"Severus, er muß es wissen. Wenn er weiß, was du jedes Mal durchmachst, würde er dich zurückhalten."
Severus starrte sie nur an, sie glaubte, daß sie fast Funken in der Luft zwischen ihnen knistern sehen konnte, angefüllt mit mysteriöser Energie. "Ich gehe und hole ihn." Sie trat zurück und versuchte unauffällig ihren Zauberstab aufzuheben, ohne Severus das Gefühl zu geben, bedroht zu sein.
Angst erfüllte sie, als er mit wild lodernden Augen auf sie zukam. "Severus, Albus muß es wissen."
*Keine plötzlichen Bewegungen*
*Keine plötzlichen Bewegungen*
Sie konzentrierte sich so stark, daß seine plötzliche Bewegung sie völlig unvorbereitet traf.
Minerva wurde gegen die Wand genagelt, Severus' rechter Unterarm presste gegen ihre Luftröhre. Der junge Mann ragte vor ihr auf, sein Haar, vom Blut rot gefärbt, stand in krassem Gegensatz zu der unnatürlichen Blässe seiner Haut.
Sie erkannte, daß er unter inneren Blutungen litt, da er trotz des Bluterneuerungstrankes immer noch so blass war. Sie war entsetzt, sie konnte ihren rasenden Puls an Severus' Knochen schlagen fühlen.
"Severus, bitte", krächzte sie, während sie ihre Fingernägel in sein ungeschütztes Handgelenk krallte. "Du brauchst Hilfe, der Direktor..."
"Minerva, lass es mich ein für allemal klarstellen." Die kalte Stimme wurde durch das Echo, das durch den Steinkeller hallte, noch betont. "Wenn du versuchst, es dem Schulleiter zu erzählen, werde ich dich töten."
Minerva hörte auf, sich zu wehren, erfüllt von grenzenlosem Entsetzen. Sie sah in seine Augen und sah nichts außer der endlosen Dunkelheit von tiefen, schwarzen Seen.
"Severus", flüsterte sie verzweifelt, "ich bin es. Ich will doch nur das Beste für dich... du kannst das nicht alleine schaffen... sieh doch, was es dir angetan hat."
Sie schnappte schmerzerfüllt nach Luft, als er sie unterbrach und sein Handgelenk hart auf ihre Luftröhre stieß. Seine Augen wirbelten gefährlich herum und sie spürte seinen Zorn, der unkontrolliert in seiner Aura aufwallte.
"Was ich schaffen kann und was nicht, Minerva, hast nicht du zu entscheiden." Er spuckte die Worte böse heraus. "Und das hier hat mich nicht zu dem erbärmlichen Wesen gemacht, das ich heute bin."
Seine Augen huschten zur Seite, als er versuchte, seine Gefühle zu verbergen. "Ich war schon zerbrochen."
Minerva hielt zitternd den Atem an. Severus starrte nur kalt auf seinen Arm, der ihr immer noch die Kehle zudrückte. Sein Gelenk war jetzt mit offenen, halbmondförmigen Wunden von Minervas Fingernägeln bedeckt. Er zeigte keine Reaktion.
"Es tut mir Leid." Sie stöhnte. Ihre heisere Stimme brach durch die Stille. Der Mann sah niedergeschlagen auf.
"Wofür?"
"Für so viele Dinge, Severus. Ich hätte dir früher helfen sollen." Er runzelte argwöhnisch die Stirn, als würde eine Verdacht in ihm aufsteigen.
"Ich habe keine Ahnung, wovon du redest", murmelte er, seine Haltung war abweisend, offensichtlich wollte er das Thema vermeiden.
Aber dafür war es nun zu spät, sie mußte sich ihre Gefühle von der Seele reden; sie waren dabei, sie zu ersticken. Ihre Stimme nahm beunruhigend an Tempo zu, als sie weitersprach. Severus schüttelte den Kopf und zog sich von ihr zurück.
Ich hätte da sein sollen, Severus, ich hätte es an der Schule bemerken müssen, ich hätte ihn aufhalten sollen, ich hätte es vorher erkennen müssen, ich..."
Severus brüllte: "Warum bist du heute Nacht hergekommen?!"
Seine Augen blitzten wild und seine Hand fuhr zurück an ihren Hals, ihr Körper krachte gegen den Stein. Sie verlor unter seinem brennenden Blick den Mut. "Ich...ich habe dich mit Lucius gesehen."
In seinen Augen dämmerte plötzlich die Erkenntnis.
"Es tut mir Leid."
Ein Muskel zuckte an seiner ausgezehrten Wange und seine weit aufgerissenen Augen starrten durch sie hindurch. Sie stammelte weiter: "Ich habe mit angehört, was er über deinen Vater gesagt hat und... ich konnte es einfach nicht glauben... musste es mit eigenen Augen sehen.... oh Gott, es ist alles meine Schuld... ich kann nicht... jetzt, wo ich gesehen habe, was er dir antut..."
