Eine Begegnung im Park

 

 

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Autorin: Kassiopeia

Disclaimer:
Alles was ihr aus HP kennt gehört Joanne K. Rowling.

Inhalt:
Ein düsterer Tag im Januar. In einem Park, mitten in London begegnen sich zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie kommen ins Gespräch und entdecken, dass sie doch einiges gemeinsam haben.


Eine Begegnung im Park



Es war ein grauer, verregneter Januarnachmittag, einer dieser trüben Tage nach der Weihnachtszeit, wenn es scheint, als wolle der Alltag besonders trist und langweilig sein, um einem die Feiertagsstimmung gründlich auszutreiben.
Als ich durch den kahlen Park eilte, den Kragen meines Mantels aufgestellt um mich vor dem kalten Wind zu schützen, regnete es nicht mehr, doch eine undurchdringliche Wolkendecke hing drohend über der Stadt und verhieß noch mehr Regen. Ich blickte nach oben und schritt schneller aus, damit ich die U-Bahnstation erreichen würde, ohne nass zu werden.
Wenige Leute außer mir waren bei diesem Wetter im Park unterwegs. Manchmal überholte mich jemand, der genau wie ich, von der Arbeit kam und zur Haltestelle am anderen Ende des Parks wollte. Alle diese Menschen gingen sehr schnell; niemandem fiel es ein, an einem Tag wie diesem müßig die Wege entlang zu schlendern, wie es bei Sonnenschein oft geschah.
Die Bäume waren blattlos und die Zweige, die sich wie die Arme hungernder Kinder dem Himmel entgegenreckten, wirkten dürr und fragil. Sie sahen aus, als würden sie nicht die leichteste Last aushalten, und man konnte sich nur wundern, dass dies dieselben Bäume waren, die im Sommer von unzähligen Jungen und Mädchen erklettert wurden, ohne jemals zusammenzubrechen.
Ich nahm eine Abkürzung über den Rasen und zwischen Büschen hindurch. Meine Füße wurden davon zwar nass, aber ich befürchtete, die U-Bahn zu verpassen, wenn ich mich nicht beeilte. Als ich an meiner Lieblingsbank vorbeikam, auf der ich im Sommer oft stundenlang Bücher las, blieb ich überrascht stehen. Eine junge Frau saß auf der Bank unter dem tropfenden Baum und schaukelte mit einer Hand einen Kinderwagen, der vor ihr stand. Wem fiel es bei diesem Wetter ein, sein Kind spazieren zu fahren?
Die Frau war in einen schwarzen Mantel gehüllt, der viel zu dünn wirkte, um warm zu halten. Ihr langes dunkles Haar fiel ihr feucht über den Rücken und rahmte ein dünnes, blasses Gesicht ein. Der Kinderwagen war grau und sah altmodisch aus.
So ungewöhnlich der Anblick einer Mutter mit Kinderwagen in einem verregneten Park auch sein mochte, fand ich doch, dass es noch seltsamer gewesen wäre, dieser Frau an einem Sonnentag zu begegnen. Irgendwie passte sie zu dem trüben Wetter und den Bäumen und Sträuchern in ihrem todesähnlichen Schlaf.
Die Frau hatte mich noch nicht bemerkt, denn ein Busch verdeckte mich. Doch nun trat ich hinter den Zweigen hervor und näherte mich ihr. Ich weiß selbst nicht, warum ich es tat, denn normalerweise war ich viel zu schüchtern um fremde Leute anzusprechen. Vielleicht war es der Kinderwagen vor ihr, der mir den Mut dazu gab, auf sie zuzugehen. Ich hatte vor einiger Zeit eine Fehlgeburt gehabt und seitdem war ich nicht mehr normal, wie mein Mann freundlicherweise zu sagen pflegte. Doch wahrscheinlich hatte er Recht, denn ich reagierte mit übertriebenen Mutterinstinkten auf alle Menschen unter fünf Jahren.
Die Frau blickte auf, als ich zwischen den Zweigen erschien. Ein seltsamer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. War es Furcht? Aus der Nähe wirkten ihre Züge müde und ausgemergelt und standen in merkwürdigem Kontrast zu den Kleidern, die, obschon unpassend für das Wetter, sehr kostbar zu sein schienen. Unter dem Mantel, der einen schmalen Pelzkragen hatte, schaute ein spitzenbesetztes Kleid hervor. Und nun konnte ich auch sehen, dass ihre Hände mit funkelnden Ringen überladen waren.
