Die Worte kamen wie von selbst aus meinem Mund. Inzwischen war es mir schon zur Gewohnheit geworden, das Töten. Die verzweifelten, panikerfüllten Schreie meiner Opfer zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit.
Mit einem dumpfen Poltern fiel die junge Frau vor mir, die sich gerade noch mit dem Mut der Verzweiflung gegen ihren unmittelbar bevorstehenden Tod gewehrt hatte, auf den Dielenboden. Da lag sie nun, reglos, die Augen weit aufgerissen, ein erschrockener Zug um ihren Mund, ihre Gliedmaßen merkwürdig verdreht. Ihr dunkles Haar lag einem Fächer gleich um ihren Kopf gebreitet.
Sie lebte nicht mehr.
Es hatte keinen Grund gegeben, sie zu töten, außer dem, dass sie eine Muggel war. Ich hatte es getan. Einfach so. Ohne nachzudenken. Ich war eine Gasse entlanggeschlendert, hatte sie durchs Fenster gesehen. War in das Zimmer appariert, hatte sie ein wenig gefoltert, schließlich umgebracht. Alles nur, um mir ein bisschen von dem zu gönnen, was man allgemein Vergnügen nannte.
Nun, ein "Vergnügen" war es für niemanden, jemand anderen tot daliegen zu sehen. Besonders, wenn man diesen jemand eigenhändig ermordet hatte. Jedoch, in gewisser Weise war es ein Vergnügen. Ein perverses, dämonisches Vergnügen, anderen brutalste Schmerzen zuzufügen, sie leiden zu sehen. Sie zu töten.
Es passte zu mir. Dem Scheusal.
Ich sah mich im Zimmer um. Es war spartanisch eingerichtet. Ein Sofa, das den Eindruck erweckte, schon in der dritten Generation einer Familie zu dienen, ein Tisch, der dem Sofa im Alter um nichts nachstand, in der Ecke ein Bett, das aus einem Gefängnis hätte stammen können. Neben dem Tisch lagen einige Zeitungen auf dem Boden. Daneben ein Pullover und ein dunkelbrauner Trenchcoat. Das Bücherregal neben dem einzigen Fenster des Raumes war nicht, wie zu erwarten mit Büchern sondern mit ein paar Nahrungsmittelkisten, Kleidung und einigen Tellern und Tassen gefüllt. Das Notwendigste, was man eben zum Leben brauchte. Schuhe besaß die Tote offenbar nur ein einziges Paar. Es stand neben der ziemlich ramponierten Tür.
Sie musste ein erbärmliches Leben geführt haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es schön gewesen war, in diesem Dreckloch hier vor sich hinzuvegetieren.
Als ich mich langsam umdrehte, fiel mein Blick auf die einzige Dekoration der ärmlichen Wohnung: Ein Kruzifix über dem Bett. Es war ziemlich schlicht gehalten, aus zwei dunklen Holzleisten gefertigt, die sich in scharfem Kontrast von der Wand abhoben.
Ich seufzte.
Christlich bis zuletzt. Auch wenn sie alles hatte aufgeben müssen, ihren Glauben hatte sie behalten.
Dann hat sie etwas geschafft, was du nicht konntest, nicht wahr?
Da war sie wieder. Die Stimme in meinem Hinterkopf, die mich in den unmöglichsten Situationen mit ihren zynischen Kommentaren bedachte. Aber diesmal musste ich ihr - wenn auch widerstrebend - Recht geben.
Die junge Frau hatte ihren Glauben behalten. Ihren Glauben an Erlösung. An eine bessere Welt. Ich dagegen hatte auf ganzer Linie versagt. Schon immer hatte ich den einfacheren Weg gewählt. Schon immer war ich größeren Problemen aus dem Weg gegangen oder hatte sie von anderen beseitigen lassen. Im Grunde war ich feige. Ein machtversessener, verblendeter Feigling. Das hatte mich schließlich auf die dunkle Seite gezogen. Das und noch etwas anderes...
