Von Dingen die nicht sind

 

 

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Autorin: Elena


Disclaimer: Alle Charaktere und Lokationen gehören JK Rowling und es wird kein Provit damit gemacht.

A/N: Diese Kurzgeschichte war ein Wettbewerbsbeitrag zum Thema "Weihnachten nach den Ereignissen von Band 6 - Harry Potter und der Halbblutprinz".



Von Dingen die nich sind



Wenn er sich beeilte, konnte er es unbemerkt bis zur Apotheke schaffen. Snape schaute sich nach den beiden Auroren um, die über den Bürgersteig schlenderten und sich mehr für die Auslagen der Geschäfte in der Winkelgasse interessierten, als für ihre Umgebung.
Noch einmal holte er Luft, zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht und trat in die helle Gasse. Jemand, der Severus Snape nicht kannte, würde ihn glatt für verrückt erklären, dass der derzeit am meisten in ganz England gesuchte Todesser mitten an einem belebten Weihnachtsvormittag einfach so durch die Winkelgasse spazierte. Und wenn sie ihn nicht für verrückt halten würden, dann für abgebrüht und eiskalt.
Snape zwang sich, die Schritte nicht zu beschleunigen. Er durfte auf keinen Fall auffallen, musste so tun, als ob er einer der vielen Zauberer war, die im letzten Moment noch Weihnachtsgeschenke besorgen wollten.
Vielleicht hatten sie Recht, diese gesetzestreuen Zauberer. Er musste verrückt sein, hier herumzulaufen. Weihnachten bedeutete ihm schon lange nichts mehr, und trotzdem riskierte er Verhaftung oder gar Tod, nur weil er ein Geschenk besorgen wollte. Ich wette meinen besten Zaubertrank, dachte Snape, dir hätte das gefallen, Albus, mich auf der Jagd nach Weihnachtsgeschenken zu sehen.
Vor einem Schaufenster blieb Severus stehen und tat, als betrachtete er die Auslagen. Sein versteckter Blick richtete sich seitwärts. Die Auroren hatten die Straßenseite gewechselt und unterhielten sich angeregt. Angewidert verzog Snape das Gesicht. Die beiden benahmen sich wie Anfänger, aber er hütete sich, sie zu unterschätzen.

Langsam drehte er sich vom Schaufenster weg, als er plötzlich stutzte und nun die Auslagen genauer betrachtete. Neben all der kitschigen Weihnachtsdekoration hing ein Steckbrief von ihm. "Gesucht wird - tot oder lebendig - der Todesser Severus Snape wegen Mordes an dem Schuldirektor Albus Dumbledore". Mal davon abgesehen, dass es ein ziemlich unschmeichelhaftes Bild von ihm war, empfand er es fast als ein Affront, sich neben so vielen Schneekugeln und Mistelzweigen zu sehen. Seine Augenbraue wanderte empört nach oben, dann ging Snape endlich weiter. Welch bittere Ironie. Jetzt suchten sie ihn wie einst Sirius Black, nur mit dem Unterschied, dass er sich kaum als unschuldig betrachten konnte. Jeder Auror und jedes Mitglied des Phönix-Ordens jagte ihn.
Das hast du nicht vorausgesehen, Albus, führte Snape sein Zwiegespräch fort. Du hast geglaubt, dass Potter den Mitgliedern des Ordens die Situation genau darstellen würde, aber du hast dich geirrt, alter Mann. Potter hatte nichts Besseres zu tun, als mit dem Zauberstab auf mich loszugehen - dieser dumme Gryffindor. Auf der Jungentoilette hätte er Draco fast umgebracht und mich wollte er mit meinen eigenen Zaubersprüchen stoppen. Lächerlich! Er kann seine Gefühle nicht beherrschen. Er denkt einfach nicht nach. Und jetzt sind mir die Hände gebunden. Keiner vom Orden würde mir glauben, wenn ich sie über die Pläne des Lords informieren wollte. Das war eine großartige Leistung von Potter, wirklich, eine wahrhaft großartige Leistung. Die ganze Planung, die monatelangen Vorbereitungen und selbst dein Tod, Albus, alles war umsonst.
Snapes Laune hatte sich rasant verschlechtert, wie immer, wenn er an die Sommernacht auf dem Turm zurückdachte. Grummelnd war er an der Apotheke vorbeigegangen, zu der er eigentlich wollte. Er ging die wenigen Schritte zurück und betrat den halbdunklen Raum, in dem es nach verschiedenen Gewürzen und Zutaten roch. Snape erlaubte sich den Luxus, zu verharren und die unterschiedlichen Düfte einzuatmen. Sie erinnerten ihn an schönere Zeiten. Fast unmerklich besserte sich seine Laune wieder.
Ein wenig Abstand zu den anderen Kunden haltend ging er an den Regalen entlang und schaute sich nach den benötigten Zutaten für seine Tränke um. Natürlich, er hätte alles auch in der Nokturngasse bekommen können, aber zu überhöhten Preisen und wesentlich schlechterer Qualität. Das kam für ihn nicht in Frage. Nicht für seine Zaubertränke.
Die letzten beiden Kunden, ein älteres Pärchen, verließen den Verkaufsraum. Der Apotheker eilte nun zu Snape.
Jetzt kam für ihn der schwierigste Teil seines Einkaufs. Der Ladenbesitzer kannte ihn bereits seit Jahren, schließlich war er als Professor für Zaubertränke einer seiner besten Kunden gewesen. Er würde ihn erkennen, auch mit der Kapuze.
"Was kann ich für den Herrn tun - Professor Snape!"
Snape war auf das entsetzte Gesicht vorbereitet und kam der nächsten Reaktion des Apothekers zuvor. Er wollte ihn nicht mehr bedrängen als notwendig. "Kein lautes Wort von dir und niemand kommt zu Schaden." Die Spitze seines Zauberstabes bohrte sich gegen den Hals des Mannes.
Wenige Minuten später war Snape wieder in der Winkelgasse unterwegs, die letzten Wege erledigen. Der Apotheker hinter dem Verkaufstresen starrte zerstreut auf das Geld in seinen Händen. Es dauerte einen Moment, bis er sich erinnerte, was er gerade tun wollte: das Geld des alten Zaubererpaares in die Kasse legen. Er lächelte zufrieden.


