Alcyone - Teil 3

 

 

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Kapitel 10



Nach einer fast schlaflosen Nacht und endloser Grübelei machte Alcyone ihr Vorhaben am nächsten Morgen wahr. Gleich nachdem sie ihre Sachen regelrecht in ihr Büro geworfen hatte, ging sie auf dem direkten Weg zu ihrem Vorgesetzten.

„Herein!“, ertönte eine ältere Männerstimme augenblicklich nachdem Alcyone an der Tür geklopft hatte.

Alcyone atmete tief ein, öffnete die Tür und trat ein.

Vor ihr lag ein großes Büro, vollgestopft mit Pflanzen aller Art und Bücherregalen voller ungewöhnlich aussehender Bücher. Vier große Fenster zierten die Rückwand. Der Raum hatte eine Nische, in der ein bequemes Sofa und mehrere Sessel um einen Tisch herumstanden. Neben dem Sessel hatte der Besitzer des Büros diverse Grünpflanzen stationiert, die das ganze noch gemütlicher erscheinen ließen.

Der Besitzer des Büros war niemand geringeres als Alcyones direkter Chef, Mr Cabbage.

Mr Cabbage war ein älterer Herr, Anfang sechzig, mit schütterem grauen Haar, einem Vollbart und stattlicher Statur. Er hatte seinen Doktor in magischer Paläontologie gemacht, war aber niemals daran interessiert gewesen, eine Professur anzunehmen und in Hogwarts zu unterrichten.

„Ah Alcyone“, grüßte er sie mit einem Lächeln, „Was führt Sie zu mir?“

„Ich habe ein Anliegen, Mr Cabbage, das keinen Aufschub duldet“, erklärte Alcyone.

„Bitte setzen Sie sich“, sagte Mr Cabbage und deutet auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Alcyone nahm Platz. Mr Cabbages Schreibtischplatte war übersät von Pergamentblättern. Er als Chef hatte ziemlich viel Schreibkram zu erledigen.

„Also Alcyone“, begann Mr Cabbage, nachdem sich Alcyone vollends gesetzt hatte und faltete seine Hände auf dem Tisch zusammen. „Was haben Sie auf dem Herzen?“

„Nun ja Mr Cabbage, es ist so, ich müsste dringend ein paar Tage frei nehmen. Es geht um dringende Angelegenheiten meiner Familie, die nicht warten können.“

Alcyone war über sich selbst überrascht. Sie hatte es ohne Probleme sagen könne und dabei ihren Chef angelogen. Nein, das stimmte nicht ganz. Sie hatte die Wahrheit etwas ausgedehnt. Wenn sie es genau betrachtete, ging es um ihre Familie. Um ihr zukünftiges Kind und je länger sie warten würde, die Sache zu klären, um so schlimmer würde es werden. Dieser Gedankensprung machte die Sache wieder etwas leichter für sie und wischte ihr eben entstandenes schlechtes Gewissen zur Seite.

„Verstehe“, sagte Mr Cabbage.

„Ich hab auch schon mit Tom gesprochen, er würde meine Arbeit übernehmen“, erklärte Alcyone ihrem Chef.

Mr Cabbage runzelte die Stirn. „Wie lange haben Sie denn vor wegzubleiben?“

„Ich weiß es nicht.“ Alcyone hatte noch nicht darüber nachgedacht. „Ich werde natürlich versuchen, die Angelegenheit so schnell wie möglich zu regeln.“

Ihr Gegenüber nickte. „Gut Alcyone. Ich gewähre Ihnen den Urlaub.“ Er lächelte. „Wie könnte ich auch anders. Es ist das erste Mal, dass Sie zu mir kommen und mich um etwas für Sie selbst bitten. Sie sind eine großartige Ausbilderin und ich bin froh, Sie hier zu haben.“

„Danke Mr Cabbage.“

„Nichts zu danken! Und nun machen Sie, dass Sie weg kommen. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute.“

Mr Cabbage erhob sich von seinem Platz. Alcyone tat es ihm gleich.

„Vielen Dank noch mal!“, sagte Alcyone und schüttelte Mr Cabbages Hand. Mit einem Lächeln auf den Lippen verliess sie sein Büro und machte sich sofort auf den Weg in ihres, um ihre Tasche und ihren Mantel zu holen. Bevor sie das Gebäude verließ, machte sie noch einen Abstecher zu Tom, um ihm die freudige Nachricht zu überbringen und ihm noch ein paar Anweisungen zu geben. Tom nickte bei allem, was sie ihm erklärte, und versicherte ihr, alles bestens zu erledigen und dass sie sich keine Sorgen machen solle.