Ich stand nun direkt vor ihr und wusste nicht, was ich sagen sollte. Im Stillen verfluchte ich meine Neugier und meine Besessenheit was Kleinkinder betraf. Der Blick der Frau war immer noch auf mich gerichtet, ihre Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten. Ich fühlte mich unwohl, von diesen Augen so angestarrt zu werden, obwohl der Blick nicht unfreundlich war. Krampfhaft überlegte ich mir eine Entschuldigung für mein Benehmen, um dann auf schnellstem Wege den Park zu verlassen. Doch dann öffnete die Frau die dünnen, bleichen Lippen und sprach zu mir.
"Wollen Sie sich nicht setzen?", fragte sie mit leiser, schüchterner Stimme.
Sie wies auf die Bank, deren Sitzfläche noch vom letzten Regenschauer feucht war. Ich nickte und setzte mich neben sie.
Eine Weile sprach niemand von uns ein Wort, doch seltsamerweise war es nicht diese peinliche Stille, die oft zwischen Menschen herrscht, die sich nicht gut kennen, während jeder krampfhaft nach einem Gesprächsthema sucht. Ich fühlte mich nicht unwohl während unseres Schweigens, und die Frau neben mir schien mein Gefühl zu teilen. Ihre mit Ringen besetzte Hand lag immer noch auf dem Griff des Kinderwagens und schaukelte ihn unaufhörlich hin und her. Ihr Blick schweifte langsam hierhin und dorthin, als wäre sie tief in Gedanken versunken.
"Darf ich hineinschauen?", fragte ich schließlich und wies auf den Kinderwagen.
Sie schaute mich an.
"Aber sicher."
Sie zog den Wagen näher zu uns heran und ich stand auf und beugte mich darüber. Auf schwarzem Samt und bedeckt mit einer dicken grauen Decke, lag ein blasses Baby, das tief und fest schlief. Es hatte rabenschwarzes Haar und auf den Wangen lag nicht der kleinste Hauch von Rot. Die winzigen Händchen schauten rechts und links neben dem Kopf hervor und waren zu kleinen Fäusten geballt. Ich unterdrückte den Drang, das Kind aus dem Wagen zu reißen und in meine Arme zu nehmen.
"Ist es ein Junge oder ein Mädchen?"
"Ein Junge."
Meine Hände zuckten und ich steckte sie tief in die Taschen, damit ich nichts Unüberlegtes tun konnte. Mein totes Baby war auch ein Junge gewesen.
"Sie dürfen ihn streicheln, wenn Sie wollen. Er wird nicht aufwachen."
Sie musste das Zucken meiner Hände gesehen haben. Zögernd zog ich eine Hand aus meiner Manteltasche und berührte das weiche, seidige Haar des Babys. Es fühlte sich angenehm warm an unter meiner durchfrorenen Hand. Ich wagte es nicht, das Baby lange zu streicheln, aus Furcht vor meiner Besessenheit. So setzte ich mich nach kurzer Zeit wieder auf die Bank.
"Wie heißt er?", fragte ich.
"Severus."
Ich nickte, es war ein passender Name für dieses bleiche, schwarzhaarige Kind.
"Haben Sie Kinder?", fragte die Frau mich.
"Nein, leider nicht."
Meine Kehle war wie zugeschnürt. Bald würde ich wieder in Tränen ausbrechen. Ein weiterer Aspekt meiner "Anomalie", wie mein Mann sagte. Er hatte mir ein Maß an Tränen zugestanden, nachdem es passiert war, doch er hielt es für mitleidheischendes Getue, dass ich noch vier Monate später weinte, sobald mich jemand darauf ansprach. Aber ich suchte nicht das Mitleid der Leute, ganz bestimmt nicht. Ich wollte ja gerade nicht darüber reden. Doch ich merkte nun erneut, dass diese Frau anders war, als alle anderen Leute, denn mich überkam ein unüberwindbares Verlangen, mich ihr anzuvertrauen.
"Ich hatte letzten September eine Fehlgeburt", sagte ich und fühlte eine Träne meine Wange hinunterrollen. Ich senkte den Kopf.
"Das ist schlimm." In ihrer leisen Stimme lag mehr Trost als in all den Umarmungen meiner Mutter und meiner Bekannten.