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Zurück in Spinners End schüttelte Snape den feuchten Schnee von seinem Umhang und warf ihn über die Lehne des alten Sessels. Es roch nach angebranntem Essen und abgestandener Luft. Mit einem Wink des Zauberstabes ließ Snape die Fenster des Wohnzimmers aufspringen und frische Luft ein. Die eingekauften Sachen brachte er in sein improvisiertes Labor hinter der Bücherwand, die Lebensmittel in die Küche. Als er zurückkehrte, musste er feststellen, dass Wurmschwanz dabei war, die Fenster wieder zu schließen.
"Lass die Fenster auf!", grollte Snape, "Hier stinkt es zu sehr nach Ratte."
"Es ist kalt!", jammerte der kleine Mann mit den wässrigen Augen.
"Such dir doch eine wärmere Bleibe."
"Das könnte dir so passen. Ich bin im Auftrag des Lords hier."
"Halt die Klappe, Wurmschwanz, und verschone mich mit deinem Gewinsel. - Wo ist Draco?"
"Oh, seine Majestät geruhten heute noch nicht, mich mit seiner Anwesenheit zu beehren." Er drehte sich zu Snape um "Er wollte aber, dass ich ihm etwas zu Essen mache. - Ich bin doch kein Hauself!"
"Nein, denn die können wenigstens kochen."
Snape ließ Wurmschwanz stehen und öffnete den Durchgang in der Bücherwand, der in das obere Stockwerk führte. An der Treppe blieb er stehen und sah hinauf. Seit Draco und er an jenem verhängnisvollen Abend aus Hogwarts fliehen mussten, galt auch der junge Malfoy offiziell als Todesser und wurde von den Auroren gesucht. Er konnte nicht zu seiner Mutter zurück, wenn er sie und sich nicht unnötig gefährden und am Ende bei seinem Vater in Askaban landen wollte. So blieb er an der Seite seines Lehrers, der ihn schließlich nach Spinners End brachte. Draco bewohnte dort Snapes altes Jugendzimmer.

