Arkana

 

 

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Kapitel 1


"Was machst du heute Abend?"
Collins ging gerade das Krankenblatt durch, während Hughes das Kopfkissen des Patienten aufschüttelte und dabei nur mit sehr wenig Fingerspitzengefühl vorging.
"Ich habe Nachtdienst auf der Hoffnungslosenstation und du?" fragte Hughes ihren Kollegen.
"Ich habe eine Verabredung."
Collins versuchte so gelassen wie möglich zu klingen, doch er wurde von der jungen Praktikantin sofort durchschaut.
Einen Moment lang sah sie ihn prüfend an, dann begann sie laut loszulachen, wobei sie sich schließlich sogar den Bauch halten musste.
"Hey, was gibt's denn da zu lachen?"
"Ja genau, weil du eine Verabredung hast."
Sie begann abermals zu lachen, was mehr an das Kichern einer sterbenden Hyäne erinnerte als an einen Menschen, und ließ den Kopf des Patienten dann zurück auf sein Kissen fallen. Die beiden gingen zum nächsten Bett und begannen mit derselben Prozedur von vorne. Mit gezücktem Zauberstab sorgten sie dafür, dass der Patient neue Bettbezüge und ein frisches Nachthemd bekam und die alte Wäsche direkt in den Wäschekorb außerhalb des Zimmers verfrachtet wurde. Beim Aufschütteln des Kopfkissens wurde aber noch auf Handarbeit und zwischenmenschlichen Kontakt mit dem Patienten Wert gelegt und somit begann Clarissa Hughes wieder von vorne mit der Quälerei des Kissens und des Patienten.
Der Gesichtsausdruck des letzteren hatte sich zwar kaum merklich verändert, aber irgendwie schien man ihm doch anzusehen, dass ihm das Gerede und vor allem auch das Gelächter der Praktikantin seine letzten Nerven raubten, von denen er nach Aussagen der Heiler sowieso nicht mehr viele zu besitzen schien.
"Armer Kerl. Liegt seit drei Wochen nur so da. Wäre vielleicht doch besser gewesen, ihn einfach sterben zu lassen", murmelte Collins vor sich hin, während er das Krankenblatt des Mannes genauer betrachtete.
"Unsinn, dann hätten wir einen Patienten weniger zum Üben."
Hughes begann wieder zu kichern, doch urplötzlich verzog sich ihr Gesicht zu einer angsterfüllten Maske.
"Was ist?" fragte Collins, der den abrupten Stimmungswechsel nicht deuten konnte.
Ihre einzige Antwort bestand darin, dass sie ihren Blick zu dem Bettlägerigen wandte und ihn aus weitaufgerissenen Augen anstarrte, wodurch sie eine beängstigende Ähnlichkeit mit dem Chefheiler der Station erhielt.
"Was? Was ist mit ihm? Ist das einer deiner Scherze?" fragte Collins gekränkt. Anscheinend war er es leid, von seiner Kollegin zum Narren gehalten zu werden.
"Seine….seine", stammelte Clarissa und schnappte nach Luft.
"Ist das ein Ratespiel?"
"Hand….seine Hand, du Idiot!" brüllte sie ihn nun an. Sie hatte sich einigermaßen gefangen, denn über den ersten Schock hinweg, begann sie nun mit dem Geschrei.
"Was zum…", begann Collins, sprach aber nicht weiter. Fasziniert betrachtete er die Hand des Hoffnungslosen, die sich mit festem Griff um das Handgelenk der Praktikantin gelegt hatte.
"Cool", entfuhr es ihm, wodurch er sich sogleich Clarissas zornerfüllten Blick einhandelte.
"Tu doch was!" forderte sie ihn auf, wobei sie vergeblich versuchte, die Hand des Patienten von ihrem Handgelenk zu lösen.
"Was denn? Soll ich ihm die Hand abhacken?"
Collins schien die ganze Situation Spaß zu machen. Er schob sich kurz die Brille zurück, die bereits wieder nach vorne, zu seiner Nasenspitze gerutscht war, und beugte sich dann etwas näher zum Patienten.
"Ich glaube er will uns was sagen", stellte er fest und plötzlich klang er wie ein richtiger Heiler und nicht mehr wie der schwache verunsicherte Praktikant, der noch vor ein paar Minuten von seiner Kollegin aufgezogen worden war.
Der Hoffnungslose bewegte tatsächlich die Lippen, doch es war kein Laut zu hören.
"Is schon gut, Sir. Lassen Sie sich ruhig ein wenig Zeit. Was möchten Sie uns sagen?"
Beruhigend sprach Collins auf den Mann im Bett ein und auch Clarissa Hughes war nun ruhiger geworden. Gespannt warteten die beiden ab, ob der Patient vielleicht doch noch eine Silbe herausbrachte.
"Hör….hören…", kamen die stotterten Worte aus dem Mund des Kranken.
"Wir hören Ihnen ja zu, Sir", unterbrach Hughes ihn und unterstrich ihre Aussage mit einem heftigen Kopfnicken.
"…auf…damit…"
Die beiden Heilerassistenten warfen sich fragende Blicke zu.
"Er möchte, dass wir mit irgendwas aufhören", ließ Clarissa ihre erste Vermutung verlautbaren.
"Wahrscheinlich warst du zu grob beim Kissenaufschütteln. Bis jetzt hattest du doch immer nur Glück, weil die Hoffnungslosen sich dagegen nicht wehren konnten."
Collins musste unwillkürlich über seinen eigenen kleinen Scherz lachen. Er wurde jedoch sogleich von einem "Aua!" seiner Kollegin unterbrochen.
"Lockern Sie endlich Ihren Griff um mein Handgelenk und lassen Sie mich los, Sie Irrer!" fuhr Clarissa den Patienten an, der ihr Handgelenk noch fester drückte, als zu Beginn.
"Hören…Sie auf….zu….sprechen...", zischte der Kranke die beiden jungen Heiler an.
Diese Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, denn jetzt war es an den beiden, den Hoffnungslosen nur stumm anzustarren.
"…und…", setzte der Mann weiter fort, "hören Sie vor allem….mit dem…..Gekicher auf."
Damit ließ er Clarissas Handgelenk frei, was die jedoch kaum merkte. Vollkommen perplex sah sie zu Collins und als hätten es beide zuvor einstudiert, stürmten sie gleichzeitig aus dem Zimmer und brüllten den ganzen Flur entlang nach dem Chefheiler.