"Aber vielleicht", sprach sie weiter, "ist es gut gewesen für Ihr Kind, dass es nicht leben durfte. Vielleicht hätte es sehr viel Schmerz erfahren müssen und es ist besser, dass es diese Welt gar nicht erst betreten hat."
Ich starrte sie an. Von jedem anderen Menschen hätte diese Bemerkung äußerst taktlos geklungen, doch diese ungewöhnliche Frau legte eine trostlose Traurigkeit in ihre Stimme, die es mir unmöglich machte, mich vor den Kopf gestoßen zu fühlen.
"Warum sagen Sie das?"
Sie deutete auf ihren Sohn.
"Ich denke mir oft, dass sein Leben sehr traurig sein wird und frage mich, ob es nicht besser für ihn gewesen wäre, nie geboren worden zu sein."
"Aber…sind Sie nicht glücklich, einen Sohn zu haben?"
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, das erste Lächeln, das ich an ihr sah.
"Doch, ich bin sehr, sehr glücklich. Aber ist es nicht egoistisch nur an sein eigenes Glück zu denken?"
Ich sah sie prüfend an.
"Warum glauben Sie, dass Ihr Sohn ein trauriges Leben haben wird?"
Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht.
"Mein Mann…", begann sie zögernd und verstummte dann plötzlich.
"Ja?", sagte ich, begierig, mehr zu erfahren. Konnte es sein, dass unser beider Schicksal so ähnlich war? "Was ist mit Ihrem Mann?"
Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und begann zu zittern. Vorsichtig zog ich ihre Hände weg.
"Tut er Ihnen weh?", fragte ich leise.
Sie nickte, die dunklen Augen voller Angst. Dann blickte sie hektisch hin und her, als befürchte sie, beobachtet zu werden.
"Und Sie haben Angst, dass er auch Ihrem Sohn weh tun wird."
Doch diesmal schüttelte sie den Kopf, um gleich darauf wieder zu nicken.
"Ich glaube", flüsterte sie, "dass er ihm auf eine andere Weise schaden wird als mir. Er wird ihn zu einer zweiten Ausgabe von sich selbst erziehen."
"Das werden Sie nicht zulassen", sagte ich beruhigend. "Sie sind seine Mutter, Sie werden mehr Einfluss auf Ihren Sohn haben, als Ihr Mann."
"Nein, nein! Sie kennen meinen Mann nicht. Sein Wille ist stark, und ich bin so schwach, ich kann mich nicht wehren. Ich weiß, dass mein Sohn mich eines Tages verachten wird… und seinen Vater wird er bewundern. Er wird so sein wollen wie er. Genauso hart, genauso kalt…"
Ich streichelte ihre Hände.
"Ist Ihr Mann so schlimm?"
"Ach, wenn Sie wüssten! Er ist… er ist böse. Er hält sich für etwas besseres, weil sein Blut rein ist. Wenn er wüsste, dass ich mich mit Ihnen unterhalte… Er hasst Muggel…" Sie brach entsetzt ab und hielt sich die Hand vor den Mund.
Ich lächelte. Es war schon einige Zeit her, dass ich zum letzten Mal das Wort "Muggel" gehört hatte.
"Es ist in Ordnung", beruhigte ich sie. "Sie sind also eine Hexe. Ich hätte es wissen müssen."
Sie nahm die Hand von ihrem Mund und starrte mich überrascht an.
"Meine Mutter ist auch eine", erklärte ich lächelnd. "Und mein Vater war ein Zauberer. Ich bin ein Squib."
Sie sah erleichtert aus.
"Wie heißen Sie?", verlangte ich zu wissen. "Vielleicht habe ich durch meine Mutter schon von Ihnen gehört."
"Septima Snape."
Ich dachte nach. Die Snapes gehörten zu den ältesten Zaubererfamilien und man brachte sie oft mit den dunklen Künsten in Verbindung. Mutter erwähnte sie manchmal, wenn sie über eingebildete Reinblüter schimpfte.
"Ihre Eltern haben Sie wohl zu der Ehe gezwungen?", mutmaßte ich.
"Ja, schon als wir beide noch Kinder waren, wurde vereinbart, dass wir einmal heiraten werden." Sie schüttelte sich. "Hätte man mir meinen freien Willen gelassen, dann wäre es nie zu dieser Ehe gekommen. Aber ich war zu schwach, mich zu wehren."
Sie senkte demütig ihre Augen.