Severus öffnete leise die Tür und wurde mit einem Raum in fast völliger Dunkelheit konfrontiert. Der schmutzige Schnee vor dem Haus reflektierte nur wenig Mondlicht, das als ein fahler Strahl ein winziges Quadrat auf dem Boden malte. Dracos Silhouette zeichnete sich undeutlich vor dem Fenster ab. Seine hellen langen Haare glitzerten leicht, als er den Kopf zur Tür drehte.
"Lumos!" Eine Kerze flackerte auf und erhellte das Zimmer nur dürftig. Nachdem sich Severus Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, vermochte er Einzelheiten auszumachen. Draco saß auf dem alten klapprigen Hocker und hatte wohl die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut. Es war kalt in dem Raum. Die Szene erinnerte Severus sehr an seine eigene Jugend. Auch er hatte oft still und ohne Licht auf diesem Hocker gesessen und in die Dunkelheit hinaus gestarrt. Wir sind beide verdammt! Der Gedanke tat ihm weh. Dracos Seele war krank und er konnte nichts dagegen tun. So erschreckte es ihn umso mehr, dass ihm der Junge langsam immer ähnlicher wurde. Wie einst er, verlor auch der junge Malfoy plötzlich alles, was ihm etwas bedeutete.
Severus schüttelte unmerklich den Kopf. Schon die Ereignisse im letzten Schuljahr hatten Draco immer mehr aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht, doch die Konfrontation auf dem Turm und Dumbledores Tod verschlimmerten Dracos inneren Konflikt und warfen ihn völlig aus der Bahn. Obwohl der Junge versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, konnte Severus ihn oft in der Nacht, wenn er selber, von seinen eigenen Dämonen getrieben, durch das Haus wanderte, weinen hören.
"Professor?"
Der Mann wurde aus seinen Gedanken gerissen. Draco bestand weiterhin darauf ihn mit seinem Titel anzusprechen. Vielleicht war es gerade dieser kleine Teil des alten vertrauten Lebens, der ihn davor bewahrte, verrückt zu werden.
"Komm mit mir hinunter, ich will nach deinem Arm sehen."
Sofort zog Draco den linken Ärmel seines Hemdes länger. "Es ist alles in Ordnung", versuchte er auszuweichen. Sein Blick begann zu flackern.
Der Lord hatte dem Jungen sein Zeichen an dem Tag in den Arm gebrannt, als Lucius Malfoy rechtskräftig verurteilt und endgültig nach Askaban überstellt wurde, um den Kuss eines der letzten Dementoren zu erhalten. Voldemort ließ es sich nicht nehmen, dem jungen Malfoy persönlich die Nachricht mitzuteilen, dass dessen Vater fortan eine seelenlose Kreatur war. Draco nahm nun den Platz seines Vaters unter den Gefolgsleuten des Lords ein, war jedoch weit davon entfernt, auch dessen Position zu besetzen.
Noch in derselben Nacht versuchte Draco, das Zeichen des Lords voller Wut und Hass mit einem Messer zu zerstören. Severus, der etwas in der Art erwartet hatte, war darauf vorbereitet gewesen. Seitdem hielt er Draco von weiteren Dummheiten ab, indem er dessen Arm regelmäßig kontrollierte. Der Junge sollte eigentlich wissen, dass es unmöglich war, das Mal zu zerstören. Zudem schätzte der Lord es nicht sonderlich, wenn seine Anhänger versuchten, sich seines Zeichens zu entledigen.
"Das entscheide ich lieber selber." Severus deutete mit der ausgestreckten Hand zur Tür. "Wenn ich also bitten darf?". Jetzt sprach und dachte er wieder wie der Hauslehrer der Slytherins. Und Draco gehorchte widerstrebend.