Etwas, das ich schon vor langem aus meinen Gedanken verdrängt hatte...
Ein leises Klicken hinter mir riss mich in die Wirklichkeit zurück.
"Dreh dich um, verdammter Bastard!", befahl mir eine raue Stimme. Der Atem der Person hinter mir ging schnell.
Jede hastige Bewegung vermeidend, wandte ich mich langsam um. Mein Gesicht im Schatten der großen Kapuze verborgen, musterte ich meinen Herausforderer. Es war ein junger Mann im ungefähren Alter von 25 Jahren. In seiner leicht zitternden rechten Hand hielt er eine Pistole.
Mit einem hastigen Kopfnicken deutete er auf meinen Zauberstab und zischte: "Wirf das Ding weg, oder ich erschieße dich!"
Ich bedachte ihn mit einem spöttischen Lächeln und hob entgegen seines eindeutigen Befehl den Zauberstab sogar noch ein wenig höher. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, als er seinen Zeigefinger um den Abzug spannte.
"Verdammt! Schmeiß endlich das Ding weg!"
Er wirkte angespannt und furchtlos, doch in seinen Augen flackerte die nackte Panik. Ich wog schnell meine Chancen ab. Ich könnte apparieren, doch wahrscheinlich hätte er mich erschossen, bevor ich überhaupt die Handbewegung vollendet hatte. Beim Todesfluch wäre es genau dasselbe bis auf die Möglichkeit, ihn mit dem Spruch noch erwischen zu können. Allerdings könnte ich auch... ja! Das war es!
Ich grinste ihm boshaft ins Gesicht und vollführte eine blitzschnelle Bewegung mit meinem Zauberstab.
"Accio!", schrie ich.
Die Zeit schien in dickflüssigen Honig geraten zu sein, denn die folgenden Augenblicke kamen mir wie eine Ewigkeit vor.
Unendlich langsam löste sich der Revolver aus der Hand des jungen Mannes und drei Schüsse zerrissen krachend die Stille. Ich sah, wie die Kugeln auf mich zuschossen, sah, wie sich zwei von ihnen in meinen Oberkörper bohrten, sah mein Blut auf die schwarze Robe spritzen. Die Waffe segelte an mir vorbei und fiel durch ein Fenster, dessen Glas einem Wasserfall gleich in tausend Splittern auf den Boden regnete, auf die Straße hinunter.
Ich wurde urplötzlich von einem heißen, brennenden Schmerz erfasst, der sich von meiner Brust ausgehend durch meinen ganzen Körper fraß. Aus irgendeinem Reflex heraus vollführte meine Hand automatisch die Bewegung, meine Lippen formten von selbst die Worte, die den Tod des jungen Mannes bedeuteten:
"Avada Kedavra!"
Dumpf schlug mein Gegner, wie auch die junge Frau zuvor, auf den Boden auf. Noch bevor sein Körper die Dielen berührte, war er tot.
Eine Welle von Erschöpfung durchflutete meinen Körper und ließ mich in die Knie gehen. Das Atmen fiel mir immer schwerer. Eine der Kugeln musste wohl meine Lunge erwischt haben. Im selben Moment wurde mir klar, dass ich sterben würde.
Instinktiv taste ich mit beiden Händen nach der Wunde, mein Zauberstab fiel klappernd auf den Boden. Meine Robe war inzwischen getränkt von meinem Blut. Als ich meine Hände wieder unter dem Stoff hervorzog, waren sie rot. Das warme Blut kroch in kleinen Rinnsalen meine Unterarme hinab.