Nach etwas fünf Minuten schob er sie aus seinem Büro und machte ihr klar, dass sie schnell machen sollte, sonst würde sie noch den Zug nach Hogsmeade verpassen.

Alcyone umarmte ihren Freund kurz, drückte ihm einen Kuß auf die Wange und verließ das Zauberministerium Richtung Bahnhof Kings Cross.

Alcyone beeilte sich, schaffte es aber ohne Schwierigkeiten noch rechtzeitig zum Bahnhof. Dort angekommen, fiel ihr noch etwas ein. In der Eile hatte sie glatt vergessen, Mrs Sanctimony schon eher anzurufen und sie zu bitten, sich um ihre Pflanzen zu kümmern. Vorsorglich hatte sie einen Schlüssel versteckt. Da sie aber nicht wusste, ob sie gehen dürfte, hatte sie ihr noch nichts gesagt. Und fast wäre sie in den Zug gestiegen und hätte das vergessen.

Sie hatte Glück. Mrs Sanctimony war zu Hause und erklärte sich sofort einverstanden.

Erleichtert hängte Alcyone den Hörer ein und warf einen Blick auf ihre Uhr.

Noch sieben Minuten.

Sie musste sich beeilen. Sie hängte sich ihre Tasche um und rannte schnell zu den Gleisen neun und zehn. Welch ein Glück, dass Ministeriumsarbeiter kostenlos im Zug mitfahren konnten, so konnte sich Alcyone das Besorgen einer Fahrkarte sparen. Außerdem hätte es eh nicht mehr von der Zeit her gereicht.

Zum Glück kannte sie sich auf dem Bahnhof aus und musste nicht erst überlegen und suchen, wo sie hinmusste.

Gekonnt umrannte sie die Muggel, die entweder dumm in der Gegend standen, sich in Gruppen unterhielten oder irgendetwas suchten. Nur einmal rannte sie fast einen zeitungslesenden älteren Herrn über den Haufen und konnte einen Blick auf die Überschrift werfen und das Worte Freiflugaffäre erkennen.

Schließlich erreichte sie den Bahnsteig und strebte zielgerecht den Pfeiler an, der sie zum Gleis 9 ¾ bringen sollte.

Doch sie kam nicht an.

Kurz bevor sie das Tor erreichte stieß sie mit einem Muggel zusammen.

Alcyone glitt zu Boden und ihr erste Gedanke war: Nicht schon wieder…!

Sie blickte auf und um sie herum tummelten sich ein paar Kinder. Das hieß, es waren eher Jugendliche.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte einer der Jungen. Er war groß, braunhaarig und lächelte.

„Danke, geht schon“, sagte Alcyone und richtete sich auf. „Tut mir leid, war meine Schuld“, fügte sie noch hinzu.

Kaum stand sie wieder und hatte sich die Hosen glatt gestrichen, wollte sie umgehendst zu ihrem Zug kommen. Allerdings gab’s da ein Problem. Die kleine Gruppe Jugendlicher stand direkt bei ihr und würden es ganz genau sehen, wenn sie jetzt durch die Absperrung ging. Was würde das für einen Tumult auslösen und vor allem, was würde sie für Ärger bekommen? Das konnte sie jetzt so auf keinen Fall riskieren. Alcyone konnte nichts machen. Jetzt war es eine unabwendbare Tatsache. Sie würde ihren Zug verpassen. Es sei denn, sie hätte jetzt augenblicklich eine Idee. Und so war es.

Alcyone kramte in ihrer Tasche herum und fragte gleichzeitig. „Wie heißt du?“

„Bart, M’am“, antwortete der Junge.

„Bart“, wiederholte sie und zog einen Schein und ein paar Münzen aus ihre Tasche. „So hilfsbereite, anständige Jungs wie dich gibt es sehr selten in der heutigen Zeit. Hier.“ Sie streckte ihm einen Geldschein hin.

„M’am, nein, das geht nicht“, sagte er im gebrochenen Englisch und wich einen Schritt zurück. Offensichtlich war er kein Engländer.

„Bitte!“ Alcyone streckte ihm den Geldschein hin und zwar so, dass die Münzen, die auf ihrer Hand lagen herunterkullerten.

Ihre Rechnung ging augenblicklich auf.