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Der Weihnachtsabend war bereits fortgeschritten und Snape saß im Sessel. Auf seinem Schoß ein Pergament, in das er zuweilen Notizen an den Rand schrieb. Draco hatte sich in eine Ecke des alten Sofas zurückgezogen, die Beine untergeschlagen und starrte dumpf vor sich hin. Ab und an hob er den Blick und sah zu, wie Wurmschwanz ein wenig an der dürftigen Weihnachtsdekoration herumzupfte. Der kleine, fast kahlköpfige Mann löste bei ihm immer wieder Unbehagen aus. In seiner Anwesenheit hatte er schnell gelernt, sich jedes Wort zu überlegen, was er sagte. Nicht, dass er in den letzten Wochen viel gesprochen hätte.
So lag ein drückendes Schweigen in dem Wohnzimmer, das so gar nicht zu einem festlichen Abend passen wollte.
"Bei den Weasleys war es Weihnachten immer sehr schön!", seufzte Wurmschwanz wehmütig. Er fingerte an einem Buch im Regal herum und schob es wieder lustlos zurück.
Snape sah von seinem Pergament auf und betrachtete den Mann mit einem herablassenden Lächeln. "Lass die Finger von den Büchern, alte Ratte. Mach dich nützlich und räum endlich die Küche auf. Die Lebensmittel, die ich eingekauft habe, liegen noch immer auf dem Tisch. Sollen sie verderben?"
"Mach es doch selbst, Snape."
"Wenn du heute noch was in deinem Fressnapf haben willst, solltest du es dir auch verdienen. Los, oder muss ich nachhelfen?"
"Ich werde mich beim Lord beschweren!", zeterte der Mann mit quiekender Stimme.
Draco verdrehte die Augen. Sein Blick wanderte zwischen den beiden ungleichen Männern hin und her.
"Da ist die Tür!" Snape deutete auf die Haustür. "Nur zu!"
"Das könnte dir so passen, Snape. Du willst, dass ich das Haus verlasse und nicht wieder zurück finde. Oh ja", trumpfte Wurmschwanz jetzt auf, "ich weiß, dass du einen Tarnzauber auf das Haus geworfen hast. Das war schlau von dir, aber mich legst du nicht rein. Ich werde hier ausharren."
"Schön", gab Snape gelangweilt zurück, "ausharren kannst du auch in der Küche!" Wie zufällig hatte der Hausherr seinen Zauberstab in der Hand und deutete mit der Spitze auf den ungeliebten Mitbewohner.
Wurmschwanz verstand die Geste nur zu gut. Etwas Unverständliches murmelnd verzog er sich in Richtung Küche.
Wieder breitete sich Schweigen in dem Zimmer aus. Jetzt jedoch war es entspannter und angenehmer.

Erst ein Klopfen an der Haustür unterbrach die Stille erneut. Severus sah zur Uhr im Buchregal und legte Feder und Pergament beiseite.
Draco sah erschrocken auf. Seine Augen bekamen einen gehetzten Ausdruck, als fürchtete er, sich jeden Moment Auroren gegenüber zu sehen. Severus hob beruhigend die Hand. Er konnte sich denken, was den Jungen ängstigte.
"Ein Einsatzkommando vom Ministerium würde nicht höflich anklopfen." Snape stand auf und ging zur Tür. "Und wie unsere Hausratte bereits ganz richtig feststellte, kann uns hier keiner finden. Das Haus ist durch Magie geschützt. Nur wer eine Einladung hat, vermag bis zur Tür zu kommen."
Draco versuchte gleichmütig auszuschauen. Im Geheimen wünschte er sich jedoch, den Tarnumhang von Potter zu haben, um sich unsichtbar zu machen.
Snape hatte indes die Tür geöffnet. Undeutlich konnte Draco geflüsterte Stimmen hören. Da er mit dem Rücken zum Eingang saß, sah er nicht, wer zu so später Stunde gekommen war.

"Ich habe deine Nachricht erhalten und alles so gemacht, wie dein Rabe es mir gesagt hat."
Der späte Gast streckte Snape die Hand entgegen und öffnete die Faust. Eine schwarze Feder kam darin zum Vorschein. Sie war von dem festen Griff zerdrückt, tat aber noch immer ihren Dienst, wie Severus an dem leichten Flimmern erkennen konnte. Behutsam nahm er die Rabenfeder aus der feuchten Hand der Frau und steckte sie sorgsam in die Tasche seiner Jacke.
"Willkommen, Narzissa." Er trat beiseite, um Dracos Mutter einzulassen.
Zögernd überschritt sie die Schwelle, ihr folgte ein kleiner verängstigter Hauself.
Erst nachdem Severus die Tür geschlossen hatte, schob Narzissa ihren Schleier beiseite. Suchend schaute sie sich um. "Wo ist er, Severus?", flüsterte sie mit zitternder Stimme, "Wo ist mein Sohn?"
"Ganz ruhig, es geht ihm gut. Er ist hier."
In dem Moment tauchte Dracos Kopf über der Rückenlehne des Sofas auf. "Mutter?" Er sprang auf, eilte auf sie zu und umarmte sie. "Was machst du hier? Es ist zu gefährlich. Du darfst nicht verweilen. Was, wenn sie dich bei uns finden?"
"Ganz ruhig, Draco", Severus scheuchte den Hauself aus dem Weg. "Für deine Mutter habe ich Vorsorge getroffen. Keiner wird ihr Verschwinden bemerken. Zudem", er hob vielsagend die Augenbrauen, "hätte ich es bereits erfahren, wenn ihr jemand gefolgt wäre."
"Und Wurmschwanz?" Draco sah sich hastig um, ihm wurde bewusst, dass der unliebsame Mitbewohner jeden Augenblick erscheinen konnte.
Ein boshaftes Lächeln umspielte Severus Lippen. "Der wird uns nicht stören, dafür hat die Ratte selber gesorgt. - Narzissa, darf ich dir den Umhang abnehmen? - Bitte, nimm Platz." Er nahm den Umhang und hing ihn an einen Haken an der Tür. "Entschuldigt mich einen Moment, der Hauself und ich haben noch etwas zu erledigen."
Severus, der die ganze Zeit ruhig und leise gesprochen hatte, wurde laut und herrisch. Der alte Snape trat wieder in den Vordergrund.
"Das ist Robby", erklärte Narzissa hastig. "Er ist ein braver Elf." Der kleine Robby, der gerade noch mit hängenden Ohren Snape furchtsam angeschaut hatte, lächelte schüchtern. "Robby, du wirst tun, was Professor Snape von dir verlangt."
"Ja, Herrin."