Mein Blick glitt über ihre ausgemergelte Gestalt, die zu deutlich verriet, dass ihr Wille ebenso zerbrechlich war wie ihre Knochen. In diesem Augenblick wusste ich, früher oder später würde sie zusammenbrechen unter der Last, die sie zu tragen hatte. Ich betete, dass es eher später als früher geschehen würde. Je länger dem kleinen Severus seine Mutter erhalten blieb, desto besser war es für ihn. Sie war zwar schwach, doch sie würde dennoch ihren Eindruck auf ihrem Sohn hinterlassen. Und wenn der Eindruck auch nicht tief sein würde, so würde er das Kind doch für sein ganzes Leben lang segnen.
"Ich will nicht sagen, dass Sie es besser getroffen haben als ich, aber wenigstens haben Sie sich nicht freiwillig für dieses Leben entschieden. Ich jedoch habe meinen Mann ohne äußere Einflüsse gewählt, ich bin ganz allein verantwortlich für mein Unglück. Ja, ich habe mich sogar für ihn entschieden, obwohl meine Mutter und meine Freunde mir davon abrieten. Es ist bitter, erfahren zu müssen, dass die eigenen Entscheidungen, die einem so richtig vorkamen, falsch waren."
"Ist denn Ihr Mann auch… so wie meiner?", fragte Mrs. Snape atemlos.
"Ja", sagte ich traurig. "Er ist genauso."
Mrs. Snape seufzte tief auf, als wäre ihr eine große Last von der Seele genommen worden.
"Das ist das erste Mal, dass ich eine Frau treffe, der es genauso geht wie mir", sagte sie mit zittriger Stimme. "Eine, die es zugibt, jedenfalls. Ich schämte mich schon dafür, dass ich so ein Aufhebens darum mache, denn meine Mutter meint, es sei meine Schuld, wenn er mich schlagen würde, und ich solle mich nicht über meine gerechte Strafe beschweren."
"Das sagt meine Mutter auch! Aber wir dürfen uns nicht schämen, denn es ist nicht Recht, was unsere Männer machen. Mein Mann schlägt mich wegen jeder Kleinigkeit. Er wird mich auch heute Abend wieder schlagen, weil zu spät kommen werde."
Ich sah auf meine Armbanduhr. Natürlich hatte ich die U-Bahn verpasst, ich würde eine spätere nehmen müssen und eine Stunde später als gewöhnlich nach Hause kommen.
Mrs. Snapes Augen funkelten als sie mich anschaute, und ein wenig Farbe war in ihre blassen Wangen zurückgekehrt.
"Ich kann nichts tun", sagte sie. "Ich kann nicht einmal wegrennen, jetzt da ich Severus habe. Aber da ich nun weiß, dass es jemanden gibt, der mich versteht, der das gleiche durchmachen muss wie ich, kann ich es leichter aushalten."
Ich lächelte.
"Diese Begegnung wird uns beide stärker machen. Wir können uns auch schreiben, wenn Sie wollen, dann fühlen wir uns nie mehr allein. Ich bin zwar ein Squib, aber Eulen verschicken kann ich gerade noch."
"Das wäre wundervoll."
"Dann werden wir voneinander hören. Ich muss jetzt wirklich gehen, sonst verpasse ich auch noch die nächste U-Bahn. Leben Sie wohl."
Ich stand auf.
"Warten Sie", sagte Septima Snape. "Sie haben mir gar nicht Ihren Namen gesagt."
Ihre schwarzen Augen waren flehentlich auf mich gerichtet, als hätte sie Angst, ich würde sie im Stich lassen.
"Oh…Arabella Figg", sagte ich.

Es fing an zu regnen, als ich das Ende des Parks erreichte. Ich schaute noch einmal zurück und glaubte durch den Schleier aus Regen, zwei schwarze Gestalten mit einem Kinderwagen zu sehen. Eine Gestalt war klein und ging niedergebeugt, während die andere, die groß und einschüchternd wirkte, den Oberarm der kleineren umklammert zu halten schien.
Ein dicker Tropfen aus dem Baum unter dem ich stand, fiel auf meine Stirn und rann mir in die Augen. Ich presste sie zusammen; als ich sie wieder öffnete, waren die Gestalten zwischen den kahlen, dürren Parkbäumen verschwunden.
Langsam stieg ich die Treppen zur U-Bahnhaltestelle hinab. Ich würde sehr spät nach Hause kommen, mein Mann würde sehr wütend auf mich sein. Doch als ich an Septima Snape dachte, fühlte ich, dass ich sein Geschimpfe und selbst seine Schläge diesmal ohne Klagen würde ertragen können.
Es würde Frühling werden und die zerbrechlichen Zweige der Bäume würden wieder stark und voller Leben sein.

Ende

 

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