Im Nachhinein wäre es für Severus Snape vielleicht doch besser gewesen, wenn er mit dem Sprechen erst gar nicht begonnen hätte. Denn damit traten die Probleme erst richtig in sein Leben. Ab dem Zeitpunkt, an dem Chefheiler Bertram mit seinen beiden aufgebrachten Praktikanten im Schlepptau, das Zimmer des "sprechenden Hoffnungslosen" betrat, wurde es nur noch schlimmer.
Zuerst nahm Bertram die Krankenakte zur Hand und blätterte sie einige Male durch, bevor er sich direkt an den Patienten richtete.
"Mr. Snape, wissen Sie wo Sie sind?" fragte Bertram sachte.
Die beiden Praktikanten standen hinter dem Chefheiler am Bettende und hielten erwartungsvoll den Atem an.
"Im Tierpark?" lautete die geflüsterte Antwort, die Bertram binnen einer Sekunde jede weitere Hoffnung nahm.
"Zwischen Hyänengehege…und….. und Affenhaus?" setzte Snape weiter fort und trotz seiner Schwäche lag eine Portion Zynismus in der Aussage.
Das folgende Kichern hinter seinem Rücken, machte es Bertram leicht die Antwort seines Patienten nachzuvollziehen.
"Klappe, Hughes", fauchte er die junge Frau an.
Clarissa fuhr augenblicklich zusammen, als hätte Bertram ihr einen Schlag versetzt.
"Es scheint, als hätten wir hier einen richtigen Spaßvogel. Collins!"
"Äh, ja Sir?"
"Veranlassen Sie, dass Mr. Snape in ein anderes Zimmer verlegt wird. Danach geben Sie Mitchell Bescheid."
Nachdem sich der junge Praktikant auf den Weg gemacht hatte, drehte sich Bertram abermals dem Kranken zu. Hughes hatte derweilen ihren Block gezückt und kritzelte nun eifrig darauf herum.
"Sir, wissen Sie warum Sie hier sind?" wollte der Heiler wissen, doch Snape schüttelte nur leicht den Kopf, wobei er sich einem stechenden Schmerz in seiner linken Schädelhälfte gewahr wurde. Langsam fasste er sich an die Schläfe, um die Stelle, von der dieses unsägliche Pochen ausging, mit den Fingern aufzuspüren.
"Sie wurden von einem sehr starken Fluch aus nächster Nähe am Kopf getroffen", erklärte der Heiler ihm.
"Ein Fluch?"
"Ja, ein Fluch, den sie selbst ausgesprochen haben."
"Das… das kann nicht sein."
Abermals durchfuhren ihn Schmerzen, als er mit einer Geste seines Kopfes die Unglaubhaftigkeit von Bertrams Worten aufzeigen wollte. Krampfhaft versuchte Snape sich an irgendetwas zu erinnern, das Bertrams Aussage entkräften konnte.
"Ich…ich war unterwegs…und…."
"Man hat sie in der Nähe des Verbotenen Waldes gefunden, Mr. Snape. Sie haben versucht sich das Leben zu nehmen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wie es scheint, habe ich mich abermals selbst übertroffen und vielleicht werden Sie bald schon wieder ein ganz normales Leben führen können."
Erfreut über seine fabelhafte Heilkunst, schenkte der fischäugige Heiler dem Patienten und sogar seiner Praktikantin ein kurzes aufmunterndes Lächeln.
"Nein…..nein….das ist unmöglich…", stammelte Snape und sah sich hilfesuchend in dem Zimmer um. Es musste doch wenigstens ein vernünftiger Mensch auf dieser Station sein. Irgendjemand, der ihn nicht wie einen kompletten Idioten behandelte oder zumindest abwartete, bis er ausgesprochen hatte.
"Ich habe keinen Selbstmordversuch unternommen."
Snapes Stimme klang ruhig, obwohl seine Augen die Aufgebrachtheit in seinem Inneren reflektierten. Betram ließ sich nicht davon beirren. Er drehte sich zur Praktikantin um und mit gedämpfter Stimme, die Snape trotzdem die Möglichkeit gab, jedes Wort genau mit anzuhören, sagte er: "Das Leugnen stellt die erste Phase des Heilungsprozesses dar."
Hughes schrieb diese Information sogleich in ihrem Notizblock nieder.
Bertram blieb nicht mehr zu sagen, denn in diesem Moment kam Collins zurück. Mit ihm trat ein weiterer Mann ein, der durch sein eigenes kränkliches Aussehen gar nicht wie ein Heiler wirkte, aber von Bertram als solcher vorgestellt wurde.
"Mr. Snape, ich möchte Ihnen gerne Heiler Mitchell vorstellen. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der psychologischen Fluchschäden. Mitchell, wir haben hier einen außergewöhnlichen Fall vor uns. Ein als Hoffnungsloser abgestempelter Selbstmörder, der alles abstreitet."
"Faszinierend", war Mitchells einzige Antwort und Snape wurde augenblicklich noch elender zumute.


 
 

Prolog

 

Kapitel 2

 

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