Während Severus Draco und dessen Mutter allein ließ, dirigierte er den Hauselfen in die Küche. Auf dem Boden lag Wurmschwanz. Snape stieg, ohne weiter darauf zu achten, über den Bewusstlosen hinweg. "Idiot!", murmelte er nur. Es hatte sich gelohnt, seinen Aufpasser zu beobachten, was nicht wirklich eine Herausforderung war.
Wurmschwanz vergriff sich gern an den süßen Gerichten, die Snape zuweilen für Draco einkaufte. Er naschte heimlich und glaubte wahrhaftig, er, Severus Snape, würde es nicht bemerken. Für Snape war es ein Leichtes, ein Pulver über eine besonders verlockende Speise zu streuen, das die Ratte dann für längere Zeit außer Gefecht setzte. Voldemorts Aufpasser war so berechenbar.
"Sir, der Mann am Boden ...", versuchte Robby den Herren des Hauses darauf aufmerksam zu machen.
"Lass ihn liegen und ignorier ihn." Snape deutete auf den Herd und die Lebensmittel auf dem Tisch. "Daraus soll etwas Vernünftiges zubereitet werden. Bekommst du das hin?"
Robby schaute mit der Nasenspitze über den Tischrand und begutachtete die Speisen. Schließlich nickte er. "Ja, Sir, Robby kann daraus etwas machen."
"Gut, in spätestens einer Stunde muss es fertig sein."
"Eine Stunde", quiekte Robby. "Das wird nicht so schnell gehen."
"Willst du deine Herrin in Verlegenheit bringen?" Snape hob warnend die Augenbrauen.
"Nein, Sir!"
"Gut! In einer Stunde. - Und die angefangene Schachtel mit den Törtchen wirfst du weg. Das Zeug ist ungenießbar geworden. Eine Ratte hat daran genagt."
Damit ließ der Zaubertrankmeister die Küche und den bewusstlosen Wurmschwanz in der Obhut des Hauselfen.