Severus drückte seine knochigen Finger zusammen und sie rang nach Luft, unfähig zu atmen. Er beugte sich so nahe zu ihr herab, dass sich ihre Nasen fast berührten und zischte mit verzerrtem Gesicht: "Du hast keine Ahnung, was mir dieser Mann antut."
Sein Gesicht war kreideweiß und seine Halsmuskeln zuckten gefährlich. Plötzlich spürte Minerva, wie sie zu Boden stürzte, als er sie roh zur Seite stieß. Sie landete mit einem Ruck auf Händen und Knien und holte tiefe, keuchende Atemzüge.
Dann, als sie den Kopf hob, sah sie Severus, der sich schwer mit beiden Händen auf den Tisch gegenüber stützte. Er hatte ihr den dünnen Rücken zugewendet. Kummer flutete durch ihr Herz, trotz ihres eigenen Zustandes. War er verletzt? Oder gewann er die Kontrolle zurück?
Sie bewegte sich so leise wie möglich und griff nach ihrem Zauberstab auf dem Tisch, die Augen ständig auf den schwankenden Mann vor ihr gerichtet.
Als sie das Holz zwischen ihren Fingern spürte, stand sie schnell auf und zielte auf Severus' Rücken. Sie schreckte zusammen, als seine Stimme die Spannung zerriss.
"Versuche nicht, mich zu verhexen, Minerva. Du würdest es bereuen, das versichere ich dir."
Sie senkte langsam, zögernd den Zauberstab. Sie fühlte sich durch die ruhige Feststellung des Mannes äußerst beängstigt, obwohl sie nicht erkennen konnte, wie er sie aufhalten wollte. Sie hatte Angst, in unmittelbarer Nähe zu ihm zu sein - sie hatte nur zuvor vergessen, wie heftig er sein konnte, wenn er die Beherrschung verlor. Sie hatte ihn unterschätzt.
Sie rieb sich den gequetschten Hals und schlich zur Tür, als ihr klar wurde, wie viel Glück sie gehabt hatte. Wenn Severus völlig ausgerastet wäre, hätte sie sterben können. Der Mann hatte so große Macht.
Sie schaute hinter sich zur Tür. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihn in diesem Zustand mit seinen Gefühlen zu konfrontieren? Und auch noch seinen Vater zu erwähnen? Was war nur mit ihr los?
"Du darfst Albus nicht erzählen, was du heute Nacht gesehen hast."
Minerva wirbelte wieder herum, aber Severus hatte sich nicht bewegt. Seine Stimme war flach und ausdruckslos.
"Der Schulleiter würde mir verbieten, zu den Treffen zu gehen, aber ich muß. Ohne meine Informationen und den uneingeschränkten Kräften von Albus werden wir den Krieg verlieren. Der Dunkle Lord hat mich in immer schlimmerem Zustand zurückgeschickt, mit der Absicht, Albus aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er darf keinen Erfolg damit haben. Ich habe den Direktor so lange gehindert, das herauszufinden. Wir können nicht riskieren, daß Dumbledore seine Konzentration verliert. Ich werde alles tun, um zu helfen, daß der Krieg gewonnen wird, niemand weiß besser als ich, was auf uns zukommt, wenn wir verlieren."
Er richtete sich langsam auf. "Ich kann nicht zulassen, daß du mir diese Pflicht wegnimmst."
"Aber Severus, du leidest so sehr."
"Du bist nicht in der Lage, diese Dinge zu beurteilen, du weißt nicht, was ich getan habe. Ich kann mich um meine Verletzungen kümmern, ich habe es schon so oft getan. Albus hat Vertrauen in mich und ich werde ihn nicht im Stich lassen."
Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie schüttelte traurig den Kopf und wandte sich zum Gehen. Severus verstand nicht. Seine Seele war genauso viel wert, wie die der anderen und er opferte sie aus einer fehlgeleiteten Vorstellung von Schuld.
Albus würde das nicht wollen. Er würde es wissen wollen, aber sie konnte nicht riskieren, das Vertrauen von Severus zu verlieren, nicht nachdem sie jetzt gesehen hatte, wie sehr er Hilfe brauchte.
"Minerva, wenn du beabsichtigst, es ihm zu erzählen, werde ich dich töten."
Sie hatte keinerlei Schwierigkeiten, ihm zu glauben. Sie empfand in diesem Augenblick nichts außer Mitleid mit dem Mann. Obwohl er darum kämpfte, verlor er die letzte Kontrolle über sein Leben.
Sie beobachtete, wie er den Kopf senkte und wie blind durch sie hindurch sah.
"Ein Leben zu nehmen, um Tausende zu retten, würde ich für einen annehmbaren Tausch halten."
Minerva schaute ihn einen Moment lang schweigend an, dann zog sie sich aus dem Zimmer zurück, um dem stechenden Blick des gequälten jungen Mannes zu entkommen.