Ein Hustenkrampf zwang mich vollends zu Boden, peitschte meinen Körper, bis ich kraftlos und zitternd auf dem Boden im Staub und meinem eigenen Blut lag. Ich hatte schon immer gewusst, dass ich dem Tod nicht entkommen konnte, doch dass er mich so ereilen würde, hätte ich mir niemals träumen lassen. Es war eine Schmach, eine Schande, wie sie schlimmer nicht sein konnte: Ich, erschossen von einem meiner größten Feinde: einem Muggel!
Doch nun war es mir egal. Ich würde sterben - allein und verlassen. Ich wollte das nicht, wollte nicht vergessen werden. Mit zitternder Hand tastete ich nach meinem Zauberstab und hob ihn auf. Ich konzentrierte mich auf das Gesicht desjenigen, den ich jetzt am meisten brauchte. Meine Stimme brach mehrmals, als ich die Formel sprach. Ich hoffte, er würde sich beeilen.
***
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie lange ich dort auf dem schmutzigen Boden gelegen hatte, wie lange ich darauf gehofft hatte, dass er kam, als ich plötzlich das leise Rascheln von Stoff vernahm. Ich hörte, wie er scharf den Atem einsog, als er mich sah. Mit ein, zwei schnellen Schritten war er bei mir und kniete sich neben mich.
"Mein Lord!" Seine Stimme klang fassungslos und erschrocken.
"Severus", antwortete ich schwach. Ich war mir nicht sicher, ob er mich überhaupt verstand. Meine Augenlider flatterten, als ich meine Augen öffnete. In seinem Gesicht stand eindeutig Sorge.
Plötzlich spürte ich, wie er seine Arme unter meinen Rücken schob und meinen Oberkörper aufrichtete, um mich an sich zu ziehen. Ich ließ ihn gewähren und lehnte meine Wange an seine Brust.
Nur mit Mühe brachte ich ein kleines Lächeln zustande. "Es ist vorbei, Severus. Es ist aus. Ich werde sterben."
Unverständnis trat in seine Augen, die verdächtig zu glänzen begannen. "Aber, mein Lord... das... nein! Bitte! Ihr dürft nicht..."
Ich schüttelte sanft den Kopf. "Es ist aus. Ich habe gespielt, und ich habe verloren. Akzeptiere das. Bitte!"
Ich sah tief in seine pechschwarzen Augen, in denen nun unleugbar Tränen standen. "Du bist frei, Severus! Geh wohin du willst, mach was du willst, aber bitte lass mich hier nicht zurück!"
Er nickte stumm, nahm meine Hand in seine und zog mich noch näher. Ich spürte die lebendige Wärme seines Körpers durch den Stoff hindurch, hörte das Schlagen seines Herzens.
Plötzlich keimte ein Wunsch in mir auf, eine Erinnerung an die alten Zeiten, meine Schultage in Hogwarts. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als das Schloss noch einmal sehen zu dürfen. Es war vollkommen absurd, gerade jetzt, im Augenblick meines Todes zu dem Ort zurückzukehren, an dem ich die größten Demütigungen und Niederlagen erlitten hatte, doch es ließ mich nicht mehr los.
"Severus", wisperte ich, kaum noch wahrnehmbar. "Bring mich nach Hogwarts."
"Ja, mein Lord."
Ich schloss die Augen und schmiegte mich an ihn. Er murmelte den Zauberspruch, dann drehte sich kurz alles um uns herum, als wir apparierten.
Nur einen Augenblick später spürte ich das feuchte Gras unter meinem Körper. Über uns reckten hohe Bäume ihre starken Äste in den Nachthimmel. Das Licht des zarten Sichelmondes glänzte geheimnisvoll auf Severus' Haar. Und in der Ferne sah ich die vielen Lichter von Hogwarts golden strahlen.
Ich seufzte leise. "Danke!"
Eine heiße Träne tropfte auf meine Wange und zog eine glänzende Spur bis zu meinem Mundwinkel hinunter. Ich hörte Severus leise schluchzen und drückte seine Hand ein wenig fester. In dem Moment wusste ich: Ich war nie allein gewesen... Niemals!