Fast alle aus der Gruppe beugten sich, um die Münzen aufzuheben und die, die es nicht taten schauten reflexartig auf den Ort des Geschehens. Wie viel Geld es letztendlich war, war Alcyone so was von egal. Das war ihre Chance. Das war das einzige was in diesem Moment zählte, nichts anderes.

Alcyone überlegte nicht lange. Dazu hatte sie auch nicht die Zeit. Sie machte auf dem Absatz kehrt und sprang regelrecht durch die Absperrung.

Sie hatte Glück. Der Zug war noch da. Der Rauch kam schon aus dem Schornstein der Dampflok und es sah aus, als würde der Zug jede Sekunde losfahren. So schnell sie konnte rannte Alcyone auf die nächst mögliche Tür zu und sprang in den Waggon. Kaum war sie drin, gingen die Türen zu und der Zug setzte sich in Bewegung. Sie hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft. Ob allerdings jemand was von ihrer Aktion vor der Absperrung mitbekommen hatte konnte sie nicht sagen.

Die Zugfahrt verging diesmal wie im Flug. Es kam ihr so vor, als ob der Zug, kaum nachdem sie eingestiegen und in einem der vielen freien Abteile platzgenommen hatte, auch schon in den Bahnhof von Hogsmeade eingefahren war.

Dass es diesmal so unglaublich schnell ging, lag einzig und allein daran, dass unangenehme Ereignisse immer schneller auf einen zukamen, als es einem lieb war und obwohl Alcyone sich auf nichts lieber freute, als Severus wiederzusehen, hatte sie vor der Begegnung mit ihm große Angst. Die ganze Fahrt über hatte sie sich überlegt, was sie ihm sagen und wie sie es ihm sagen sollte. Mit jemand unterhalten konnte sie sich auch nicht, denn der Zug war so leer, dass sie gut mit einem Waggon fahren hätten können und nicht mal der wäre voll gewesen. Nicht einmal der Schaffner hatte sich die Mühe gemacht vorbeizukommen. Genauer gesagt hatte Alcyone während der gesamten Zugfahrt keine Menschenseele gesehen.

„Hogsmeade, hier Endstation!“, schrie eine männliche Stimme, nachdem der Zug vollends zum Stehen gekommen war.

Alcyone zog sich ihren Mantel wieder an, packte ihre Tasche und stieg aus dem Zug.

Es war dunkel und kalt. Sie rieb sich die Hände und hielt Ausschau, in welche Richtung sie jetzt gehen musste. Wo Hogwarts lag, wusste sie und sie glaubte auch, ein paar Lichter in der Ferne zu erkennen. Bei Tag war es soviel einfacher.

„Kann ich Ihnen helfen, M’am?“, fragte sie ein Mann.

Alcyone schüttelte den Kopf. „Nein danke“ und lief sofort vom Bahnsteig runter. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, dass jemand erfuhr, dass sie hier war und in so kleinen Orten verbreitete sich immer alles rasend schnell.

Sie ging ein paar Schritte den Weg entlang, den normalerweise die Kutschen fuhren und als sie sich etwas von Hogsmeade entfernt hatte blieb sie stehen. Sie brauchte doch gar nicht zu gehen. Den Aspekt, dass sie ein Animagus war, hatte sie glatt vergessen. Alcyone musste über die Tatsache lachen, dass sie das so genau geplant hatte, wenn sie Severus besuchen wollte und jetzt, da es tatsächlich soweit war, hatte sie es glatt vergessen.

Alcyone lächelte und wollte sich gerade konzentrieren, um sich verwandeln zu können, als ihr plötzlich bewusst wurde, daß da noch etwas war, daß sie zu berücksichtigen hatte - ihre Schwangerschaft.

Ging das überhaupt? Alcyoen wusste nicht einmal, ob so etwas überhaupt schon mal vorgekommen war, daß eine schwangere Hexe sich in ihre Animagiform verwandelt hat. Es könnte immerhin Risiken für das ungeborene Kind mit sich bringen. Aber vielleicht war es auch völlig ungefährlich?

Alcyone wusste es nicht, und sie wollte das Risiko nicht eingehen, obwohl fliegen viel einfacher gewesen wäre und schneller. Doch die Ungewissheit und Alcyones Hang zur Sicherheit und Vorsicht überwogen. Also nahm sie den etwas längeren Fußmarsch in Kauf und lief durch die Dunkelheit Richtung Schloß. Auf den Weg zu Severus Snape.


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