Als er das Wohnzimmer wieder betrat, sah er sich alarmiert um. Narzissa saß zusammengesunken auf dem Sofa, das Gesicht in den Händen vergraben. Der Junge war nirgends zu sehen.
"Wo ist Draco?"
Narzissa schreckte auf und sah auf Snape. In ihren Augen glitzerten Tränen. Sie sah sofort wieder weg und wischte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht.
"Oben!", flüsterte sie. "Ich habe ihm einige seiner Sachen mitgebracht und jetzt zieht er sich um."
Snape schloss die Tür zur Küche. Nur langsam trat er näher. Er wartete, bis Dracos Mutter sich wieder gefangen hatte.
"Er hat sich so verändert", begann Narzissa. "Der Glanz in seinen Augen ist verschwunden und sein Lächeln wirkt nur bitter." Die blonde Frau drehte sich zu ihrem Gastgeber um. "Was hat ER ihm nur angetan? - Was haben wir ihm angetan?", fügte sie leise hinzu.
Was sollte Severus darauf antworten?
Und wieder musste er daran denken, dass Draco dabei war, sich zu verlieren. Wie ein verschrecktes Tier in der Dunkelheit irrte der Junge herum, auf der Suche nach dem richtigen Weg. Diese Suche konnte er ihm nicht abnehmen.
Snape wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Narzissa an ihn herantrat. "Ich habe mich noch nicht bei dir bedankt, dass du Draco beschützt hast. Ich weiß, der Preis war für dich schrecklich."
Sie nahm seine Hand in die ihre. Als Severus es zuließ, lehnte sie sich gegen ihn. Sie schmiegte ihre Wange an seine Brust und konnte unter dem dunklen Stoff sein Herz klopfen hören. "Immer wieder habe ich mich gefragt, ob Draco einen anderen Weg eingeschlagen hätte, wenn nicht Lucius, sondern -"
"Tsch, Narzissa, nicht." Snape löste sich behutsam aus ihrer Umarmung. "Lass die Vergangenheit ruhen. Sprechen wir nicht von Dingen, die nicht sind."
"Er hätte unser Sohn sein können."
"Nicht. Wir hatten beide keine andere Wahl mehr." Er geleitete sie zum Sofa zurück und setzte sich neben sie. "Ich habe dich gebeten zu kommen, weil Draco gerade heute seine Mutter brauchte und nicht, um alte Wunden wieder aufzureißen."
"Du hast Recht. Oh, Severus, ich habe solche Angst um ihn. Lucius habe ich in Askaban verloren und meinen Sohn an den Lord. Er trägt sein Zeichen, Draco hat es mir gezeigt. Ich werde noch verrückt bei dem Gedanken, dass er andere töten muss, um selber zu überleben."
"Noch war es nicht soweit. Das Schlimmste konnte ich bisher verhindern."
Narzissa saß leicht vorgebeugt, die Hände im Schoß, das Taschentuch mit den Fingernd zerknüllend. "Er wirkt so zerbrechlich, so schwach."
"Warte ab, Narzissa, und habe Vertrauen zu deinem Sohn. Wenn er erst seinen Weg gefunden hat, wird er stärker sein, als wir alle vermuten."
"Wie gerne würde ich dir glauben."
"Vertrau deinem Sohn." Mit diesen Worten stand Severus auf. "Und nun vertreib die trüben Gedanken, denn Draco kommt die Treppe herunter. Ich kann ihn hören. - Denk daran, es ist Weihnachten."
Mit diesen Worten zog Severus seinen Zauberstab aus der Tasche und ließ ihn einige Male durch die Luft tanzen. Danach hatte sich das Zimmer verwandelt und erstrahlte nun im weihnachtlichen Glanz.
Narzissa öffnete verblüfft den Mund. In ihren Augen spiegelte sich der Schein von Kerzen wieder, die plötzlich überall verteilt leuchteten. Tannenzweige steckten oberhalb der Regale und im Fenster glitzerten Eisblumen. In der Luft lag ein leichter Duft von Äpfeln und Zimt. Draco, der nicht minder überrascht wurde von der weihnachtlichen Pracht, blieb wie angewurzelt in der halb geöffneten Tür stehen. "In Hogwarts hieß es doch immer, Sie wären ein Weihnachtsmuffel", rutschte es dem Jungen heraus.
"Danke, Draco. Es spielt zwar keine Rolle mehr, aber ich wäre schön, wenn man mir wenigstens diesen Ruf nicht zerstört."
"Verstehe, Professor!" Draco lächelte.
Narzissa wurde es ganz warm ums Herz. Sie sprang auf und drückte ihren Sohn an sich. "Friedliche Weihnachten, Draco!"
"Friedliche Weihnachten, Mutter!"
Snape stand neben dem Sessel, eine Hand in der Jackentasche. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen, als er Mutter und Sohn herzlich vereint sah. In seinen Augen spiegelte sich einen Moment lang Wehmut. Doch das ging vorbei.
"Und was wäre ein Weihnachtsfest ohne Geschenke?", brachte er sich schließlich wieder in Erinnerung.
Er zog ein Päckchen aus der Tasche und öffnete es. Darin lagen zwei kleine, fast unscheinbare silberfarbene Medaillons. "Ihr werdet euch eine lange Zeit nicht mehr sehen können, daher soll dies mein Geschenk an euch sein."
Vorsichtig nahm Severus eines der Medaillons aus der Schachtel. Er öffnete es. "Draco, schau auf die verspiegelte Oberfläche, so dass dein Bild zu sehen ist."
Draco folgte der Anweisung. Er vernahm ein leises Zischen, dann war sein Spiegelbild im Medaillon eingefangen.
Sorgsam nahm der Zaubertrankmeister Draco das Schmuckstück wieder ab. Er tippte mit dem Zauberstab darauf. Ein kurzes Aufleuchten ließ es golden glühen, dann war es wieder wie vorher. Snape schloss das Medaillon.
"Narzissa", er nahm ihre Hand und legte den Anhänger mit der Kette hinein. Behutsam drückte er ihre Finger um das Schmuckstück. "Wenn du die Kette mit dem Medaillon trägst, wird sie verschwinden und erst dann wieder zum Vorschein kommen, wenn du sie abnimmst. Niemand wird sie dir mit Gewalt nehmen können. Immer wenn du wissen willst, wie es deinem Sohn geht, dann öffne den Anhänger. Sein Abbild wird es dir sagen."
Severus nahm das zweite Medaillon aus dem Kästchen. "Dies ist das Gegenstück. Es ist für dich, Draco. - Narzissa, wenn du nun so freundlich wärst ..."
Und wieder erglühte der Anhänger, als Severus den Zauber vollzog und danach Draco das Schmuckstück in die Hand gleiten ließ. "Friedliche Weihnachten, Draco!"
Mutter und Sohn betrachteten das ungewöhnliche Geschenk und dann ihren Gastgeber. In Narzissas Augen sammelten sich bereits wieder Tränen. Sie drückte das Geschenk an ihr Herz. Draco ließ den Anhänger an der Kette kurz baumeln, um ihn sich besser anschauen zu können, dann legte er ihn um. Wie der Professor es gesagt hatte, verblasste er sofort und wurde unsichtbar. Der junge Malfoy konnte aber die Kühle des Metalls und das Gewicht des Anhängers noch spüren. "Danke, Sir."
Ein bedeutungsvolles Schweigen legte sich über die drei Personen im Wohnzimmer.
Dann wurde es von dem Hauselfen unterbrochen, der unter vielen Verbeugungen verkündete, dass das Essen bereitet wäre und er gerne wissen wollte, wo er auftragen soll.
Das Schweigen löste sich auf. Draco ließ sich auf das Sofa fallen. "Gute Idee, ich habe Hunger!".
Narzissa fragte Severus ganz erstaunt: "Essen? Mein Hauself sollte Essen zubereiten?"
"Wäre es dir lieber gewesen, wenn Wurmschwanz gekocht hätte?", fragte Severus scheinheilig.

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Für wenige Stunden gelang es Narzissa, Draco und Severus, die Wirklichkeit zu verdrängen. Schließlich aber musste Narzissa aufbrechen. Sie verabschiedete sich von ihrem Sohn. Severus begleitete sie zur Tür und legte ihr den Umhang über die Schulter. Um den Hals, wusste er, trug sie sein Geschenk.
Während des Abschiedes war Narzissa wieder ernster geworden. An der Tür drehte sie sich ein letztes Mal zu Severus um. "Gibt es noch Hoffnung?", wollte sie wissen. "Für Draco? - Für dich?"
Severus schwieg und dachte nach.
"Sag mir die Wahrheit!", bat sie den Mann, der sie lange mit seinen schwarzen Augen und unergründlicher Miene anschaute.
Was sollte er einer sorgenvollen Mutter sagen? Er hatte mit Dumbledores Tod den letzten Funken Hoffnung verloren. Sollte er sie anlügen, nur um sie in falscher Sicherheit zu wiegen? Sollte er das?
Er wollte ihr sagen, dass nur ein Narr noch hoffen konnte, aber dann brachte er es nicht über sich. "Es gibt immer Hoffnung", antwortete er leise.
Narzissa seufzte hörbar. "Ja!" Ihre Hand fuhr sanft über Severus' Gesicht. Sie stellte sich auf die Zehen und küsste ihn auf die Wange. "Friedliche Weihnachten, Severus und danke für alles."
Sie drehte sich um, zog den Schleier über den Kopf und verließ das alte Haus. Ohne zurückzuschauen ging sie mit ihrem Hauselfen in die Nacht hinaus. Sie wusste, wenn sie sich jetzt umdrehte, würde Severus' Haus verschwunden und für sie, wie hoffentlich für jeden anderen, unauffindbar sein.
Der Zaubertrankmeister schaute ihr nach. "Friedliche Weihnachten, Narzissa!", sagte er leise.

Ende

 

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